Der 6. April 2015. Facebook spült ein Video in die Timelines der Rap-Jugend. Vermutlich sahen viele »Millionen Euro« zum ersten Mal, weil sie irgendwann aus Jux die Fan-Page von Money Boy geliket hatten. Nicht mal zwei Jahre später ist der blasse Junge mit dem Bandana völlig selbstverständlich einer, auf dessen Moves die ganze Szene schaut.
Eigentlich sind solche Erfolgsgeschichten schnell aufs Papier gebracht. Aus einer Mischung aus Langeweile und Fantum heraus greift sich ein Heranwachsender musikalische Versatzstücke seiner Lieblingskünstler aus Übersee, adaptiert sie sinnvoll und rappt über Geld, Autos und Luxuskleidung, die er sich niemals wird leisten können. Ein paar geschickt gestreute Songs mit mehr Tiefe sorgen für Identifikationspotenzial – und zwei, drei Jahre später ist er Künstler. Will heißen: Watch out, der wird jetzt ein Star! Labeldeal, Radioairplay, Top-Ten-Charteinstiege. Doch 2017 wird endlich mal alles anders.
Ludwig Langer ist nicht die Art von Typ, die gut darin ist, den Charakter LGoony auch abseits von Bühne, Booth und Musikvideo aufrechtzuerhalten. Die Musik von LGoony strotzt ja nur so vor selbstbewussten Ansagen, Angebereien und Szenekritik. Auch auf der Bühne schafft er es so gut wie wenige aus seiner Rap-Generation, mit einer Energie zu performen, die dem Publikum das Gefühl gibt, selbst Teil der Show zu sein. Nachdem er im April 2015 noch sympathisch-ungelenk durch das Video zu »Millionen Euro« turnte, war es überraschend, dass man ihm nicht mal ein Jahr später im »Oida WOW«-Video in jeder Sekunde den Spaß an der Arbeit ansehen konnte.
Im Interview scheint man mit jemand anderem zu sprechen. In solchen Momenten ist da mehr Ludwig, weniger LGoony. Und Ludwig wiederum ist eigentlich nicht der Typ, der dazu gemacht scheint, auf Bühnen zu stehen. Während vieler seiner Kollegen gerne über sich reden, würde er am liebsten gar nichts sagen – die Musik für sich sprechen lassen, wie man so sagt. Das wiederum liegt nicht ausschließlich daran, dass Ludwig als Privatperson ein eher stilles Wasser ist. Es interessiert ihn einfach nicht. Wer er ist, wo er herkommt, Familienverhältnisse, Alter, sexuelle Vorlieben, Wohnort – darüber schweigt er sich aus. Auf den ersten Blick scheint es paradox, dass jemand wie LGoony – also einer, der Snapchat, Twitter und Facebook nutzt – noch nicht mal sein Alter verraten möchte. (»Ich kann dir das sagen, aber nur off the record.«) Tatsächlich ist es wohl einfach nur konsequent.
Künstler wie LGoony gehören der Generation an, der man nachsagt, zwischen privat und öffentlich nicht zu trennen und ständig mit der eigenen Selbstinszenierung beschäftigt zu sein. Letzteres stimmt, allerdings auch schon vor der Zeit des Smartphones. Sobald wir das eigene Zimmer verlassen, inszenieren wir uns in jeder sozialen Interaktion neu und häufig anders. Geändert haben sich vor allem die Form und die Anzahl dieser Interaktionen – was wiederum bedeutet, dass die jungen Erwachsenen, die ihr erstes Smartphone schon als Teenies hatten, bewusster entscheiden als früher, was privat und was öffentlich ist. Drogenkonsum? Yup. Dinner mit der Freundin? Nope.
So erzählt LGoony zwar in seiner Musik, dass er nachts bis um vier in seinem Zimmer sitzt und einsam im Internet abhängt, aber eben nicht, was ihm seine Eltern zum 13. Geburtstag geschenkt haben. Auf seine Art ist er ein viel privaterer Künstler als viele Rapper vor ihm. Von Bushidos Ex-Freundinnen-Songs bis zu Caspers Hymnen für verstorbene Kumpels: Schmerzhaft persönliche Stücke, die eindeutig die Realität hinter dem Text erkennen lassen, sind out – zumindest in der mehr oder weniger homogenen Gruppe, die gerade Deutschrap ein neues Gesicht verpasst. Die Realität der Musik von LGoony ist abstrakter und künstlicher als die von Gangsta-Rappern wie Haftbefehl oder Gefühlslyrikern wie Prinz Pi.
Die LGoony World schwebt irgendwo zwischen Gegenwart, Zukunft und Comic. Einerseits waren »Space Tape« und »Grape Tape« geprägt von Stücken wie »Lüge der Medien« oder »Mondlicht«, die im LGoony-Sprech unsere reale Gegenwart verhandeln, zum anderen sind darauf weit mehr Songs, die völlig losgelöst von der Erde agieren. Songs wie »Ballon«, auf denen LGoony mit metallischer Stimme durch die Luft schwebt und nie wieder runter will. Gewissermaßen war der Track ein 2016er-Update zu »Auf und davon« von Casper; eine eskapistische Fantasie – allerdings eine unterbewusst viel verzweifeltere.
