»Der Lynchmob ist krank vor Neid/Auf das Fünfsterne-Hotel im Asylantenheim«, reimte Tarek von K.I.Z. auf dem Album »Hurra die Welt geht unter« in diesem Sommer. Und weiter: »Denkt ihr, die Flüchtlinge sind in Partyboote gestiegen/Mit dem großen Traum, im Park mit Drogen zu dealen?« Ungewohnt klar und deutlich positionierten sich die Berliner auf ihrem neuen Album, obwohl sie sich ansonsten ja eher hinter Parodien und Slapstick versteckt hielten. K.I.Z. brachten mit ihrem eindeutig politischen Album das auf den Punkt, was sich innerhalb der deutschen Rapszene in der letzten Zeit abzuzeichnen begann: Politischer Rap kommt langsam wieder in Mode. Und nach Jahren der Inhaltslosigkeit gibt es jetzt wieder Rap mit Inhalt – sogar im (Quasi-)Mainstream: Antilopen Gang, Zugezogen Maskulin, Audio88 & Yassin, Kaveh, Disarstar und die Zeckenrap-Gala – allesamt verzeichneten sie in diesem Jahr ein gesteigertes Interesse an ihrer Arbeit; zumindest mehr, als in den Jahren zuvor. Könnte sein, dass sich die gesellschaftlichen Verhältnisse dahingehend verschärft haben, dass man sich halt doch mal wieder mit Politik beschäftigen muss, wenn man nicht ganz abgestumpft ist; oder dass die Krisen dieser Welt uns nun doch unangenehm nah auf die Pelle rücken. Vor allem das Flüchtlingsthema – ohnehin (zumindest für drei Monate) in Mode in diesem Jahr – wurde in so manchem Querverweis verarbeitet, so zum Beispiel bei Genetikk mit der Zeile: »Du willst ne Yacht vor der Küste?/Im Wasser treibt, wer’s nicht geschafft hat zu flüchten.«
Fard widmete dem Thema den Track »Fluchtphase (Mezzanin)«, was bei den bereits erwähnten Lichtblicken in diesem Jahr aber insgesamt doch eher eine Ausnahme darstellte. Viele, vor allem bekanntere Rap-Artisten, verweigern sich einem politischen Diskurs; vielleicht, weil sie sich diesem nicht gewachsen sehen. Oder aber, weil die eigene Chartplatzierung doch noch ein bisschen wichtiger ist als der Weltenlauf. Vor allem die aufstrebende, fremdenfeindliche Pegida-Bewegung fand dann doch relativ wenig Widerhall im Schaffen der Künstler deutscher Zunge, obwohl sich Rap doch eigentlich immer einer antirassistischen Grundstimmung rühmen konnte. Lediglich Celo verpasste den Rettern des Abendlandes einen kleinen verbalen Kinnhaken auf dem großartigen Album »Bonchance«: »Revolution, gib mir mehr Munition. […]/No man’s land/Deutschland brennt. Guck doch selbst, Pegida aka Walking Dead.« Nicht zu vergessen MC Bomber, der ähnliche Maßnahmen im Kampf gegen die Zombies vorschlug: »Deutschland den Deutschen – und alle Trottel klatschen/ Contra Rechtspopulismus – heißt alle Trottel klatschen.«
Im Gegensatz zum Antirassismus der früheren HipHop-Jahrzehnte hat aber auch der Trend, die eigene nationale Identität in den Vordergrund zu rücken, weiter zugenommen. Vor allem unserem deutschen Bruder Fler ist das so gut gelungen, dass ihn sogar die NPD in einem Werbeschreiben erwähnte. Künstler wie Alpa Gun dagegen machten wiederum aus ihrer Herkunft einen ganzen nationalidentitätischen Track (versteckte Erdogan-Huldigung inklusive): »Polo-Shirt, Ray Ban, guck dir mein Perso an/Türkiye, Istanbul, meine Stimme: Erdogan.«
Manch einer erklärte sogar die aufkommende Cloud-Bewegung, die ebenfalls im Jahr 2015 ihren vorläufigen Höhepunkt erreichte, zum radikal-nihilistischen politischen Statement – was man beim näheren Betrachten der Szene durchaus glauben kann. So inhalts- und belanglos – das kann dann doch kein Zufall sein. Das kann nur mit absichtlicher Totalverweigerung erklärt werden. Turn up!
Illustration: Thomas Weirich
Dieser Kommentar erschien als Teil unseres Jahresrückblicks 2015 in JUICE #172 (Back Issues hier versandkostenfrei nachbestellen).