»Ich bin nicht der Sänger, der mal rappt, sondern der Rapper, der mal singt.« // Samy Deluxe im Interview

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Samy-Deluxe_JUICE-EP

 

Drei Uhr nachts. Auf dem überdimensionalen Flatscreen im Wohnzimmer läuft eine klassische Jamie Foxx-DVD, DJ Ghanaian Stallion und DJ Vito haben es sich mit einem Beutel Haze und ein paar Dosen Whiskey-Cola gemütlich gemacht. Hinter der Couch ist ein Basketballkorb angebracht, die anderen Wände säumen Regale mit Comedy-Silberlingen von Dave Chappelle bis Bernie Mac. Immer wenn sich die Studiotür im vorderen Teil des Haus öffnet, dröhnt eine hypnotische Synthie-Linie durch den Flur. Wortfetzen verhallen im Halbdunkel, der mächtige Bariton von Megaloh ­donnert: »Vader ist mein Vater, meine Mama Amidala/Rap spaced out wie’n gestrandeter ­Marsianer…« Der Beat läuft im Endlos-Loop, dazu wird grünes Kraut im Minutentakt verbrannt. Samy Deluxe steht in der Booth, Megaloh sitzt gedankenverloren am Schreibtisch.

 

Erster Akt: Die KunstWerkStadt

Am nächsten Mittag steht Samy in der Küche und wartet darauf, dass sein Engineer Tony Brown einen ersten Rough Mix des gemeinsamen Songs »Weltraum« anfertigt. Gestern waren Megaloh und DJ Ghanaian Stallion aus Berlin angekommen, ursprünglich nur um Megas Part für den Remix der Single »Hände hoch« aufzunehmen und anschließend noch ein paar Sequenzen für das Video zu drehen. Nach dem Dreh ging es zur Speisung in einen nahe gelegenen Edelgasthof, dann ohne Umwege wieder zurück ins Studio. Vito und Samy spielten einen selbstgebauten Beat an, sofort begannen die beiden Reimroboter zu rattern. Sie ratterten bis sechs Uhr früh.

Ein paar Tage zuvor hatten wir Samy im Büro der Typeholics getroffen, jenem Künstler- und Designer-Kollektiv, das schon seit den goldenen Eimsbush-Tagen für das Artwork vieler Hamburger HipHop-Artists verantwortlich zeichnet. Direkt gegenüber von Samys alter Deluxe Records-Studioetage im Schanzenviertel arbeiteten Regisseur Felix Paul und seine Mitstreiter an der umfangreichen Internet-Kampagne für »SchwarzWeiss«. »Ich habe die Videobudgets diesmal selbst verwaltet und als Produktionsfirma agiert, während Felix der Hauptregisseur für die visuelle Kampagne ist. Wir zahlen alle Mitwirkenden als Freelancer für die Zeit, die wir sie brauchen. Und wenn ich noch Geld im Budget habe, dann entscheide ich morgen eben, dass ich noch ein Video drehe. Vor allem sehe ich es nicht mehr ein, für jedes Video eine andere Produktionsfirma zu beauftragen, die sich ein Drittel der Kohle aus dem Budget selbst einstecken.«

Am Abend saß Samy Deluxe dann an einem DJ-Pult in der Ecke seines Wohnzimmers, vor ihm drapiert ein silbernes MacBook Pro, das er an die Pult-Lautsprecher angeschlossen hatte. In der Couch-Landschaft lagen zwei JUICE-Redakteure, DJ Vito und Engineer Tony Brown und lauschten minimalistischen, Bangladesh-artigen Breakbeats, die durch den rauchgeschwängerten Raum flirrten. Den mythischen Ort der Entstehung seines neuen Albums »SchwarzWeiss«, ein Studioanwesen im Norden Niedersachsens, eine halbe Autostunde von Hamburgs Elbbrücken entfernt, hat Samy passend »KunstWerkStadt« getauft.

