Im März dieses Jahres haben wir euch in unserem Format »Spotlight« bereits einen Newcomer names Nali vorgestellt, den wir »zwischen Oldschool und New Wave« verortet haben. Zu diesem Zeitpunkt haben wir allerdings noch nicht geahnt, dass Nali zum Ende des Jahres eines der besten Deutschrapalben 2021 releasen würde. Sein Debütalbum »Asche« ist in Zusammenarbeit mit Produzent Samon Kawamura entstanden und hat die beiden mal eben zu einem der spannendsten Dynamic Duos des Jahres gemacht. Wir haben uns mit Nali über die Arbeit am Album, Texten in Nigeria, Weedentzug, herausfordernde Beats, die amerikanische Eastcoast und seine Perspektive auf die inhaltliche Tiefe von Musik unterhalten.
Samon Kawamura hat dein Debütalbum komplett produziert und einen großen Anteil an dem Vibe, der sich durch das Release zieht. Ihr hattet auf deiner »Mondwächter«-EP schon einmal zusammengearbeitet. Wie ist es dazu gekommen, dass ihr ein ganzes Album mit 14 Tracks zusammen gemacht habt und damit mehr oder weniger zu einem Duo geworden seid?
Die Connection kam durch meinen Manager Götz Gottschalk zustande. Götz hat damals mit Max Herre das Label Nesola gegründet, auf dem auf unter anderem Megaloh und eben auch Samon Kawamura vertreten waren. Samon ist auch Teil von Max Herres Band Kahedi und ich glaube die kennen sich alle schon so seit zwanzig Jahren. Götz hat uns introduced, wir haben uns kennengelernt und direkt gut verstanden.
Wie ist dann die Idee entstanden, so ein großes Projekt zu zweit zu machen?
Ich hatte mit MotB ja auch schon eine gemeinsame EP gemacht, auf der er alle Songs produziert hat. Das hat mir Spaß gemacht, weil es cool ist, so ein Projekt zu machen, bei dem man nur mit einer Person zusammenarbeitet und das Projekt in diesem Sinne teilt. Wenn man etwas mit vielen verschiedenen Leuten macht, ist man eher auf sich alleine gestellt. Wenn man das Projekt aber mit nur einem Produzenten macht, ist es nicht nur mein Projekt, sondern unser Projekt. Man hat zwei paar Augen, die Qualität checken, Ideen schmieden und Konzepte entwickeln. Bei MotB war das schon ganz nice, aber bei Samon war es für mich noch eine krassere Lernerfahrung, denn er ist ein echter OG. Was er an Wissen und Skills an den Tisch gebracht hat, war auf einem ganz anderen Level.
Aber die Frage war ja, warum ich mich für diesen Weg entschlossen habe. Das liegt einerseits daran, dass Götz wollte, dass wir ein bisschen enger zusammenarbeiten. Ich habe dann ein Beat-Pack von Samon bekommen, das mir so sehr gefallen hat, dass ich direkt viele Sachen darauf aufgenommen habe. Die habe ich zurückgeschickt und ihm hat das auch sehr gut gefallen. Dann haben wir beschlossen, uns mal persönlich kennenzulernen. Der Rest ist History.
War dir nach deinen bisherigen EP-Release schon klar, dass du danach an deinem Debütalbum arbeiten willst?
Eigentlich sollte das Projekt eine EP werden, aber dann hat es so viel Spaß gemacht und der Sound so gut gepasst, dass einfach sehr viel entstanden ist. Normalerweise machen wir um die 15 Tracks und selektieren dann 7-8 Dinger, wie auf der »Joga Bonito«-EP. Hier waren es aber bestimmt dreißig Songs, vielleicht sogar noch mehr. Wir wollten erst weniger Tracks drauf packen, aber das hat gar nicht geklappt, weil so viele Sachen unbedingt drauf mussten. Dann ist es ein Album geworden.
Wann ist das Projekt entstanden? Hast du das erst nach der »Joga Bonito«-EP angefangen? Dann wäre das wirklich sehr schnell gewesen.
Samon und ich arbeiten schon ungefähr zwei, drei Jahre zusammen an diesem Projekt. Ich kann mich noch daran erinnern, wie ich MotB in unserem gemeinsamen Sessions die Sachen gezeigt habe, die ich mit Samon gemacht habe. Und daran, wie er gemeint hat, dass das ja ein komplett anderer Sound ist. Ich bin schon länger dran und bin auch immer noch dabei. Samon stellt mir weiterhin Beats zu Verfügung und ich schreibe sehr gerne auf seinem Zeug. Der Prozess hat eigentlich nie aufgehört.
