PRO
Mittwoch 24. März 2010, 21:57 Uhr. Verdammt, Durchlauf viereinhalb, der Chefan drängt auf Textabgabe, und ich mag das immer noch nicht. Natürlich mag ich es nicht. Wie für jeden anderen aufrechten Rap-Fan mit Erstsozialisierung zwischen 1869 und 2047 hat sich auch für mich ein Dendemann-Beat erst mal so anzuhören wie eine minimal feinjustierte Version von “Ich so, er so”. Außerdem: Wo sind die Siebzehnsilbendinger? Gut, “Weinbergschnecken/Geheimratsecken”, “Gyros Pita/Pythagoras”, “näher am Schrittmacher als am Puls der Zeit”, toller Albumtitel auch, aber hey: Der singt! Ich meine, der könnte doch unser eigener Sean Price sein, der letzte coole Rap-Rapper, und sich von seiner Schweizer Festivalgage auch mal einen Madlib-Beat leisten oder sonst einen postreaktionären Tand. Stattdessen mietet er sich bei Moses Schneider ein, lässt die Gitarre gniedeln, samplet Tocotronic und besingt… seine Band!
Das ist schwimmer als “Endlich Nichtschlimmer” und überhaupt alles auf “Pfütze des Eisbergs”, diese Album gewordene Echthalterverstörung (die ich über die Zeit so lieben gelernt habe, aber pssst, nicht dem Gupta sagen). Sachmagehtsnoch? Hm, schon ganz geil, dieser Hall auf den Drums. Passt auch zur Dendestimme, die ja eh immer schon eine Rockstimme war, oder? Now Peter Piper picked Multikultiragga, but Daniel rocked rhymes. Eh super, wie er so widerliche Widersprüche sucht, die der Psyche Streiche spielen, sein persönliches Digitaldilemma aufarbeitet, mit Seventies-Baby-Referenzen um sich wirft, der guden Laune das Hohelied singt, und immer mal wieder die Frage zwischen den Zeilen hin und her wälzt, ob Jahrgang ’74 jetzt schon Ende 30 oder noch Anfang 20 ist oder eigentlich schon Mitte 50. Fettes Beasties-Sample auch auf “I’m a Record Junkie und zurück”, dabei mag ich die eigentlich gar nicht (zu viele Gitarren), und “Stumpf ist Trumpf” ist schon ein Hit, wenn man ehrlich ist, der sich aber ganz erstaunlich gut einfügt in das Gesamtbild der Platte. Ach echt, Durchlauf acht schon mittlerweile? Irgendwie schon konsequent Dendemann und unpeinlich, das alles, und wenn man jetzt hier wirklich schweres Geschütz aus der Propagandazentrale auffahren will: authentisch. Ach ja, Top-Livematerial natürlich auch. Donnerstag 25. März 2010, 9:37 Uhr: Ich mag das. Natürlich mag ich es. db (Four Music/Sony)
CONTRA
Und ich mag es immer noch nicht so richtig. Klar, man versteht ja, wo er herkommt und ein Stück weit sogar auch, wo er damit hinwill. Beastie Boys, Rick Rubin, die Achtziger, aber auf der anderen Seite eben auch Tocotronic, Moses Schneider, 2010. Irgendwie erscheint mir die Referenz konstruiert – was aber letztlich auch gar nicht so schlimm ist. Viel schlimmer wiegt da schon, dass Dende offenbar keine MC-Ambitionen mehr hat. Von einem strengen HipHopper-Standpunkt betrachtet, sind viele Reime auf “VVV” reichlich banal, die meisten Flows berechenbar, wenige Patterns wirklich interessant. Technisch will und muss Dende niemandem mehr etwas beweisen, aber was tritt an die Stelle der handwerklichen Begeisterung, die er früher auszulösen vermochte? Nicht viel mehr als das vage Versprechen, dass das alles “live sicher ganz doll rockt”. Mag sein.
Von einem Album – man mag mich altmodisch nennen – erwarte ich mehr als eine Erweiterung des Bühnenmaterialkorpus. Sicher, über “Metapher Than Leather” und sechs bis sieben weitere Schoten hat sich der Wortspielfan in mir gefreut. Aber eine Ode an die Geilheit der eigenen Band? Das grenzt in seiner Ausführung, genau wie “Petze”, schon an einen saftigen Fremdschamgrund. Und so sitzt man vor “VVV” ratlos wie einst vor jenem zum geflügelten Wort gewordenen “Eisberg”, den ich bis heute nicht lieben gelernt habe. Ich zähle eben zu jenen Fans, die den MC Dendemann immer besser fanden als den Songwriter Daniel Ebel. Im Gegensatz zu manch anderem Auf-der-Strecke-Gebliebenen des Zwotausender-Booms hat Dende zumindest erfolgreich seine eigene Spur gefunden. Ich jedoch habe sie irgendwo zwischen “SchweigenDilemma” und “Pfütze” verloren. Ist ja nicht schlimm. Aber ist halt so.