»Viele haben uns für Idioten gehalten. Jetzt haben sie sich damit auseinandergesetzt und gesehen, dass wir weder Idioten noch Spasten sind, sondern einfach gut Party machen und eine geile Stimmung verbreiten.« // Die Atzen im Interview

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Frauenarzt und seine Mannen haben gerade ihr erfolgreichstes Jahr ­inklusive Top 10-Hit und Goldener Schallplatte hinter sich. 2010 beginnt ebenfalls vielversprechend: »Disco Pogo«, die erste Single vom zweiten »Atzen Musik«-Sampler, hat als höchster Neueinsteiger der ­Woche auf Platz 12 die deutschen Singlecharts geentert und ist in der zweiten Woche auf Platz 6 ­gestiegen. Ein Ende des Höhenflugs ist nicht abzusehen: Die Atzen, die sich für Live-Auftritte mittlerweile in zwei Teams ­aufteilen ­mussten, um die Flut von Anfragen einigermaßen bewältigen zu können, sind bis Ende des ­Jahres ­ausgebucht. Und in jeder Stadt warten hunderte, bisweilen tausende Feieratzen ungeduldig. Alle, die ­befürchtet oder gehofft hatten, »Das geht ab!«, der mit Abstand erfolgreichste deutsche Rap-Song 2009, sei nur eine Eintagsfliege und der Hype um Atzen Musik allenfalls ein Strohfeuer gewesen, müssen sich wohl oder übel langsam an den Gedanken gewöhnen, dass die bunt gekleideten Jungs gekommen sind, um zu bleiben. ­Möglicherweise nicht nur die ganze Nacht – sondern noch viel, viel länger.

Als Gründe dieses für viele überraschenden Erfolges der Posse um die beiden Bassboxxx-Gründungsmitglieder Frauenarzt und Manny Marc lassen sich mehrere Umstände anführen. Arzts kompromisslose und unbeirrbare Art, seit über einem Jahrzehnt sein Ding musikalisch wie textlich durchzuziehen, mag einer davon sein. Dass Electro-Einflüsse und trashige Achtziger-Jahre-Referenzen nicht nur in der HipHop-Szene quasi zum guten Ton gehören, ist ein anderer. Auch die vorsichtige Öffnung zum ehedem verteufelten Mainstream durch eine spürbare Reduzierung des Gebrauchs von expliziten Textbausteinen war sicher hilfreich. Eine besonders wichtige Rolle dürfte jedoch das hohe Identifikationspotenzial der Projektionsfläche »Atze« spielen. Dieser bereits zur Genüge durchdeklinierte Begriff, der bekanntermaßen aus dem Altberlinerischen stammt und soviel wie »großer Bruder« bedeutet, schließt niemanden aus und tut niemandem weh, ist einerseits so diffus und vage, dass jeder ihn nach eigenem Gusto für sich interpretieren kann und andererseits dennoch einprägsam genug, um als Branding einer gewissen Lebenseinstellung zu dienen, die den Zeitgeist perfekt auf den Punkt bringt: Klimawandel, Hartz IV, Wirtschaftskrise – alles geht den Bach runter, aber trotzdem oder gerade deshalb wollen wir feiern, saufen, ausrasten. Allerdings sollte man nicht den Fehler machen, das Atzending auf eine Art Ballermann-Dauereskalation zu reduzieren. Denn dass Frauenarzt, Manny Marc, Sady K, Smoky, Evil Hectorr, Kid ­Millennium und Atze Major durchaus mehr im Sinn haben als Komasaufen, Pogo und nackte Weiber, wurde beim Gespräch in großer Runde deutlich. Auch wenn sie sicher keiner Party aus dem Weg gehen.

