DJ Taye x DJ Paypal: House into Jack into Juke // Feature

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Vor gut zwanzig Jahren kreuzte man in Chicago House- und HipHop-Ästhetiken, um in Jugendzentren beinbrechende Dance-Battles abzuhalten. Und nebenbei entstand die innovativste Clubmusik der jüngeren Vergangenheit: Footwork. Mittlerweile ist der Wahnsinn aus 808 und MPC einmal um den Erdball gerollt. Und mit Teklife ist eine Chicagoer Crew zum Aushängeschild eines globalen Movements geworden. Eine Bestandsaufnahme mit den Crew-Membern DJ Taye und DJ Paypal.

»Wenn du aus Amsterdam abreist, nimmst du am besten den Zug. Dann kannst du einfach ein Paket auf dem Klo hinters Waschbecken kleben.« Es ist Mittwochmorgen in Berlin-Kreuzberg, und DJ Paypal teilt sein smuggler’s 101. Vor ein paar Jahren spülte ein abgebrochenes Studium der Molekularbiologie den Produzenten aus North Carolina über den großen Teich nach Berlin. Heute zählt der Expat ein Debüt bei Brainfeeder sowie dreißig Drake-Edits zu seiner Diskografie. An den Wochenenden reist er für DJ-Sets quer durch Europa und hält diesseits des Atlantiks die Teklife-Fahne hoch – jene Crew, die sich Anfang der Zehnerjahre in Chicago gründete, fungiert heute als globales Aushängeschild von Footwork. Am anderen Ende des Küchentischs: der Teklife-Kollege DJ Taye. Er rollt einen Blunt und bereitet den Abflug in die Niederlande vor. Der Chicagoer Mittzwanziger ist in Europa, um sein Debütalbum »Still Trippin’« vorzustellen, das bei der britischen Bass-Institution Hyperdub erscheint. Am Abend soll er in Amsterdam an den CDJs stehen. Ein ziemlich internationales Gestrick für eine Kultur, die gerade mal zwanzig Jahre alt ist, und von der man hier drüben über viele Jahre zunächst gar nichts mitbekam. Doch fangen wir vorne an: in Chicago.

Chicago ist eine Rap-Hochburg. Chicago ist sogar so Rap, dass man Anfang der Neunziger einfach auch über House-Beats rappt. Mit angezogener Handbremse und unter­kühltem Sex-Talk erweckt man im Süden der Windy City das Nicht-Genre Ghetto-House zum Leben. Ein paar Jahre später wiederum dreht man noch einmal an der BPM-Zahl, zerhackt viele altbekannte Samples in der MPC – und Juke ist geboren. Als sich schließlich in den Jugendzentren der Stadt eine Battle-Kultur bildet und Tänzer immer komplexere Drum-Grooves fordern, lässt man die Kickdrums aus der 808 in Triolen springen und hebt mit Footwork den ultimativen Club-Golem aus der Taufe.

»Footwork hat eine langsame, aber stetige Evolution hinter sich«, resümiert Paypal heute. »Auch wenn das für viele schwammig scheint, lässt sich die Entwicklung eigentlich gut verfolgen: House into Jack into Juke. Shit, was für ein guter Filmtitel!« DJ Taye lacht herzlich und nickt dann andächtig. Vielleicht läuft in seinem Kopf gerade besagter Film ab. In den Hauptrollen: Der vor vier Jahren tragischerweise an einer multitoxischen Überdosis verstorbene DJ Rashad und sein Partner DJ Spinn. »Was die beiden Anfang der Zweitausender auf ihren Mixtapes gemacht haben, ist absolut classic. Das sind Holy-Grail-Tracks! Sie haben zum ersten Mal richtige Storys erzählt. Und die ganzen Samples darin – Footwork hat damals ein ganz neues Level erreicht.«

