Haiyti: »Ich mute dem Hörer viel zu« // Titelstory

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Du hast eine sehr eigentümliche Release-Politik. Nachdem im Januar 2017 die »Jango EP« kam, erschienen im März die Mixtapes »White Girl mit ­Luger« und »Follow mich nicht«. Hast du selbst selbst gemerkt, dass durch den hohen Output die Musik ein bisschen unterging?
Ja, das hab ich jetzt gelernt. Ich hab auch lange genug Sachen verschenkt, das mach ich nicht mehr. Nach dem Album bring ich noch ein Mixtape – aber ich donnere jetzt nicht mehr alles raus. »White Girl« ist krass verpufft, dabei sind da nur Hits drauf. Aber die Leute checken das gar nicht.

Hat sich dadurch deine Herangehensweise an das Songwriting verändert? Du meintest mal, dass du für einen Text nicht länger als 15 Minuten brauchst.
Manche Sachen sind rückblickend vielleicht zu schnell entstanden. Bei einigen Textstellen ärgere ich mich im Nachhinein. Jetzt hab ich das richtige Tempo gefunden. Ich denke jetzt nicht mehr nur darüber nach, welche Hook mir am besten gefallen würde, sondern auch darüber, mit welcher ich Para machen kann.

»Montenegro Zero« ist dein erstes Album. Hat das Format für dich überhaupt eine Bedeutung?
Das ist das erste wirklich ausgearbeitete Werk meines Lebens. Ich find es aber schon krass, dass so ein Album fast ein Jahr im Fokus steht. Da muss man sehr professionell sein. Ich kann jetzt nicht noch ein Mixtape machen, sondern muss die Bühnenshow üben. Das ist auf einmal ein Job. Wenn ich direkt wieder was Neues raushauen würde, wüssten es viele wieder nicht zu schätzen, und das wäre schade. Ganz ehrlich: Eine EP mach ich an zwei Tagen. Das Album hingegen waren für mich drei intensive Wochen Arbeit.

»’Montenegro Zero‘ ist ein Album, das mich in allen Facetten zeigt. Aber ich freu mich schon darauf, dieses Image wieder zu versemmeln«

Woher kommt eigentlich das Missverständnis, dass du aus der Punk-Szene stammen würdest?
Wahrscheinlich, weil ich mich nicht an Regeln halte. Oder durch das »Messer«-Video, die Schwarz-Weiß-Ästhetik. Das hab ich ja schon in mir, dieses Verruchte. Die Leute finden einfach nicht die Worte dafür, und dann nennen sie es halt Punk.

Wie kommst du mit der Bezeichnung Emo-Trap klar?
Das kann ich nicht leugnen. Es ist ja emotional Trap.

Mit dem Begriff Trap hatte Deutschrap ja lange Zeit Schwierigkeiten.
Trap ist der Überbegriff. Für mich sind das abgefahrene Klamotten und Autotune, eine Weiterentwicklung vom Dirty South. Trap ist das polytoxe Dirty South. (lacht)

War dir von Beginn an bewusst, wie stark du in der Szene polarisieren würdest?
Ach, dass ich ein polarisierender Mensch bin, höre ich schon, seit ich ein Kind bin. Deswegen wundert mich das nicht. Die Leute wissen ja selbst nicht, ob sie mich gut oder scheiße finden sollen. Dazu bräuchte man ja eine eigene Meinung.

Du hast zu Beginn kaum Interviews gegeben, weil du bestimmen wolltest, wie man dein Image wahrnimmt. Wann hast du gemerkt, dass das kaum zu kontrollieren ist?
Die Leute picken sich das raus, was sie in dir sehen – das fand ich am Anfang ganz schlimm. Ich bin eigentlich gar nicht so prollig, so punkig oder tussig. Aber wenn die das nicht anders begreifen, lass ich die halt. Ich bin ja kein Menschenfeind. »Montenegro Zero« ist jedenfalls ein Album, das mich in allen Facetten zeigt. Aber ich freu mich schon darauf, dieses Image wieder zu versemmeln.