»Wenn man das Projekt mit nur einem Produzenten macht, ist es nicht nur mein Projekt, sondern unser Projekt. […] Bei Samon Kawamura war es für mich eine krasse Lernerfahrung, denn er ist ein echter OG. Was er an Wissen und Skills an den Tisch gebracht hat, war auf einem ganz anderen Level.«
Hast du die Texte hier geschrieben oder in Nigeria, wo du letztes Mal warst, als wir gesprochen haben. Macht der Ort des Schreibens für dich überhaupt einen Unterschied?
Total. Man wird wissen, was ich meine, wenn man den Song »Weedentzug« hört. Genau dort war es der Fall, dass ich in Nigeria war und eine Pause von Weed und größtenteils auch Alkohol hatte. Da hatte ich Zeit, wo ich richtig alleine war, nur meine Oma und ich. Da sind die nachdenklicheren Songs vom Album entstanden, wie »Abendrot«, »Du brauchst Gott« oder eben »Weedentzug«. Die anderen Songs, die etwas düsterer sind, habe ich alle in Berlin geschrieben. Samon hat sich von mir immer gewünscht, dass ich ein bisschen mehr über mich und worüber ich so nachdenke erzähle. Damit ich ein bisschen wegkomme von diesen Flex-Styles, die ich sonst sehr gerne mache. Als ich in Nigeria war, war es der perfekte Zeitpunkt, weil ich in dieses Mindset gekommen bin. Dann hat er mir auch Beats geschickt, die mich in der Lyrik mehr gefordert haben. Weißt du, was ich meine? Zum Beispiel Beats, die weniger Percussion haben.
Voll. »Weedentzug« ist da ein gutes Beispiel, weil es ohne große Drums auskommt und keine Snare hat, die regelmäßig reinklatscht. Da musst du mit deinen Texte noch mehr leisten, um den Song als Gesamtes zu füllen.
Genau sowas macht mir Spaß!
Da wir jetzt eh schon beim Albumende sind, können wir auch direkt über »Weedentzug« sprechen. Der wird auf dem Album vom nachdenklicheren Song »Fluch und Segen« zusammen mit Curse eingeleitet, der lyrisch sehr intensiv ist und dazu passt. Andererseits thematisierst du auf den vorigen Songs aber auch, das du lesh bist, dir noch einen aufbaust und relativ regelmäßig Gras konsumierst, weshalb diese Outro ein bisschen die Gegenposition einnimmt. Für mich war dieser Vibe sehr wholesome, weil du beschreibst, wie dieser Entzug zum Beispiel durch intensive Träume reinkickt, während andere Rapper maximal beschreiben, wie die Droge reinkickt.
Word!
Ist der Entzug für dich jetzt eine dauerhafte Sache oder hast du eher eine neue Balance gefunden?
Ich würde jedem, der regelmäßig Gras raucht, empfehlen ab und zu aufzuhören. Was man vom Gras bekommt, wenn man aufhört zu rauchen, ist dann genießbarer. Ich will das niemandem empfehlen, aber hier meine Perspektive darlegen. Meiner Meinung nach hilft dir Gras schon beim Kreativ-Sein. Für mich persönlich, als wir angefangen haben zu smoken, hat mich das auf andere Gedanken gebracht. Im Stu hat es uns auch schon oft inspiriert. Nachdem ich aufgehört habe zu kiffen, nachdem ich das lange gemacht hatte, habe ich einen Fokus bekommen und Sachen klar gesehen. Klar, das mit den Träumen kommt auch noch dazu. Aber generell kamen die Gedanken viel klarer, man weiß genau, was man sagen will, und ist weniger zerstreut. Man sieht die Dinge noch klarer, sogar mehr noch, als in der Zeit, bevor ich angefangen habe zu kiffen. Ich glaube die tatsächliche Langzeitwirkung von Weed erlebst du erst, wenn du drei Monate lang nicht gekifft hast. Versteht man, wie ich das meine?
Ich kann auf jeden Fall nachvollziehen, welche Wirkung du beschreibst. Gerade in der Hinsicht, dass man gewisse Aufgabe mit einem klareren Fokus und einer neu gewonnen Energie anpacken kann.
