»Das Geld ist der einzige Faktor, der Kunst negativ beeinflusst« // Santigold im Interview

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Santigold

Mit »L.E.S. Artistes« und dem fiebrigen »Creator« brachte Santigold 2008 rumpelnde Riot-Sounds in die Jahresendlisten der Musikjournaille. Bis dahin hatte es kaum jemand geschafft, urbane Soundästhetik und Attitüde mit solch raffinierten Produktionen zu versehen und trotzdem ganz oben im Mainstream mitzuspielen: Mit ihrem zickigen Pop-Pourri aus Dub, HipHop, New Wave und Dance Music führt Santi White seither eine ganz eigene Genresparte an, in der außer ihr eigentlich nur noch M.I.A. eine echte Rolle spielt. Ihr neues Album »Master Of My Make-Believe« hat zwar wenig mit klassischem Rap zu tun, tönt dank der Produktionen von Dave Sitek, Ricky Blaze, Switch und Diplo trotzdem immer noch mehr nach »echtem« HipHop als jede Gabber-Adapation von Nicki Minaj. Folgerichtig hat die Kumpeline von Q-Tip auch schon Konzerte für Jigga und Kanye, die Beastie Boys und Mike Skinner eröffnet.

Auf deinem aufwändigen Albumcover sind drei verschiedene Inkarnationen von dir zu sehen: Du als Herrscher auf einem Thron, zwei weibliche ­Leibwächter und ein Hintergrund­porträt von dir im barocken Stil. Deine eigene Idee?
Ja, das war tatsächlich meine Idee. Ich wollte für das Cover unbedingt mit einem Künstler zusammenarbeiten. Es sollte ein besonders schönes und wichtiges Kunstwerk werden. Die Leute schenken dem Cover heutzutage einfach nicht mehr so viel Aufmerksamkeit und kaufen auch keine CDs mehr. Sie kaufen vielleicht noch Alben im Internet, aber keine CD mit Hülle, Cover und Inlay mehr.

In der Popgeschichte gibt es ja einige interessante Zusammenarbeiten von Künstlern mit Musikern.
Ja, stimmt: Andy Warhol und Velvet ­Underground. Oder Rammellzee, K-Rob und Jean-Michel Basquiat. Diese Leute haben wirklich etwas erschaffen. Deswegen habe ich einen meiner Lieblingsmaler gewählt: Kehinde Wiley. Er ist ja für seine großartigen Porträts bekannt. Und tatsächlich bin ich die erste Frau, die er jemals gemalt hat. Das Bild ist riesig: über zwei Meter mal zwei Meter.

Wie hängt dieses Porträt mit dem ­Albumtitel zusammen?
»Master Of My Make-Believe« bedeutet: Ich bin der Herrscher in meiner eigenen Welt. Also habe ich mir überlegt, wie ein ­Herrscher aussieht. Ich musste also der Mann in der Mitte auf dem Thron sein. Wobei ich zu ­Beginn eher wie ein 14-jähriger Junge aussah. Die Wächterinnen mussten Ladyguards sein. Frauen, die wegen ihrer Attraktivität noch bedrohlicher aussehen sollten. Mit einer Peitsche. Das war für mich genauso eine Herausforderung. Alexander Wang hat diese ganz speziellen Bodys. Klassisch und schön, gleichzeitig aber heiß und sexy. Es hat Spaß gemacht, für das Cover mit diesen verschiedenen Typen der Macht zu spielen.

Das Bild zitiert das »Portrait Of An Officer« von Sir Joshua Reynolds. War das deine Idee?
Kehinde und ich haben uns zusammen viele Bilder angesehen. Manchmal basieren seine Malereien auf klassischen Motiven. Ich habe dieses Motiv gewählt, weil Pferde darauf zu sehen sind. Ich liebe Pferde. (lacht) Und ich fand, er sah wie eine Frau aus. Das könnte also auch ich sein. Ich mochte auch den Hut. Die Position. Ein tolles Bild, das sich perfekt zum Zitieren eignet.

Es hat mich ein bisschen an das »Power«-Video von Kanye erinnert.
Ich habe mit Kanye schon darüber ­gesprochen. Wir haben festgestellt, dass wir in der Kunst sehr ähnliche Vorlieben haben. Er ist auch ein großer Fan von Kehinde.