Insgesamt drei Tage haben wir in dem Haus mit der roten Fassade verbracht, das unscheinbar am Ende eines kleinen Gewerbegebiets in einem niedersächsischen Dorf steht. Wenn Samy aus seiner Küche durch die Terrassentür nach draußen tritt, steht er mitten im Wald. In den achtziger und neunziger Jahren haben Nena, Motörhead oder Udo Lindenberg hier aufgenommen, von dieser Zeit zeugt noch das monströse analoge Pult im Aufnahmeraum. Den Raum haben Samy, Vito und Tony Brown eigenhändig mit Equipment, Synthesizern und Instrumenten aufgefüllt. Im Nebenraum haben sie die Wände mit weißen Spanplatten verkleidet und diese mit Pieces, Tags und allerlei kleinen Kunstwerken verziert – der Raum wurde letztlich zur Kulisse für das Video zur ersten Streetsingle »Hände hoch« und dem Remix mit Megaloh. In Samys kleinem 400-Quadratmeter-HipHop-Wunderland gibt es alles, was sich das Rapperherz wünscht: Aufnahmestudio, Hohlkehle, Video-Set, DJ-Pult, Entertainment-Center, zwei Küchen plus mehrere Gästezimmer. »Ich vergleiche diesen Ort gerne mit dem Eimsbush Bassment«, schwärmt Samy in der ihm eigenen, hamburgischen Nüchternheit.

 

Zweiter Akt: Crossing Over

Einige Wochen später. Vor einer erweiterten Realschule in Berlin-Wilmersdorf parkt der Bus des Crossover-Vereins, jenem sozialen Integrationsprojekt, das Samy Deluxe vor vier Jahren zusammen mit Ex-Basketballprofi Marvin Willoughby und Organisatorin Julia von Dohnanyi ins Leben gerufen hat. Rund 300 Kinder und Jugendliche bekommen in drei Tagen in verschiedenen Workshops von Rap und DJing über Basketball und Gesang bis Graffiti und Breakdance die Gelegenheit, eigene Talente zu entdecken und auszubauen – und ganz nebenbei Werte wie Teamfähigkeit, soziales Miteinander und integratives Handeln zu lernen. Am letzten Abend des dreitägigen Projekts sollen die Schüler vor Eltern und Freunden die Ergebnisse der Workshops in einer Schöneberger Sporthalle präsentieren.

Hinter der Schule unterhalten sich Ali A$ und MoTrip mit ein paar der anderen Coaches über die Erfahrungen des Tages. An einer Wand auf dem Schulhof stehen Scotty76, Samy Deluxe und der Hamburger B-Boy Delles, jeder von ihnen vertieft in das eigene, gerade in der Entstehung begriffene Graffiti-Piece. Samy, von Kopf bis Fuß in schwarz gehüllt, setzt seine Highlights. Er tritt ein paar Schritte zurück, begutachtet den Schriftzug kritisch. Dann ziehen wir uns auf eine Treppe zurück, um einmal mehr über die Entstehung von »SchwarzWeiss« zu sprechen.

»Ich hatte die letzten Jahre in einem Einfamilienhaus in Sasel gelebt, so einem komischen gutbürgerlichen Vorort von Hamburg«, erzählt Samy. »Beim letzten Album ist mir aber klar geworden, dass die Produktionskosten extrem hoch werden, wenn man Studio-Sessions für eine ganze Band buchen muss. Allein für ‘Bis die Sonne rauskommt’ sind locker 3.000 Euro zusammengekommen, ohne dass ich davon schon die Musiker und den Engineer bezahlt hatte. Daher brauchte ich als Produzent und Musiker einen Ort zum Wachsen. Sebas­tian von den Instrumens hatte mir schon vor ein paar Jahren von diesem alten Rockstudio südlich von Hamburg erzählt, aber damals wollte der Bauherr es noch für horrende Preise vermieten. Ende 2009 haben wir ihn dann an einem Punkt erwischt, an dem er die ganze akustische Peripherie rausreißen und eine Lagerhalle draus machen wollte, weil ihm das Ding keiner abgenommen hat. Als ich jedoch diese gemütliche Regie mit dem riesigen Pult sah, wusste ich, dass es genau das Richtige für mich ist. Also habe ich mein Haus gekündigt und bin im März 2010 dort eingezogen.«

 

Und seitdem liefen die Produktionen für das Album?
Ja. Ich habe im ersten Monat gleich 30 Song-Gerüste aufgenommen und vorproduziert. Dann kam im Juni die Band für eine zehntägige Session. Wir hatten auch danach noch einige Sessions – mit Rudy, meinem Gitarristen, oder dem Mundharmonikaspieler von Brixton Boogie, einer Blues-Band aus Hamburg. Einen Tag hatte ich vier Typen aus der String-Section von »König der Löwen« bei mir, die auf sieben oder acht Songs gespielt haben. Diese Sessions haben wir dann als Sample-Material verwendet und daraus binnen eines Jahres das Album zusammengebastelt. Vor zwei Tagen habe ich mit Tony das Master fertig gemacht. Wir haben neben dem Album bestimmt noch 40 ausproduzierte Songs und noch einen Haufen weitere Gerüste und Demos, die für andere Rapper schon albumtauglich wären. (grinst)