Das vergangene Jahr verlief sehr erfolgreich für euch. Wie habt ihr euren späten Durchbruch erlebt?
Frauenarzt: Das war ein ganz krasser Unterschied zu allem, was wir vorher erlebt haben. Ist ein schönes Gefühl, einfach mal sagen zu können: geil. Es war zwar alles gar nicht so geplant, sondern hat sich einfach ergeben, aber umso schöner ist das Gefühl und umso größer die Bestätigung für uns.
Manny Marc: Am Anfang gab es ja viele Vorurteile, mit den Atzen wollte keiner etwas zu tun haben. Viele haben uns für Idioten gehalten. Jetzt haben sie sich damit auseinandergesetzt und gesehen, dass wir weder Idioten noch Spasten sind, sondern einfach gut Party machen und eine geile Stimmung verbreiten. Auch ältere Journalisten, die zwei, drei Tage mit uns unterwegs waren, waren hinterher überzeugt von unserer Energie, unserer Ehrlichkeit und Authentizität. Familienväter, die sonst eher Led Zeppelin hören, sagen auf einmal: »Ich bin auch ein Atze!«

Also stimmt der vielzitierte ­Marketingslogan von der “Bewegung” bei euch ausnahmsweise?
Manny Marc: Wir sind eben volksnah. Wir bleiben bei jeder Party bis zum Schluss und unterhalten uns mit den Fans. Die Leute haben etwas zum Anfassen, die sehen uns nicht nur mal kurz auf der Bühne, bevor wir wieder verschwinden, sondern wir sind für alle da, jeder bekommt sein Foto. Wir stellen uns nicht über die Fans – wir sind Fans von unseren Fans.
Atze Major: Der Kontakt zu den Fans ist wichtig, ohne die wären wir ja nicht das, was wir sind. Und deren Freundinnen zu ficken, das ist natürlich auch sehr wichtig. Das wollen die ja auch, sonst würden sie ja nicht mit ­ihren Freundinnen kommen. (lacht)
Frauenarzt: Man kann eine Bewegung nicht planen. Entweder machen es die Fans zu einer Bewegung oder halt nicht. Mit uns und dem Atzending können sich viele identifizieren, jeder kann ein Atze sein, das schließt niemanden aus. Besonders stolz sind wir, dass wir das alles ohne Majorlabel geschafft haben. Kontor ist natürlich ein großes Label, aber immer noch unabhängig. Wir entscheiden alles ganz spontan, von heute auf morgen. Nicht wie bei einem Major, wo alles jahrelang geplant wird und man kuckt, was gerade angesagt ist und wohin der Trend geht.
Manny Marc: Unsere neue Single »Disco Pogo« haben wir ja einfach als Free-Track rausgehauen. Dann meinten die von Kontor zu uns: »Hey, was ist das für ein geiler Track?«
Frauenarzt: Drei Tage später stand fest, dass es die Single wird. Drei ­Wochen später haben wir das Video gedreht. Noch drei Wochen später kam die Single raus und ist in den Charts auf 12 eingestiegen.

Großen Anteil an eurem ­Durchbruch hatte das inzwischen vergoldete »Das geht ab!«. Wann habt ihr denn gemerkt, dass das ein richtiger Hit wird?
Frauenarzt: Eigentlich war »Das geht ab!« für uns schon gelaufen, weil ja schon die dritte Single »Ein ganz ­normaler Atze« kam. Die Leute haben »Das geht ab!« aber weiter gefeiert. Wir sind ja auch nur im Olympia­stadion aufgetreten, weil die Fans es da ohnehin schon längst gesungen haben. Nachdem wir es dann beim Spiel Hertha gegen Leverkusen mit den Fans zusammen performt haben, sind die Dämme endgültig gebrochen, dann war MTV auch bereit, das Video zu spielen, das sie vorher nicht so relevant fanden. Und die Majorlabels, denen wir es schon davor vorgespielt hatten, fragten uns plötzlich, ob sie es als Single herausbringen dürften. Die haben gar nicht gepeilt, dass wir längst bei Kontor waren.

Hilft es euch dabei, bodenständig zu bleiben, dass ihr lange aktiv wart, bevor der große Erfolg kam?
Frauenarzt: Auf jeden Fall. Viele ­drehen ab, weil sie sofort aus dem Stand von null auf hundert durchstarten. Das ist zu viel für die, die ­kommen nicht mehr klar. Und wenn der Erfolg dann wieder weg ist, ­kommen sie erst recht nicht mehr klar. Viele fangen bei Erfolg auch an, alle anderen wie Dreck zu behandeln. Bei uns wird jeder gleich behandelt, ob es der Putzmann im Club, der Türsteher, der Veranstalter oder die Frau an der Kasse ist. Das ist so, weil wir langsam nach oben gekommen sind, wieder runtergeworfen wurden und uns noch mal wieder hochgekämpft haben, Stück für Stück.

