»Ich habe einen neuen Rap-Style erfunden und deutschen Rap technisch auf ein höheres Level gebracht« // Kollegah im Interview

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Kollegah

Deutsche Rapper fielen vor Bewunderung rückwärts vom Stuhl, als sie ihn zum ersten Mal hörten. Dann sprangen sie wütend auf, als sie das erste Foto sahen. Was erlauben Kollegah? Sieht aus, als hätte er grade den gymnasialen Malwettbewerb gewonnen und behauptet, er wäre der ­Gangstarap-King? Die Freude war groß, als er auf dem Splash! versagte. Aber Kollegah blieb bei seiner Linie, ­arbeitete an Liveshows und Oberarmumfang und etablierte sich. Wie geht es weiter? Hat er es geschafft oder ist alles wertlos, wenn nicht der Superstar-Status folgt? Kollegah lässt sich nicht ­stressen, er nimmt die Karriere verstärkt selbst in die Hand, arbeitet aber auch auf das Fernziel einer eigenen Anwaltskanzlei hin. Musikalisch bleibt er, wer er ist, und guckt, was passiert. Alles andere würde der »Bossaura« schaden.

Das letzte Soloalbum ist drei Jahre her. Waren Mixtapes und das Kollabo-Album leichter mit dem Studium zu verbinden?
Ich studiere erst seit Ende 2009, damit hat das nichts zu tun. Bei den »Zuhältertapes« habe ich immer gleich die erste Aufnahme genommen, auch aufs Mastering war geschissen. Auf dem neuen Album gibt es ebenfalls Songs, die ich hingerotzt habe, ich habe aber auch ein Liebeslied, an dem ich ein halbes Jahr lang saß. Zum ersten Mal habe ich immer wieder den Beat gewechselt oder Textteile verworfen, ich wollte das Thema optimal lösen. Ein festes Konzept für das Album hatte ich nicht, ich habe 30 Songs recordet, die Hälfte war richtig geil. Dann habe ich ein paar Songs ergänzt, um ein stimmiges, homogenes Album zu kreieren.

Du hast früher mal ein Liebeslied nicht aufs Album genommen, weil es nicht zum Image gepasst hat. Passt es zusammen, in einem Track Entertainment und im nächsten etwas aus dem Privatleben zu bringen?
Ob das ins Konzept passt, ist Theorie. Da muss man sich den Stock aus dem Arsch ziehen. Was Kritiker und Fans dazu sagen, ist mir egal. Wenn man darüber nachdenkt, verkrampft man und ist kein kreativer Künstler mehr. Den Fehler habe ich nie gemacht. Mein neues Album besteht zu 80 Prozent aus Entertainment mit Wortspielen. Nach 20 Battle-Tracks hat man dann auch Bock auf etwas anderes. Diese Songs zeigen, dass ich nicht nur Battlerapper bin.

Dass für Charterfolge »echte ­Alben« ­nötig sind, hat gerade Nate57 mit ­seinem ­Mixtape widerlegt, oder? Kommen die ­hingerotzten Tracks nicht sogar besser bei deinen Fans an?
Die Songs mit Tiefgang feiern die Leute auch. Aber ein Album mit Blick auf die Charts zu produzieren, ist ohnehin Quatsch. Es macht keinen Sinn, von der eigenen Erfolgsformel abzuweichen. Das habe ich auch zum Sentino- oder zum Snaga & Pillath-Album gesagt. Ich arbeite wieder ähnlich wie beim ersten »Zuhältertape«, weil ich gemerkt habe, dass man sich nicht auf ein Business verlassen kann. Weil ich auch andere Dinge im Leben mache, kann ich musikalisch tun, was mir gefällt. Wenn du jemandem gefallen willst, fühlt der sich automatisch abgestoßen. Das ist wie bei Weibern: Wenn du sie mit Blumen beeindrucken willst, ist sie abgestoßen. Ich ziehe mein Ding durch. Wer das nicht feiert, kann mir einen blasen. So musst du durch die Weltgeschichte laufen.

Bei deiner Single »Flex, Sluts, Rock’n’Roll« meinten viele, du würdest auf die Charts zielen.
Weil auf dem Wort »Roll« ein leichter Autotune-Effekt ist, heißt es gleich, das wäre ein kommerzieller Track. Ich finde, dass der Song meinen Rap-Style positiv ergänzt, weil ich mehr Variationen reingebracht habe. Das werden die Leute auch noch checken. Bei »Boss der Bosse« wurden erst die Beats gehatet, heute heißt es, ich hätte nie bessere gehabt. Bei »Jung, brutal, gutaussehend« hieß es: »Wieso macht der was mit diesem Marokkaner?“ Heute fragen alle nach dem zweiten Teil. Da muss man mit leben.

Was willst du unter allen Umständen in deiner Karriere erreichen?
Ziele wie Platz eins in den Charts habe ich nicht. Ich habe einen neuen Rap-Style erfunden und deutschen Rap technisch auf ein höheres Level gebracht. Mein Ziel ist es höchstens, ein Album zu machen, mit dem ich hundertprozentig zufrieden bin. Wie gut das Neue ist, kann ich erst mit etwas Abstand sagen. Momentan ist für mich »Boss der Bosse« mein bestes Release.