Viele scheinen nicht darauf klarzukommen, dass du mit gängigen Klischees brichst und Trash glorifizierst.
Ich mute den Hörern aber auch wirklich viel zu. ­Meine Stimme ist ungewöhnlich, dass ich ein kleines Girl bin, ist ungewöhnlich. Dazu die Dirty-South-Beats aus Amiland, auf die damals noch keiner klarkam, und dann hab ich auch noch härtere Texte als die meisten Männer. Das ist wirklich viel! Ich sag dir: Die Leute würden mich feiern, wenn ich auf einem Oldschool-Beat Geschichten auspacken würde. Vielleicht mach ich das auch einfach mal, just for fun. Aber eigentlich wollte ich eh immer nur wie OJ da Juiceman sein – das ist mein Vorbild.

Apropos Vorbild: Es soll ja ein Foto geben, auf dem du als Baby von Nina Hagen im Arm gehalten wirst.
Ja, stimmt, ich hab das aber selbst nie gesehen. Mein Vater war ja Musikproduzent in München. Das war früher die Musikstadt – also das, was heute Berlin ist. Da gab es eine große Disco- und Rockszene, in der er aktiv war. Er hat englischen Pop-Rock und deutschen Schlager-Pop produziert. Dort war ich oft als Baby, und da muss wohl das Bild entstanden sein. Michael Holm [deutsche Schlagerlegende und Musikproduzent; Anm. d. Verf.] ist ja mein Patenonkel. Diese Schlager-Trap-Kiste würde also schon passen. (lacht) Alle sagen ja, ich sollte aufhören zu rappen und lieber singen. Irgendwie spricht alles dagegen, trotzdem will ich nur Gangstarap machen.

»Montenegro Zero« hat vor allem textlich einen starken Achtzigereinschlag. Gab es Tracks aus der Neuen Deutschen Welle, die für das Album als Referenz dienten?
Ein Song ist tatsächlich wieder rausgeflogen: ein Cover von »Blaue Augen« [Single der Band Ideal von 1980; Anm. d. Verf.]. Ich kenne Annette Humpe [Sängerin von Ideal und Ich & Ich; Anm. d. Verf.] persönlich. Meine Mutter hat die mal in einem Ferienlager kennengelernt. Wir haben das Cover aber runtergenommen, weil der NDW-Einfluss sonst zu stark gewesen wäre. Der Song ist geil, vielleicht bring ich den noch mal so raus. »Haiyti in der Zeit, lässt mich völlig kalt« – so fängt der an.

Wenn das Feuilleton über dich schreibt, geht es oft um dein Kunststudium. Stört dich, dass dein Studium gegen deine Authentizität ausgespielt wird?
Ja, klar. Das ist fies. Ich kam ja wirklich vom Arbeitsamt und bin durch eine Arbeitsbeschaffungsmaßnahme auf der Kunsthochschule gelandet – weil bei mir gar nichts mehr ging. Ich hab mir immer geschworen: Ich werde nie arbeiten! Das hat immer geklappt; obwohl, ich hab zwischendurch mal gekellnert. Und jetzt bin ich ein Workaholic.

Das Feiern, das Partyleben gehört zu deinem Job?
Ich bin da extrem und geh dann nicht nach Hause, weil ich die Interviews am Tag drauf nicht machen will. Das ist schon ein bisschen dramatisch bei mir.

Der Song »Berghain« thematisiert zynisch dein ­exzessives Nachtleben. Bist du gar nicht auf HipHop-Partys unterwegs?
Ich kann einfach nicht auf Trap-Partys gehen. Dort rappen die Leute jetzt plötzlich Texte von Project Pat nach, und ich denke mir: Ey, vor zwei Jahren war ich auf einem Migos-Konzert in Berlin und da waren dreißig Leute – fickt euch! Selbst in Berlin kam diese Trap-Welle erst vor kurzem richtig an, deswegen kann ich die ganzen Hype-Kids nicht ernst nehmen. Die Leute machen nur mit, was gerade in ist. Da sind ja auch nur 18-Jährige auf den meisten Trap-Partys. In dem Alter war ich auf Dancehall feiern, dann hab ich Dirty South entdeckt: Rapper wie Project Pat und ­Pastor Troy. Und jetzt rappen die Kids plötzlich »Chicken Head« nach. Ich kann denen das aber nicht übelnehmen – auch wenn die mir nicht glauben, dass ich das schon erlebt habe. (grinst)

Macht dich das nicht per Definition zum Hipster?
Streng genommen ja. Die heutigen Hipster leben das aber nicht, die nehmen mir das. Ich hatte meine Musik, meine Stars, und plötzlich wird das in. Bei mir ist gerade eh nicht so viel Party-Life angesagt. Ich geh nur selten raven – da, wo ich niemanden treffe. Die Zeit ist für mich so ein bisschen durch, für andere dagegen fängt sie gerade erst an. Aber ich weiß, dass sie bei denen nicht so geil wird, wie sie für mich war. Weil es nicht mehr der Flair ist wie früher, als es noch nicht in war, feiern zu gehen. Wenn ich in Berlin feiern gehe, krieg ich sofort Menschenhass.