Ihr habt letztes Jahr um die 150 Live-Shows absolviert. War das nicht sehr anstrengend?
Manny Marc: Absolut. Aber es macht trotzdem immer noch Riesenspaß. Und obwohl wir in Diskotheken teilweise vier- oder fünfmal aufgetreten sind, sind sie jedes Mal voller geworden und das Publikum ist jedes Mal mehr abgegangen. Die Nachfrage war so groß, dass wir uns inzwischen in zwei Live-Teams aufgeteilt haben: Arzt, Sady K und ich einerseits und Smoky, Kid Millennium und Evil ­Hectorr andererseits.

Die Atzen auf Tour, ist das so ­ähnlich wie eine Klassenfahrt?
Evil Hectorr: So kann man sich das vorstellen. Wir machen nur Blödsinn, kaufen uns Überraschungseier, ­basteln – und wenn einer einschläft, wird an seinem Ohr rumgespielt.
Kid Millennium: Der Eine ist nur auf Bass, der Andere raucht selbstgedrehte Zigaretten, der Dritte trinkt Jägermeister wie Wasser. Man kann vier Wochen am Stück unterwegs sein, immer auf Achse, nur zwei Stunden pennen und wird nicht krank.
Atze Major: Wir müssen nicht auf unser Benehmen oder unsere Texte achten, weil wir nichts darstellen, was wir nicht sind. Wir hauen einfach alle auf die Kacke.
Frauenarzt: Bushido sagt es in ­seinem Film ja auch: Auf Tour verschmilzt alles, du weißt nicht mehr, was ges­tern war. Vergangenheit, Gegenwart, Zukunft – alles ein Matsch. In einem Moment bist du in einem VIP-Club mit Jürgen Drews, Fernsehsendern, Ralph Siegel, Champagner – und am selben Abend hast du in einer anderen Stadt einen Gig in einem kleinen Club, vor 2.000 Atzen mit freiem Oberkörper und einer Scheißanlage. Das ist so ein krasser Szenenwechsel.
Manny Marc: Nach der Tour liegst du erstmal einen ganzen Tag flach, allein vom Kopf her, man kommt nicht dazu, das alles zu verarbeiten, die ganzen Eindrücke. Auch körperlich ist man erschöpft, wir machen ja nicht die klassische HipHop-Hände-hoch-Nummer, sondern gehen zwei Stunden auf der Bühne richtig ab, springen rum, rasten aus und sind hinterher jedes Mal so klitschnass, dass du die Hosen auswringen kannst. Das geht an die Substanz. Deshalb muss man auch auf seine Gesundheit achten. Man muss sich angewöhnen, wenigstens einmal die Woche einen Salat zu essen und viel Wasser zu trinken. Am besten gar keinen Alkohol.

Klar doch!
Manny Marc: Na ja gut, ein, zwei Bierchen auf der Bühne trinken wir schon, ab und zu hauen wir uns auch mal ein paar Tequila rein, aber mehr geht nicht, das ist meistens schon zu viel. Am nächsten Tag hat man dann einen Schädel. Aber wenn man auf der Bühne steht, ist sowieso wieder alles vergessen.

Habt ihr ein paar spaßige ­Anekdoten vom Tourleben parat?
Smoky: Es gab im Dezember eine krasse Autofahrt von Österreich durch Tschechien im totalen Schneechaos. Die hat 14 Stunden gedauert. Und man konnte die Navi-CD nicht aus dem Player holen, also mussten wir die ganze Zeit Radio hören.
Kid Millennium: Zuerst kam Achtziger-Rock, da hat man sich voll gefreut, aber auf einmal kam tschechischer Electro, richtig harte Scheiße. Mittendrin hat die Moderatorin plötzlich irgendetwas ganz Wildes erzählt – hat sich angehört, als ob sie echt sauer wäre. Dann kam auf einmal wieder Achtziger-Rock und plötzlich Nachrichten auf Österreichisch. Der Tag davor war aber auch geil, da standen wir auf dem Weg nach Kassel im Monsterstau und kamen in drei Stunden sieben Kilometer voran. Ein Hotel war nicht mehr zu bekommen, also haben wir eine Ferienwohnung genommen. Wir waren eingeschneit und die Heizung ging nicht. Also haben wir erstmal die Dusche zwei Stunden ­laufen lassen, damit der Dampf ein bisschen Wärme bringt. (Gelächter)