Eine Änderung bei dem neuen Album ist, dass du nicht mehr im Selfmade-Studio in Düsseldorf aufnimmst. Warum?
Ich habe das komplette Album bei meinem Freund SunDiego aufgenommen und der hat sein Studio in Osnabrück. Er hat das Album auch gemischt. Mir war diesmal wichtig, mehr selbst in die Hand zu nehmen und bei allem involviert zu sein, vom Sound über die Aufnahmen bis zum Visuellen. Das erste Video habe ich z.B. auch komplett selbst organisiert.

Hast du Biker im Video, weil das gerade angesagt ist, oder ist das eine ­strategische Partnerschaft?
Ist das angesagt? Ich springe da nicht auf einen Zug auf. Ein Kollege ist in diesem Rockerverein, Rules 5, und so kam eins zum anderen. Das passte auch zum Tracktitel »Flex, Sluts, Rock’n’Roll«. Ich bin keiner der Rapper, die Schutzgeld zahlen und dann in Interviews behaupten, das wären ihre besten Freunde. So was Ehrenloses wird man von mir niemals sehen. Bevor ich Schutzgeld zahle, spring ich von einer Brücke.

Neben Haftbefehl, Farid Bang und Ol Kainry aus Frankreich, sind SunDiego, Locke der Boss und Spirty mit Gastparts auf dem Album vertreten. Hast du mit den neuen Jungs große Pläne?
Schauen wir mal. Sie sind drauf, weil sie besser sind als die, die schon auf dem Markt sind.

Dein Labelkollege Favorite fehlt dafür. Ist es auch von Selfmade gewollt, dass sich die Künstler stärker emanzipieren?
Ich bin doch emanzipiert, das hat damit nichts zu tun. Wir wollten eine Auszeit nehmen, wir waren ja wirklich auf fast jedem Release des anderen.

Hast du mit Caspers Erfolg gerechnet?
Absolut. Ich habe Casper schon zu Zeiten von »Zuhältertape Vol. 1« gesagt: »Casper, du bist nach mir der zweitbeste deutsche Rapper.« Er war ganz bescheiden und meinte, ich soll nicht übertreiben, aber ich habe ihm gesagt: »Hör auf ­meine Worte.« Ich habe auch seinen Stilwandel gefeiert. Er soll auf die Hater scheißen. Das ist auch Rap, er hat etwas Neues geschaffen. Casper ist ein Künstler, den man einfach machen lassen muss. Dann wird es gut. Ich wusste gar nicht, womit ich da rechnen sollte, auch wenn ich ein paar Tracks kannte. Als ich es dann gehört habe, war ich begeistert.

Wessen Musik ­feierst du sonst zur Zeit in Deutschland?
Haftbefehl. Gut, dass wir ihn haben. Der erste deutsche Straßenrapper, der keinen Fick gibt und einfach »rumswaggert«, sag ich mal auf Neudeutsch. Er ist auch menschlich korrekt. Schon als wir uns das erste Mal getroffen haben, meinte er, wenn ich mal Probleme hätte, würde er seine ganzen Jungs holen. Auch Farids Album habe ich gefeiert.

Wie verstehst du dich inzwischen mit deinen Rap-Kollegen?
Ich bin eigentlich mit allen erfolgreichen Leuten cool, abgesehen von einigen aus der Berliner Ecke. Der Berliner Patriotismus ist leider so, dass viele meinen, sie könnten mit mir nichts zu tun haben, weil ich mit ein paar Leuten Stress habe. Das ist schade, weil es einem gute Sachen verbaut. Mit vielen habe ich aber auch kein Problem. Ich habe auch immer noch MSN-Kontakt zu Bushido, da schreibt man sich schon ein paar lustige Smileys. (grinst)

Trotz des geplatzten Features?
Klar, ich rede ihm ja nicht in sein Album rein. Das wäre ein guter Business-Move für beide gewesen, daher halte ich es für keine schlaue Entscheidung. Aber ich bin ihm nicht böse, ich bin ja keine Zicke. Ich habe nur Probleme mit Kitty Kat, Fler und Sido. Mit Fler werde ich mich nie vertragen, der hat die Grenze überschritten. Kitty Kat hat meinen Freund Fav zu krass beleidigt.

In den Charts lief es dieses Jahr allgemein gut für deutschen Rap. Kalkulierst du solche Entwicklungen ein, wenn du dir überlegst, ob du in Zukunft eher auf dein Jurastudium oder die Rap-Karriere setzt?
In erster Linie studiere ich Jura, um die ganzen Downloader zu verklagen. (lacht) Spaß beiseite, ich lass es auf mich zukommen. Realistisch gesehen werde ich noch drei Jahre studieren. Ich habe an der Uni keine Anwesenheitspflicht, ich komme nur dreimal im Jahr zu Klausuren. Davor setze ich mich zuhause ein paar Tage hin und lerne zehn Stunden am Stück. Ich habe ein gutes Gedächtnis, auch durch das Auswendiglernen von Texten. Dadurch habe ich viel Zeit, um mich um Rap und schöne Frauen zu kümmern. Mein Traum ist es, mal eine eigene Anwaltskanzlei aufzumachen. Das geht auch neben der Rap-Karriere, dann setz ich Vertreter ins Büro, meine Freundin zum Beispiel, die auch studiert. Ich muss nicht direkt nach dem Studium ins Berufsleben einsteigen.

