»Ich sehe die Welt dunkler als sie wirklich ist« // Disarstar im Interview

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Foto: Maximilian König

Sich ein schlüssiges Bild vom Charakter Disarstars zu machen, ist nicht leicht. Ein nachdenklicher, kluger Mann Mitte zwanzig mit Weitblick, aber gleichzeitig auch humorvoll und verspielt. Ich habe Disarstar seit seinem ersten physischen Tonträger, der »Tausend in einem«-EP, zu jedem seiner Releases interviewt. Immer wieder überrascht er mich im Gespräch…

Während wir über sein neues Album sprechen, fordert er mich mehrmals auf, Kritik zu äußern; will wissen, welcher Song mir am wenigsten gefallen hat, statt nach Komplimenten zu heischen. Vielleicht sucht er sogar Bestätigung in seinen eigenen Selbstzweifeln. Das ist keine Show, kein Versuch, abgebrüht zu wirken – es interessiert ihn wirklich. Auch ein paar kritische Fragen erhofft er sich. »Wie beim letzten Mal, lass es gerne hart angehen.« Disarstar liebt es, gefordert zu sein. Doch diesmal gehen wir es nicht hart an. Denn diesmal klingt auch das Album befreiter, und ich finde weniger Anstoß. Zündstoff bietet es trotzdem.

In unserem letzten Interview hast du mir erzählt, dass du dein Abitur nachholst. Bist du da noch am Ball?
Ich musste wegen der Tour ein Jahr pausieren. Jetzt habe ich mein Fachabi in der Tasche und gehe aufs reguläre Abi zu. Das läuft immer besser. Ich dachte eigentlich, ich würde stark motiviert anfangen und immer schwächer werden, aber ich werde immer besser. Das wird das beste Zeugnis meines Lebens. Vielleicht visiere ich doch noch ein Medizinstudium an. (lacht)

Also hast du konkrete Pläne mit dem Abitur?
Ich will unbedingt Philosophie und Geschichte studieren. Ich wollte schon immer schreiben. Vielleicht werde ich mal Journalist oder schreibe ein Buch. Auch in der Musik sehe ich mich weniger als Musiker und eher als Autor. Ich mache zwar Musik, aber ich spiele nicht Klavier oder Gitarre. Was macht ein Rapper? Ein Rapper schreibt. Ich habe zwar einen Sinn für Soundästhetik, aber in erster Linie möchte ich etwas machen, um mein Schreiben zu befeuern. Aber mal sehen, wie sich das entwickelt. Ich bin ein sehr sprunghafter und impulsiver Mensch.

Viel Erfolg dabei! Dein neues Album heißt »Bohemien«. Meinst du damit dich selbst?
Ja, klar. Ich bin zwar kein unbeschwerter Typ, was dem Bohemien eigentlich nachgesagt wird, aber ich habe klar antibürgerliche Standpunkte. Für mich steht die Kunst über allem, und ich würde immer Kunst machen – egal, ob ich damit Geld verdiene oder nicht. Mein ganzer Lifestyle passt da rein. Ich trinke mittlerweile wieder Alkohol, nachdem ich jahrelang nicht getrunken habe. Jetzt habe ich das anders im Griff als früher. Einmal ist in der Schule Physik ausgefallen, ich saß mit meiner Klasse in einem Café und wir haben Wein getrunken. Das habe ich gepostet, und ein Kollege hat mir geschrieben: »Richtiger Bohemien!« So wurde der Albumtitel geboren.

Wie schlägt sich die Bohème in deiner Arbeitsweise nieder?
Meine Arbeitsprozesse werden von Mal zu Mal unstrukturierter: weniger Konzept, weniger geplante Schritte, weniger zu Hause schreiben. Ich komme meistens nicht einmal mehr mit Ideen ins Studio, sondern laufe da ein und schaue dann, was ich heute mache.

Für mich klingt das Album, als sei es relativ klar in zwei Abschnitte unterteilt.
Ja, aber zufällig. Es war schwierig, die Songs überhaupt auf einem Album unterzubringen. Um es als Mixtape zu bezeichnen, finde ich es aber zu gut. Nur ist es halt wieder extrem heterogen geworden.

Ich bin davon ausgegangen, dass du den Kontrast zwischen Melancholie und Aggression forciert hättest.
Null, so bin ich einfach. Das schlägt sich ja nicht nur in meiner Musik nieder, sondern auch in Interviews. Ich bin da immer zwischen Größenwahn und totaler Versagensangst. Das zieht sich durch mein Leben. Ich bin schon immer ein extremer Typ gewesen – deswegen passiert das auch in der Musik. Wir haben nicht nach der Hälfte Bilanz gezogen und geschaut, wie es weitergehen soll. Wir haben einfach gemacht und dabei viel gesoffen. Nach vier Jahren ohne Alkohol ist das ein geiles kreatives Schmiermittel, besoffen zu schreiben und aufzunehmen. Ich habe noch nie so viel Spaß beim Musikmachen gehabt wie bei diesem Projekt.

Ja, weil du besoffen warst.
(Gelächter) In dieser Entstehung hat sich einfach ein sehr befreites Lebensgefühl niedergeschlagen und ich glaube, 2018 war wirklich das bisher beste Jahr meines Lebens.

