Phunkonia: »Das ist Frankenland, kein Bayern« // Feature

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»Ich habe nie damit gerechnet, dass ich von Bamberg aus überhaupt jemanden erreiche«, sagt er und nippt an einem Bier, während im Hintergrund ein Beattape im Loop läuft. Robanzee spricht mit ruhiger Stimme. Er überlegt und fügt hinzu: »Ich will hier nicht für immer bleiben, im Moment hält mich aber meine Familie noch in Bamberg.« Dann sagt er noch einen Satz, der symptomatisch ist für einen inneren Konflikt, den die meisten Rapper aus Franken mit sich austragen müssen. Ein Konflikt zwischen dem Bewusstsein darüber, dass sie Talent haben und der Erkenntnis, dass sie damit, solange sie in Franken bleiben, an Grenzen stoßen werden. Robanzee sagt also: »Ich habe mich darauf eingestellt, keinen Erfolg zu haben – einfach weil ich die Musik mache, die ich mache. Mit der Einstellung kann ich trotzdem mein Leben genießen.«

Dann löst sich die Spannung im Raum, Amoggee stößt zur Runde dazu und Robanzee zeigt einige seiner, es müssen knapp hundert sein, unveröffentlichten Songs. Er schließt die Augen, rappt mit. Auf einem Laptop-Bildschirm läuft ein Fußballspiel der deutschen Nationalmannschaft, draußen grölen die »Bauern«, Deutschlandflaggen wehen. In diesem Moment treffen zwei Welten aufeinander und es wird nachvollziehbar, warum sich einige der Künstler hier eingeschränkt fühlen.

Wenig später stehen wir alle in einem Park, Musik läuft, Perc redet im tiefsten Fränkisch und verteilt Helles. Ein paar Skater aus der Umgebung kommen vorbei, alle kennen sich, alles wirkt harmonisch.Gerade ging noch der selbstgemachte Schnaps rum, dann gehen die Laternen aus. Schluss. Es gibt nur einen Ort, an dem noch weitergefeiert werden kann: Nürnberg.

Drogenring platzt: Label-Traum ausgeträumt

Nürnberg ist eine Großstadt, zumindest auf dem Papier. Es gibt eine U-Bahn und einige Clubs; Annehmlichkeiten also, die dieser Bezeichnung gerecht werden. Trotzdem haftet auch ihr was Provinzielles an. Wirklich berühmte Nürnberger Rapper gibt es nicht. Nur Automatikk erlangten ein wenig Bekanntheit, nachdem sie in Berlin mit Bass Sultan Hengzt anbandelten. Ansonsten spielt sich alles im Untergrund ab.

Wer mehr über diesen Untergrund erfahren will, der muss Laca besuchen. Seit Anfang der Nullerjahre rappt er, früher noch unter dem Namen Lance Carvell zusammen mit seiner Crew Untergrunter. Damals machten sie Battlerap, der an M.O.R. erinnerte, aber mit fränkischem Zungenschlag. Heute veröffentlicht Laca vor allem Musik mit Rappern aus der jüngeren Generation.

Laca wohnt in der Südstadt, einem multikulturellen Viertel, das ein wenig an Berlin- Kreuzberg vor ein paar Jahren erinnert. Seine Wohnung befindet sich im Umfeld einer Spielothek, eines türkischen Cafés, eines Trachtenladens und eines Waffenladens. Hier kommt alles zusammen. In seiner Wohnung fällt als erstes ein gezeichneter »Phunkonia«-Sketch auf. Einer der wichtigsten Nürnberger Sprüher und HipHop-Urgesteine, Shemrok, habe den gemalt, sagt Laca. Er kommt gerade von Arbeit, ist noch etwas erschöpft. Denn von der Musik leben kann in der fränkischen Szene niemand. Am Abend wird er gemeinsam mit Robanzee in einer Bar auflegen, bis dahin muss er noch Musik zusammensuchen.

Er sagt: »Bis vor zwei Jahren habe ich allen erzählt, dass es hier keine Szene gibt, nur verschiedene Camps. Das hat sich geändert.« Viele HipHop-Partys, die von lokalen Künstlern und Veranstaltern gestemmt werden, seien in Nürnberg in den letzten Jahren dazugekommen. Alle würden sich gegenseitig buchen, jeder kenne jeden. Es passiere etwas in der Stadt. Doch musikindustrielle Strukturen fehlen. Warum eigentlich?

Laca erinnert sich an ein Labelprojekt, das im letzten Jahr starten sollte. Groß aufgezogen, im Stile von Alles oder Nix. Die Kontakte waren da, alles sollte furchtbar professionell werden – dann platzte ein Drogenring. Der Initiator musste ins Gefängnis, der Label-Traum war ausgeträumt. Die meisten Künstler würden aber ohnehin in Homestudios aufnehmen, sagt Laca. »Alle, die hier Beats machen oder rappen, glauben nicht daran, dass es sich lohnt, groß Kohle reinzustecken.« Vielleicht kommt auch daher die rohe Ästhetik, die den Franken-Sound ausmacht.

