»Ich mag es, bei der Arbeit allein zu sein« // Clams Casino im Interview

-

Clams-Casino

Nutley ist nicht unbedingt der Nabel der HipHop-Welt. Eine verschlafene Vorstadt, nur zehn Meilen ­Luftlinie nordwestlich vom hektischen Manhattan, aber man könnte meinen, irgendwo im mittleren Westen gelandet zu sein, sobald man mit dem Auto den New Jersey ­Turnpike überquert hat. Beinahe wie im »Weeds«-Vorspann stehen die Einfamilienhäuser hier fein säuberlich aufgereiht nebeneinander, die Rasenflächen manikürt, die frisch gewaschenen SUVs in der Auffahrt. Nutley ist die Art Nachbarschaft, in der sich Nachbarn noch mit Vornamen begrüßen. Obwohl seine Musik diese Stimmung nicht unbedingt widerspiegelt, ist der HipHop-Produzent Clams Casino gerne hier zu Hause. Mit dem Hipster-Mikrokosmos Williamsburg hat er genauso wenig zu tun wie mit dem geschäftigen Hustle in den Straßen von Harlem, wo seine besten Kunden leben.

2011 war das Jahr von Clams Casino. Nur wenige Producer haben es in den letzten zwölf Monaten geschafft, eine ähnliche Aufmerksamkeit von Blogs und Meinungsmachern zu generieren. Nicht nur die HipHop-Szene liebt seine vertrippten, verträumten Soundlandschaften, die er für Lil B, Soulja Boy, A$AP Rocky und zuletzt sogar für Casper gebaut hat. Auch die weltweite Beatnerd-Blase hat schnell erkannt, welch enormes Talent in dem schüchternen Mittzwanziger schlummert. Als er im letzten Frühjahr sein »Instrumental Mixtape« ins Internet speiste, vermuteten viele hinter den flächigen Beats einen in der elektronischen Musikkultur der letzten 20 Jahre geschulten Hipster aus London oder L.A., einen kiffenden Visionär wie Flying Lotus oder einen intellektuellen Subkulturvordenker wie Kode9. Immerhin verschnitt er mit nonchalanter Selbstverständlichkeit trockene Eastcoast-Snares mit New-Age-Samples und ätherischen Frauenvocals zu einem emotionalen HipHop-Aufguss, der nichts und gleichzeitig alles neu machte. Als wenige Monate später die »Rainforest«-EP mit fünf weiteren verschrobenen ­Instrumentals über die britische ­Electro-Institution Warp erschien und Clams Casino damit zumindest für dieses Projekt zum Labelmate von Hudson Mohawke, Rustie oder Grizzly Bear wurde, passte das für den gemeinen Fensterglas­brillenträger natürlich perfekt ins Bild.

Nichts könnte weiter von der Wirklichkeit entfernt sein. Clams Casino ist ein unscheinbarer Physiotherapeut aus New Jersey, der sich nach einer Muschelvorspeise aus Rhode Island benannt hat (die er laut eigener Aussage noch nie probiert hat) und mit der intellektuell-subkulturellen Blase, die ihn da plötzlich vereinnahmen wollte, bis dato keinerlei Berührungspunkte hatte. Mit Begriffen wie Chillwave und Witch House, die ihm begeisterte »Pitchfork«-Schreiber auf einmal um die Ohren knallten, konnte er rein gar nichts anfangen. Nein, Clams Casino ist ein ganz normales HipHop-Kid aus der Vorstadt: Er mag den klassischen Gangsta-Rap aus Harlem und Queens, zu seinen ­Lieblingsproducern gehören The RZA und The Alchemist, und wenn er eines seiner raren iPad-DJ-Sets spielt, dann laufen eher Mobb Deep und Gucci Mane als obskure Post-Dubstep-Remixe. Mit seinen fünf Beats für A$AP Rockys »Live.Love.A$AP«-Mixtape hat er trotzdem oder gerade deshalb den heißesten Rap-Scheiß des ausgehenden Jahres 2011 serviert. JUICE-Fotograf und -Autor Alexander Richter machte sich auf den Weg aus New York über den Hudson River, um den scheuen Produzenten der Stunde in seiner natürlichen Umgebung kennen zu lernen.

Kannst du dich unseren Lesern bitte vorstellen?
Mein Name ist Clams Casino. Ich bin 24 Jahre alt und ein Producer aus Nutley, New Jersey. Ich produziere seit zehn Jahren Beats, damals war ich gerade in die High School gekommen. Ich habe mit HipHop angefangen, aber inzwischen mache ich auch jede Menge anderes Zeug. Trotzdem mag ich es immer noch am liebsten, HipHop-Beats für Rapper zu produzieren.

Mit welchem Equipment hast du ­angefangen?
Damals mit Hardware. Ich hatte einen billigen kleinen Yamaha-Sampler, mit dem ich viel Spaß hatte. Aber nach ein paar Jahren bin ich komplett auf Software umgestiegen, zunächst auf Fruity Loops und dann auf Acid Pro. Damit arbeite ich heute noch. Mit ­Hardware habe ich nichts mehr zu tun, ich bin komplett auf Software hängen­geblieben.