»Alice Weidel personifiziert vieles, was ich hasse«

Der Song »Alice im Wunderland« ist ein Disstrack gegen Alice Weidel. In den Reihen der AfD gibt es so viele potenzielle Zielscheiben – warum richtet sich der Song gerade gegen sie?
Sie ist der geborene Klassenfeind. Sie personifiziert vieles, was ich hasse – schon aufgrund meiner politischen Haltung. Sie ist krass neoliberal, ihr Doktorvater ist ein berüchtigter Verfechter des Auslesewettbewerbs. Neben dieser wirtschaftspolitischen Komponente hat sie außerdem rassistische Tendenzen, aber darin ist sie extrem inkonsequent. Ich überlege bei der Weidel immer, ob sie überhaupt wirklich für das einsteht, was sie sagt. Wenn man sich mal ihren Werdegang anschaut: Goldman Sachs, promoviert in China, in einer Beziehung mit einer Frau aus Sri Lanka – ich frage mich immer mehr, ob sie nicht einfach eine karrieregeile Geschäftsfrau ist. Sie hat ja auch so ein bisschen die Rolle von Frauke Petry übernommen. Jetzt gab es diese Spendenaffäre – das ist alles sehr shady. Meines Erachtens ist sie nicht nur der Klassenfeind, sondern auch eine lächerliche Person – schon was Gestik und Mimik angeht, wenn sie versucht, eine Rede zu halten.

Ich glaube, wir haben einfach eine andere Auffassung von Coolness und Souveränität als ihre Zielgruppe.
Ich wollte auch ursprünglich nur einen Facebook-Post machen. Ich habe mich übertrieben über sie aufgeregt, ich weiß gar nicht mehr, was der Anlass war. Jedenfalls habe ich einen richtig langen Post geschrieben, der für mich eigentlich sehr untypisch war, weil ich sie den ganzen Post über ernsthaft beleidigt und niveaulos beschimpft habe. Ich habe dann meinen Manager gefragt, wie er den Post findet, und er hat Kritik daran geäußert und mir erklärt, warum er das nicht machen würde – der weiß ja, wie ich ticke. Dann wollte ich einen neuen Post schreiben, mit eher analytischem Ansatz. In letzter Zeit habe ich nicht so viel Zeit dafür, aber eigentlich nehme ich mir gerne mal einen Nachmittag für einen langen Facebook-Post. Ein bisschen recherchieren und mich einlesen, am Ende etwas Fundiertes erzählen – das habe ich bei ihr auch angefangen, war aber schon früh unzufrieden. Als ich dann im Studio war, hatte ich plötzlich Bock, einfach einen Song darüber zu machen.

Man merkt dem Album an, dass du weniger verkopft rangegangen bist als sonst und sehr impulsiv gearbeitet hast.
Ich habe bei »Minus x Minus = Plus« schon versucht, in den Songs zu rechtfertigen, was ich sage. Auf »Bohemien« habe ich das gar nicht mehr gemacht. Freut mich aber sehr, dass man das hört. Ich stehe ja auch auf den Popscheiß, der da teilweise stattfindet. Je mehr ich mir in der Schule eine Perspektive erarbeite, desto weniger habe ich auch im Studio das Gefühl, es irgendwem recht machen zu müssen. Ich muss damit nicht auf Teufel komm raus erfolgreich werden. Ich wollte einfach Mucke machen – und das hat mega Spaß gemacht.

Das klingt ja auch nicht nach Plastikpop. Die Hook auf »Wach« ist der Wahnsinn.
Lina Maly ist eine unglaubliche Künstlerin! Das Mädchen ist 21 und kann singen und schreiben – Letzteres können die meisten Popkünstler ja nicht. Ich war an der Hook nicht beteiligt, die stammt komplett aus ihrer Feder. Ich habe ihr im Studio die Strophen gezeigt, und sie hat meine Stimmung sofort gecheckt und direkt verstanden, was für ein Song das wird. Ich musste ihr nichts erklären und konnte sie einfach machen lassen.

Laut diesem Song bist du ein sehr depressiver Mensch. Gleichzeitig begibst du dich oft in die Beobachterperspektive und urteilst über unser gesellschaftliches Zusammenleben. Verklären die Depressionen nicht deinen Blick? Kannst du überhaupt gültig urteilen?
Ich sehe die Welt tendenziell immer grauer und dunkler als sie wahrscheinlich wirklich ist. Aber vielleicht sehe ich sie auch realistischer. Vielleicht ist Depression das realistische Lebensgefühl. Aber mein Ziel war ja auch nicht, mich in die Rolle der Mehrheitsgesellschaft zu versetzen. Ich habe versucht, mein Lebensgefühl und das der Leute zu beschreiben, von denen ich umgeben bin. Für dieses Projekt habe ich viel mit Künstlern abgehangen, aber auch mit den Leuten in meiner Klasse. Das ist ein geiler Input. Da kommt der eine von der Baustelle, der andere verlässt den Unterricht, weil sein Pieper losgeht und er ein Feuer löschen muss. Das ist das, was ich so wahrgenommen habe.

Text: Skinny
Foto: Maximilian König

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