Hast du „Dragon Ball« gelesen? Da gibt es eine Szene, wo sie einen Schildkrötenpanzer tragen und damit monatelang trainieren. Am Ende ziehen sie diesen Panzer aus und fühlen sich federleicht und gleichzeitig so stark. Ich schwöre, Weed ist so wie dieser Schildkrötenpanzer, nur für’s Gehirn.
Stabiler Vergleich! Generell haben die nachdenklichen Tracks dem Album viel gegeben, aber natürlich bleibt der vorhin angesprochene Flex-Rap eine zentrale Stärke. Ich habe da einerseits den Willen herausgehört, den Leuten zu beweisen, dass du ein ernstzunehmender Rapper mit dem nötigen Selbstbewusstsein bist. Gleichzeitig habe ich eine Frustration wahrgenommen, weil du für das Verfolgen der eigenen Vision nicht die verdiente Anerkennung bekommst. Du erwähnst mehrfach, dass zu wenig Cash rauskommt und rappst an einer Stelle: »Nenn‘ mich nicht ein Rapper, bis ich die Miete zahl mit was ich spitt« Inwieweit steht dein Rap für die klassische Jagd nach Fame und Cash und inwiefern bist irgendwie trotzdem ein Verweigerer des Mainstreams?
Ich würde schon sagen, dass es mein Ziel ist, mit dem, was ich liebe, mein täglich Brot zu verdienen. Es wäre schon ein Träumchen, wenn meine eigentliche Arbeit, mit der ich meinen Lebensunterhalt verdiene, die Arbeit ist, die ich gerne mache. Das muss nicht mal unbedingt Rap sein, wie ich jetzt langsam bemerke, während ich älter werde. Aber das wäre schon nice, denn ich rappe gerne. Wie du schon angedeutet hast, geht das aktuell nicht so leicht. Das liegt teilweise daran, was für eine Musikrichtung ich mache. Aber mir ist es wichtig, dass ich weiterhin mein Ding mache, wie bisher. Ich werde immer versuchen, meinen Sound neu zu erfinden. Aber die Attitude und die Werte, die ich versuche zu vertreten, bleiben dabei gleich. Ich würde mich freuen, wenn es in der Industrie dafür mehr Platz und Recognition geben würde. Ohne mir selber zu sehr auf den Rücken zu klopfen, glaube ich, dass das Themen und ein Qualitätslevel sind, die dem Game sehr gut tun. Das sollten wir vielleicht etwas mehr ausgleichen. Ich will gar nicht sagen, dass andere Musik schlechter ist, aber ich finde, dass es zu viel vom gleichen ist. Irgendwie müssen wir einen Weg finden, das etwas auszugleichen. Davon haben die Kinder voll viel, wenn sie nicht nur diese eine Richtung erfahren, sondern auch die andere.
Voll. Ich finde da gerade deine Position spannend, weil ich dich schon in der New Wave verorte und dein Umfeld, allen voran dein Bruder Xaver, ja auch für den modernen Stil stehen. Trotzdem hast du beim Album einen Sound gewählt, der stark an Oldschool-Narrative anknüpft, wofür natürlich auch Samon verantwortlich ist. Die Headline zu unserem letzten Interview war mit »Zwischen Oldschool und New Wave« schon ziemlich passend gewählt, wie du spätestens mit »Asche« beweist. Du meintest gerade, dass du eh bereit bist, deinen Sound in Zukunft weiterzuentwickeln. Wirst du dich jemals auf einen Stil festlegen?
Da werden auf jeden Fall noch einige Überraschungen auf euch zukommen. Ich liebe es, im Stu mit neuen Produzenten zu sitzen, die mir etwas vorspielen, auf dem ich noch nie gerappt habe. Als ich in Nigeria war, habe ich zum Beispiel ein paar Produzenten getroffen. Was die mir vorgespielt haben und woran wir da gearbeitet haben, war ein komplett anderer Film. Ich habe aber gemerkt, dass mir das trotzdem genau so viel Spaß gemacht hat. Es gibt mir voll viel! Andere Rhythmen und Styles bringen mich auf neue Gedanken und neue Flows.
Du bleibst ungern stehen, oder?
