Gunna: Mehr Drip geht nicht // Feature

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Mit kindlicher Leichtigkeit Musik machen, als würden sich die Drums von selbst programmieren, die Regler am Mischpult automatisch in die optimalen Einstellungen versetzen und die Flows einem einfach so zufliegen: Der Traum vieler Musikschaffender ist Gunnas Realität.

Zumindest im Musikvideo zu »Big Shot« aus seinem Debütalbum »Drip Or Drown 2«, das im März vor den Projekten von Offset und Lil Pump auf Platz 3 der Billboard-Charts einstieg. In besagtem Video lässt Gunna zusammen mit Wheezy und Turbo die Instrumente im Harry-Potter-Style mit bloßer Gedankenkraft und leichten Handbewegungen durch den Raum fliegen. Ein Sinnbild für den Sound, den die beiden Haus-und-Hof-Produzenten auf »DOD2« kreieren. Ein Song fügt sich geschmeidig an den nächsten, und es fühlt sich tatsächlich an, als passiere das ganz von selbst. Gunna droppt seine unverkennbar gelassenen Flows, die er selbst als »Hood-melodisch« beschreibt, Wheezy und Turbo liefern abwechselnd Zeitgeist-Trap, der mal sanft dahinplätschert, dann wieder einen kraftvollen Sog entwickelt und letzten Endes zu einem großen Beat-Teich ineinanderfließt. »Mit Wheezy habe ich das erste ›Drip Or Drown‹ gemacht, mit Turbo ›Drip Season 3‹. Beide sind Teil meines Sounds geworden, deshalb fühlt es sich einfach natürlich an, sie auf meinem Album zu vereinen«, resümiert Gunna am Telefon.

Jugendwort des Jahres

Nach vier Mixtapes in den vergangenen zwei Jahren nimmt die Karriere des 25-jährigen Sergio Kitchens, wie Gunna bürgerlich heißt, mit dem Debütalbum »Drip Or Drown 2« nun vollends Fahrt auf. Aufgewachsen in College Park, der Heimat von u.a. Ludacris und 2 Chainz, ist die Sozialisation mit Rapmusik ortsbedingt vorherbestimmt. Gunna gehört jedoch zu einer neuen Künstlerwelle aus der Georgia-Metropole: der Generation Drip. »Das ist wie ›Do or die‹ oder ›Trap or die‹: Ein Lifestyle, der Code, nach dem wir leben.« Drip, dieser potenzielle Anwärter auf das Jugendwort des Jahres 2021, lässt sich auch mithilfe von Genius und Urban Dictionary genauso wenig spezifizieren wie seine Herkunft. Auf Twitter lässt Gunna seine Gefolgschaft jedenfalls wissen, dass er einen »Flying Fucc« darauf gäbe, wer das Wort denn nun erfunden hätte. »Ich mache Hits und habe das Ding etabliert. No Cap.« Ein kurzer Blick auf Gunnas Diskografie (»Drip Or Drown«, »Drip Season«, »Drip Harder«) bestätigt dies zumindest. Ebenso klar zu erkennen ist, dass Gunna ein Freund von Fortsetzungen ist: »Noch in diesem Jahr wird ›Drip Season 4‹ erscheinen – auch als Album.« Der Unterschied zwischen Album und Mixtape, zumindest nach seiner Definition, ist schnell geklärt: »Es hat sich nur eine Sache geändert: dass ich jetzt ein Label im Rücken habe, das es mir ermöglicht, Alben zu veröffentlichen.«

Bereits seit 2016 ist Gunna bei YSL unter Vertrag, dem Imprint seines Mentors Young Thug. Der holte ihn direkt im Anschluss an das Signing gemeinsam mit Travis Scott und Gucci Mane auf seinen Track »Floyd Mayweather«. Nun ist auch das Label 300 Entertainment mit im Boot, seinerseits Sub-Label von Major Warner Music. Die Veränderungen betrachtet Gunna eher nüchtern: »Ich habe zum ersten Mal einen Vorschuss bekommen, das Budget ist größer. Sonst ist alles gleich, wir sind im Studio und machen Songs. It’s a vibe.«

Freunde von Freunden

Direkter Vorgänger von Gunnas Solodebüt war das Projekt, das den Hype endgültig entfachte: das Kollabo-Mixtape »Drip Harder« mit Lil Baby. »Leute aus seiner Nachbarschaft kannten Leute aus meiner Nachbarschaft. Als wir uns das erste Mal trafen, kannten wir uns also quasi schon und es hat sofort Klick gemacht. Wir haben nie daran gedacht, dass daraus ein Album werden könnte, sondern einfach Songs gemacht und einige davon veröffentlicht. Das führte dazu, dass sich immer mehr Fans ein gemeinsames Projekt wünschten«, blickt Gunna auf den Entstehungsprozess zurück, ehe er anfügt: »Es wird auch definitiv nicht das letzte Projekt gewesen sein.« Die Kombination der aufstrebenden ATLiens funktioniert nicht nur im Studio, sondern auch live einwandfrei, was mit ein wenig Glück auch das deutsche Publikum im Sommer erleben darf. Die kommende Festival-Tour wird die beiden unter anderem aufs splash! führen. Ob die Besucher zwei Soloshows oder ein gemeinsamer Auftritt erwartet, ist jedoch bis zur letzten Minute ihrer Spontaneität überlassen: »Mal performen wir zusammen, mal können wir nicht, weil wir gleichzeitig spielen oder zwei Shows an einem Tag haben. Meistens klappt es, aber wirklich geplant ist es nie. We just go with the flow.«

Den Achtungserfolg »Drip Harder« beflügelte neben Thugger ein weiterer, nicht gerade unbekannter Rapper aus Toronto auf erhebliche, wenngleich nicht uneigennützige Art: Drake setzte bereits als Gast auf der Lil-Baby-Single »Yes Indeed« ein Ausrufezeichen, bevor er auch auf dem Kollabotape auftauchen sollte. Das Ganze hatte jedoch einen Haken, wie Produzent Wheezy im Genius-Interview preisgab: Ursprünglich war der Beat zu »Yes Indeed« für Gunna vorgesehen gewesen. Anstatt nachtragend zu sein, nutzte dieser jedoch die entstandene Connection. Es folgte »Never Recover«, diesmal mit Tay Keith und Turbo an den Reglern: »Lil Baby und Drake hatten zu der Zeit schon Kontakt. Eines Tages telefonierten sie, und Drake sagte, er fühle den Vibe und wolle auf einen Track mit uns. Wir haben nicht lange gezögert. Kurze Zeit später hat er uns den Verse rübergeschickt, dann haben Baby und ich uns im Studio eingeschlossen und das Ding fertig gemacht.« Als Single-Auskopplung steigt »Never Recover« sogar bis auf Platz 15 der Billboard-Charts. Neben dem mittlerweile mit Dreifach-Platin ausgezeichneten »Drip Too Hard« ist der Song somit Gunnas erfolgreichste Single. Selbst wenn die Unkenrufe vom »Culture Vulture« Drizzy nicht unberechtigt scheinen: Geschadet hat das Feature Gunna und Babys Karrieren keinesfalls. Doch auch wenn es leicht aussehen mag, bleibt der Hustle derselbe: Alles tun für den Drip – oder gnadenlos untergehen.

Text: Julian Fell
Foto: 300 Entertainment

Dieses Feature erschien in JUICE 193. Aktuelle und ältere Ausgaben könnt ihr versandkostenfrei im Onlineshop bestellen.

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