Mit »Atzen Musik Vol. 2« veröffentlicht ihr wieder einen Sampler. Ist es euch wichtig, möglichst vielen Atzen eine Plattform zu bieten?
Frauenarzt: Marc und ich hätten auch zuerst unser eigenes Album machen können, aber wir haben den Sampler gemacht, um zu zeigen: Das ist unsere Posse, die wir pushen wollen. Uns ging es schon immer darum, nicht nur für uns selbst da zu sein, sondern auch für unsere Freunde. Wir probieren, allen zu helfen, mit denen wir cool sind. Smoky ist einfach der loyalste Mensch der Welt, deshalb wird er immer an unserer Seite sein, genau wie Sady K. Die werden wir nie vergessen, die gehören immer dazu. Bei diesem Album sind zum Beispiel auch die Vapeilaz drauf, weil wir die einfach schon ewig kennen und die geile Musik machen. Natürlich stehen Marc und ich gerade sehr im Fokus der Öffentlichkeit, deshalb können wir auch nicht sagen, die nächste Single kommt von Kid Millennium und Atze Major. Es gibt eben immer Zugpferde und die Posse drumherum.

Habt ihr durch den Erfolg beim Aufnehmen mehr Druck gespürt als beim ersten Teil?
Manny Marc: Nein, wir haben einfach wieder gemacht, worauf wir Bock hatten, haben ein paar Leute angerufen und gefragt, ob sie uns unterstützen wollen. Zum Beispiel hat Phillie MC uns bei ein paar Tracks geholfen. Und Jürgen Drews singt einen Chorus. Aber Druck hatten wir keinen. Wir wissen sowieso, dass »Das geht ab!« nicht zu toppen ist.
Frauenarzt: Wir wissen genau, dass der Song einmalig ist. Deshalb haben wir auch nicht darauf hingearbeitet, den Erfolg zu wiederholen. Wir haben einfach mit freiem Kopf Musik gemacht. Natürlich waren wir auch sehr durch die Live-Erfahrung beeinflusst, wir wissen mittlerweile ganz genau, was auf der Bühne gut funktioniert und was nicht. Das Album ist ein ganz krasses Partyalbum geworden.
Manny Marc: Und dann ist ja noch der DJ-Mix dabei, wo wir total verrückte Songs ausgewählt haben, wo manche nur mit dem Kopf ­schütteln werden – Jan Delay und Culcha ­Candela zum Beispiel.

Ihr habt ein längeres Vocal-­Sample von Kool Savas verwendet, habt ihr das mit ihm geklärt?
Frauenarzt: Ja. Bevor wir den Beat produziert haben, hat Savas mich angerufen. Er wollte einfach mal fragen, was so bei uns los ist, da habe ich es ihm gezeigt, über Telefon, und er meinte: cool. Ich meinte zu ihm, wenn er Bock hätte, könnte er auch noch eine Strophe drauf machen, aber daraufhin meinte er: »Alle machen gerade dieses Electro-Ding, ich will nicht auf den Zug aufspringen, weiß aber, dass es bei euch was anderes ist, weil ihr das schon immer gemacht habt.«

»Pflaume« und »Knallgelbe Gummibanane« haben sehr zweideutige Texte. Ist diese Art ­Pornorap 2.0 eure Reaktion auf die ­Indizierungen früherer Alben?
Frauenarzt: Nicht nur, es ist auch die künstlerische Entwicklung. Es gibt eben zwei Arten von Humor: zum ­einen den direkten, den nicht jeder versteht. Das ist wie bei pubertierenden Kindern, die sich über vulgäre Sprüche freuen. Und dann gibt es eben den indirekten, bei dem keiner mehr was sagen kann. Als Stammkunde bei der BPjM kann ich das ja ganz gut einschätzen. (lacht)

Du hattest ja kurz vor Weihnachten wieder mal eine Gerichtsverhandlung, wo du zu einer ­Geldstrafe verurteilt wurdest.
Frauenarzt: Ja, die haben mir noch einen reingewürgt wegen »Porno Mafia« und zwei Tracks auf einem Gastparts-Album. Es war das alte Thema: Gewaltdarstellung, Frauen werden beim Sex erniedrigt, bla bla bla.

