Megaloh: »Ich muss weiterhin 110 Prozent geben« // Titelstory

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Was steckt hinter dem Bild des Regenmachers?
Ganz platt gesagt ist das ein Medizinmann. In älteren Kulturen, die sich ihrer Stammes­traditionen sehr bewusst sind – in denen Magie und heidnische Gottheiten eine Rolle spielen – ist das jemand, dem man vertraut, dass er in Zeiten der Dürre fürs Überleben sorgt. Mit diesem Symbol spiele ich bei dem Album auf zwei Weisen: Zum einen bin ich für meine Familie eine solche Figur. Zum anderen habe ich gemerkt, dass diejenigen, die meine Musik hören, echt Anspruch haben. (lacht) Zum Teil sind die sogar mir gegenüber sehr kritisch und wünschen sich etwas, das ich vielleicht gar nicht erfüllen kann. Wenn Leute einem sagen, man sei der Einzige, der realen Shit kickt, dann wird man überstilisiert. Es geht also um diesen Protagonisten, der von »Endlich Unendlich« kommt und dem bewusst wird, dass er in eine Rolle schlüpft, der er vielleicht nicht gerecht werden kann. Doch letztendlich muss er das. Das Album stellt also eine Art Reifeprozess dar.

In deinen Texten hast du eine enorme Bildsprache entwickelt. Spielte Literatur in deiner Erziehung eine große Rolle?
Meine Mutter schreibt Gedichte. Aber ich muss ehrlich sagen, dass mich das bis vor ein paar Jahren nicht interessiert hat. Sie hat die vor allem für sich geschrieben und war einmal im Monat bei einem Gruppentreffen, bei dem jeder etwas vorträgt. Ich war aber lange ignorant und habe das nicht ernst genommen. Eine Prägung aus der frühen Kindheit, an die ich mich noch gut erinnere, ist das Aufsatztraining in der Schule. Meine Mutter war generell streng – afrikanische Mama. Die Schule war ihr wirklich wichtig. Wenn ich eine Drei mit nach Hause gebracht habe, war das schon eine Katastrophe. (lacht) Ich musste auch in den Ferien immer ran und Bildergeschichten schreiben. Ich erinnere mich an diesen komischen Typen mit dickem Bauch und Schnurrbart, Herr Jakob hieß der, glaube ich. Man musste jedenfalls zu den vier Bildern, auf denen er mit seinem Sohn irgendwas erlebt, eine Geschichte schreiben. Und ich musste da teilweise dreimal ran, weil meine Mutter die ersten beiden Texte nicht gut fand. Da habe ich Blut, Schweiß und Tränen vergossen – und anscheinend gelernt, bis ans Maximum zu gehen. (lacht)

Auf dem Titeltrack heißt es: »Sie fragen, ob das Bild, das ich ihnen gerade male, zu schwarz ist«. Warum haben denn deine Texte oft so eine Schwere?
Naja, das Leben ist doch schwer, oder? (lacht) Im Ernst: Wir kommen auf diesen Planeten und werden gesegnet, dieses Leben wahrzunehmen – in dem Bewusstsein, dass es irgendwann vorbei ist. Viele Menschen kommen auf diese Erde und werden niemals in der Position sein, ihre Familie ernähren zu können oder in irgendeiner Form glücklich zu sein. Mit all der Schönheit, die das Leben bietet, geht auch jede Menge Schwere einher. Es gab viele Situationen, in denen ich gefrustet war und dachte, ich müsse aufgeben. Doch glücklicherweise habe ich die richtigen Leute zur richtigen Zeit getroffen. Und mit meiner Musik kann ich denjenigen, denen es ähnlich geht, vielleicht Hoffnung vermitteln. Als ich damals den Song »Loser« gemacht habe, ging es mir eigentlich nur darum, mich über meinen Alltag auszukotzen und das zu flippen, indem ich daraus etwas Gutes mache: Musik. Für diesen Song habe ich so viel Zuspruch von Leuten bekommen, die vorher einfach nur ein Rapklischee in mir gesehen haben. Da habe ich wohl etwas angesprochen, das auch sie erleben. Ob man im Lager arbeitet oder in einem anderen Job: Fast jeder ist morgens abgefuckt, weil er fürs Überleben etwas ­machen muss, das nicht der eigenen Wunschvorstellung entspricht.