 

Du bist während deiner letzten Alben immer tiefer in den Produktionsprozess eingetaucht. Hattest du irgendwann das Gefühl, dass du als Rapper schon alles erreicht hast?
Nein, so denke ich nicht. Bei mir geht es nur um pures Interesse. Ich hatte immer schon viel Liebe für alle HipHop-Disziplinen – Breaken ist das Einzige, was ich noch nie gemacht habe und vermutlich auch nie machen werde. Aber schon 1993 haben Dynamite und ich uns einen Sampler gekauft. Ich habe damals Beats mit Cubase produziert, aber nie auf einem Level, dass ich drüber rappen musste. Außerdem habe ich dann Tropf kennen gelernt, so dass ich zwei Übergenies als Produzenten hatte – daher habe ich das Interesse am Produzieren zeitweilig verloren. Erst 2003 habe ich mir wieder eine MPC gekauft, und einer meiner ersten Beats ist direkt auf Savas’ Remix-Album »Die besten Tage sind gezählt« gelandet [»Alle in einem«-Remix, Anm. d. Verf.]. Ich habe schnell gemerkt, dass ich dafür ein gewisses Talent und Potenzial habe. Mittlerweile bin ich auf einem Level, dass ich jedenfalls sehr gute Demos produzieren kann.

 

Warum hast du das Material aus den Band-Sessions »nur« als Sample-­Quelle verwendet?
Weil mir das zu clean und zu glatt klang. Mir fehlte die Edge. Daher habe ich wieder diese HipHop-Herangehensweise für mich entdeckt. Ich war ja in den letzten Jahren viel unterwegs. Aus London hatte ich mir zum Beispiel einen kleinen Plattenspieler mitgebracht, auf dem ich ein paar Scratches gemacht habe, obwohl das Ding gar nicht dafür geeignet war. In Portland habe ich mir Sample-Platten mit merkwürdigen Cartoon-Sounds gekauft. Aus New York habe ich Texte und Ideen mitgebracht. Über Monate sind all diese Gerüste dann zu Songs gereift. Ich bin wieder darauf geflasht, wie leicht HipHop klingen kann, selbst wenn die Ideen dahinter durchaus vertrackt und komplex sind. Musikalität entsteht nicht zwingend durch Live-Instrumente, HipHop darf auch sehr roh klingen. Einmal hatte ich einen richtig schönen Sample-Beat von den Instrumens, aber ich habe letztlich nur eine Drum Roll aus dem Intro geloopt und darauf geschrieben – weil das eben genau das Element war, das mich geflasht hat. Es geht nicht immer darum, dass man damit protzen kann, dass 20 Leute auf einem Song gespielt haben. Für einen Song wie »Eines Tages« sind Live-Strings und Live-Horns wichtig, aber andere Tracks klingen mit reduzierten Beats viel besser.

 

Dieses Konzept spiegelt sich auch im Albumtitel wider.
Genau. Es geht um Kontraste. Ein guter Rap auf einem schönen, live eingespielten Soul-Beat – da ist kein Kontrast. Für mich müssen dann richtig harte, programmierte Drums reinkommen oder man verwendet einen Bitcrusher-Effekt. Ich war sehr inspiriert von Jean-Michel Basquiat und seinem Verständnis von Kunst. Ich gehe meine Musik so an wie er seine Bilder. Wenn eine Stelle im Bild nicht cool war, hat er sie einfach übermalt. Am Ende hat er die Leinwand hingelegt und ist mit seinen Schuhen drübergelaufen. Seine Fußabdrücke wurden Teil des Bildes. Teilweise ist Zerstörung eben auch Aufbau. Daher war diese Produktion auch sehr vom Wahnsinn geprägt. Es gab viele Sessions, wo die Musiker ab drei, vier Uhr morgens draußen waren, ich aber noch bis zehn Uhr weitergearbeitet habe.

