Marsimoto: »Durch meine Botschaft wird selbst ein Nazi zu einem besseren Menschen« // Interview

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Gerade noch hat Marsimoto auf der vor wenigen Wochen zu Ende gegangenen Marteria-Tour dem Headliner mal eben die Show gestohlen, schon kommt der Green Berliner mit einem neuen Album ums Eck: »Verde«. Logisch, dass entsprechend Gesprächsbedarf bestand – auch wenn Marsi schon wieder auf anderen Kontinenten unterwegs war und in Australien weilte. Aber vom Outback zur Outness ist der Weg halt nicht weit.

Im letzten JUICE-Interview hast du gesagt: »Wie soll ich ein Album wie ’Ring der Nebelungen’ denn noch toppen? Ich hoffe zwar sehr, dass es noch mal eine Platte von mir geben wird, aber momentan habe ich keine Ahnung, wie ich das noch besser hinbekommen soll.« Offenbar hast du es geschafft. Wie?
Genauso könnte ich fragen: Warum macht ihr immer ein neues JUICE-Heft jeden Monat – oder wie oft ihr auch immer rauskommt. Nach der Green JUICE, die übrigens ja immer noch die bestverkaufte JUICE aller Zeiten ist [die tatsächlich bestverkaufte JUICE ist übrigens Ausgabe #36 vom November 2001 mit 2Pac auf dem Cover; Anm. d. Verf.], und das beste JUICE-Heft, das es je gegeben hat mit ­Marsi auf dem Cover, hättet ihr auch einfach aufhören können – vielleicht sogar müssen. Insofern ist das jetzt nicht die schlaueste Frage, die ihr je gestellt habt. Aber vielleicht ist es auch nicht der beste Vergleich, denn dann hätte ich ja auch nach »Ring der Nebelungen« aufhören müssen.

Warum hast du das nicht?
Das war ein ultragutes Album, richtig tight und genial, aber vor nem halben Jahr hat es mich irgendwie genervt, dass keine geile neue Mucke rauskommt. Deshalb habe ich mich hingesetzt und selbst welche gemacht. Das Ergebnis: »Verde« – eines der besten Alben, die es je gegeben hat.

Auf dem Album gibt es eine Ode an die GoPro. Warum? Man dachte immer, Paul Ripke würde sämtliche Bilder von dir schießen.
Paul Ripke ist für mich einer der genialsten Künstler unserer Zeit – der einzige, der auf nem Motherfucker-Level weltweit mit mir mithalten kann. Und was ihr wahrscheinlich nicht wusstet: Paul Ripke hat die GoPro erfunden – weil er nicht überall sein kann und durch »seine« Bilder auch ein paar andere Leute glücklich machen wollte. Oberflächlich mag der Song »I Love My GoPro« daher wie eine Liebeserklärung an die GoPro klingen, in Wirklichkeit ist er aber eine Liebeserklärung an Paul Ripke.

Beim letzten Album wart ihr einen Monat auf Jamaika und habt es dort fertiggestellt. Wie lange habt ihr nun an der neuen Platte gesessen?
Wieso wir? Die Platte mache ich. Ein paar Leute dürfen zwar ein paar Beats dafür machen, aber grundsätzlich kreiere ich die Alben alle alleine. »Verde« war in fünf, sechs Wochen fertig. Aber bei Marsimoto geht es schon lange nicht mehr nur um die Musik, sondern auch um den visuellen Auftritt, der inzwischen genauso wichtig ist – vielleicht sogar wichtiger. Allerdings glaube ich, dass »Verde« zu genial ist, als dass es im Mainstream erfolgreich werden wird – so ehrlich muss ich sein.

Die Kunst von Marsimoto ist also zu hoch für die breite Masse?
In fünf Jahren werden es einige ­Auserwählte vielleicht verstehen – wie bei meinen alten Platten ja auch. Die Musikindustrie wird sich das wieder einmal angucken, sich ein Beispiel daran nehmen und alles kopieren – wie immer.

