»Straight Outta Compton«: Den Schmerz auf der Zunge
Compton. Ein Vorort von Los Angeles. Mitte der Achtzigerjahre. Compton gilt als eine der schlimmsten Städte der USA: Drogen, Vergewaltigungen, Raubüberfälle. Das Risiko, auf offener Straße erschossen zu werden, ist kaum irgendwo größer als hier. Desolate Umstände also, die sich jedoch als perfekter Nährboden erweisen, um daraus eine Gruppe erwachsen zu lassen, die als »the world’s most dangerous group« Musikgeschichte schreiben wird: Niggaz Wit Attitudes. Oder kurz: N.W.A.
Unter ihnen: Dr. Dre, Ice Cube und Eazy-E, deren immenser Einfluss auf die Musikkultur im Allgemeinen und HipHop im Speziellen auch 2015 noch, drei Dekaden später, deutlich spürbar ist. Die Wurzeln jedes heutigen Straßen- oder Gangstarappers von A wie Azad bis X wie Xatar brechen sich stets unüberhörbar Bahn unter dem aufgeheizten Asphalt jener staubigen Straßen von Compton Mitte der Achtzigerjahre. Und wie das damals war, als der charismatische Drogendealer Eazy-E plötzlich ins Musikgeschäft einstieg, wie Dr. Dre den musikalischen Masterplan einer authentischen Reality-Rap-Supergroup entwarf und wie Ice Cube mit ungeschönt ehrlichen Lyrics die desaströsen Missstände in den dunklen Ecken von Compton aufdeckte – davon erzählt dieses Biopic; genauso wie vom Auf und Ab im Showbiz, von Rivalität und Freundschaft, von kleinen Missverständnissen und großen Fehlern und: von Leben und Tod.
Und, so viel sei vorweggenommen: Der Film funktioniert. Er bringt einerseits die nötige Kraft mit, um der riesigen Relevanz der Band und ihres musikalischen Vermächtnisses gerecht zu werden, ist andererseits aber unterhaltsam genug, um auch über den Plattentellerrand der HipHop-Szene hinaus Anklang zu finden. Die größte Errungenschaft des Films ist dabei wohl der Umstand, die immense Bedeutung der Musik im Kontext der damaligen Zeit verständlich zu machen – und vor allem darum geht es in einem Biopic. Gerade für junge Leute ist der Kultstatus bestimmter Künstler rückblickend oft schwer nachvollziehbar, weil es an einer erklärenden Einbettung in den zeitlichen, politischen und/oder gesellschaftlichen Bezugsrahmen fehlt. Doch hier leistet Regisseur F. Gary Gray ganze Arbeit. Ob »Boyz-N-The-Hood«, »Straight Outta Compton« oder »Fuck Da Police« – bei jedem einzelnen Song wird deutlich, warum er damals so wichtig war. Und auch heute noch wichtig ist. Bestes Beispiel ist der Track »Fuck Da Police«, in dem die Band sich musikalisch gegen die skrupellose Polizeigewalt gegen Schwarze zur Wehr setzt – und der bis heute (man denke nur an Ferguson, Baltimore, Charleston) nichts an Aktualität eingebüßt hat. Leider.
Die größte Schwierigkeit bei jedem Biopic ist in erster Linie die, den porträtierten Figuren und deren Werk(en) gerecht zu werden. Bei »Straight Outta Compton« gelingt das in Bezug auf das musikalische Erbe von N.W.A. recht gut. Doch in Anbetracht der Tatsache, dass bei der Band gleich fünf Protagonisten im Fokus stehen, bleibt – trotz der langen 150 Filmminuten – naturgegeben einiges auf der Strecke. So werden MC Ren und DJ Yella fast wie Statisten behandelt (und folgerichtig selbst auf einigen Filmplakaten nicht erwähnt). Doch selbst bei der Konzentration auf Dre, Cube und E fehlt es allen an der nötigen Tiefe, um die einzelnen Charaktere wirklich greifbar werden zu lassen. Ein wenig mag das auch an den Schauspielern liegen, denn die Rollen wurden allesamt mit Newcomern besetzt, von denen zwar keiner enttäuscht, aber nur einer herausragt: und zwar Jason Mitchell als Eazy-E. Mitchell verleiht E genau das Charisma, das diesen auch im wahren Leben umgab – und dadurch verständlich macht, warum die talentierteren Bandmitglieder ihn damals als erstes ins Rampenlicht gesetzt haben. Dass N.W.A.-Gründungsmitglied Arabian Prince noch nicht mal erwähnt wird, dass Ice Cubes Werdegang vom rappenden Rebellen zum familientauglichen Schauspieler scheinbar über Nacht passiert, dass Dres gewalttätige Eskapaden gegen Frauen unter den roten Teppich gekehrt werden – geschenkt. Was bleibt, ist ein unterhaltsamer Hollywoodstreifen über eine Band, deren Musik auch heute noch weitaus wichtiger ist als der Film dazu.