»Ich würde mich selbst noch eher in der Oldschool verorten« // Estikay im Interview

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Ab 2015 ging es für Estikay schnell. Auf das Signing bei Sidos Label Goldzweig folgte 2017 das Top-Ten-Album »Auf entspannt«. Drei Jahre später ist der Hamburger mit der »Blueberry Boyz«-LP zurück. Die soll anders, aber nicht angepasst klingen. Denn dafür ist Estikay trotz Neo-Ami-Ästhetik oder Huldigungen der »Dirty Sprite« vor allem eines: zu sehr MC.

Du rappst auf »Gott sei Dank«: »Hab gedacht, dass aus mir mal ein Fußballer wird«. Dein Vater war Profi-Torwart beim FC Bayern und dem 1. FC Nürnberg. Wie ernst hast du es als Kind mit dem Fußball gemeint?
Ich habe schon als kleiner Junge angefangen Fußball zu spielen und war auch in verschiedenen Vereinen aktiv. Das war aber alles mehr aus Spaß – auch wenn ich, wie vermutlich viele andere Kinder, von einem Leben als Profi-Fußballer geträumt habe. 

Warst du auch Torwart?
Lange, ja. Irgendwann habe ich meinen Trainer aber dazu überredet, dass ich Sturm spielen darf. In der Saison habe ich dann aber kein einziges Tor geschossen. (lacht) Danach fing ich an zu kiffen und hatte keinen Bock mehr. Mein Vater hat mich aber auch nie in Richtung Profisport gedrängt. Er war auch nicht der klassische Fußballer. Der Sport war für ihn eher Mittel zum Zweck, um die Mädels zu beeindrucken.

Foto: Pascal Kerouche

Du hast damals die Schule frühzeitig abgebrochen. Hattest du, als du dich dafür entschieden hast, eine Alternative parat?
Zu dem Zeitpunkt habe ich schon seit zwei, drei Jahren fotografiert, sodass ich im Anschluss direkt bei Fotografen assistieren und meine ersten kleinen Fotojobs machen konnte. Ich war zum Beispiel in Irland und habe eine Whiskey-Fabrik für ein Reisemagazin fotografiert, auch in New York habe ich gearbeitet. Nach wie vor bin ich ein sehr visueller Mensch. Die Fotografie hat mir insofern auch geholfen, als dass ich mittlerweile sehr genau weiß, was mir grundsätzlich gefällt und wie man es im besten Fall umsetzen kann. In meinem Estikay-Prozess bin ich deshalb auch sehr in die Video- und Fotokonzepte involviert. 

Als Sido dich im Zuge deiner »Genau hier«-EP signte, nahm er dich sehr schnell auf die großen Bühnen mit. Warst du dafür eigentlich bereit?
Was heißt bereit? Ich habe das gar nicht so wirklich realisiert. Erst auf der Tour, die bis dahin seine größte war, habe ich langsam angefangen zu checken, was da passiert ist. Kurz zuvor habe ich damals noch eine Party zum EP-Release veranstaltet. Da kamen ungefähr 100 Leute, 40 davon waren Kumpels. Der nächste Auftritt war dann direkt vor 8000 bis 10.000 Menschen. Das war schon ein Film. 

»Wenn man das zu strategisch angeht, geht irgendwann die leichtigkeit verloren«

Estikay

Und auch eine gute Ausbildung? In viel kälteres Wasser kann man vermutlich gar nicht geworfen werden.
Das stimmt. Aber ich habe auch viele Vorgruppen-Gigs gespielt, die fast noch lehrreicher waren. Zum Beispiel für Cypress Hill im Hamburger Stadtpark. Die eigentliche Vorgruppe war wohl ausgefallen. Fünf Minuten vor der Show kam der Veranstalter und hat mir verraten, dass der eigentliche Support-Act nur aus dem Grund nicht mehr spielen wollte, weil er bei den anderen beiden Deutschland-Gigs dermaßen ausgebuht wurde. Das war so kurz vor dem Auftritt natürlich nicht so geil. (lacht) Während der ersten Minute habe ich dann schon gesehen, dass die Leute in den ersten Reihen sich die Finger in die Ohren gesteckt, gepfiffen und sich mit dem Rücken zu mir gedreht haben. Und ich wusste, ich muss noch 30 Minuten spielen. Solche Erfahrungen habe ich ein paar Mal gemacht. 

Die Singles, die du im Vorlauf zum Release von »Blueberry Boyz« veröffentlicht hast, gehen weg von dem klaren Boombap von »Auf entspannt«. 
Ich habe mich nicht hingesetzt und eine bewusste Entscheidung getroffen, in welche Richtung es gehen soll. Als wir ein paar Tracks zusammen hatten, hat sich eine Linie herauskristallisiert: Wir wollten die Sample-Ästhetik vom ersten Album beibehalten und ein paar moderne Elemente einbauen. 

Dabei bist du nicht dem Sound verfallen, der derzeit die Playlisten dominiert. Wie hast du als Artist eigentlich die letzten Monate erlebt? Newcomer über Newcomer, absurde Klickzahlen: Bespricht man so was intern? 
Vieles davon habe ich nur durch mein erweitertes Umfeld mitbekommen. Ich hatte in letzter Zeit viele andere Dinge zu tun, ich bin mittlerweile Vater, sodass ich von diesem täglichen Deutschrap-Gossip gar nicht so viel mitbekomme. Gewisse Sachen interessieren mich auch einfach zu wenig. Und zu tief drinzustecken, ist für das Künstlerdasein vielleicht auch nicht unbedingt förderlich. Wenn man das zu strategisch angeht, geht irgendwann die Leichtigkeit verloren. 