»Footwork habe ich schon mit sechs Jahren zum ersten Mal gehört«

Als Rashad und Spinn mit ihrer früheren Crew, den Ghettoteknitianz, anfangen, CDs in der Ford City Mall in Chicago zu verticken, drückt Taye noch die Schulbank. Sein Musiklehrer, ein mit einem Grammy ausgezeichneter Trompeter, legt dem Jungen eine Karriere als Bläser nahe, bevor Taye seine Highschool-Jahre vor allem dafür nutzt, sich durch FL Studio zu klicken, um seinen Rapidolen nachzueifern. »Ich habe damals richtig dumme Remixe von Rapsongs gemacht. Ich habe zum Beispiel den ganzen ‚Pretty Boy Swag‘-Beat von Soulja Boy nachgebaut und daraus den ‚Skinny Boy Swag‘ gemacht. Footwork habe ich schon mit sechs Jahren zum ersten Mal gehört. Das waren irgendwelche Tracks aus Chicago, die bei uns im Radio liefen. Später war ich dann auf Partys und bei ein paar Battles, bei denen ich die Ghettoteknitianz sah. Mit 16 fing ich dann aber erst an, Footwork zu produzieren.«

Als Taye sich erstmals dem Sound widmet, ist Footwork in Chicago schon wieder von Rap aus dem Radio verdrängt worden. Doch in Clubs, Community Centern und Facebook-Gruppen wächst die Kultur stetig. Und um 2010 herum macht das Phänomen auch erste globale Schritte. Im UK interessiert sich das Label Planet Mu für den Kickdrum-Wahnsinn und releast die Compilation »Bangs & Works«, die erstmals einen Einblick in den rohen Sound der Chicagoer Dancefloors verschafft. Vollkommen zu Recht ist man außerhalb des Footwork-Mekkas ganz aus dem Häuschen, als die ersten 808-Synkopen über den großen Teich schwappen. Wie die Ghettoteknitianz oder Footwork-Originator RP Boo käsige R’n’B-Samples von Ciara und Bobby Valentino in düstere Club-Monster auf Speed verwandeln, ist eine kleine Revolution. Auch vollkommen durchgespielte Samples wie Junior Reeds »One Blood« können plötzlich wieder überraschen – und bringen eine Essenz von Footwork auf den Punkt: So nackt und simpel der Sound ist (oft reichten ein gechopptes Sample, triolische 808s und eine prägnante Synth-Line), so non-konform klingt er durch sein innovatives Flippen von Samples und die eigensinnige Rhythmik. Dass man vierzig Jahre nach dem Entstehen von Rap noch einmal Sampling neu buchstabieren kann, muss man halt auch erst mal verstehen. Nach Planet Mu macht sich auch die UK-Bass-Instanz Hyperdub laut, und Labelhead Kode9, der bis heute eigentlich nur noch Footwork in seinen DJ-Sets spielt, entwickelt sich zum Tastemaker mit besten Kontakten in die Windy City. Mit »Double Cup« von DJ Rashad soll auf Hyperdub bald zum ersten Mal Footwork konsequent im Albumformat gedacht werden. Und plötzlich stehen Artists aus Chicago in Berliner Clubs vor einem Publikum, das nicht weiter entfernt sein könnte von der Fußakrobatik, die so eng verknüpft ist mit dem Ursprung des Sounds.

»Als ich Spinn zum ersten Mal traf, kam er gerade vom Flughafen. Er hatte seinen ersten Gig mit Rashad in London ­gespielt«, erinnert sich Taye. Zurück in Chicago widmet sich Spinn noch am gleichen Abend dem Nachwuchs und lädt zu einem Talentwettbewerb, der als Jam getarnt ist. Und als er Tayes Flip des Kanye-Songs »Get Em High« hört, wird Taye noch in der Nacht zum Mitglied der frisch gegründeten Teklife-Crew ernannt. Auch DJ Paypal, der damals noch in North Carolina sitzt, tritt etwa zur gleichen Zeit mit Teklife in Kontakt – allerdings über die Facebook-Gruppe »Jukejoint«, wo er sich mit Rashad austauscht und ihm erste eigene Tracks schickt. »Ich habe eigentlich als Drummer angefangen. Früher spielte ich in einer strangen Math-Rock-Band. Und bei ‚Jukejoint‘ habe ich mal Bilder von meinem Drumset geteilt, woraufhin mich Rashad fragte, was für Hi-Hats ich habe. Diese klaren Snares und Toms, die waren sick!«