Auf »Regenmacher« stellst du das Persönliche noch stärker in den Vordergrund als auf dem Vorgänger. Gab es dafür einen konkreten Grund?
Die Entwicklung, die ich vor »Endlich Unendlich« gemacht habe, hat keiner richtig mitbekommen, weil ich jahrelang keine Musik rausgebracht habe. Früher habe ich Songs gemacht, die hießen »Hundshit«. Das war auch ne coole Zeit, trotz Du-Rags und XXL-Shirts. (lacht) Fünf Jahre später plötzlich mit einem Album wie »Endlich Unendlich« zu kommen, stößt die Leute dann erst einmal vor den Kopf. Die Reaktion war oft: »Ja, ok: Nur weil der jetzt mit Max ist, macht der so ‚weiche‘ Musik«. Dabei war das Ganze einfach musikalischer, hatte ein paar gesungene Refrains und ich habe nicht darüber gerappt, die Szene zu zerficken, sondern darüber, dass ich meine Mutter enttäuscht habe und sie sich Sorgen gemacht hat. Viele dachten sich wohl: »Krass, wo ist der denn jetzt?« Mit »Regenmacher« erkläre ich noch ein bisschen genauer, wie ich an diesen Punkt gekommen bin. Es geht um Rückschläge und persönliche Entwicklungen; darüber, dass am Ende des Tages vieles anders kommt, als man es sich vorstellt. Ich habe gelernt, die Augen aufzuhalten und mich in meiner Entwicklung nicht abgeschlossen zu fühlen.

Solche Rückschläge thematisierst du etwa in dem Track »Alles anders« mit Max Herre, in dem es vor allem um eine sehr schwierige Beziehung geht…
Ja, scheiße, in der besagten Beziehung haben wir uns gegenseitig richtig den Kopf gefickt. Ich sah mich in eine Position ­gedrängt, in der ich echt hilflos war. Wir sind am Ende beide handgreiflich geworden. Das ist komplett verwerflich, es gibt dafür keine Rechtfertigung, aber es ist passiert, und ich wollte das in einem Song verarbeiten. Ich nutze Musik als Ventil – ehrlich gegenüber mir selbst zu sein und alles rauszuschreien, das ist für mich die beste Form der Verarbeitung. Anderen Methoden wie einer Therapie konnte ich nie so viel abgewinnen. Der Song endet damit, dass es anders kam, als ich es mir je vorgestellt hätte. Denn nach dieser Geschichte habe ich erstmal den größtmöglichen Abstand zu Beziehungen gehalten. Dass ich ein paar Jahre später hier sitze und über meine Verantwortung für die Familie rede, hätte ich damals nicht gedacht.

Durch das Album ziehen sich immer wieder Elemente, die man pauschal als afrikanisch einordnen wird – von Voodoo-Bildern bis zu Afrobeat-Bläsern. Was hat dich dazu bewegt, mit diesen afrikanischen Motiven zu spielen?
Meine Mutter ist aus Nigeria, und in meiner Erziehung war das ein zentrales Thema. Ich bin als Dunkelhäutiger in Deutschland aufgewachsen, einem Land, das sich eher als weiß versteht. Da prasselt viel auf einen ein: Mit fünf Jahren habe ich die erste Erfahrung gemacht, aufgrund meiner Hautfarbe von Leuten anders wahrgenommen zu werden. Und mit zunehmendem Alter wird man sich seiner Position innerhalb einer Gesellschaft bewusst und fragt sich: Wo kommt man her und inwiefern gehört man dazu? Im Song »Traum vom Fliegen« habe ich das auf einen Satz heruntergebrochen: »Ich bin Schwarzer in nem weißen Land, Weißer in nem schwarzen Land.« Hier in Deutschland wurde ich immer als Schwarzer wahrgenommen, bevor man sich damit auseinandergesetzt hat, dass ich wahrscheinlich die gleichen ­Comics gelesen, die gleichen Cartoons geguckt und die gleiche Musik gehört habe wie alle anderen auch. Die Sozialisierung ist dieselbe. Trotzdem bin ich immer der Exot.

