Left Boy: »Ich kenne keinen Künstler, der musikalisch so facettenreich ist wie ich« // Interview

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Left Boy ist ein bisschen wie Willy Wonka. Dieser Typ, dem im Kinderbuchklassiker »Charlie und die Schokoladenfabrik« eben jene Schokoladenfabrik gehört. Exzentrisch, extrovertiert in seiner Introvertiertheit, perfektionistisch, irgendwie dennoch sympathisch und umgeben vom süßen Leben. Ferdinand Sarnitz aka Left Boy hat Ähnlichkeiten mit dieser literarischen Figur. Obwohl der Zylinder fehlt.

Aufgewachsen in einem vermögenden Wiener Elternhaus, Vater erfolgreicher Künstler, Mutter Fotografin, konnte sich Left Boy seit seiner Geburt nach Lust und Laune austoben. Ein bisschen Musik machen, ohne dass einen der unterbezahlte Job nervt? Klar! Mit 18 einfach mal nach New York gehen und ein einjähriges Tontechnikerstudium absolvieren? Deal! 2010 veröffentlichte der zum Left Boy avancierte MC, Sänger und Produzent Ferdinand dann sein erstes Mixtape »The Second Coming« – entgegen aller Mutmaßungen – kostenlos im Internet. Und dank diesem sowie der darauf enthaltenen Kombination aus locker gesampelten Popsongs und seinem trademarkigen Switch zwischen Rap und Gesang, gewann die Musik von Left Boy hüben wie drüben schnell an Popularität. Anfang 2013 dann der Plattenvertrag mit Warner Music, nun ein Debütalbum namens »Permanent Midnight«. Und die unvermeidliche Frage: ist in Left Boys Leben wirklich alles so süß wie Marzipantorte? Die Antwort vorweg: Nein. Zwar ist Left Boy der lustige Typ mit Hang zu Flo Rida’esquen Partysong-Eskapaden und avantgardistischem Club-Mate-Movement, doch hat bekanntlich jede Medaille zwei Seiten. Und Left Boys Kehrseite der Medaille zeigt seine Angst vor dem Versagen; die Angst vor dem ewigen Kindbleiben. Oder, um noch eine Literaturfigur zu bemühen: Peter Pan wäre im Schauspiel Left Boys der Endgegner von Willy Wonka. Scheiß auf diesen nie erwachsen werden wollenden Jungen in den grünen Strumpfhosen! Das Leben ist nicht nur zuckersüß! Es wird Zeit, dass Willy Boy die Schokoladenfabrik verlässt.

Bei deinen ersten Veröffentlichungen hatte man das Gefühl, dass du ein sehr entspanntes Leben und viel Spaß hast. Solche Thematiken reichen aber meist nicht aus, um auf Albumlänge zu überzeugen. Wie bist du damit bei der Arbeit an »Permanent Midnight« umgegangen?
Ich hatte noch nie den Eindruck, dass meine Musik zu eintönig ist, um ein Album zu füllen. Ich kenne keinen Künstler, der musikalisch so facettenreich ist wie ich. Die Songs, die ich produziere und schreibe, halten Momente in meinem Leben fest, die mich aktuell beschäftigen. Manchmal sind es Partysongs, ein andermal schreibe ich, um eine unschöne Erfahrung oder einen bitteren Moment zu verarbeiten. Für mein aktuelles Album »Permanent Midnight« habe ich die letzten vier Jahre Lieder aufgehoben, die meiner Vorstellung der Grundstimmung dieser für mich so wichtigen Platte am meisten entsprechen. Das Loslassen dieser Lieder ist eigentlich das, was mir am schwersten fällt.

Konntest du dich mit diesem Album schon komplett verwirklichen oder fehlte es für manche Ideen noch an Lebenserfahrung?
Ich kann alles nur so gut machen, wie ich es derzeit weiß. Sicherlich gibt es Themen, die ich so noch gar nicht für mich entdeckt habe. Aber sobald diese für mich relevant werden, werde ich wahrscheinlich auch darüber schreiben. Ich arbeite jeden Tag. Ich kann gar nicht anders. Frustration, Angst, Zweifel, Glück, Zufriedenheit – alles Emotionen, die ich auf meine Art umsetzen muss.