 

Du scheinst dich in deiner »KunstWerkStadt« sehr wohlzufühlen.
Es ist seltsam. Sobald ich an diesem Ort bin, muss ich kreativ werden. Ich kann dort nicht chillen, obwohl ich einen Flatscreen und tausende DVDs habe. Meistens komme ich an und gehe mit meinem MacBook direkt ins Studio. Dann höre ich den Beat, den ich unterwegs gemacht habe, erstmals auf großen Lautsprechern – und das ist dann die Motivation, ans Mic zu gehen und aufzunehmen. Ich bin einfach wahnsinnig inspiriert und spüre, dass dieser Ort viel mehr von mir will als dass ich dort nur schlafe, rumhänge und ab und zu was einrappe. Für mich ist es eine einzigartige Möglichkeit und ein Privileg, diesen Ort gefunden zu haben. Ich kenne größere Acts als mich, die kleinere Studios nutzen. (grinst) Deshalb nehmen wir hier Tag und Nacht auf und so ist auch nach dem Album noch diese JUICE Exclusive EP des Schreckens entstanden.

 

Jay-Z würde sagen: »I guess I got my swagger back.«

Ich war echt wieder auf dem HipHop-Film. Ich hatte auch einfach wieder ein paar Rap-Platten gehört, die mich inspiriert haben – das Slaughterhouse-Album, J. Coles »Warm Up«-Mixtape, »Relapse« von Eminem… dadurch habe ich wieder Feuer gefangen. Also bin ich mit diesem Ansatz in die Produktion gegangen. Ich habe dann sogar vier richtig gute Radio-Singles einfach weggeschmissen, über die sich mein Label sehr gefreut hätte. (grinst) Obwohl ich diesmal mit einem anderen A&R als bei der letzten Platte zusammengearbeitet habe, und zwar mit Götz Gottschalk. Der hat die echten HipHop-Momente härter gefeiert als die potenziellen Radio-Singles. Das hat mich bestätigt und darin bestärkt, dass Rappen richtig geil ist. (lacht) Neben Götz waren dafür auch Leute wie Dynamite und Tony Brown sehr wichtig. Es ist eben ein richtiges HipHop-Album geworden – ein Männeralbum. (grinst) Allerdings durchaus eins mit Melodien und Gesang.

 

Hatte es auch damit etwas zu tun, dass es das letzte Album deiner ­Vertragsperiode bei EMI ist?
Die EMI hat zwar schon signalisiert, dass sie meinen Deal gerne verlängern würde. Aber ich habe das Album schon in dem Spirit aufgenommen, dass es mein letztes Album beim Major ist.

 

Und du hast es vollends ausgekos­tet, dass du noch einen »alten« Deal hast.
Klar. Es ist natürlich großartig, dass ich noch einen Deal habe, in dem recht ansehnliche Videobudgets drin sind – die sind heutzutage komplett irreal. Da ich die Budgets selbst verwalte, können wir aber viel wirtschaftlicher arbeiten. Ich schätze, bis zum Ende des Jahres werden wir rund zehn Musikvideos und ungefähr 100 Clips bzw. Kurzfilme über die Entstehung droppen.

 

Haben die Kritiken zum letzten Album an deiner MC-Ehre gekratzt?
(murmelt) Ich weiß nicht. Ich glaube, so einige Sachen haben an meiner MC-Ehre gekratzt in den letzten Jahren. Irgendwas muss da passiert sein. (grinst) Jedenfalls will ich mich nicht schlecht fühlen müssen als Rapper, nur weil ich ab und zu Bock habe zu singen. Trotzdem habe ich diesmal extrem mit HipHop-Werten und -Herangehensweisen gearbeitet, schließlich wurde ich ja auch als Rapper gesignt. Von jemandem bei der EMI kam zwischendurch mal die Aussage, dass ich potenziell ein kredibler Popstar sein könnte. Das funktioniert aber nur, wenn die Zeit das auch zulässt. Ich bin nicht der Sänger, der mal rappt, sondern der Rapper, der mal singt. Auf dem neuen Album ist nur ein einziger gesungener Song, nämlich »Eines Tages«, und der bedeutet mir extrem viel. Das ist auch keine Pop-Ballade, sondern eine HipHop-Ballade.