»Für mein erstes Midi-Keyboard habe ich dann zwei Gramm Weed verkauft«

Taye lacht und erinnert sich an frühere Diskussionen mit Rashad über Sequencer. »Damals habe er noch mit einer ge­crackten Windows-Version von FL Studio gearbeitet. 2011 kam dann Ableton ins Spiel.« Paypal schließt sich an: »Ich fing eigentlich auch erst mit Ableton an, ganze Tracks am Rechner zu bauen. Vorher habe ich mit Garage Band meine Band aufgenommen. Für mein erstes Midi-Keyboard habe ich dann zwei Gramm Weed verkauft. Das war ein Oxygen 25, und ich habe meine ersten drei EPs komplett mit diesen 25 Tasten produziert. Ich meine, du brauchst ja nicht mehr als einen Computer, um Musik zu machen.« Was Paypal außer­dem brauchte, hieß WeTransfer. Erste Teklife-Kollabos entstehen damals aus einem fleißigen File-Transfer, bevor man 2014 zum ersten Mal offline kollaboriert – natürlich in Chicago.

Die Arbeit im Kollektiv ist bis heute ein wesentlicher Charakter von Footwork. So stellen sich die wenigsten Releases als Werk eines einzelnen Künstlers dar. Selbst DJ Rashads wegweisendes »Double Cup«-Album, das den Originator zur Ikone machte, kam kaum mit Solotracks daher, sondern atmete den Movement-Vibe in zahllosen Features. In einer Welt zwischen Elektronik und Rap, in der für gewöhnlich die Erzählung des erfolgreichen Individuums am Anfang jeder Karriere steht, ist das keine Selbstverständlichkeit. Taye will aber in Footwork keine Antithese sehen: »Wir hängen einfach viel miteinander ab, sorgen für einen guten Vibe, dann entsteht zwangsläufig Musik. Music is talking. Music is conversation.«

In der Kreuzberger Küche von Paypal ist an diesem Tag nicht das Musizieren an sich die gewählte Form der Konversation, dafür ist aber die Musik der Gesprächsstoff zwischen zwei Mittzwanzigern, die zwar im gleichen Alter, aber unterschiedlich aufgewachsen sind. Wenn Taye und Paypal über Musik sprechen, verwandeln sie sich jedoch augenblicklich in pubertierende Jungs, die sich gegenseitig mit Footwork-Reminiszenzen zum Kichern bringen. Im Gespräch legt Paypal mehr als einmal die Betonung auf das blinde Verständnis, das die vielen Footwork-Kollabos anspornt. »Klar, vieles schreiben wir nicht allein. Aber das ist doch bei Musik immer der Fall, oder? Wer macht schon wirklich alleine Musik? Was Footwork angeht, ist höchstens die Art und Weise besonders, wie natürlich die Kollabos entstehen.« Dieses Selbstverständnis bedeutet für die Teklife-Crew vor allem, immer wieder an einem Ort, in einem Raum zu sitzen. »Du schreibst einen Pattern, jemand anderes hat eine Idee dazu und führt deinen Gedanken weiter. Gerade sind wir an dem Punkt, an dem immer mehrere Rechner laufen. Wenn wir zusammen jammen, laufen immer so viele Workstations wie möglich, alle connectet mit den gleichen Speakern. Im Grunde wie eine klassische Jam, aber als Producer.«