Was inspiriert dich sonst noch?
Das Reisen. Wenn man aus Nordamerika kommt, dann kennt man so wunderschöne Architektur wie in Europa oder Asien eben nicht. Ich war in Paris und im Vatikan. Solche Besuche beeindrucken mich sehr. Ich liebe es, mir genau anzusehen, wie Häuser gebaut wurden, welche Baustile zu erkennen sind. Das hat manchmal hunderte von Jahren gedauert. Das ist wirkliche Kunst. ­Manchmal sagt etwas in mir: Du hättest besser zu ­dieser oder jener Zeit gelebt. (lacht)

Hängt bei dir zu Hause auch teure Kunst herum?
Oh ja! Ich könnte jetzt mein Handy ­rausholen und dir alles zeigen. Im Wohnzimmer hängt auf jeden Fall das Bild von Kehinde. Ich habe unzählige Spiegel mit goldenen Rahmen – runde und eckige. Es ist aber nicht nur eine Zeitepoche, nach der ich mein Haus eingerichtet habe. Ich besitze auch ein ­Gemälde von einem Wolf. Und in meinem Flur steht ein Boot herum. (lacht) Es ist kniffelig, ­Gegenstände aus verschiedenen Zeitepochen richtig zu kombinieren – aber es macht Spaß.

Du hast mal erzählt, du hättest ­verschiedene Cover im Kopf gehabt, um die richtige Schrift zu finden.
Und jetzt habe ich nicht mal Schrift ­verwendet. (lacht)

Wenn du drei Cover mit perfekten Schriften wählen könntest, welche wären das?
Perfekt ist immer relativ. Wenn man das Cover eigentlich als Kunstwerk ansieht und dann irgendwelche klobigen Buchstaben drüberknallt, macht es einfach keinen Sinn mehr. Eigentlich habe ich kein Lieblingscover. Wobei: »Licensed To Ill« von den Beastie Boys ist super! Das sieht ja eigentlich wie ein Flugzeugunfall aus, aber wenn man es aufklappt, ist es ein Joint. (lacht) »Electric Ladyland« von Jimi Hendrix gefällt mir auch. Ein tiefschwarzer Hintergrund mit vielen nackten Frauen und nur ganz unten stehen klein Künstler und Albumtitel – das war smart. Fela Kuti hatte auch gute Cover! Sie waren immer gemalt, hatten politische Anspielungen, dann aber auch wieder etwas Comic-artiges.

Und richtig schlechte Cover?
(überlegt) Nein. Ich könnte dir nur noch viel mehr Cover aufzählen, die ich mag. (lacht)

Was passiert eigentlich genau im Video zu »Desperate Youth«?
Ich bekomme oft gute Ideen in meinen Träumen. Wenn ich aufwache, muss ich sie sofort notieren. In diesem Video ist es auch so: Ich muss diese Jungen im Dschungel finden, da sie so etwas wie ein Orakel sind. Der Anfang ist also ein Traum. Ich begebe mich auf die Suche nach dem Orakel, um die Antworten zu finden. Zugegeben, das ist ziemlich vage, aber so mag ich es eben. Jeder kann selbst etwas hineininterpretieren. Vielleicht ist es auch zu abgedreht. Ich denke oft, ich hätte mein Album auch »What the fuck is going on?« nennen können. (lacht) Vielleicht wollte ich genau das vom Orakel wissen.

Es soll einen Remix mit Earl Sweatshirt von Odd Future geben?
Oh, das wird kein Remix. Wir haben uns nur auf Twitter darüber ausgetauscht, dass wir mal zusammenarbeiten wollen. Und seit es im Internet zu lesen war, wird es immer ein bisschen verdreht. Er hat mir den Track aber schon geschickt, bald gehe ich ins Studio.

Was magst du an Earl und Odd Future?
Ich denke, es ist ihre Energie. In Zeiten, in denen alles sehr festgefahren und langweilig ist, braucht es so ausgeflippte Typen wie Odd Future. Sie sind einfach nur ein Haufen Punkrock-Skaterkids. Sie machen, was sie wollen und agieren in ihrem ganz eigenen Kosmos. Sie scheren sich einen Dreck um das, was außerhalb davon passiert oder von ihnen erwartet wird. In den achtziger und neunziger Jahren hatte auch jede Crew ihren eigenen Produzenten – da klangen alle noch ganz unterschiedlich. Das ist doch das Beste für Musik! Und wenn es so etwas heute mal wieder gibt, stürzen sich alle wie die Aasgeier darauf. So ist es doch immer. Natürlich sind die Odd-Future-Jungs auch total albern. Tyler sagt einfach nur: »Ayo, suck my dick…« (lacht)

Es ist nicht sehr erwachsen, das stimmt.
Aber ich mag es sehr! Auch wenn ich die Jungs bis jetzt nicht getroffen habe. Frank Ocean ist auch einer von ihnen – und was er mit R&B in letzter Zeit veranstaltet hat, ist einfach nur großartig. Ich höre nicht wirklich viel R&B – aber »Swim Good« ist großartig! Er bringt frischen Wind in die Sache. Spank Rock hat das vor vier Jahren schon mit HipHop getan und damit den Mainstream-Sound beeinflusst. Genau das machen Frank Ocean und The Weeknd jetzt mit R&B.

