Haftbefehl – Unzensiert // Review

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haftbefehl_unszensiert

(Urban/Universal)

Vor wenigen Jahren noch verstand kaum einer ein Wort. Was der da erzählt, fragte man sich als mittelständische Rap-Kartoffel, als Hafti seine HDF-Premiere feierte. Zwischenzeitlich erweiterte der Azzlack den Volksmund nicht nur um das Jugendwort des Jahres 2013, sondern lieferte mit »Russisch Roulette« die bis dato originellste Trap-Adaption innerhalb hiesiger Grenzen. Medienhäuser feierten den Offenbacher als literarische Ikone, Haftis Kanakis als Bereicherung der deutschen Sprache anzuerkennen, gehört heute zum guten Ton. Doch plötzlich wünscht man sich wieder, man würde Aykut bisweilen nicht verstehen. Dann nämlich, wenn es auf »Unzensiert« immer wieder zusammenhangslose »Rothschild-Theorie«-Shouts regnet. Das ist umso ärgerlicher, als dass auf »Unzensiert« so vieles richtig läuft. Auf Bazzazian-Bretter zwischen frankophiler Synth-Gewalt und oldschooligem Hi-Hat-Game brüllt Haft noch energischer als auf dem brachialen Vorgänger und verpasst dabei ganz zentralen Konflikten ein Ausrufezeichen. Aykut selbst ist Teil einer paradoxen Welt zwischen Wohlstand und Ausbeutung, die einen täglich vor moralische Entscheidungen stellt: Wie kann man in aller Ruhe Kobe-Rind verdauen, während südlich unseres Kontinents Menschen Hunger leiden? Haft hat seinen Blick für die Perspektivlosen nicht verloren: »Die Banken kratzen an den Wolken/Ich mich am Yarrak, wie komm ich an Euros?«, heißt es im verkannten Hit »069«. Und von Integration spürt er auch mit seinem jetzigen Kontostand wenig: »Kanaken in Deutschland, ich bin nur Sohn meines Vaters/Von Grund auf enttäuscht, fick Vater Staat, ich schieß auf den Adler«. Da läuft’s einem drei­mal kalt den Rücken runter. Genauso, wenn am Ende von Chem-Trails die Rede ist und die Probleme auf Feindbilder zwischen EZB-Vorsitzenden und Jay Z (unter einer Decke mit den Illuminaten) heruntergebrochen werden. Das überschattet nur die eigentliche Großtat. Wann legte je ein Rapper nach einem Durchbruch wie »Russisch Roulette« solch eine Dringlichkeit an den Tag?

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