Es soll die Rede von einer kriminellen Vereinigung gewesen sein.
Frauenarzt: Dieser Begriff fiel nicht vor Gericht, sondern während der Hausdurchsuchung bei mir zu Hause. Das kam von den Polizisten. Die haben behauptet, das sei alles eine Verschwörung, wir würden die Partyschiene gerade nur fahren, um die Untergrundsachen damit zu fördern, wir seien eine verschworene Gemeinschaft und wollten die Kinder versauen. Im Endeffekt lache ich darüber, der Richter hat auch darüber gelacht und halt die Strafe verhängt, die vom Gesetz vorgesehen ist. Das Ding ist: Es gibt eine ganze Reihe Leute, von denen ich Fan bin, die immer noch richtig harte Musik und sehr schlimme Texte machen, zum Beispiel Hirntot, Taktlo$$ oder Orgi. Trotzdem finde ich das sehr unterhaltsam. Da gehört einfach ein Sticker drauf, dass es ab 18 ist, damit die Künstler nicht mehr dafür belangt werden können. Ob einem die Kunst gefällt oder nicht, ist eine andere Frage, aber die drei Genannten sind einfach mal ganz krasse Künstler. Orgi ist eine Kunstfigur, ob als Imbiss Bronko oder sonst was, Blokkmonsta sowieso und Frauenarzt ja letztlich auch. Wenn es bei Filmen und Pornos klappt, warum dann nicht auch bei Musik? Stattdessen lassen sie mich 8.400 Euro Strafe zahlen, Blokkmonsta ist auf Bewährung und wird wahrscheinlich dieses Jahr noch ins Gefängnis wandern, und das nur wegen Musik! Das geht ein ganzes Stück zu weit. Wenn in Deutschland Künstler für ihre Texte ins Gefängnis gesteckt werden, ist das keine Demokratie mehr. Das ist, als ob man Bücher verbrennt. Kunst sollte nicht verfolgt und verboten oder bestraft werden. Indizieren ist die Grenze, aber bitte keine Geldstrafen, Bewährung oder Gefängnis. Das geht nicht, ganz egal, was jemand sagt. Okay, bei richtig sexistischen Sachen kann man sich streiten, wenn es gegen Schwule geht, oder um Lieder, die wirklich gegen Frauen oder gegen bestimmte Rassen hetzen. Das ist etwas anderes, das ist Diskriminierung. Aber Sex und Pornografie ist für mich nicht diskriminierend. Eine gewisse Erniedrigung gehört beim Sex einfach dazu. Entweder wird der Mann erniedrigt, weil er sich anpissen lässt, oder die Frau, weil sie beim Bumsen ein paar Schellen bekommt. Manche stehen drauf, manche nicht. Trotzdem kann man hinterher was miteinander essen gehen.

Im Internet kursieren immer wieder Behauptungen, »Das geht ab!« sei in Wahrheit auf Chukys Mist gewachsen. Stimmt das? Immerhin war der Song ja ursprünglich für sein Album vorgesehen.
Manny Marc: Unsere Songs, egal, ob »Das geht ab!« oder die anderen, sind immer zusammen in der Gruppe entstanden. Da kann keiner kommen und behaupten, das und das habe er erfunden. Das sind teilweise sechs oder sieben Leute. Wenn dann hinterher einer plötzlich ankommt und meint, er habe nichts abbekommen, ist das vollkommen dumm. Es wurde definitiv niemand abgezogen oder verarscht. Es gibt von »Das geht ab!« eine Version mit Chuky, eine Posse-Version, eine mit Satanic Steve, die nie herausgekommen ist, eine Rockversion und sogar eine Barfuß-Version von einer Blaskapelle aus Bayern…
Frauenarzt: Und zum Hit geworden ist eben die Version mit uns beiden. Das ist ja auch die Originalversion. Natürlich gibt es Songs, auf denen Leute früher Strophen hatten, die jetzt nicht mehr dabei sind. Aber wir haben allen die Tür geöffnet, jeder hatte seine Chance. Wer die nicht nutzt, ist selber schuld.
Evil Hectorr: Ich habe den Beat ja produziert. Der lag schon zwei Jahre bei mir rum, ich habe den auch anderen gezeigt, die ihn aber nicht so gefeiert haben. Dann hat Arzt ihn gehört und übelst gefeiert. Jetzt feiert ihn die ganze Nation. Und die, die ihn damals nicht gemocht haben, wünschen sich jetzt, sie hätten ihn doch genommen. Aber dann wäre er eben nicht so ein Erfolg geworden wie mit Arzt. Ist also alles gut so.