Aber diese negativen Emotionen hört man der Platte gar nicht so sehr an.
Das Album beginnt düster und geht dann ins Helle. Die Platte fängt an bei den Ängsten und der Selbstzerstörung, aber auch Partyblödsinn und dergleichen. Es geht um die Leere, die dadurch entsteht. Nach und nach bewegt sich das Album dann aber ans Licht. Wenn du es vom Anfang bis zum Ende durchhörst, bewegt es sich vom Minus ins Plus. Viele Leute waren allerdings dafür, es genau andersherum zu machen und die poppigeren Tracks an den Anfang zu stellen.

Was genau macht dir denn Angst?
Ich gebe dir ein Beispiel: »Star« ist ein Lied, das ich eine Woche vor meinem ersten Auftritt aufgenommen habe. Songs schreiben, Videos drehen – alles kein Problem. Aber ich hatte das allerschlimmste Lampenfieber. Und ich wollte kein Geld von Fans für ein Konzert verlangen, bei dem ich live nicht genauso überzeugen kann wie auf Platte. Ich wollte meine Lieder perfekt nachsingen, aber das gelingt eben nicht immer. Diese Versagensangst hat mich in die Verzweiflung getrieben, und in diesem Moment habe ich »Star« aufgenommen. Mittlerweile habe ich erkannt, dass die Energie, die ich bei einer Performance vermittle, weitaus wichtiger ist, als dass man jeden Ton perfekt trifft.

Das Stück »Marie« handelt von deiner Freundin und eurem Kind.
Ja, das ist der negativste Song auf dem Album. Er entstand, nachdem meine Freundin sich gegen meinen Willen dazu entschieden hat, unseren gemeinsamen Sohn zur Welt zu bringen. Zu diesem Zeitpunkt dachte ich noch, dass die Vaterschaft mein Leben ruinieren würde; die war für mich einfach nicht mit meiner Karriere in Einklang zu bringen. In dem Song wollte ich zum Ausdruck bringen, dass sie sich keine Hoffnungen auf unser gemeinsames Familienleben zu machen braucht, weil es keines geben wird. Dieses Lied hat mir geholfen, mit meinen Aggressionen ihr gegenüber umzugehen. Ich war wirklich kurz davor, vollkommen durchzudrehen.

Also gab es kein Happy End?
Das Happy End ist mein wunderbarer, von mir über alles im Universum geliebter Sohn Yves-Louis, für den ich meiner Freundin unendlich dankbar bin.

Ein Kind ändert eben alles.
Er ist das größte Geschenk meines bisherigen Lebens. Seine Geburt, bei der ich staunend anwesend war, war gleichzeitig genau der Tritt in den Arsch, den ich brauchte, um jetzt meine Karriere auf die Reihe zu kriegen und verantwortungsvoll selbstständig zu werden.

War das vorher anders?
Klar. Ich war ja auf meine Eltern angewiesen, weil ich alles auf die Musik gesetzt hatte.

Was hättest du denn getan, wenn deine Eltern dich nicht unterstützt hätten?
(Pause) Schwer zu sagen, aber das hätten sie so oder so getan. Ich bin ein verwöhntes Kind, das muss man wirklich so sagen, und wenn ich nicht so verwöhnt gewesen wäre, dann wäre ich vielleicht auch schon früher erfolgreich geworden. Mein großes Ziel war es aber natürlich immer schon, selbstständig zu sein.

Hast du dieses Ziel schon erreicht?
Ja, Gott sei dank. Und jetzt schaue ich auch mehr auf mein Geld, weil ich nicht wieder in eine Abhängigkeit geraten will. Obwohl meine Managerin sicherlich was anderes dazu sagen würde, wenn sie meine Ausgaben sieht (lacht).

Gab es einen Unterschied in der Arbeitsweise zwischen Mixtape und Album?
Ich entwickle mich ständig. Und bei diesem Album habe ich zum ersten Mal intensiv mit anderen Leuten zusammengearbeitet. Eigentlich produziere ich alles selbst, nehme mich selber auf und fertige die Songs komplett bei mir zu Hause an. Zur Albumproduktion bin ich wegen einer Session mit The Cataracs (The Cataracs produzierte den Dancefloor-Hit »Fly Like A G6« von Far East Movement; Anm. d. Red.) aber nach Los Angeles geflogen. Ich hatte mich sehr darauf gefreut, doch das Ergebnis war leider ein totaler Reinfall. Glück im Unglück war dann, dass ich im Studio zufällig Nexxus kennengelernt habe. Mit ihm hab ich dann sämtliche Songs auf meinem Album erarbeitet.