Was ist für dich guter Rap? Was gefällt dir als Hörer?
Rap muss eine gewisse Coolness haben. Mein Lieblingsrapper ist nach wie vor Fabolous, danach kommt The Game und dann mittlerweile Drake. Mit neuen Rappern wie Gucci Mane oder Waka Flocka Flame kann ich nichts anfangen. Das Young Money-Movement feiere ich aber, Nicki Minaj ist richtig geil.

Ist gute Technik eine ­Grundvoraussetzung für guten Rap?
Nein. Ich feiere auch Young Jeezys erstes ­Album, obwohl er da die billigsten Reime hat, die man sich vorstellen kann. Er hat sie geil rübergebracht und benutzt seine Stimme. Das ist mir lieber als Tech N9ne, der tausend Silben in der Minute runterrattert, ohne dass dabei irgendetwas rüberkommt.

Hast du auch inhaltliche Kriterien?
Es gibt Themen, die ich nicht hören möchte. Musik ist für mich Unterhaltung und Entspannung, da möchte ich nicht erzählt bekommen, was auf der Welt alles schiefläuft. Ich interessiere mich für Politik, aber gucke zur Entspannung nicht die Acht-Uhr-Nachrichten. Je lockerer und oberflächlicher es ist, desto mehr feiere ich es.

Trotzdem hast du auch deepe Songs auf »Bossaura«.
Ja, es gibt zwei Songs über Ex-Freundinnen von mir. Man verliebt sich ja ab und zu im Leben. Mir ist das dreimal passiert, es ist aber immer schiefgelaufen. Auf »Ich hasse dich Player« geht’s um ein Mädchen, dem ich fremdgegangen bin, obwohl ich sie über alles geliebt habe. Im zweiten Fall lag es an den familiären Umständen. Ihre Familie war sehr radikal islamisch. Dass ich Moslem bin, hat nichts geändert, es ging um Kultur, Nationalstolz und das Ansehen der Großfamilie. Dadurch hatten wir keine Zukunft. Ich rappe da aber nur über meine Gefühle, ohne sie oder die Familie zu verurteilen. Ich wollte sie nicht bloßstellen. Ich denke nur, dass meine Geschichte kein Einzelfall ist und viele sich damit identifizieren können. Ich glaube auch, dass ich der Erste bin, der das in einem Rap-Song anspricht. Eine große Debatte wollte ich damit nicht anstoßen.

Du hast keine Kinder, oder? Denkst du über Kinder und Heiraten nach?
Meine Freundin fragt mich auch immer, ob ich nicht irgendwo Kinder habe. (lacht) Nein, ich bin erst 26, man muss nicht gleich sesshaft werden, ich kann erst mal einfach leben.

Was machen denn deine Kollegen von früher heute?
Entweder sind sie abgestürzt und Junkies oder ganz klischeehaft in den elterlichen Betrieb gegangen, wo sie jetzt versauern. Nichts Spektakuläres. Da bin ich froh über mein Leben. Ich mach geile Musik, habe Fans und sehe die Welt. Ich kann nicht so ein 08/15-Leben führen. Wie behindert das wäre, wenn man ein Niemand wäre, den keiner auf der Straße erkennt! Man muss im Leben etwas darstellen. Fame ist das Geilste, was es gibt.

Es ist schon erstaunlich, wenn man sich deine Karriere anschaut und dann an deinen verpatzten ersten Auftritt auf dem Splash! 2006 zurückdenkt.
Klar. Aber der Auftritt hat mich danach null tangiert. Da kannst du jeden fragen. Ich habe das Rap-Game damals nicht ernst genommen, ich habe mich nicht als professionellen Rapper gesehen, der damit sein Geld verdient. Ich wusste nicht mal, dass man sich das Mic an den Mund halten muss, weil ich vorher nie auf der Bühne gestanden hatte. Danach wusste ich, dass das eine dumme Aktion war. Auch weil ich zu der Zeit auf Drogen und außerdem gerade krank war – auch wenn mir das keiner glaubt. Das konnte nur schiefgehen. Daraus lernt man. Jetzt kommt im Herbst meine bislang größte Tour und ich überlege mir einiges, um die Fans zu überraschen. Den ganzen September werde ich planen und organisieren. Vielleicht mache ich was mit Pyrotechnik. Oder Flammenwerfer. Wasserwerfer. Konfetti. Clowns auf Einrädern. Mit ’ner Schlange um den Hals.

Text: Tobias »Toxik« Kargoll

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