Du hast auch mit Max Herre ­gearbeitet, der aus dem HipHop kommt, aber zuletzt eine Singer-Songwriter-Platte gemacht hat. Wie kam das?
Ich hab ja auf dem Remix von Joys Single »Niemand« gerappt. Max hat mich dann angerufen und mir Props für meinen Verse gegeben. Ich habe ihm im Gegenzug gesagt, wie sehr ich auf den »Niemand«-Beat flashe. Diese erdigen, dreckigen, crispy Drums… Ich wusste gar nicht, dass der Beat von ihm und seinen Jungs, also von KAHEDI ist. Für mein Album suchte ich noch ein Uptempo-Ding à la The Roots und Cody Chesnutt. Also hat er mir den Beat zu »Straßenmusik« geschickt – ich musste ihn echt dazu überreden, dieses dreckige, rohe Ding rauszuschicken. (lacht) Kurze Zeit später war ich in New York und bin da einen ganzen Tag lang alleine rumgelaufen. Abends war ich noch extrem gut Jamaikanisch essen, kam dann ins Hotelzimmer und habe diesen Text runtergeschrieben. Das ist poetisch sicher einer meiner interessantesten Texte, obwohl er gerade mal innerhalb von einer guten Stunde entstand. Morgens bin ich dann in Hamburg gelandet, hab mir einen Leihwagen genommen, bin direkt ins Studio gefahren und habe Tony, der gerade aufgestanden war, den Beat schon mal zum Reinladen gegeben. Als er dann vom Duschen zurückkam, hatte ich auch schon alle drei Strophen in einem Take aufgenommen. Das waren vielleicht so zehn Minuten Aufnahmezeit. Am Ende hat Max dann noch die Hook eingesungen. Wir werden auch ein Video dazu drehen, denn in meinen Augen ist das ein sehr langlebiger Song, den man immer wieder hören und spielen wird – obwohl er so schnell und spontan entstanden ist.

 

Ihr habt ja 1999 zusammen mit den Stieber Twins auf »Malaria« gerappt. Wie war euer Verhältnis in den letzten zehn Jahren zueinander?
(denkt nach) Wir hatten beide Zeiten, in denen unsere Egos so groß waren, dass wir nicht realisiert haben, wie wenig kreative Leute es in Deutschland gibt, mit denen man sich auf diesem Level austauschen kann. Wir haben uns nie offen gestritten, aber es gab schon komische Momente, wenn wir uns getroffen haben. In den letzten Jahren sind wir aber beide viel reifer geworden. Jetzt hat es uns beide geflasht, zusammen so schnell so etwas Gutes zu machen.

 

In vielen Loops und Samples auf der Platte stecken Teile deines Lebens, so wie auf »Rapgenie«, wo du die Stimme deines Sohnes gesamplet hast.
Ja. Zu der Zeit war ich extrem von den Bangladesh-Produktionen inspiriert. Ich hatte mir die größten »Beats by Dre«-Kopfhörer gekauft und besaß somit zum ersten Mal Kopfhörer, mit denen man sich anmaßen könnte, einen vernünftigen 808-Beat zu bauen. Den Beat habe ich in Portland mit meinem Sohn im Hotelzimmer gebaut. Ich wollte eigentlich seine Stimme für den Song »Doppelt VIP« samplen – er sollte »Papa« sagen, doch er hat immer »Baba« gesagt. (lacht) Eine Silbe davon habe ich dann als Hauptsample genommen. Die Drum-Sounds und Snare Rolls habe ich gefunden, indem ich »Drumline« gegooglet und auf YouTube nach entsprechenden Videos gesucht habe. Der Beat funktioniert vor allem durch das Arrangement und die Struktur. Wenn ich solche Beats mache, bin ich ab jetzt einfach »Samladesh«.

 

Außerdem hast du nach »Vatertag« wieder einen Song für deinen ­Vater ­geschrieben, der im letzten Jahr ­verstorben ist: »Vater im Himmel«.
Ich schreibe am meisten, wenn in meinem Leben extreme Dinge passieren. Als mein Vater gestorben war, kam ein paar Wochen später ein Beat von Rudy, meinem Gitarristen. Das war über Weihnachten und Silves­ter 2009, als ich für einen Monat in Portland war. Das Thema saß anscheinend so tief, dass es ganz natürlich zum Vorschein kam. Ich merke das teilweise gar nicht, wie sehr mich bestimmte Themen belasten, bis ich einen Beat höre und die Idee bekomme, darüber zu schreiben. Natürlich analysiert jeder seine Probleme im Leben, in der Beziehung oder im Job. Aber als Rapper lernt man viel über sich, indem man Texte über Themen schreibt, die einen unterbewusst oder bewusst beschäftigen. Man lässt Momente Revue passieren und merkt, wie wichtig sie für einen waren. Ich habe dadurch viel über meine Emotionslage gelernt. Auch wenn Hörer den Song als traurig wahrnehmen werden, ist »Vater im Himmel« für mich ein sehr neutraler Song. Ich kann den komplett emotionsfrei hören und nur auf den Flow und den Beat achten.