Stichwort Erfolg: Ist Atzen ­Musik eigentlich der inoffizielle ­Nachfolger von Aggro Berlin?
Alle: Nö.
Smoky: Nachfolger schon deshalb nicht, weil wir ja genauso lange da sind. Nur der Name hat sich ein paarmal geändert: Erst war es Bassboxxx, dann Rap Haus, Mehr Kohle oder Ghetto Musik und jetzt eben Atzen Musik. Schon auf den ersten Dingern haben wir so gerappt: Atze hier, Atze da. Damals ist es nur niemandem ­aufgefallen.
Kid Millennium: Und jetzt kommen plötzlich Leute zu uns und fragen:»Warum seid ihr denn auf einmal Atzen?« Das ist totaler Blödsinn! Bogy hat schon vor Ewigkeiten den »Atzenkeeper« herausgebracht, der hat das Atzending quasi erfunden.
Atze Major: Ist ja sowieso ein altes Berliner Wort, schon mein Vater hat Atze gesagt. Wir haben es halt zu einem bundesweiten Begriff gemacht.

Was macht das Atzending für euch konkret aus?
Manny Marc: Die Grundeinstellung ist: Jeder darf so sein und bleiben, wie er ist. Egal, ob man fett ist und die anderen “Fettsack” zu einem sagen. Dann ist man eben fett und hat Pickel. Dafür muss man sich nicht auslachen lassen. Ich selbst zum Beispiel habe einen Donald Duck-Körper. Scheiß drauf! Das ist die Atzeneinstellung. Ob du kurze oder lange Haare hast, ob du vom Mars kommst – egal. Hauptsache Atze. Wir verkleiden uns als Hühner und tragen bunte Klamotten. Manche sagen dann, wir seien voll die Spasten. Wir sagen dann, ja okay, wir sind Spasten, und was bist du? Mr. Cool? Wir flippen aus, wir sind laut und bunt und sehen auch mal richtig doof aus. Deshalb habe ich bei »The Dome« ein hawaiianisches Frauen­kostüm angehabt. Wenn schon peinlich, dann richtig! Ihr braucht euch für nichts in der Welt schämen.

Steckt auch ein bisschen Punk-Feeling im Atzending?
Frauenarzt: Punk war damals ja auch vor allem eine Einstellung: Wir machen einfach unsere Musik, scheiß auf alles andere. Alle anderen können uns mal. Und diese Fick-drauf-Einstellung haben wir auch. Das ganze Atzending ist eine Revolution, eine Partyrevolution, würde ich sagen. Man sieht zwar auf den ersten Blick nur wie eine Partymeute aus, mit Quatsch und Firlefanz, aber im Endeffekt bedeutet es auch: Hebt die Faust! Macht mal was! Es ist nicht alles scheiße, es ist alles geil, wir machen heute Party und haben keinen Bock auf den ganzen Stress.
Manny Marc: Wir sprechen den Leuten aus der Seele. Wir haben alle dasselbe Problem, wir arbeiten viel, aber es kommt nichts dabei rum. Egal, ob du eine Ausbildung machst, Manager bist oder Hartz IV bekommst, ist das ein großes Problem. Da hebt man die Faust und sagt: »Ja, ihr habt Recht!« Gestern habe ich eine Rede von ­Westerwelle gehört. Der hat auf jeden Fall Recht, wenn er sagt, die Steuern müssen gesenkt werden. Die Leute wollen wieder mehr Geld verdienen, öfter mal Essen gehen oder in Urlaub fahren. Viele haben zwei Jobs, die Rentner sammeln Flaschen auf der Straße, das ist vollkommen krass. Alles läuft gerade schief. Die Fans geben teilweise ihr letztes Geld aus, um uns hinterher zu reisen, das tut einem ja schon fast leid. Das muss doch aber drin sein, dass man sich mal ein ­Ticket für 15 oder 20 Euro holt und zwei Stunden Urlaub vom Alltag macht, den Kopf freikriegt mit pogen, sich ein bisschen rumschubsen, einen trinken und rumbrüllen. Einfach die Sorgen vergessen, auf die Kacke hauen und Party machen. Ein verrücktes Konzert, laute Musik, durchgeknallte Leute und vor allem Spaß haben und lachen. Das hält fit und gesund.