Laca sagt auch, dass in der Vergangenheit viele Künstler irgendwann enttäuscht davon gewesen seien, dass es nicht lief. »Wenn sich hier niemand opfert und was hochzieht, dann werden die Rapper weiter in die Großstädte abwandern.« Mittlerweile gibt es mit den Bookingagenturen Conzertbüro Franken und Team Büro aber immerhin zwei lokale Veranstalter, die sich der Szene angenommen haben. Die Radiosendung Ghettoblaster beschäftigt sich außerdem schon seit 1988 mit lokalen Künstlern, einige Partyreihen halten lange durch. Das war’s dann aber auch schon. Laca ist das gerade relativ egal. Sein Laptop ist kaputt. Er muss in ein Internet-Café, sich Musik für den abendlichen DJ-Gig besorgen. Aufgelegt hat er vorher nie, aber: »Passt scho, alda.«

Szene voller Eigenbrötler

Es gibt aber doch einen Rapper, der es aus dem nerdigen Soundcloud-Kosmos herausgeschafft hat, in dem die meisten Frankenrapper stattfinden. Kuchenmann veröffentlichte sein Debütalbum »1000 Stunden Phunk aus dem Süden mit Liebe« über ein Kölner Label, wurde in ganz Deutschland immerhin wahrgenommen. Doch seine musikalischen Roots liegen, obwohl er aus Erlangen stammt, auch bei der Bamberger Clique um Robanzee. »Dort habe ich richtig rappen gelernt«, sagt er, als wir wenig später bei ihm auf dem Balkon sitzen. Mittlerweile wohnt auch er in Nürnberg. Aber obwohl Bamberg die kleinste der Städte in der Gegend ist, habe er sich eine Zeit lang dorthin orientiert, weil viele Leute das Musik ding auf eine schöne Art ernstgenommen hätten, nicht so verbissen gewesen wären. Die Crew von damals ist mittlerweile verstreut, um Smilingstreet ist es ruhiger geworden. Trotzdem beziehen sich noch immer alle aufeinander.

Auf seinem Balkon sitzt nicht nur er, sondern auch der Produzent Lobo Funk und der Rapper Vuka. Vuka ist seit Ende der Neunziger aktiv, hat zwar wenig Musik veröffentlicht, doch scheint für die Szene wichtig zu sein. Er trägt ein Belgradtrikot; spricht davon, wie er eine Zeitlang die geilsten Beats aus seiner jugoslawischen Heimat nach Franken importiert hat, und darüber, was früher los war in Nürnberg. Nicht viel. »Es ging auftrittsmäßig nichts, es gab keine Strukturen und viele haben nur mit Rappen angefangen, um Geld zu machen – aber das hat nicht geklappt«, sagt er und lacht.

Die neue Generation hat eine andere Motivation. Kuchenmann hat unzählige Releases kostenlos im Internet veröffentlicht. Auch er verfolgt einen spielerischen Umgang mit modernen Sounds, kollaboriert mit LFE-Rapper Naru oder mit Brenk Sinatra, hat auch noch eine Crew in New Jersey, USA. Was die Tracks eint, ist eine kritische Grundhaltung zum Leben, zur Gesellschaft, auch zur eigenen Frankenliebelei. »Das soll nicht lokalpatriotisch klingen, aber ich will nicht als bayerischer Rapper bezeichnet werden. Franken ist echt eine Insel«, sagt Kuchenmann.

Viele Künstler der fränkischen Szene, auch Kuchenmann, sind kreative Eigenbrötler, selbst wenn sich alle manchmal treffen. Das liege an der hiesigen Mentalität. Sein Vater habe ihm das mit den Franken einmal so erklärt: »Wenn du in Nürnberg in eine Wirtschaft gehst und an jedem Tisch trinkt einer alleine sein Bier, dann gehst du wieder raus und sagst: ‚Der Laden ist voll.‘ Die Leute bleiben unter sich.«

Auch in der Nürnberger HeyHey-Bar bleiben die Leute unter sich. Kuchenmann ist nicht mitgekommen, aber Robanzee und Laca legen schon obskure Memphis- Beats auf. Der Laden ist klein und voll. Die meisten Leute scheinen sich zu kennen oder machen selbst Musik. Obwohl es gerade mal 23 Uhr ist, laufen besoffene Männergruppen in Fußballtrikots ihrer lokalen Dorfmannschaft an der Bar vorbei. Einer kotzt gegen eine Wand und trinkt gleich danach weiter. Keiner von ihnen nimmt Notiz vom Bassgewummer, das ihnen entgegenschlägt. Für viele bleibt die fränkische Rapszene ein fernes Paralleluniversum. Wahrscheinlich tut ihr gerade das ziemlich gut.

Fotos: Ivana Marija Hope

Dieses Feature erschien erstmals in JUICE #188. Back-Issues können versandkostenfrei im Versand nachbestellt werden.

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