Wie sieht dein Studio-Setup heute aus?
Ein Laptop, eine Maus, ein paar gute Boxen und ich bin glücklich. (lacht)

Wie würdest du selbst deinen ­charakteristischen Sound beschreiben?
Ich habe keine Ahnung. Ich werde das ­ständig gefragt, weiß aber wirklich nicht, wie ich das beantworten soll.

Vielleicht muss man sich dazu vor Augen führen, welche Musik du als Jugendlicher gehört hast.
Ja. Viele Leute denken aus irgendeinem Grund immer, ich hätte nur total verrücktes elektronisches Zeug gehört. Die Wahrheit ist: Ich bin mit Cam’ron und The Diplomats aufgewachsen, mit 50 Cent und G Unit. Und ich habe The Pack geliebt, eine HipHop-Gruppe aus der Bay Area. Young L von The Pack ist eine meiner größten Inspirationen als Produzent. Sie waren einfach dope und immer schon eine meiner ­Lieblingsgruppen.

Du kannst also ein richtig ­solides ­HipHop-Fundament in deiner ­Sozialisation vorweisen.
Ja Mann, definitiv. Viele denken, dass ich verrücktes Zeug gehört habe, weil ich selbst anscheinend sehr seltsame Musik ­mache, aber das liegt einfach nur an meinen Sample-Quellen. Ich liebe es nun mal, ganz abgefahrenes Zeug zu samplen – oder ganz normale Sachen zu samplen und sie abgefahren klingen zu lassen. Was ich sample, ist aber nicht zwingend die Musik, die ich auch privat höre oder gehört habe.

Wenn du mit Dipset aufgewachsen bist, warum machst du dann nicht ähnliche Beats wie Just Blaze oder die ­Heatmakerz?
Um ganz ehrlich zu sein, habe ich am Anfang ausschließlich Just Blaze und die Heatmakerz kopiert. Meine Beats ­klangen komplett wie ihre, mit hochgepitchten Soul-Samples und so. Aber nach einigen Jahren war ich selbst gelangweilt davon. Ich fühlte, dass ich experimentieren muss, um meinen eigenen Sound zu bekommen und nicht zu klingen wie jemand anders. Dann erst habe ich den Sound entwickelt, für den man mich heute kennt.

Wie wichtig ist das Internet für deine Arbeit?
Enorm wichtig. Es gibt einfach keine Grenzen mehr. Meine ganze Karriere basiert auf MySpace. Nur dadurch habe ich es geschafft, meine Musik zu den Menschen und den Künstlern zu bringen. Inzwischen bin ich mehr auf Twitter unterwegs, aber generell geht es darum, diese sozialen Netzwerke zu deinem Vorteil zu nutzen. Du kannst machen, was du willst, und die Menschen direkt mit deiner Musik erreichen, ohne dass eine Plattenfirma oder sonstige dritte Parteien involviert wären. Du machst es ganz alleine klar. Also ja, das Internet ist enorm wichtig. Anders wäre es kaum möglich, dass ihr in Deutschland meine Musik kennt.

Wann hast du selbst gespürt, dass deine Karriere an Fahrt aufnimmt?
Ich würde sagen, vor ungefähr zwei Jahren fing es an, dass Menschen Notiz von mir und meiner Musik nahmen. Lil B pickte ein paar Beats von mir, unter anderem »I’m God«, das brachte mir erste Aufmerksamkeit. Der endgültige Wendepunkt war mein »Instrumental Mixtape«, das ich im März 2011 im Internet veröffentlicht habe. Das Teil hat einfach ein Eigenleben angenommen. Ich hatte es einfach nur herausgebracht, weil immer wieder Leute zu mir kamen und meinten, dass sie sehr gerne meine Produktionen für Lil B hören würden, aber eigentlich lieber ohne seine Raps. (lacht) Irgendwann, als ich das wirklich oft gesagt bekommen hatte, entschloss ich mich dazu, die Instrumentals ins Netz zu stellen. Es ist wirklich lustig, dass es viele Menschen gab, die wirklich auf die Beats standen, aber nicht unbedingt auf die Raps.

Warst du von den Reaktionen ­überrascht?
Ja, sehr. Wie gesagt, ich hatte das Tape nur für die Fans hochgestellt, die meine Songs mit Lil B und Soulja Boy kannten, aber sie ohne die Lyrics hören wollten. Ich hatte keine Sekunde an die Presse oder die Medien gedacht. Es ging nur darum, die Fans zu füttern, weil sie mich darum gebeten hatten.

Wie sieht dein Arbeitsprozess im ­Studio aus?
Ich mag es, bei der Arbeit allein zu sein. Wenn zu viele Menschen in meiner Umgebung sind, kann ich mich schlecht konzentrieren. Selbst wenn nur meine Freunde bei mir chillen, bekomme ich nichts gebacken. Ich muss allein sein, wirklich in Gedanken versinken und einfach nur arbeiten. Ich mache mir darüber keine großartigen Gedanken. Wenn man es zu sehr will, dann passiert gar nichts. Normalerweise fange ich einfach an, mit einem Sample herumzuspielen und zu schauen, wo mich das hinführt. Ein paar Ideen ausprobieren und dann einer davon folgen, die funktioniert – das ist mein Arbeitsprozess, einfach gesagt.