Ja, voll. Aber ich komme natürlich schon vom Oldschool. Als wir mit der Mukke angefangen haben und die ersten Songs geschrieben haben, haben wir BoomBap gemacht. Daher hat das schon einen speziellen Platz in meinem Herzen.
»Kunst ist auch eine Auseinandersetzung mit sich selbst. Wenn du etwas guckst oder hörst und dabei merkst, wie dich das zum Nachdenken bringt, ist das unglaublich wertvoll und unterbewertet.«
Logisch, ich finde das hört man auch raus. Es ist eben deine Basis und nicht etwas, dass du jetzt mal für ein Projekt ausprobiert hast. Das spiegelt sich, meiner Meinung nach, auch auf der Featureliste wieder, die diesen Status transportiert. Klar, einmal gibt es Samon Kawamura als Produzenten, der ein OG ist, wie du vorhin meintest. Dazu kommt aber zum Beispiel auch ein Megaloh, der einen legendären Status im Game hat. Der hat im Interview zu seinem aktuellen Album übrigens auch über den Einfluss von Götz Gottschalk geredet, weshalb diese Connection jetzt noch viel logischer erscheint.
Megaloh ist der erste OG dieses Kalibers, den ich kennenlernen durfte. Als ich meinen ersten Deal mit Götz unterschrieben habe, hat Götz ihn gefragt, ob er sich mit KazOnDaBeat und mir treffen würde. Da waren wir erst so um die 17 Jahre alt. Er sollte uns etwas auf den Weg mitgeben. Wir haben uns dann in einem Studio getroffen und es war sehr cool. Er war total nett, war interessiert an uns und wollte Sachen über uns wissen. Logischerweise hat er auch viel über sich selbst erzählt, woran wir voll interessiert waren. Dass wir dann etliche Jahre später zusammen auf einem Track sind, ist ein unglaubliches Gefühl.
Wie lief das ab? Hast du ihn konkret für dein Album angefragt? Wart ihr noch in Kontakt?
Wir waren nicht weiter in Kontakt, wir haben die Kontakte an diesem Tag nicht ausgetauscht. Das war wirklich nur so wie eine Nachhilfestunde. (lacht) Danach hat man sich flüchtig auf Events wiedergesehen, aber nicht länger gequatscht. Ich glaube Götz hat darauf gewartet, dass ich das Level an Qualität erreiche, wo er sagen kann »Ja, das ist ein Track, der einem Megaloh würdig ist.« Ich glaube bei diesem Album hat er sich zum ersten Mal gedacht, dass es gut genug ist, um Mega zu fragen, ob er am Start ist. Und er war am Start!
Super spannend auch, dass Megaloh sich mit seinem aktuellen Album von der ewigen BoomBap-King-Zuschreibung löst und neue Styles ausprobiert, während du als junger Rapper im Game auf frische Weise an den BoomBap-Traditionen anknüpfst und ihr dann zusammenfindet.
Word! Total.
Dein Album hat auch einen starken Bezug zum aktuellen Sound der amerikanischen Eastcoast, der von Leuten wie Benny The Butcher, Harry Fraud, Conway The Machine, Westside Gunn und weiteren aus dem Grizelda-Camp gemacht wird. Gerade in Bezug auf die Adlibs hört man da deutliche Referenzen raus, ohne dir vorzuwerfen, dass du deren Stil einfach ins deutsche kopiert hättest. Aber inwieweit hat dich dieses Camp inspiriert? Und vor allem: Wie ist dann Rick Hyde aus Buffalo auf deinem Album gelandet?