 

»Vatertag« war ja eine Anklage gegen deinen abwesenden Vater, die du auch live immer wieder performt hast.
Und »Vater im Himmel« ist die Entschuldigung für diesen Song. Weißt du, ich bin kein besonders spiritueller Mensch, aber ich glaube schon an die Wirkung von gebündelter negativer Energie. Wenn eine Person auf dich berechtigterweise extrem wütend ist, diese Gedanken in ein Lied einfließen lässt, das von tausenden Leuten gehört und vor tausenden Leuten vorgetragen wird, dann hat das mit Sicherheit bestimmte Auswirkungen. Und es war wirklich so: Genau zwei Tage nach dem Abschlusskonzert der »Dis wo ich herkomm«-Tour hat mich meine Mum angerufen und mir von seinem Tod erzählt.

 

Ich habe noch einige Fragen auf meinem Zettel, doch nach der letzten Antwort ist Samy beängstigend still geworden. Und irgendwie fehlt mir jetzt, in diesem Moment, auch das Bedürfnis, weiter über Rapmusik und Produktionstechnik abzunerden. Wir beenden unser Gespräch und einigen uns darauf, uns auf dem splash!-Festival noch einmal zu treffen, um das Interview zu einem angemessenen Ende zu führen.

 

Dritter Akt: Splash!

Dienstagmittag, ich treffe Tony Brown an der Weltzeituhr am Alexanderplatz. Samy traut diesem Internet immer noch nicht so recht über den Weg und hat ihm das Master der JUICE Exclusive EP »Baus Kingskis Late Night Sessions« als gebrannte CD mitgegeben. »When it comes to writing, this guy is a beast«, lacht Tony, als er mir das Produktionsmaster mit zehn exklusiven Tracks überreicht. »Das Artwork wird Samy dir persönlich geben, wenn wir uns beim splash! wiedersehen.« Ich schlage vor, noch einen Kaffee zu trinken, doch Tony muss schnell weiter nach Köln, zum nächsten Gig.

 

Plötzlich ist schon der Samstagabend in Gräfenhainichen gekommen. Wir lungern seit eineinhalb Tagen wie jeden Sommer in der tiefsten ostdeutschen Provinz herum. Samy Deluxe hat den Headliner-Slot um Mitternacht bekommen, nach Casper, Marteria und Aloe Blacc. In dem Moment, wo er die Bühne betritt, ist es sein Publikum. Wie ein wahrer Zeremonienmeister hat er die absolute Kontrolle über die Masse. Ein einziges Erheben seiner Stimme reicht, um Tausende von Menschen zu wildem Herumspringen oder zu haltlosem Jubel zu bewegen. In der Zugabe holt er Megaloh auf die Bühne, um gemeinsam mit ihm den »Hände hoch«-Remix zu performen.

Anschließend stehen Megaloh, MoTrip und MC Sadri zusammen mit den Mitgliedern der Tsunami Band vor dem Nightliner, reden und lachen, trinken und rauchen. Drinnen sitzt Samy erschöpft, aber glücklich an einem Tisch vor seinem MacBook. »Heute war sehr schön, weil technisch alles geklappt hat«, stöhnt er erleichtert. »Ich hatte auf der Bühne extreme Glücksmomente. Das ist genau der Grund, warum man das macht. Ich hatte in letzter Zeit auch ein paar Gigs, die für mich richtig scheiße waren, einfach weil bestimmte Sachen nicht rund gelaufen sind. Ich bin nicht der härteste Perfektionist, aber die technischen Faktoren sind halt schon extrem wichtig.«

 

Was hat zu der Entscheidung geführt, Megaloh als einzigen Gast auf die ­Bühne zu holen?
Ich habe ihn ja früher schon gefeiert, dann aber für ein paar Jahre aus den Augen verloren. Ich habe ihn halt gerade wiederentdeckt, wegen seines Parts auf dem Joy-Remix. Er ist einfach einer der krassesten Rapper in Deutschland, hat eine krasse Stimme und eine einzigartige Wortwahl, nicht dieses Standard-Phrasengedresche – das hat mich schon immer an ihm fasziniert. Er hat meine Strophen auf dem Remix hart geburnt. (lacht) Aber ich bin kein Fan davon, die eigenen Strophen im Nachhinein noch zu ändern. Das haben andere MCs bei mir früher gemacht und ich fand das immer scheiße. Jedenfalls war es eben ein sehr cooler Moment, als wir nebeneinander auf der Bühne standen.

