Kanye West & Jay-Z Review #10

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Da wir »Watch The Throne« in unserer neuen Ausgabe #138 aufgrund schlechten Timings nicht berücksichtigen konnten, unterziehen wir die 16 Tracks der »Deluxe Edition« einer täglichen Track-by-Track-Rezension. Wir verzichten dabei bewusst auf die Nennung inoffizieller Links zu den jeweiligen Songs. »Watch The Throne« ist bei iTunes ganz einfach zu erstehen oder eben in den Weiten des Internets anderweitig zu finden. Heute geht es um den zehnten Track »Murder To Excellence«.

 

Swizz Beats ist so ziemlich alles andere als der gemeinsame Nenner von Musikliebhabern. Eigentlich genau das Gegenteil. Für den »Murder« Part im folgenden Song hat sich Kasseem Dean allerdings so richtig ins Zeug gelegt. Ein Glanzstück basierend auf der Indiggo Twins-Aufnahme des Volksliedes »LaLaLa«. Die Akustikgitarre, die Drums. Hier passt alles so gut zusammen, dass man die Liner Notes gefühlte zwanzig mal überfliegt, um sich zu vergewissern, dass der Kerl wirklich dahinter steckt. Unglaublich. Und als wäre das nicht genug, bewegen sich Jay und Kanye ebenfalls in den Bereich der persönlichen Rekorde, was die Verses angeht. Ein Übersong.

 

»The paper read murder, black on black murder.«

 

In der Zeitung steht Mord. Schwarze killen Schwarze. Nun ist es an sich ja genauso schlimm, wenn in der Stadt Chinesen Europäer über den Jordan schicken, sich Pakistanis gegenseitig abschlachten oder Isländer über Aborigines herfallen. Mord ist keine nette Sache und gehört sich einfach nicht. Das gefällt niemandem. Doch da der Familiensegen relativ wichtig ist, sei es Janye verziehen, dass sie erst mal vor der eigenen Türe kehren.

 

Und dort wird auch gleich ein gewaltiger Haufen Laub aufgewirbelt. Shawn Carter, Solokünstler mit den meisten Nummer 1-Alben, Großinvestor und nie Müde dies zu betonen, spricht plötzlich über ein von den Medien heruntergespieltes, tragisches Ereignis. Ein Student der New Yorker Pace University wurde nach einer Verkehrskontrolle von Wachtmännern niedergeschossen, selbige werden natürlich nicht verurteilt und zu guter Letzt kriegt der Todesschütze auch noch die Medaille »Officer of the Year« verliehen. Was sich wie eine Southpark-Folge anhört, ist leider bittere Realität und zeigt erneut, dass selbst wenn die Worte »Kind, du kannst alles werden, was du willst, schau Obama an« beinah der Wahrheit entsprechen, weiterhin ziemlich fiese Umstände im »Land of Plenty« herrschen und der alltägliche Rassismus alles andere als verschwunden ist.

 

»This is to the memory of Danroy Henry. Too much enemy fire to catch a friendly.
Strays from the same shade nigga, we on the same team. Giving you respect, I expect the same thing.
«

 

Jay hat dem armen Jungen quasi ein Denkmal gesetzt, in dem er ihm die ersten Zeilen auf diesem bewegenden Song widmet. Betrachtet man die Tatsache, dass mindestens 95 Prozent aller Jigga-Lyrics die Themen Geld, Drogenverkauf, Party oder Pussy beinhalten (wogegen wir überhaupt nichts einzuwenden haben!) ist es schon ziemlich erstaunlich, aus welch tiefem Conscious-Brunnen die beiden hier schöpfen. Am Ende des Verses wird es sogar esoterisch und dem Zuhörer wird vermittelt, dass man selbst Jay sei. Er ist du und du bist er.

 

»Power to the people. When you see me, see you.«

 

Ich schau nach links, aber da ist keine Bonzi, rechts ist auch kein Maybach. Dennoch, Hoffnung einflößend. Wunderbare Sache und es geht auch gleich weiter.

 

Kanye bezieht sich auf die einstige Zusammenarbeit der beiden auf »Lucifer« und wendet die »I’m from the murder capital, where they murder for capital.«-Line auf seine Heimatstadt Chicago an. Das Geld, die Wurzel allen Übels und Lieblingsspielzeug der beiden Herren ist also für die hohen Umsätze der Bestattungsunternehmen verantwortlich. Chicago ist eine Stadt mit tiefer, afroamerikanischer Tradition. Zahlreiche Familien fanden hier Zuflucht, als sie aus dem Süden flohen, um der Sklaverei zu entkommen, das Zentrum der Nation of Islam ist hier beheimatet, das Civil Rights Movement, Jay Electronica wurde konvertiert, der gute Obama war hier Sozialarbeiter. Gäbe es nicht Atlanta, wäre sicher hier das »Black Hollywood«. Leider chillt die Stadt seit Jahrzehnten konsequent in den Top 10 der landesweit begangenen Kapitalverbrechen. Ein Zustand, den Kanye mit einigen Zahl- und Wortspielen in großartigem Storytelling herunterbricht:

 

»No shop class but half the school got a tool, and ‚I could die any day‘-type attitude.«

 

Nun ist ein Chicagoer Ghetto kein Township in Südafrika und mit Sicherheit auch keine Favela in Rio. Ganz bestimmt ist es für den heranwachsenden Jugendlichen nicht annähernd so gefährlich wie für einen Lastwagenfahrer in Bagdad. Doch wenn im Jahre 2008 314 US-Soldaten im Irak ums Leben gekommen sind und Chicago die traurige Zahl 509 an die Tafel der Mordopfer schreiben kann, ja dann darf Kanye auch ruhig mal folgende Zeilen droppen:

 

»I feel the pain in my city wherever I go. 314 soldiers died in Iraq, 509 died in Chicago.«

 

Wenn auch einige Vergleiche bei Kanye nicht ganz im Gleichschritt marschieren und etwas unangebracht sind, so stimmt dieser. Und auch Jay fährt mit den Aufzählungen fort und sieht sich in einer Linie mit Fred Hampton. Ein Black Panther-Aktivist aus Chicago, der von Polizeibeamten kaltblütig ermordet wurde. Und zwar genau an dem Tag, an dem Shawn Carter das Licht der Welt erblickte.

