»Die neue Generation hat die HipHop-Szene zerstört« // Nazar im Interview

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Eine Stelle in deinem Buch überrascht mich: Wenn ich dich richtig verstehe, schreibst du, dass es ein Fehler war, die Grenzen am Höhepunkt der Flüchtlingsbewegung zu öffnen.
Nein, ich sage nicht, dass man Grenzen nicht für flüchtende Menschen öffnen soll. Nur: Man darf nicht so blauäugig sein, das unkontrolliert geschehen zu lassen. Du lässt doch auch in deine Wohnung niemanden, ohne zu wissen, wer das ist. Das hätte man ganz einfach regeln können. Aber ich bin der Überzeugung, dass Europa das absichtlich nicht getan hat. Weil danach in ganz Europa ein politischer Wechsel kam.

Das behauptet die FPÖ auch.
Tut sie das? Gut, aber dann wurde es für Parteien wie die FPÖ so gemacht.

Du hast als Jugendlicher gedealt. Hat dich HipHop vor der Kriminalität bewahrt?
Dafür bin ich viel zu intelligent. Auch ohne Ausbildung war ich Marketing-Manager bei einem sehr großen Konzern. Ich wusste auch früher schon: Als Krimineller wirst du nicht alt.

Im Gefängnis bist du trotzdem gelandet – wegen der Falschaussage eines Typen, der behauptet hat, du hättest ihn ausgeraubt. Wer war das?
Das war ein Freund von RAF. Der Typ ist zu meiner Wohnung gekommen, hat Stress gesucht. Und ich habe dort halt sein Leben auseinandergenommen. Er hat dann bei der Polizei gelogen und versucht, mir mein Leben wegzunehmen. Wie gesagt, ich bin nicht dieser Typ Mensch, aber es gibt Grenzen für mich. Das hat dieser Typ halt zu spüren bekommen.

»Wenn ich das Gefühl habe, es gibt keine Menschen mehr, die sich dafür interessieren, was ich tue oder sage, dann wird es Zeit, aufzuhören«

Deine Mutter nimmt eine zentrale Rolle in deinen Texten ein. In einem neuen Track rappst du: »Hab ich Liebe gesucht, war sie nicht die passende Person.« Ist das nicht genau das, was man von einer Mutter braucht?
Natürlich, aber das konnte sie uns nicht geben. In der Zeit, in der eine Mutter normalerweise für ihre Kinder da ist, hat meine Mama in Fabriken gearbeitet. Mein vier Jahre älterer Bruder hat mich zum Kindergarten gebracht und abgeholt. Ich habe meine Mama sehr selten gesehen, weil sie durchgehend gearbeitet hat.

Hat dich das in deiner Arbeitsdisziplin beeinflusst?
Zu hundert Prozent. Deswegen sage ich auch: Ich habe viele Fehler in meinem Leben gemacht. Und ich versuche heute, meiner Mutter alles zurückzugeben, was sie uns ihr ganzes Leben gegeben hat.

Hat sie das Buch gelesen?
Sie hat es gelesen, aber wir haben nicht oft darüber gesprochen. Vieles betrifft eine Zeit, die meine Mutter immer noch nicht verarbeitet hat.

Du schreibst, dass dir die Musik weniger Spaß macht, seit sie sich rentiert.
Ja.

Aber hast du nicht angefangen, um ­davon leben zu können?
Das war der Anfangsgedanke: Ich mache jetzt Mucke, und die wird alles zerficken. Und als es dann wirklich rentabel wurde, wurden die Erwartungen größer, immer mehr Menschen finanziell von mir abhängig. Das macht halt weniger Spaß als damals, als ich komplett tun konnte, was ich wollte.

Denkst du darüber nach, die Musik aufzugeben?
Wenn ich das Gefühl habe, es gibt keine Menschen mehr, die sich dafür interessieren, was ich tue oder sage, dann wird es Zeit, aufzuhören. Und ich sage dir ganz ehrlich: Ich bereue es sehr, dass ich mit der Musik angefangen habe. Ich wünsche mir oft, dass ich irgendwo hingehen kann, ohne dass, so wie jetzt, fünf Augenpaare auf uns gerichtet sind, weil die Leute mich erkannt haben. Ich bin nicht gerne im Rampenlicht. Ich hasse Aufmerksamkeit! Ich hätte gerne geregelte Arbeitszeiten. Vielleicht sieht man mich dann in zwei Jahren in irgendeinem Laden als Verkäufer. (lacht)

Text: Reiner Reitsamer
Foto: Samir Novotny

Dieses Feature erschien in JUICE #187. Back-Issues können versandkostenfrei im Shop bestellt werden.

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