Frank Ocean ist vor allem ein guter Songwriter, nicht?
Absolut! Er ist ein doper Lyricist. Das ist sehr selten heutzutage. R&B klingt ja eher so: (singt betont schmalzig) »Put your booty on me!« (lacht) Wenn also jemand in einem R&B-Song mal etwas Durchdachtes singt, dann ist das schon eine Seltenheit, aber andererseits ganz toll. Die Produktionen von The Weeknd sind auch irre. Und seine Stimme hat einen großen Wiedererkennungswert. Jemand mit so einer Stimme singt sonst ja eher selten Soul-Songs.

Hast du das Video zu »The Knowing« gesehen?
Das so irre lang ist? Ich finde es sehr interessant. Man denkt darüber nach. Das mag ich. Ich würde das Video in der Form jetzt nicht machen. Aber es war durchdacht – und das kann man heute nicht über viele Videos sagen.

Hörst du viel Rap?
Nicht so viel. Ich mag A$AP Rocky. Mein aktueller Lieblings-Rap-Song ist »Spend It« von Tity Boi, äh, ich meine 2 Chainz.

Über den LMFAO-Auftritt beim Super Bowl hast du nicht so nette Worte verloren. Was fehlt aktueller Popmusik?
Ein künstlerischer Anspruch. Es war ja nicht ihre Schuld, dass sie beim Super Bowl performt haben. Sie waren da, weil man sie dort hören wollte. Die Frage ist nur: Warum klingt die ganze Popmusik derzeit so leidenschaftslos und uninspiriert? Ich denke, dass es daran liegt, dass es der Wirtschaft und der Musikindustrie schlecht geht. Man will das kleinstmögliche Risiko eingehen. Also nimmt man Leute unter Vertrag, die bei »American Idol« gewinnen oder die übliche Garde an Superproduzenten hinter sich haben. Das Geld ist der einzige Faktor, der Kunst negativ beeinflusst. Jetzt hört man in jedem Song diese Dance-Beats…

…die aus Europa importiert wurden.
Ja, aber die amerikanischen Produzenten haben diesen eigentlich coolen, europäischen Electronica-Sound total verwässert und klatschen ihn jetzt unter jeden schrecklichen Song. Ich könnte kotzen, wenn ich das höre!

Aber es ist erfolgreich.
Die Kids kennen ja nichts anderes mehr! Die wissen ja nicht, wie gute Musik klingt. Als ich jünger war, bin ich in den Plattenladen gegangen und habe manche Platten zehn Jahre lang gehört. Die jüngeren Leute kennen den Unterschied zu früher eben gar nicht mehr. Manche Kids gucken sich mittlerweile lieber einen DJ an, weil der alle Hits hat, die man lieber hört, als die zwei Songs von einem speziellen Künstler. Der Anspruch ist sehr niedrig. Das ist doch verrückt.

Kannst du dich noch erinnern, wann du das erste Mal den Wunsch verspürt hast, Musikerin zu werden?
Ich wusste das ganz lange Zeit nicht. Meinen ersten Song habe ich geschrieben, als ich neun Jahre alt war. Er hieß »City Streets«. (singt und schnippst mit den Fingern) Er war grausam! Ich habe aber nie darüber nachgedacht, ein Star zu werden. Jay-Z hat mal zu mir gesagt: »You’re a jack of many trades, master of all.« Diese Vorstellung mag ich. Als Kind bin ich Schlittschuh gelaufen, habe geturnt, Hockey gespielt, afrikanische Tänze aufgeführt, Theater gespielt, Geige und Gitarre gelernt, Karate geübt. Ich wollte eben alles machen. Später habe ich Songs, Gedichte und Raps geschrieben. Gemalt habe ich auch noch. Als ich 19 war, merkte ich plötzlich, dass ich eine Künstlerin bin. Allerdings wollte ich aber lieber im Hintergrund arbeiten: Songs schreiben, eine Plattenfirma besitzen. Doch dann merkte ich, dass ich nur glücklich bin, wenn ich den Leuten meine Kunst so vermittle, wie sie aus meinem Kopf kommt. Ich wusste: Ich muss es selber machen.

Text: Jan Wehn

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