Man spürt auch bei den neuen Songs, dass du weiterhin Stolz am MCing und dem Rappen an sich empfindest.
Genau. Und das verteidige ich auch. Es gibt viel Musik mit wenigen Worten, die mir gefällt. Ich lehne das nicht ab. Aber ich habe nach wie vor einen gewissen technischen Anspruch an mich selbst, da bin ich sehr perfektionistisch. Und der geht sicherlich darüber hinaus, mehr als – überspitzt formuliert – zwei Wörter pro Zeile aneinanderzureihen. Ich bin schon noch so ein Reim-Nazi. Ich will immer noch gute Texte und Reime liefern. 

Woher kommt deine nachhaltige Faszination für dieses Handwerk?
Ich bin zu früh für die ganz neue Generation geboren, wo es viel um Turn-up und diese Dinge geht. Ich würde mich selbst noch eher in der Oldschool verorten, wo es mehr um Rap-Rap ging. Ich liebe Rap auch zu sehr, um einfach das zu machen, was derzeit funktioniert. Ich will hinter meinen Sachen stehen können, dazu gehört auch eine gewisse Technik.

Foto: Pascal Kerouche

Hast du das Gefühl, dass der Hörermarkt an Leuten, die Rapper auch wieder klassisch rappen hören wollen, größer wird?
Ich glaube, dass Rap insgesamt eine Musik ist, die sich sehr lange bewährt hat – und es dementsprechend immer noch einen großen Hörerstamm gibt, der da auch Bock darauf hat. Vor allem glaube ich aber, dass diese aktuelle Welle auch wieder vorbeigeht und nicht mehr nur Shisha-Rap oder Afro-Trap im Mainstream-Fokus stehen und alles andere überrollen. Früher oder später kommt und geht alles. 

Die Singles deuteten derweil an, dass sich thematisch erstmal nicht viel verändern wird: Es geht weiterhin viel um das Feiern mit den Jungs und das gute Leben mit all seinen Vorzügen.
Ich habe für mich ganz klar beschlossen, dass ich nicht krampfhaft irgendetwas erzählen möchte, nur um eine thematische Diversität zu schaffen. Ich spiegele in meiner Musik das wider, was in meinem Kopf vorgeht und was ich mit meinen Leuten erlebe. Verkrampft einen Song zu machen, der bloß nicht dem vorherigen ähneln darf, ist für mich der falsche Ansatz. Meine Musik passiert aus dem Bauch heraus.

Siehst du dennoch die Gefahr, dass die Lyrics für den Hörer auf Dauer zu wiederholend klingen können?
Naja, im besten Falle passieren im Leben ja auch immer wieder andere Dinge. Die Kinder kommen dazu, man hat neue Einflüsse. Die Sprache verändert sich mit der Zeit, auch die Musik verändert sich ja immer ein Stück weit. Ich mache mir aktuell keine Sorgen darüber, dass mir innerhalb der nächsten zwei Alben die Themen ausgehen. Aber klar: Wenn es irgendwann für den einen oder anderen Hörer langweilig wird, dann ist es eben so. 

»Viele Leute wären vermutlich überrascht, wenn sie sehen würden, was wirklich bei mir passiert«

Estikay

Nochmal zurück zu deinem Vater: der schuf sich nach dem Sport eine Existenz als erfolgreicher Geschäftsmann. Auch du bist neben der Musik in der Mode und im CBD-Business tätigt. Tauscht ihr euch über das geschäftliche Einmaleins aus?
Natürlich quatschen wir. Aber mein Dad ist jemand, der sich etwas in den Kopf setzt und dann einfach durchzieht. Er hat vieles also nicht unbedingt gelernt, macht es aber einfach. Er schafft das meiste durch eine enorme Disziplin und viel harte Arbeit. Wenn es klappt, klappt es. Und wenn nicht, macht man etwas Neues. Das habe ich von ihm gelernt. Für mich ist es eine Frage der Konstanz und Authentizität. Wenn man mit Herz an etwas arbeitet, passieren meistens gute Dinge. Ich versuche, da nicht zu strategisch ranzugehen. 

Würdest du dich auch als disziplinierten Typen beschreiben? Von außen betrachtet könnte man leicht zu dem Schluss kommen, dass du eher ein Chiller bist, der die Dinge lockerer angeht.
Teilweise schaffe ich dieses Bild aber auch bewusst, indem ich eher die schönen Dinge zeige: Wie ich leckere Sachen esse, gutes Gras rauche oder mit den Jungs in den Urlaub fahre. Die Leute mit negativen oder stressigen Vibes vollzuspammen, das braucht keiner. Insgesamt würde ich mich aber als größtenteils sehr diszipliniert bezeichnen. Ich gehe um vier Uhr ins Bett, stehe um sieben Uhr mit den Kids auf, mache den ganzen Tag Action und gehe abends ins Studio. Ich bin auf jeden Fall sehr hinterher, dass es vorangeht. Viele Leute wären vermutlich überrascht, wenn sie sehen würden, was wirklich bei mir passiert. Ich gebe komplette Masters mit fertigen Videos und Grafiken aus Eigenregie ab. 

Du willst den internen Hustle vom externen Bild also bewusst trennen?
Was heißt trennen? Ich fände es einfach ein wenig albern, den Leuten zu zeigen, wie fleißig ich bin. Ich lasse lieber die Ergebnisse sprechen und kümmere mich darum, dass gute Sachen entstehen.

Interview: Louis Richter

Dieses Interview erschien in JUICE 193. Aktuelle und ältere Ausgaben könnt ihr versandkostenfrei im Onlineshop bestellen.

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