Hamburg hat sich auch total verändert hat, oder?
Ja ja, ich hab das Gefühl, das hat sich parallel zu mir verändert. Ich bin aus der Schanze weggezogen, als es da scheiße wurde. Ich bin aus St. Pauli weg, als es schlimm geworden ist. Jetzt bin ich in St. Georg – und bis ich da weg muss, dauert es bestimmt auch nicht mehr lange. Ich bin immer etwas früher dran und dann zum richtigen Zeitpunkt weg.

In dem Track »Haubi« rappst du über das Anschaffen im Hauptbahnhofsviertel.
Die Geschichte ist sehr authentisch. Das ist das, was ich gesehen habe. Ich würde sagen: Ich bin das Stück Blech, das dem Junkie die Story erzählt. So nah bin ich dran.

Wie wichtig ist dir, dass die Leute wissen, dass die Geschichten authentisch sind?
Das war mir mal wichtig. Jetzt ist es mir scheißegal. Jetzt ist es wichtiger, Business zu machen. Die Leute gucken nicht, ob du echt bist oder nicht. Die gucken: Machst du Business oder nicht?

»Ich kam mir oft unsichtbar vor auf diesen Riesenbühnen«

Deine Texte sind oft maßlos übertrieben. Du ­erzählst in »Monacco«, dass du ein Haus in Südfrankreich hättest – was natürlich nicht stimmt.
Dieses Übertreiben ist aber Trap. Ich mach genau diese Mitte: Das Echte, verwandelt in Übertreibung. Das Echte wird überspitzt. Das ist mein Lifestyle.

Wie war es für dich beim Rock am Ring zu spielen?
Ich fühl das gar nicht mehr. Die Bühne war halt riesig, aber ein paar Fans waren schon da. Das war auch kein Lebenstraum von mir, dort zu spielen. Verrückter war der Moment in der Berliner Wuhlheide, als ich für Deichkind eröffnet habe. Da waren über 15.000 Menschen. Als ich geschrien habe »Hebt die Arme hoch!« haben mich alle komisch angesehen und sich gefragt: Wer ist das denn? Da verlierst du den Glauben an dich selbst. (lacht) Ich bin im Laufe der Zeit schon auf ein paar großen Bühnen geballert worden – zu früh, glaube ich. Man sagt das natürlich nicht ab, weil es eine Ehre ist. Aber ob man sich dadurch neue Fans erspielt, weiß ich nicht. Ich kam mir oft unsichtbar vor auf diesen Riesenbühnen.

Hast du auch mal das Gegenteil erlebt?
Ja, beim Dockville Festival in Hamburg: Da kam ich an, gar nicht vorbereitet, vor mir spielten Bilderbuch, und plötzlich standen alle vor meiner Bühne. Ich konnte den Horizont nicht mehr sehen.

Du hast letztens getwittert, dass du ein Feature mit Young M.A geklärt hast. War das ein Spaß?
Ja, ich bin nur von Fans nach Brooklyn eingeladen worden, mehr nicht. Mit ihr würde ich aber wirklich gerne ein Feature machen. Sie hat es auch durch reines Talent geschafft, ist richtig gut. Ich hasse New York ja – als Stadt, als Image, alles. Aber Young M.A hat die Stadt für mich wieder geil gemacht, sodass ich da auch mal hinwill. Ich soll da eine Show spielen und krieg dafür den Flug und eine Woche Aufenthalt gezahlt. Vielleicht treffe ich sie ja. (grinst)

Sie kämpft radikal gegen die Stereotype von Rapperinnen an.
Bei ihr ist das am krassesten, weil sie offen lesbisch ist, aber total auf Mann macht. Ich lebe zwar wie ein Typ, aber hab akzeptiert, dass ich eine Frau bin. Aber hey, ich hab einen Lippenstift von Yves Saint Laurent jetzt!

Text: Carlos Steurer
Foto: Tim Brüning

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