Footwork hat sich in den letzten zehn Jahren rund um den Globus gespielt und die unterschiedlichsten lokalen Ausprägungen angenommen. So erzählt Paypal etwa von seinen Erfahrungen in Tokio, wo ­rhythmisch möglichst komplexe und vollkommen unterkühlte Tracks wie Rashads »Reverb« von Hunderten Tänzern auf Dancefloors als Hymnen gefeiert werden. In London dagegen setzt man auf die körperliche Erfahrung von Bässen und Rap-Referenzen, während in Berlin unter anderem Paypals Disco-Sample-Sound auf Begeisterung stößt. »Ich habe nicht viele Tänzer gesehen, als ich nach Berlin kam«, erzählt Paypal. »Aber ich konnte direkt auf unterschiedlichen Partys spielen – plötzlich lief überall Juke. Und ich habe hier Footwork-Producer aus der ganzen Welt kennengelernt: Nando aus Groningen, Ticklish aus Hamburg und Slick Shoota aus Oslo. 2013 ging es hier richtig los. Und heute hörst du auf jeder zweiten Party mindestens ein paar Footwork-Tracks.« Den Amtssitz der Bewegung verorten die beiden Teklife-Jünger aber weiterhin in Chicago. »Ich lebe nicht ohne Grund noch in meiner Heimatstadt«, sagt Taye und distanziert sich von einem jüngst erschienenen Mixmag-Artikel, der davon erzählt, dass das florierende EDM-Business den Künstler nach Los Angeles verschlagen hätte. »Ich mag L.A., da scheint schließlich immer die Sonne. Und ich war auch mal eine Zeit lang dort. Aber das EDM-Business? Was zur Hölle soll das sein?! Hell nah, I love Chicago!«

Auch Tayes Debütalbum »Still Trippin’« entstand in endlosen kollektiven Sessions, die Taye und seine Teklife-Kollegen in diversen Chicagoer Wohn- und Schlafzimmern abhielten. Mit einer klaren Vision sei er aber nicht an die Produktion gegangen. Und womöglich bildet die Platte genau deshalb auf so selbstverständliche Weise die vielen verschiedenen Facetten ab, die Footwork heute umfasst. Der Opener »2094« repräsentiert eine bewährte Rashad-Formel: Aus einem molligen Soul-Sample und hektischen Hi-Hats baut Taye eine Lean & Speed-Dialektik, die sich in jedes Rap-Set mogeln lässt. Zusammen mit Paypal beschwört Taye dann ein Energiegewitter, wenn sie in »Pop Drop« die Snares auf eine Acid-Bassline prasseln lassen und mit einem Vocal-Schnipsel zum Twerk-a-thon auffordern. Mit der Vorab-Single »Trippin’« wiederum zeigt sich Taye erstmals als Rapper und sucht dadurch den Schulterschluss mit seinem Idol DJ Spinn, der bereits Rashads »Double Cup« mit einigen unvergessenen Zeilen segnete. Chuck Inglish liefert mit »Get It Jukin’« daneben das lässigste Feature, seit es die Cool Kids nicht mehr gibt. Und dann ist da noch das Outro »I Don’t Know«, eine Kollabo mit der Bassistin und Gitarristin Fabi Reyna, die so lässig klingt, als wäre die traditionelle Instrumentierung seit jeher fester Bestandteil von Footwork.

Als er sein Album innerlich Revue passieren lässt, kommt Taye nach einer knappen Stunde Smokeout auch eine plötzliche Konzepteingebung: »Hast du je ‚Sonic DC‘ gespielt? Du musst möglichst schnell zum Checkpoint kommen, um entweder in die Zukunft oder in die Vergangenheit zu reisen. Je nach Tempo kommst du woanders an. ‚Still Trippin‘ funktioniert genauso. Es ist eine Zeitkapsel, die den Moment von Footwork einfängt und dich an unterschiedliche Orte führt.« Die Zukunft, sie liegt irgendwo zwischen zwei 808-Kickdrums.

Foto: Andy Scott

Dieses Feature erschien erstmals in JUICE #186. Aktuelle und ältere Ausgaben könnt ihr versandkostenfrei im Shop bestellen.

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