Dieses Interview führen wir, während du gerade in Australien chillst. Wie hast du das Land erlebt?
Ich reise gerne viel. Hier in Australien bin ich aber nur so halb glücklich, weil nicht alles legal ist, was legal sein sollte. Aber Marsi hat ja überall Zugang zu seinem kleinen Weg ins Glück. (lacht) Australien ist ansonsten aber ein schönes, ein lustiges Land. Die Leute hier trinken bloß alle zu viel. Vor kurzem bin ich an einem Sam­s­tagabend durch Melbourne gelaufen – das ist Krieg. Jeder dritte Mensch kotzt auf die Straße. Das ist relativ abstoßend.

Gab es personelle Veränderungen bei der Marsimoto-Crew?
Es waren viele Produzenten dabei, die Namen könnt ihr später alle im Booklet nachlesen und checken, wer wann wo welche Snare gesetzt hat – dieses ganze Nerd-Gelaber. Letztlich ist das alles egal. Die Leute, die Beats zur Platte beisteuern durften, sollen einfach froh darüber sein.

Du verrätst also keine Namen?
Nobodys Face ist natürlich am Start, auch Kid Simius und Dead Rabbit. Aber die Grundregel lautet: Marsimoto ist Marsimoto, weil Marsimoto eben Marsimoto ist. Deshalb ist dieses Wir-Gelaber auch totaler Schwachsinn. Marsimoto is real.

Im letzten Interview hast du gesagt, Marsi-Musik entstehe stets aus dem Bauch heraus. Wenn man zu viel auf seinen Ideen herumdenkt, gehe der Vibe flöten. Aber: Wie kann man das beeinflussen?
Was ist das schon wieder für eine verkopfte Frage? Grundlegend muss man ja sagen: Alles, was Marsimoto macht, ist besser und erwiesenermaßen auf einem höheren Level als fast alles andere, was sonst so rauskommt. Dementsprechend hat es natürlich viel mit Bauch und Vibe zu tun. Man muss Dinge einfach zulassen und sich nicht reinreden lassen. Aber ob ich das plane oder nicht: Wenn ich ein neues Album mache, mache ich ein neues Album. Und alle zwei Jahre funktioniert das bei mir, weil sich da ein bisschen was aufgestaut hat, das raus muss.

»Alles, was ich mache, ist absolute Weltliga«

Der Marsimoto-Kosmos ist seit jeher klar umrissen und folgt stets einem grünen Faden. Läufst du inhaltlich Gefahr, dich zu langweilen?
»Grüner Faden« – witzig. (gähnt) Was meinst du mit langweilen? Guck dir doch mal an, was hier wieder passiert! Auf was für einem Level das ist! Dieses Gesamtkunstwerk – langweilt dich das?! Bist du der Meinung, dass ich langweilig bin? Warum führst du dann ein Interview mit mir? (kurze Stille) Das Beeindruckende an meiner Kunst ist ja, was für eine hohe Qualität mein Output hat. Gerade letztens Bauchentscheidungen treffen, dem Wahnsinn eine Chance geben. Außerdem: Tiere gut finden, Pionier sein und kreieren, statt reagieren. Ach, und Länderpunkte machen, also so viele Länder wie möglich bereisen – das versuchen Marteria und Paul Ripke ja auch. Aber auch hier muss man sagen: Paul Ripke ist der krasseste Motherfucker von uns allen.

Verändern sich diese Pfeiler auch mal?
Na klar. Alle zwei Jahre häutet sich Marsi wie eine Schlange. Dann bin ich wie ein neuer Mensch, wenn man so will. Und auch dieses Zulassen von Veränderung ist eine Lebenseinstellung. Denn was interessiert mich das Geschwätz von früher?