Wie kann man sich die Zusammenarbeit vorstellen? Du musstest dann ja das erste Mal überhaupt Sachen aus der Hand geben.
Ich gebe die Lieder nie ganz aus der Hand. Als ich nach L.A. kam, gab es mehrere Songs mit Stellen, an denen ich nicht weiterwusste. Bei denen hab ich Nexxus einfach mal herumspinnen lassen. Im Studio wechseln wir uns den ganzen Tag ab, einmal sitzt er ’ne halbe Stunde vorm Computer und probiert herum, dann setze ich mich wieder ran. Wir arbeiten lange an Übergängen, oft produzieren wir Tracks auch von Grund auf neu. Von »Left Boy’s Coming« haben wir zum Beispiel vier komplett unterschiedliche Versionen produziert, bis ich endlich glücklich damit war. Nach anderthalb Monaten in L.A. habe ich ihn dann nach Wien mitgenommen, wo wir weiter daran gearbeitet haben.

Du hattest also kein Problem damit, einen Fremden an deine Arbeiten zu lassen und dieser Person dann auch einen eigenen kreativen Freiraum zu überlassen?
Es geht nicht anders. Um die richtigen Lösungen zu finden, muss man oft hunderte Varianten ausprobieren, und das geht nur mit einem gewissen Freiraum. Ich hab ihm immer gesagt, dass er einfach sein Ding machen soll, und dass ich mich schon melde, wenn mir etwas nicht gefällt. So hat das ausgezeichnet funktioniert. Natürlich musste ich auch lernen, mich zurückzuhalten, aber es ist oft genug passiert, dass eine Idee, die vielleicht nicht ganz gepasst hat, im weiteren Verlauf zu einer viel besseren geführt hat. Wir hatten einen großartigen Austausch, und ich habe durch die Zusammenarbeit mit ihm unendlich viel dazugelernt.

Du bist gleichermaßen in Österreich wie in den USA zu Hause und reist daher viel hin und her. Wie groß war der Einfluss der Staaten auf das Album?
Die Zeit, die ich in den USA verbringe, prägt mich auf jeden Fall. Es ist eine andere Kultur und dadurch auch oft ein anderer Lebensstil, den ich dort führe. Diese Orte geben mir unterschiedliche Inspirationen, und diese setze ich in meinen Liedern um. »Get It Right« habe ich zum Beispiel in L.A. produziert und geschrieben; das ist kein tiefsinniges Lied, aber es vermittelt einen Eindruck von der Zeit, die ich dort verbracht habe.

Und Brooklyn gab dir dann die nötige Ruhe für den Schreibprozess?
Wenn ich in New York bin, dann habe ich die Distanz zu meiner Familie und meinen Freunden, die ich manchmal zum Arbeiten brauche. Dann denke ich nicht darüber nach, was ich gerade verpassen könnte, sondern kann mich auf das Texten konzentrieren. In Wien lasse ich mich oft viel zu leicht ablenken (lächelt).

Arbeitest du unterwegs viel? Du sitzt ja oft einige Stunden im Flugzeug.
Klar. Ich habe einen ganzen Ordner mit »Airplane-Beats«. Ich reise immer mit einem Mini-Studio-Setup, damit ich auch im Hotel oder im Bus aufnehmen kann.

Mit einem Hype, wie er gerade um dich existiert, muss man sicherlich erst mal umgehen lernen, oder?
Auf jeden Fall. Die positiven Seiten des Hypes sind natürlich angenehm bis berauschend. Womit man jedoch lernen muss umzugehen, das sind die negativen Aspekte. Glücklicherweise halten die sich bei mir bisher noch in Grenzen. Die meisten Leute, die mich ansprechen, sagen mir etwas Nettes.

Treffen dich denn negative Kommentare?
Man muss lernen, alles nicht so ernst zu nehmen, sowohl positive, als auch negative Dinge. Du bist verloren, wenn du glaubst, etwas sei gut, nur weil das 10.000 Menschen sagen. Und genauso bist du verloren, wenn du daran glaubst, dass etwas schlecht sei, nur weil 10.000 Menschen das so sehen. Das wichtigste ist immer, sich unentwegt treu zu bleiben.

Text: Amadeus Thüner
Foto: Presse

Dieses Interview ist in JUICE #156 erschienen (hier versandkostenfrei nachbestellen).

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