MC Bogy: »Ich bin kein Vorbild – ich bin ein abschreckendes Beispiel« // Interview

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In seiner 20-jährigen Karriere hat MC Bogy Höhen und unzählige Tiefen erlebt: Sucht, Krankheit und Knast liegen hinter dem BC-Urgestein. Zeit für einen Neuanfang. Den wagt der bullige Berliner mit seinem neuen Album »100%«, auf dem er nach jahrelanger Stagnation plötzlich wieder frisch und experimentierfreudig klingt. Mit tatkräftiger Unterstützung von B-Lash legt Bogy das beste und spannendste Album seiner gesamten Laufbahn vor und macht seinem Legendenstatus alle Ehre. Er wirkt gut gelaunt und ausgeruht, als wir uns zum Interview treffen, und B-Lash ist auch dabei. Einen Joint zur Einstimmung kann ich Bogy nicht verwehren.

Auf »100%« klingst du ausgeglichener als auf deinen letzten Releases. Was hat dir diesen Aufwind verschafft?
Das kann gut sein. Der Schmerz bleibt zwar, aber ich habe meinen Biss wieder gefunden. TV Strassensound hat mir sehr gut getan. Das hat meine grauen Zellen wieder in Schwung gebracht. Dieser frische Wind hilft mir, außerdem bin ich jetzt ziemlich fit, was soziale Medien angeht. Früher habe ich das nur benutzt, um Leute zu ärgern und Weiber zu klären. Ich habe ja jahrelang Mucke gemacht und das Internet voll verdrängt, da haben die Leute kaum etwas von mitbekommen. Meine Produktionen wurden auch schwach und klangen mehr nach Streettape. Erst als ich mit B-Lash »Biographie eines Dealers« gemacht habe, ging es bergauf. Aber das war ein Retroalbum. Bei »100%« sind wir auf Perfektion aus gewesen. B-Lash war sehr stark involviert. Er hat nicht nur produziert, sondern war auch beim Texten dabei.

Bei dir hat sich einiges getan. Aber dass das auch mit TV Strassen­sound zusammenhängt, finde ich spannend.
Selbstverständlich! Mein Leben besteht aus HipHop, und dazu gehört auch TV Strassensound. Mit Davud habe ich nicht nur einen guten Partner, sondern auch einen Freund. Ich habe die Jahre davor an der Tür gearbeitet und gehustlet. Da gab es viel Beef. Jetzt kann ich positiv auf die Leute zugehen und gute Gespräche führen. Ich hatte dabei schon so viele tolle Momente. Jedes Interview ist mir wichtig, und ich bin Davud sehr dankbar, dass er mir die Möglichkeit gibt, zu machen, was ich möchte, und auch mit Leuten zu sprechen, die nicht groß in der Industrie sind. Ich kriege da viel Liebe für, das freut mich sehr.

Neben der Liebe kann man aber auch respektloses Feedback lesen. Was macht das mit dir?
Das ist doch ein alter Hut. Das ist nicht der HipHop, den wir kennen. Das sind kleine Konsumenten. Was im Internet passiert, kann mich nicht verletzen. Da muss man drüberstehen können, wenn man diesen Job macht. Mir ist wichtig, was in der Realität passiert. Online machen die Leute ihre Witze, aber Geschichten wie damals mit Atzenkalle [Bogy wütete 2012 bei Rap am Mittwoch gegen Atzenkalle wegen einer Mutter-Line, obwohl er zuvor selbst dessen Mutter als Nutte bezeichnet hatte; Anm. d. Verf.] hat mir in echt niemand übel genommen. Die Leute wissen halt, wie verpeilt ich manchmal bin – drei Flaschen Whiskey, drei Tage wach.