Ich hör‘ den ganzen Scheiß natürlich. Ich feier‘ todes, was da gerade so abgeht. Diesen Sound an sich gibt es schon länger, aber die Dudes von Grizelda haben das auf ein neues Level gepusht und dadurch eine gewisse Renaissance geschaffen. Die haben es irgendwie anders gemacht. The Alchemist macht das ja schon länger, man hat Sachen wie von Earl Sweatshirt, Homeboy Sandman oder Roc Marciano gehört. Diese abstraktere Richtung, wo oft weniger Percussion drin ist und diese Halftime-Beats kommen. Aber wie Westside Gunn, Conway und Benny das machen, ist einfach fly. So richtig dope! Die ganze Charakteristik vom Sound, worüber sie reden, wie krass sie rappen. Ich könnte nicht genau definieren, wo der Unterschied ist, aber sie haben es auf eine Weise gemacht, die wir eigentlich doch noch nicht gehört haben. Und das mit einer Musikrichtung zu machen, die schon so lange am Start ist, ist stets beeindruckend. Als mir Samon die Beats geschickt hat, habe ich sofort an diese Leute gedacht. Ich habe Flow-mäßig auf keinen Fall gebitet, aber ich habe mich schon ein bisschen an den Adlibs bedient, weil ich das passend fand. Ein paar Leute haben mir gesagt, dass ich das nicht machen sollte, aber ich habe es drin gelassen, weil ich schon den Hut vor diesen Leuten ziehen möchte. Was die für HipHop leisten, ist crazy. Dass dann Rick Hyde, der aus diesem Camp kommt, das gehört hat und raufgehoppt ist, obwohl es auf Deutsch ist, ist einfach komplett crazy. Das zeigt mir, dass ich’s geschafft habe, das noch originell rüberzubringen. Es könnte ja auch sein, dass die Sache für Rick eher egal ist, weil er sich denkt, dass es eh keiner hört und er im Zweifelsfall noch ein paar deutsche Fans abgreifen kann. Aber ich bin selber Rapper und weiß, dass man nicht einfach auf irgendwas rappt. Das heißt, wenigstens der Beat hat ihn auf jeden Fall gecatcht. Auf jeden Fall eine riesige Ehre, ihn auf dem Album zu haben.
Das wertet das Album nochmal auf eine andere Art auf. Auch, weil er kein Feature ist, dass ich bei vielen anderen Releases passend gefunden hätte, aber hier eben schon. Und ich glaube auch, dass die meisten es nicht bekommen würden, daher ist das schon special.
Auf jeden Fall. S/O BSF! [Black Soprano Family; Anm. d. Red] So heißt das Label von Benny The Butcher, auf dem Rick Hyde gesignt ist.
Apropos Abgrenzung: Du lässt an der ein oder anderen Stelle deinen Hate dafür raus, wie es aktuell läuft und welche Sachen ins Rampenlicht gestellt werden. Auf „Du brauchst Gott« beziehst du dich außerdem auf Leute, die du peinlich findest, wenn sie Pillen schmeißen und das ihre Grundlage für Songs ist. Ist das etwas, dass dich besonders an aktuellen Strömungen stört?
Wir haben ein bisschen das Problem im Rap und besonders im Deutschrap, dass diese Musikrichtung und dieses Genre, was aktuell eins der populärsten Genres ist, nicht ernst genommen wird. In Deutschland wird Rap zelebriert, den man nicht ernstnehmen kann. Dieser Rap, der davon handelt, sich kaputt zu machen und diesen Lifestyle zu leben, den man eigentlich niemandem empfehlen kann, findet dort seine Reflektion. Es ist keine Musik, die man wirklich ernst nehmen kann. In vielen Fällen ist es trotzdem gute Musik, die man hören kann und die Spaß macht, aber ich finde es problematisch, dass das der Kern der Sache geworden ist und da die meisten Augen drauf sind. Meiner Meinung nach ist das so, weil Leute sich, wenn sie Musik hören oder wenn sie Filme gucken, lieber etwas konsumieren, dass sie nicht ernst nehmen müssen. Das ist in gewisser Weise verständlich, denn du möchtest ein wenig abschalten und dich vom stressigen Alltag ablenken, wenn du Kunst konsumierst. Aber ich würde es jedem Menschen empfehlen, es wenigstens zu versuchen, sich etwas tiefer mit Sachen zu befassen. Besonders mit der Kunst, die man konsumiert, denn das tut einem echt gut. Kunst ist auch eine Auseinandersetzung mit sich selbst. Wenn du etwas guckst oder hörst und dabei merkst, wie dich das zum Nachdenken bringt, ist das unglaublich wertvoll und unterbewertet.
True. Gerade wenn ich an den Sound der populären Spotify-Playlists denke, sind das größtenteils Sachen, über die man nicht zweimal nachdenken braucht, weil sie eingängig sind und nicht viel dahinsteckt. Auf deinem Album trifft man auf „Du brauchst Gott« dagegen auf eine spirituelle Ebene. Bist du gläubig? Oder ist das eher auf einer metaphorischen Ebene gemeint?