 

»I arrived on the day Fred Hampton died. Uh. Real niggas just multiply.«

 

Buddhistische Theorien, wer hätte das gedacht? Auch die ewigen Gang-Rivalitäten zwischen den Jungs mit den roten und den blauen Jacken sind unnötig. Jay spricht zu ihnen und predigt die eine Liebe.

 

Nach der Hook beginnt der zweite Akt und dieser hat es nun wirklich in sich. Man merkt den Übergang zum neuen Beat-Gerüst fast gar nicht, dabei ist dieser weltbewegend. S1 choppt ein Quincy Jones-Sample aus dem Steven Spielberg-Film »Die Farbe Lila« und wir werden Zeuge der ehrlichsten und entwaffnendsten Zeilen, die Jigga wohl je aufgenommen hat.

 

Die neue schwarze Elite. Schwarze Maybachs, schwarze Krawatten, das kennt man nach zehn Songs mittlerweile. Doch leider stimmt es ja. Er verputzt tatsächlich neben dem Präsidenten das Mittagsgericht, selbst dem Lustmolch Prince Charles saß er schon gegenüber.

 

»I dress in Dries and other boutique stores in Paris. In sheepskin coats, I silence the lambs. Do you know who I am, Clarice

 

Einerseits Wasser auf alle Mühlen, die Shawn Carter vorwerfen, das Weihnachtsfest im Kreise der Illuminaten zu verbringen. Auf der anderen Seite ist es durchaus fraglich, ob die Tea Party Dudes und Gals wissen, welcher Rudeboy dort neben ihnen Champagner schlürft und so freundlich lächelt.

 

»I repeat: my religion is the beat. My verse is like church, my Jesus piece.«

 

Und wie er doch Recht hat. Jay demoliert dieses Instrumental. Die gesetzten Pausen, der Nachdruck in der Stimme. Die Wortwahl. Besser kann man es nicht machen. Chris Rock hatte in seiner überwältigenden »Never Scared«-Show ein Dissertation über die Bedeutung von Reichtum namens »Rich and Wealth«. Demnach sei Shaquille O’Neal reich, doch der Kerl, der ihm den Scheck ausschreibt sei wahrhaftig wohlhabend. Letzteres ist eine Position in der sich Jay-Z nun zweifelsohne befindet. Und wer hätte bitteschön erwartet, dass er sich in dieser nicht wirklich wohl oder gar orientierungslos fühlt.

 

»Only spot a few blacks the higher I go. What’s up to Will? Shout out to O. That ain’t enough. We gonna need a million more. ‚Kick in the door.‘ Biggie Flow. I’m all dressed up with nowhere to go.«

 

Besonders der letzte Satz ist eine brutal ehrliche Aussage. Sowohl der rappenden Konkurrenz als auch den Marc Cubans gegenüber. Schwäche zeigen? Er? Sicherlich ist die soziale Arbeit vor Ort immens wichtig, das Sichern von Eigentum und das Gründen von Strukturen jedoch auch. Eine sportlich ambitionierte Aufgabe, der sich Jay und Kanye annehmen. Pro Black Professionals.

 

Ye greift den Reim auf und führt die Idee der Machtergreifung weiter, schafft es allerdings nicht ganz, Jay Paroli zu bieten. Übel nehmen sollte man es ihm nicht.

 

»What’s the life expectancy for black guys? The system’s working effectively. That’s why!«

 

Aha, so einfach ist das also. Dann haben wir das Problem ja bald gelöst. Es ist sicherlich schwer, einem die Welt in fünf Minuten zu erklären und Zeilen wie diese verwässern diesen enorm starken Song leider etwas. Doch plötzlich beginnt Kanye über Nächstenliebe zu reden und wenn der wunderschöne Beat und die fantastischen Drums wieder einsetzten könnte man ihm beinahe diese Zeilen glauben:

 

»I’ll be a real man and take care of your son. Every problem you had before this day is now done.«

 

Denn letztendlich ist es Janyes Aufgabe, für hervorragende Musik zu sorgen und wenn bei einer Kollaboration solch ein Übersong herauskommt, jede einzelne Soundspur und fast jedes einzelne Wort in perfektem Einklang die Lautsprecher verlässt, dann ist dies wirklich gelungen. »Murder To Excellence« ist einer der bedeutendsten und stärksten Rapsongs der letzten Jahre. Vielleicht der beste »Kopf Hoch«-Track überhaupt. Da verzeiht man ihnen sogar den peinlichen »Who Gon Stop Me«-Ausfall, die »Why I Love You«-Reproduktion und das etwas ermüdende Brand-Dropping. Ein wunderschönes und ermutigendes Lied. Perfekt.

 

On to the next one.

 

Text: Ndilyo Nimindé

 

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