Wo das lyrische Ich in »Auf und davon« 2011 noch glaubte, in der Realität einfach damit aufhören zu müssen, was bisher war, sah der Erzähler von »Ballon« nur das Flüchten in eine ganz andere Welt als Möglichkeit, um mit dem Gegenwärtigen aufhören zu können. Massig Geldscheine, Versace, Lambos – die Musik von LGoony klingt möglicherweise gerade deshalb so »zauberhaft« und irreal, weil da draußen mittlerweile lauter Trumps und von Storchs die ungefährliche (Konsum-)Welt an der Oberfläche gefährden, in der europäische Mittelstandskids lange aufwachsen durften.
Auf den ersten Blick paradox, trotzdem ist LGoony kein weltverzweifelter Träumer – das verrät insbesondere sein exorbitanter Gebrauch von Luxuskonsumgütern zur Distinktion von imaginären Gegnern. Denn natürlich schlagen in LGoony trotz seines überirdischen Gewands zwei Herzen: Das eine ist von der Realität entfremdet und based, das andere gehört einem Battlerap-Nerd – »Swagger auf Maximum, wie KKS in jung« rappt LGoony auf »Grape«. 2016 nahm Ludwig Langer mit Freunden unter seinem alten Künstlernamen Luis Lone als Uzi Mob das an Berliner Battlerap und die Veröffentlichungen des Osnabrücker Labels Distributionz (heute: distri) angelehnte Mixtape »Schreie aus dem Keller« auf. Vermutlich ist es diese Zweischneidigkeit, die LGoony letztlich für die breite Deutschrapmasse spannend macht: Er ist gleichzeitig vorwärtsgewandt UND traditionsbewusst. Seine Musik klingt progressiv, aber seine Texte sind sauber in Strophen und Hooks aufgeteilt und haben Punchlines. Daran wird sich auch auf seinem anvisierten neuen Longplayer »Intergalactica« nichts ändern.
An seinem dritten Solotape arbeitet LGoony nun schon seit ein paar Monaten. »Geändert hat sich in der Zwischenzeit gar nicht so viel. Allerdings habe ich bisher an keinem meiner Releases so intensiv gearbeitet.« Den (Arbeits-)Titel »Intergalactica« verkündete LGoony bereits am 3. August. Seitdem arbeitet er konstant an der Veröffentlichung. Die Songs entstehen dabei alle mit DJ Heroin, der zwar nicht das ganze Tape produziert, aber gemeinsam mit LGoony dafür sorgt, dass aus den einzelnen Beats am Ende ein schlüssiges Ganzes entsteht. »Wir haben uns ein Stück weit professionalisiert, wir arbeiten konzentrierter. Ich will es aber niemand anderem recht machen außer mir selbst.«
Im Gegensatz zum »Aurora«-Album, das Crack Ignaz und LGoony innerhalb kürzester Zeit in Berlin aufnahmen, entsteht »Intergalactica« wieder im Homerecording-Setting. Ein iPhone mit Standardkopfhörern und wenig Zeit sind zwar nicht optimal, um einen nachhaltigen Eindruck von »Intergalactica« zu gewinnen, aber die Handvoll fast fertiger Stücke, die LGoony am Tag des Cover-Shootings für dieses Heft zeigt, überzeugt. Instrumentale und Lyrics pendeln zwischen verträumt und aggressiv. Die augenscheinlichste Neuerung: melodisch komplexere Hooks auf Auto-Tune. Auch wenn LGoony lyrisch noch eher an das Deutschrap-Vorher andockt als zum Beispiel Yung Hurn oder Miami Yacine, ist auch er einer, der Deutschrap nach Jahren der Melancholie und Grimmigkeit das Spielerische zurückgibt. Rap und Gecroone verbindet LG mit einer Selbstverständlichkeit, die nicht nach Anbiederung ans Radio stinkt, sondern relaxt Stimmung und Inhalt verbindet, ohne je in verkrampftes Teacher-Gequatsche zu verfallen.
Und, um zurück zum Anfang zu kommen: Er bleibt seinen Underground-Idealen weitgehend treu, obwohl natürlich längst die Industrie ihre Griffel ausgestreckt hat. »Intergalactica« wird über Airforce Luna, den gemeinsamen Imprint von LGoony und Crack Ignaz erscheinen. Und man wird es gratis hören können – allerdings zum ersten Mal auch auf den üblichen Streaming-Portalen. »Vielleicht wird es daneben noch was Besonderes, Limitiertes geben«, lächelt Ludwig verschmitzt und will nicht mehr verraten. Kommerziell mag HipHops Peak langsam erreicht sein, künstlerisch aber noch lange nicht. Unter anderem dank LGoony. ◘
Foto: HEKS Sascha Haubold
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Dieser Text erschien als Teil unserer #DeutschrapsZukunft Titelstory in JUICE #178 (hier versandkostenfrei bestellen).