Zum ersten Punkt: Ich finde, dass aktuell ein positiver Wandel zu erkennen ist und Leute versuchen, dieses „»Was kann ich mir anhören, ohne dass es direkt anstrengend ist?« umzusetzen und dabei gleichzeitig Inhalte einbauen, von denen man etwas hat, wenn man richtig hinhört. Da werden beide Ebenen miteinander kombiniert. Mein Bruder Xaver macht das voll gut, bei OG Keemo sehe ich das auch. Da gibt es Sachen, die ich in letzter Zeit höre und mir denke »Nice, das können die Kids hören. In vielleicht drei Jahren hören sie es nochmal und verstehen dann so richtig, worüber da wirklich geredet wird.« Da war meine Beziehung zu HipHop-Songs. Ich habe zum Beispiel The Roots gehört und immer gefeiert und irgendwann später nochmal gehört und dann gecheckt, über welche kranke Scheiße da eigentlich wirklich geredet wird. (lacht)
Zum weiten Teil der Frage, ob mein Glaube religiös oder metaphorisch ist: Beides. Ich bin gläubig, aber nicht auf die Art und Weise, wie es eine Religion beschreibt. Ich definiere meinen Glauben nicht so. Für mich ist Gott eher ein abstraktes Konzept, das sehr viel mit der eigenen Gesundheit und der Beziehung zur Realität zu tun hat. Zum Beispiel ist der Akt des Gebets für mich so etwas wie Meditation. Der Akt der Dankbarkeit, also für Sachen dankbar zu sein, ist für mich schon spirituell.
Als wir letztes Mal gesprochen haben, war das für eine Reihe, die bewusst Newcomer und Untergrund begleitet. Wie siehst du deine eigenen Position jetzt, wo dein Debütalbum rauskommt?
Ich glaube, ich bin immer noch ein Newcomer. Das ist jetzt mein zweites Jahr im Game, ich habe letztes Jahr schon einige Releases gehabt, dieses Jahr »nur« zwei. Für mich ist diese Sache noch voll am Anfang und ich hoffe, dass ich nächstes Jahr noch mehr liefern kann. Ich glaube aber auch, dass ich als Mensch noch ein bisschen reifen muss. Bis ich an einen Punkt komme, wo ich mittendrin bin und dem Newcomer-Status entwachsen bin, dauert es wahrscheinlich noch ein, zwei Jahre. Wenn ich nächstes Jahr nochmal zwei Releases bringe, bin ich wahrscheinlich an diesem Punkt. Heutzutage geht das ja viel schneller. Aber ich habe diesen Durchbruch einfach noch nicht geschafft. Ich habe schon den Anspruch, dass meine Musik viel mehr Leute erreicht und ich ein viel größerer Künstler werde, bis sich die Sache professionell anfühlt. Die Mukke macht mir natürlich Spaß, sonst würde ich es nicht machen, besonders momentan nicht.
Warum besonders momentan?
Weil ich noch nicht an diesen Punkt gekommen bin. Ich habe Kumpels, die zahlen schon ihre Miete durch Streaming-Einnahmen. Da bin ich noch lange nicht.
Verbindest du mit dem Release die Hoffnung auf den Durchbruch? Oder ist das eher ein Schritt, um dahin zu kommen?
Es wäre auf jeden Fall nice, wenn es klappt, und ein bisschen dumm, es nicht zu hoffen. Aber wenn ich im Prozess bin und die Musik mache, ist es nie das Ziel. Ich mache nur die Mukke, auf die ich Lust habe. Ich versuche den Zeitgeist schon in gewisser Weise zu treffen, hauptsächlich in der Lyrik. Bei Beats bin ich sehr darauf angewiesen, was mir mein Umfeld an Produzenten gibt. Aber ich habe auch schon auf sehr modernen Sachen gerappt und es hat mir viel Spaß gemacht. Ich weiß auf jeden Fall, dass es nicht der optimale Weg ist, ins Studio zu gehen und zu versuchen Hits zu machen. Ich weiß auch, dass es ein unglaubliches Privileg ist, ins Studio zu gehen und keinen Druck zu verspüren. Weil ich ein Leben habe, wo ich mir das leisten kann. Ich weiß, dass das bei anderen Künstlern vielleicht nicht so ist, die haben andere Responsibilities und sie brauchen schnell Geld. Deswegen kein Disrespekt an die, die machen auch nur ihr Ding.
Interview: David Regner
Foto: Logo „LOGOR“ Oluwamuyiwa