Die Zeiten sind vorbei, oder?
Seit zwei Jahren habe ich den Alkohol und das Kokain gut unter Kontrolle. Man bleibt immer süchtig, aber man kann das Feuer kontrollieren. Dass ich optimistischer bin, liegt auch daran, dass meine Führungsaufsicht vorbei ist. Ich stand zehn Jahre unter Führungsaufsicht.

Zehn Jahre?
Ja, das ist die schwerste Führungsaufsicht, die jemals verhängt wurde [Normalerweise beläuft sich eine Führungsaufsicht auf zwei bis fünf Jahre; Anm. d. Verf.]. Als sie vor fünf Jahren verlängert wurde, statt mich in den Knast zu stecken, hat ein Polizist wie im Film seinen Dienstausweis auf den Boden geschmissen und gesagt, dass er nicht mehr für diesen Staat arbeiten will, wenn ich freikomme.

Du bist ein sehr offener Mensch, aber gleichzeitig ein OG der alten Schule. Steht das einander im Wege? Fällt es dir schwer, dich so verwundbar zu zeigen?
Ich sehe doch die Schattenseiten meines Tuns. Es ist meine Verantwortung als MC, sie den Leuten zu zeigen. Es gibt Leute, die zu mir aufschauen, und denen will ich etwas beibringen. Eigentlich müsste jeder Gangstarapper diese Themen behandeln. Doch die sind oft nicht so ehrlich und verkörpern eine Kunstfigur. Aber auch ich bin kein Vorbild. Ich bin ein abschreckendes Beispiel.

»Seit ich Gewalt perfekt beherrsche, kann ich ihr aus dem Weg gehen«

Wann hast du gelernt, so offen mit ­deinen Schwächen umzugehen?
Das war ein langer Prozess. Wenn ich mit 14 aus dem Haus gegangen bin, dann bin ich sofort in eine Schlägerei geraten, weil ich anders auf die Leute zugegangen bin. Ich war verunsichert und daher aggressiv. Im Knast musste ich mit mir zurechtkommen, da konnte ich nicht fliehen oder mich ablenken. Ich habe dort gelernt, mich meinen Schwächen zu stellen. Religion hat dazu auch einen großen Teil beigetragen. Die Energie, mit der man auf Leute zugeht, spielt dabei eine große Rolle. Du hast vorher, als ich gekommen bin, gestresst geschaut. Damals hätte ich das direkt auf mich bezogen und wäre verunsichert gewesen und daher wütend geworden. Dasselbe mit Gewalt: Seit ich Gewalt perfekt beherrsche, kann ich ihr aus dem Weg gehen.

Spielt Gewalt noch eine Rolle?
Wir leben in einer Welt, in der Gewalt allgegenwärtig ist. In meinem Umfeld passieren Sachen, die mich manchmal schocken.

Du ballst gerade die Faust. Merkst du das?
Ja… vor zwei Wochen ist wieder Blut geflossen. Das sind keine schönen Erlebnisse. So etwas passiert, seit es die Menschheit gibt. Rap ist ein gutes Mittel, um Gewalt entgegenzuwirken. Aber Rap schützt dich auch nicht vor Gewalt, und da muss man dann auch nicht die andere Wange hinhalten. Auf Gewalt gegen mich reagiere ich entsprechend, aber ich versuche mittlerweile immer, deeskalierend aufzutreten und dem Ursprung eines Konflikts auf den Grund zu gehen. Wenn man mit sich selbst im Reinen ist, kann man neunzig Prozent der Schlägereien aus dem Weg gehen.

Bist du mit dir selbst im Reinen?
Ich glaube, ich werde nie mit mir im Reinen sein. Spätestens in meinen Träumen holt mich die Vergangenheit immer wieder ein. Aber ich versuche, die Dinge zu ändern und sie hinzunehmen, wenn ich sie nicht ändern kann.