Wie groß wird das alles noch?
Frauenarzt: Man kann nie wissen, wie lange es anhält. Interessant wird vor allem, was davon übrig bleibt. Viele finden es jetzt gerade geil und morgen was anderes. Interessant ist der harte Kern. Mich interessiert, wie viele nachher noch dabei sind. Deshalb habe ich auch absoluten Respekt vor den Leuten, die mit uns durch dick und dünn gehen, seit Tag eins. Die stehen zu uns, egal, was wir machen. Das sind die Coolsten! Überall in Deutschland gibt es die, die hat man schon vor sechs, sieben Jahren auf den Konzerten gesehen. Es gibt natürlich auch welche, die es stört, dass jetzt alle Atzen sind. Viele ärgern sich darüber, dass sie das Ding nicht mehr für sich alleine haben, wie es vorher war. Jetzt kommen eben Zwölfjährige an und sagen: Ich bin auch ein Atze. Es ist nicht mehr so exklusiv. Aber so zu denken, ist doof und kleinkariert. Das ist genauso, als wenn du Adidas nicht mehr feierst, weil es alle tragen. So macht man es sich doch nur selber schwer.
Atze Major: Nur weil man einmal weniger »Hurensohn« in seinen Texten sagt, ist man nicht mehr real oder was? Das ist doch Quatsch! Im Endeffekt machen wir genau die gleiche Musik wie früher. Nur, dass sie mehr Leute hören als vorher. Vor zwei Jahren hast du gesagt, dass du Rapper bist und alle dachten, du bist asozial und schlecht drauf. Durch uns ist das wieder anders geworden.
Kid Millennium: Ich finde es auch gar nicht schlimm, wenn 14-Jährige sich denken: Der Kid Millennium will gar nicht, dass ich jemanden absteche. Der will, dass ich lache. Finde ich deutlich positiver. Natürlich hat man auch mal schlechte Laune und dann soll man auch nicht immer lachen, es gibt ja auch ernste Musik, die geil ist. Es kann auch nicht immer nur Ballermann-Mucke sein, aber es kann genauso wenig immer nur heißen, die Welt ist grau und alles ist scheiße.

Ist euch die Akzeptanz durch die HipHop-Szene eigentlich nicht mehr so wichtig wie früher?
Manny Marc: Doch, aber viele können sich mit uns halt nicht anfreunden – oder wollen nicht. Wenn ich Jahresrückblicke sehe, in denen wir nicht mal erwähnt werden, ist mir das mittlerweile egal. Irgendwo ist es zwar schade, aber was soll man machen?
Frauenarzt: Wir sind unsere eigene HipHop-Szene. Wir sind oder waren alle Sprüher, Tänzer, Rapper und DJs. Das ist HipHop. Wenn ihr uns nicht erwähnt, dann lasst es halt. Man wundert sich nur, warum man von vielen so ignoriert wird. Das Schlimme ist ja, dass viele auf einmal doch plötzlich ankommen, wenn man den ­kommerziellen Erfolg hat. Warum denn erst jetzt, wenn ihr so HipHop seid und euch nur um die Szene ­kümmert? Aber im Endeffekt sieht man es ­mittlerweile gelassener. Wenn es einem gut geht, ist man immer ­entspannter.

Text: Oliver Marquart
Fotos: Murat Aslan

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