Mit dem »The OF Tape Vol 1.« nahm damals im November 2008 die Geschichte ihren Lauf. Ein paar Auf-Alles-einen-Fick-gebende-ADS-Kids von der Westküste wissen mit ihrer Freizeit nicht besseres anzufangen, als verschreibungspflichtige Medikamente in den Mixer zu werfen und anschließend ihren tristen Alltag aus Orientierungslosigkeit und Individualisierungsdrang in der Booth zu verarbeiten.
Seitdem hat das Odd Future-Phänomen einen einzigartigen Lauf rund um den digitalisierten Erdball genommen. Die Feuilletonisten warfen mit Wu-Tang-Vergleichen um sich und freuten sich über die übertriebene Radikalität der Rasselbande. Die amerikanische Mittelschicht in den Suburbs hingegen bekam die Fratze des Grauens angesichts der abstrakten Texte, die ihre Kinder zu wörtlich nehmen könnten, direkt vor den Latz geknallt.
Wenn heute »The OF Tape Vol. 2« erscheint, stellt sich die Frage nach dem Status Quo der Gang um Tyler, Hodgy Beats, Earl Sweatshirt, Domo Genesis, Wolf Haley, Mike G, Frank Ocean, Left Brain, Syd tha Kyd, Matt Martians und den anderweitig Kreativen Jasper Dolphin, Taco und L-Boy. Die »Goblin«-Auswirkungen sind mittlerweile verdaut und Tyler in einem Atemzug zum OFWGKTA-Anführer, der Reinkarnation Satans und dem neuen Heilsbringer der gesamten Rap-Szene hochstilisiert worden. Auch wenn es eigentlich Earl mit seinem Sweatshirt-Mixtape war, der durch seinen einzigartigen Rapstil der Clique die ersten überschwänglichen Pressestimmen einbrachte.
Doch ist die Golf Wang mittlerweile nicht längst da angekommen, wo sie nie sein wollte – in der Mitte der Gesellschaft? Tyler gibt sich zwar redlich Mühe und tut alles dafür, bei Journalisten, Fans und Kollegen anzuecken. Aber, dass das visuelle Talent von Odd Future gerade mit einer eigenen Fernsehserie (»Loiter Squad«) gewürdigt wurde, zeigt, wie weit die Crew von den Mainstream-Medien schon akzeptiert ist. Und hat sich nicht auch Frank Ocean durch sein exzellentes »Nostalgia, Ultra« Tape, die The Throne-Features und als Songwriter aller Industrie-Größen schon viel zu weit vom Radikalisierungswahn der Bande entfernt? Ist er deswegen, oder aufgrund seines vollgestopften Terminkalenders nur zweimal auf »The OF Tape Vol. 2« zu hören? Zumindest bei der Spontan-Cypher im Studio der Fotografen-Legende Terry Richardson wirkt Frank fast zu erwachsen und reif für die Chaos-Truppe.
Das Mixtape zeigt, dass den kranken Fantasien von Odd Future immer noch keine Grenzen gesetzt sind. Der »Rella«-Clip, für den Wolf Haley wieder Regie führte und der Tyler als koksenden Zentauren und Hodgy als wild-umher schießenden Halo-Soldaten zeigt, demonstriert das auf visueller Ebene.
Auch »NY (Ned Flander)« sprengt die konventionellen Hör- und Sehgewohnheiten mit Tyler als rappendem Baby, Hodgy im übergewichtigen Fettsack-Kostüm und ganz viel synthetisch-bewusstseinserweiternden Maßnahmen. Soundtechnisch hält der quasi Label-Sampler zwar wenige Überraschungen bereit, bietet aber trotzdem mehr humoristische und musikalische Highlights auf Albumlänge, als so manche gesamte Rapper-Karriere. Tylers intuitiv-minimalistische Beats liefern dabei immer noch den perfekten Nährboden für die schizophrene Odd Future-Delivery.
Vor allem aber profitiert das Tape von der Rückkehr Earls, dem wahrscheinlich talentiertesten Rapper der Truppe. Das Boot-Camp in Samoa, in das seine Mum ihn eingewiesen haben soll, hat er hinter sich gebracht. Und rappen kann er noch, so als wäre er gerade erst von diesem Friseurstuhl aufgestanden. In seinem ersten Interview überhaupt, das Peter Rosenberg mit ihm führte, wirkt er aber stark benommen, vielleicht ist er auch einfach nur verschüchtert. Dass er nicht mehr in Ruhe skaten gehen kann, ohne dabei von nervigen Fans belästigt zu werden, beschäftigt ihn jedenfalls mehr, als die Diskussion, ob er mit 18 ein besserer MC ist, als Nas es damals war. »When he does return. OFWGKTA will rule the world«, twitterte Tyler im April, als das Complex-Mag den Aufenthaltsort von Earl aufdeckte. Diese Drohung ist durchaus wörtlich zu nehmen.