Besteht nicht die Gefahr, genau diese Wahrnehmung zu bestätigen? Getreu dem Motto: »Ach ja, klar, der hat dunkle Haut, der rappt über Afrika.«
Vielleicht stimmt das, ja. Der Anspruch, ehrliche Musik zu machen und mich komplett zu zeigen, schließt für mich aber auch mit ein, dass ich die afrikanische Seite nicht vernachlässige. Guck dir mal an, wie ich mich in den Zweitausendern präsentiert habe: Da konnte man denken, ich sei Ami-Rapper. Der Bezug zu Afrika ist im HipHop nicht stark, auch die Amerikaner sind Afrika gegenüber eher ignorant eingestellt. Mir war es aber wichtig, zu zeigen, dass es mich ohne Afrika nicht gäbe – im Grunde gäbe es ohne Afrika ja gar nichts. Ich sehe Afrika als einen Teil von mir, und den will ich nicht verstecken.

 
Auf dem Track »Wohin« rappst du mit dem Moabiter Rapper Musa aus der Sicht eines Flüchtlings. Diese Perspektive hat mich überrascht.
Aufgrund der Destabilisierung in vielen Ländern im arabischen und nordafrikanischen Raum sehen Leute teilweise keine andere Möglichkeit, als ihre Familien, ihr Hab und Gut, ihr Land und ihr Leben ­zurückzulassen, um hierherzukommen und darauf zu ­vertrauen, dass die Menschen hier Mitgefühl haben und sie in die Gesellschaft integriert werden können. Und hier helfen zwar viele Leute, aber man spürt eine gesellschaftliche Angst. Viele machen sich darüber Gedanken, ob die Gesellschaft dazu in der Lage ist, so viele Menschen aus anderen Kulturen zu ­tragen. In solchen Zeiten der Diskussionen, die gerade geführt werden, ist es wichtig, auch die Hauptakteure zu Wort kommen zu lassen. Man schlägt doch am Ende am ehesten Brücken zwischen den Menschen, wenn man die Geschichten für sich sprechen lässt. Wenn man nachvollziehen kann, was einen Menschen bewegt, diesen Schritt zu gehen, entwickelt man vielleicht ein anderes Gespür für die Thematik. Die Leute haben halt Angst. Denen jetzt noch mehr Fakten und Zahlen um die Ohren zu hauen und Prognosen ­aufzustellen, hilft da nicht weiter.

 
Mit »Zapp Branigan« oder »Wer hat die Hitze?« gibt es auf dem Album auch Songs, in denen du das Persönliche zurückstellst und in erster Linie dein Können als Rapper demonstrierst. Glaubst du, solche Tracks allein wären ebenso erfolgversprechend wie ein »Regenmacher«-Album?
Die Frage ist ja, was man als Erfolg versteht. Wenn ich nicht das Gefühl habe, den Leuten etwas zu geben, ist das für mich ­mittlerweile kein Erfolg mehr. Ich glaube nicht, dass ich glücklich damit wäre, nur den Spaß am ­Rappen hochzuhalten. Aber auf »Regenmacher« sollten eben auch ein paar Nummern sein, die einen Rap-Standard setzen, den Kritiker und Hörer so auf Deutsch nicht ­kennen. Ich hatte schon immer einen recht hohen technischen Anspruch. Der kam beim letzten Album schon zum Tragen und dieses Mal nun noch mehr. Ich habe also versucht, weiter eine inhaltliche Linie zu fahren, aber auf einem noch höheren technischen Level. Am Ende kommt da wohl die Moabiter Hustler-­­Mentali­tät durch: Du brauchst einfach das beste Produkt, den richtigen Stoff, dann werden die Leute das schon kaufen. Und du willst ja auch nicht jeden Tag bewusstseinserweiternde Pilze zu dir nehmen. Manchmal willst du ­einfach nur ne gute Tüte rauchen. (lacht) ◘

Foto: Robert Winter

Dieses Interview ist erschienen in JUICE #173 – hier versandkostenfrei nachbestellen.
JUICE 173

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