 

Neben Megaloh sind auch MoTrip und Ali A$ auf deiner JUICE Exclusive EP gefeaturet. Was für ein Statement willst du damit transportieren?
Das sind die drei Rapper, von denen ich technisch geflasht bin und die ich auch als Menschen sehr mag. Mega kenne ich ja schon länger – Wahnsinnsstimme, Wahnsinnstyp. MoTrip habe ich vor ein paar Monaten über Vito kennen gelernt [der mittlerweile auch MoTrips Live-DJ ist, Anm. d. Verf.]. Dann hatte ich ihn als Rap-Coach bei einem Crossover-Workshop dabei und habe ihn auch als Person sofort gefeiert. Und Ali ist einfach immer drangeblieben, auch wenn die Leute da draußen das nicht checken. Seit ein paar Wochen flashe ich jedenfalls im Kopf komplett auf diese Slaughterhouse-Idee. Mega, Mo und Ali sind die drei Rapper, mit denen ich so was gerne in Deutschland aufziehen würde.

 

Und du wärst in dieser Konstellation der deutsche Eminem?
Nein, der gehört ja nicht richtig dazu. Ich wäre eher Royce. (lacht) Ich will mit drei anderen krassen MCs zusammen rappen. Ich will, dass wir uns im Studio einschließen, krasse Beats suchen und zusammen auf der Bühne stehen. Das bringt auf diesem Niveau einfach so einen Spaß… Viele haben diese Kunstform leider aus dem Blick verloren. Ich mag Rapper, mit denen man abends ins Studio geht, um am nächsten Morgen einen krassen Song zu haben. Das ist mein Mindestanspruch.

 

Wie wahrscheinlich ist denn diese Kollabo? Manche Fans wünschen sich auch eine Neuauflage von ASD oder ein drittes Dynamite Deluxe-Album.
Das kann man nicht sagen. Erst mal müssen die ihre eigenen Projekte an den Start bekommen. Vielleicht mache ich auch mal wieder was mit Afrob, vielleicht ein Dynamite Deluxe-Album. Das muss sich halt immer fügen. Jetzt ist erst mal mein neues Soloalbum draußen. Die JUICE-EP ist draußen, wenn ihr das hier lest. Und ich habe noch richtig viele Videos, Remixes und Specials gemacht, zum Beispiel gibt es noch einen Rap-Remix von »Eines Tages«. Bis zum Ende des Jahres werdet ihr also gut mit meinem Output beschäftigt sein. (lacht)

 

Im Hintergrund wird die Backline in den Nightliner eingeladen. Samy steht auf, verlässt den Tourbus, schlägt mit den drei Rappern ein, unterhält sich freundschaftlich, wirkt jetzt gelöst. Einmal mehr wird klar, was ihn zu einem Ausnahmekünstler an der schmalen Spitze der Deutschrap-Pyramide macht: Neben unbestreitbaren Fähigkeiten am Mic ist es vor allem sein natürliches Charisma, seine Unbeirrbarkeit und der unbedingte Drang zum stetigen Nachweis der eigenen Kreativität, der permanenten Weiterentwicklung. Dabei akzeptiert er keinen Maßstab außer seinen eigenen. Denn Mr. Deluxe ist für sich selbst die klare Nummer eins.

 

Plötzlich ruft Manager Sebastian die Band und den Baus in den Bus. Es muss losgehen zum Open Air Frauenfeld in der nordöstlichen Schweiz, wo Samy am Sonntagnachmittag einen der letzten Festival-Slots spielen soll. Eine Fahrt von sechs, sieben Stunden, je nach Verkehr. Wenige Minuten später rollt der Nightliner vom Gelände. Im Morgengrauen wird er ankommen.

 

Text: Stephan Szillus

 

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