Marsimoto war immer auch ein Sprachrohr für die Ausgestoßenen und Außenseiter. Nun hast du gerade zusammen mit Marteria (mal wieder) die großen Hallen des Landes bespielt. Sprichst du heute für andere Menschen als in deinen Anfängen?
Natürlich nicht. Marsi war immer Underground, kann aber auch im Mainstream funktionieren. Denn durch meine Botschaft wird selbst ein Nazi zu einem besseren Menschen. Ich muss also noch mehr Leute ansprechen – wie jetzt bei den Marteria-Shows. Spätestens nach zwei Dritteln der Tour nervt es mich aber, dass alles so unfassbar groß ist und die Leute alle nach »Kids« und »Lila Wolken« schreien. Aber auch das sind zu gewissen Teilen Marsi-Songs, denn Marteria bitet ja immer wieder bei mir – wie alle anderen Rapper übrigens auch. Die Liste ist lang.

Über »Ring der Nebelungen« hast du gesagt, damit seist du viel weiter gewesen, als HipHop zum damaligen Zeitpunkt war. Wo verortest du nun das neue Album?
Guck dir Rap-Deutschland doch an. Und behalte es die nächsten fünf Jahre im Auge. Denn dann werden wieder alle das nachmachen, was ich mit ­»Verde« nun vorgegeben habe. Ich leiste Pionierarbeit. Wieder mal. Aber das mache ich gerne. Denn auch ich bin ja nicht allwissend auf die Welt gekommen. HipHop war mein Vater und mein Lehrer, und wenn ich jetzt in der Vaterrolle bin, freue ich mich, dass ich etwas zurück­geben kann.

Warst du mit der Rezeption von »Ring der Nebelungen« eigentlich zufrieden?
Ganz ehrlich: Das ist mir scheißegal. Wird Erfolg jetzt daran gemessen, wie viele Alben man verkauft? Mein Anspruch ist der, dass ich etwas rausbringe, was andere als Neuland akzeptieren. Und dass Paul Ripke es gut findet. Denn der Typ ist eine Instanz – auch was Rap angeht.

Im Titelsong »Verde« gibt’s ein Vocal-Sample von Doppelkopf, einer der ersten Deutschrap-Acts, die ein bisschen abgespacet waren. War das eine Inspiration?
Na klar! Doppelkopf ist eine megageile Band, die damals heftige Musik geschrieben hat und deswegen einer der großen Impulsgeber meiner Musik ist. Der Song ist eine Ode an Doppelkopf.

Du hast mal über deine Lieder gesagt: »Jeder Song ist ein Welthit«. Ist das nach wie vor dein Ansatz?
Alles, was ich mache, ist absolute Weltliga – sowohl auf der inhaltlichen und visuellen Ebene als auch auf der Beat-, Wortwitz-, Timing- und Aussageebene. Warum sollte ich sonst noch antreten?

Du hast ein paar namhafte Features auf der neuen Platte: Casper, Trettmann, Audio88. Warum diese, und wie sind die Tracks mit ihnen entstanden?
Da hast du die Liste offenbar nicht richtig durchgelesen. Der freundliche Geist ist ein Feature, Walking Trett ist dabei, Menschenfreund88 – solche Leute. Und warum die? Na ja, ich hab halt Freunde – das sind wahrscheinlich die einzigen, die nicht bei mir geklaut haben. Und mit diesen Freunden mache ich Musik.

Hast du einen Lieblingssong auf »Verde«?
Ich persönlich finde »Samstag, der 14te« geil. Aber jeder Song ist krass. Das ist jetzt übrigens auch wieder so ne Frage von sogenannten Musikredakteuren – obwohl ich gar nicht weiß, ob bei der JUICE überhaupt noch ein richtiger Musikredakteur arbeitet. Aber Musiker nach ihrem Lieblingssong von einem Album zu fragen, ist ungefähr das Dümmste, was man machen kann. Stellt also nicht so behinderte Fragen, sondern führt ein Gespräch. Das ist ein Tipp fürs Leben. Gern geschehen. Ach, und wo wir jetzt am Ende sind: Schade, dass ihr mich nicht aufs Cover genommen habt. Das hätte Eier gehabt.

Foto: Paul Ripke

Dieses Feature erschien erstmals in JUICE #186. Aktuelle und ältere Ausgaben könnt ihr versandkostenfrei im Shop bestellen.

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