Du zitierst die Bibel? Bist du nicht Moslem?
Ja, bin ich, aber ich lebe nicht streng nach dem Islam. Ich bin loyal zu dem, was zu mir loyal ist. Die Lehren des Islam haben mich damals sehr gestärkt. Aber es wäre eine Lüge, würde ich behaupten, dass ich nach dem Koran lebe. Doch an Äußerlichkeiten sollte man das auch nicht festmachen. Gott trägt man in sich. Das ist etwas sehr Intimes.

Du hast im Knast zur Religion gefunden, oder?
Ich kam damals rein mit 130 Kilo. Direkt Isolationshaft. Da bin ich schon nach fünf Minuten durchgedreht. Nach einigen Tagen habe ich mich gefühlt wie ein kleines Kind. Aber ich wäre ein Spinner, wenn ich jetzt anfangen würde, auf Knacki zu machen. Ich saß ja nur anderthalb Jahre. Freunde von mir sitzen seit 17 Jahren.

Wie sieht dein Alltag jetzt aus?
Aktuell wegen des Albums chaotisch. Privat geht es drunter und drüber, das würde jetzt den Rahmen sprengen. Ich versuche so oft ich kann meine Eltern zu besuchen und meinem Sohn gerecht zu werden. Außerdem mache ich jeden Tag Sport, um irgendwie ausgelastet zu sein. Das ist wichtig, selbst wenn es nur eine halbe Stunde ist. Zu einem gesunden Geist gehört ein gesunder Körper. Aber einen wirklich geregelten Alltag habe ich nicht. Abends, wenn ich den Tag gemeistert habe, höre ich immer Musik.

»Es ist schwer, mit Ende dreißig noch mal was Neues zu machen«

Das klingt aber erst mal, als würde es dir aktuell ziemlich gut gehen. Warum hängst du trotzdem noch so an der Vergangenheit?
Ich werde eh immer mit der Vergangenheit konfrontiert. Also möchte ich auch die schönen Seiten nicht verlieren. Ich sammele die Sachen wie ein kleines Kind. Es gab gute und schlechte Zeiten, die hängen nahtlos miteinander zusammen.

Auf »100%« schaust du aber nach vorne – auch musikalisch. Dass man dich mal auf einem Trapbeat zu hören bekommt, hat mich sehr überrascht.
Den wollte ich erst nicht, mittlerweile ist es mein Lieblingsbeat. B-LASH musste mich dazu zwingen. Das war wie schwimmen lernen, und B-Lash hat mich ins Wasser geschubst. (lacht) Ich dachte kurz, ich ertrinke, aber dann war ich an der Oberfläche und konnte schwimmen, du hast es ja gehört. Am Ende war ich sehr froh, dass ich die Eier hatte. Aber es ist auch schwer, mit Ende dreißig noch mal was Neues zu machen. Das hat viel Geduld gebraucht.
B-LASH: Es war sehr wichtig, dass Bogy vorbereitet ins Studio kommt. Ich überlasse Sachen nicht gerne dem Zufall. Das merkt man dem Album auch an. Wie Bogy per­formt, ist mit seinen vergangen Releases nicht zu vergleichen. Er war anfangs überhaupt nicht offen für Neues, das musste ich erst mal durchbrechen. »100%« ist der Anfang einer neuen Version von MC Bogy.

Wie soll es mit der neuen Version von dir weitergehen, Bogy?
Ich habe mir 187Beatz, B-LASHs Producer-Namen, tätowieren lassen. Wir sind ein Team wie Guru und Premo. Er ist ein Mentor für mich und wird auch für die Zukunft sehr wichtig sein. Ich überlege nicht mehr, wo ich aufnehme, sondern wann B Zeit hat. Die modernen Songs haben mir riesigen Spaß gemacht. Leider habe ich meinen Anglerhut in der U-Bahn vergessen. (lacht)

Text: Skinny
Foto: Dominik Krämer

Dieses Feature erschien in JUICE #189. Aktuelle und ältere Ausgaben könnt ihr versandkostenfrei im Online-Shop bestellen.

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