Das bedeutet, du machst keine Studio-Sessions mit MCs, sondern schickst ihnen deine Beats per E-Mail?
Ja, bislang ist jede Kollaboration über E-Mail gelaufen. Ich schicke den Künstlern, die ich kenne, meine Beats, und wenn sie etwas finden, dann nehmen sie darauf auf und schicken mir das Ergebnis zurück. Ich möchte das allerdings bald ändern und mal ein paar echte Sessions mit Künstlern machen.

Wie findest du die seltsamen Samples, von denen du gesprochen hast?
Ich benutze verschiedene Filesharing-Programme wie LimeLinx. Dort gebe ich einfach bestimmte Schlagworte ein – je nachdem, was ich suche. Dann lade ich alles herunter, was ich unter diesem Begriff finde, und wühle mich nach dem Zufallsprinzip durch die Files und Ordner. Am liebsten sample ich Sachen, die ich vorher noch nie gehört habe. Allerdings suche ich auch gar nicht mehr so viel, denn in den letzten Jahren hat sich wirklich viel Zeug angesammelt. Ich habe all diese Daten in verschiedenen Ordnern auf meiner Festplatte, so dass ich momentan gar nicht mehr aktiv suchen muss.

Zuletzt hast du mehrere Beats auf dem extrem gefeierten A$AP Rocky-Mixtape »Live.Love.A$AP« platziert. Deine hypnotischen Beats scheinen perfekt zu seinem Rap-Style zu passen.
Ja, wir sind wirklich das perfekte Paar. (lacht) Rockys Raps passen perfekt zu meiner Musik und ich bin sehr glücklich, dass wir miteinander in Kontakt gekommen sind. Ich würde auch wahnsinnig gerne ein komplettes Projekt für ihn produzieren, sei es ein Mixtape oder Album.

In seinen Songs geht es viel um Gras, Codein und andere Drogen. Ist deine Musik ebenfalls von solchen ­Substanzen beeinflusst?
(lacht) Nein. Ich nehme keinerlei Drogen. Ich rauche nicht mal Weed.

Mit welchen Künstlern würdest du ­gerne arbeiten, wenn du es dir ­aussuchen könntest?
Lil Wayne und R. Kelly. Wirklich! Ich will in meinem Leben unbedingt mal mit Kells arbeiten. Generell suche ich einfach ­Herausforderungen und möchte noch mit ganz verschiedenen Künstlern zusammenarbeiten.

Bekommst du mittlerweile viele ­Anfragen?
Ja. Ich muss nicht mal mehr groß Akquise betreiben. Das macht es für mich natürlich viel einfacher. Innerhalb von zwei Jahren hat sich alles komplett geändert. Am Anfang habe ich an alle Rapper, die ich gut finde, meine Beats geschickt, und fast nie eine Antwort bekommen. Das war schon frustrierend. Wenn ein Rapper wie beispielsweise Lil B Interesse an meinen Beats zeigte, dann habe ich ihm einfach immer wieder neues Zeug geschickt, bis er was gepickt hat. Inzwischen werde ich von sehr vielen Rappern angefragt, die meine Arbeit für Lil B oder A$AP Rocky gehört haben.

Hat Lil B dich für deine Beats bezahlt?
Nein, darum ging es mir auch überhaupt nicht. Ich war einfach nur froh, dass ein Rapper wie er meine Beats mochte und etwas damit anfangen konnte. Über Geld habe ich damals nicht nachgedacht. Ich denke auch, das macht zu einem gewissen Maße meinen Erfolg aus. Wenn sich dein Kopf nur auf das Geld fokussiert, dann kannst du dich nicht darauf konzentrieren, einfach nur gute Musik zu machen.

Das bedeutet aber auch, dass du noch nicht von der Musik leben kannst.
Stimmt. Für mich war Musik immer nur ein Hobby. Die letzten Jahre bin ich zur Schule gegangen und habe Beats in meiner Freizeit gemacht. Für mich war es nie ein großes Thema, dafür Geld zu bekommen. Ich hatte eine berufliche Laufbahn eingeschlagen, die nichts mit Musik zu tun hat – ich wollte Physiotherapeut werden. Ich habe letztes Jahr den Abschluss gemacht und bin nun im Besitz einer Lizenz. Glücklicherweise ging es mit der Musik richtig ab, als ich gerade mit der Schule fertig wurde. Jetzt hoffe ich natürlich, dass es mit der Musik klappt. Es läuft ganz gut an. Aber wenn nicht, dann kann ich immer noch als Physiotherapeut arbeiten.

Interview: Alexander Richter
Einleitung & Übersetzung: Stephan Szillus

3 Kommentare

Kommentieren Sie den Artikel

Bitte geben Sie Ihren Kommentar ein!
Bitte geben Sie hier Ihren Namen ein