»Das ist diese Liebe zum Handwerk« // Tufu im Interview

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Ungefähr sechs Jahre liegt das letzte Solorelease »Abdoom & Unraum« von Sichtexot-Mitbegründer Tufu bereits zurück. Für die aktuelle Platte »Moorloch« musste ein neuer Produktionsprozess her, der im eigentlichen Sinne ein bereits sehr alter ist. Mit einem Vierspurrekorder entstanden 14 Tracks zwischen Battle-Rap und Splatter-Ästhetik, unterlegt vom Grundrauschen der analogen Technik. Ein Gespräch über nerdiges Produzieren, Leichen im Moor und den Status Quo von Sichtexot.

Wie geht’s dir am heutigen Releasetag?
Ich bin noch gut durchgepfiffen und am Arsch. Wir haben die letzten drei Tage bis spät in die Nacht am Video gesessen. Das ist alles ziemlich aufwendig und auf Super 8-Film gedreht. Normalerweise habe ich die montags zum Entwickeln gebracht, dann waren sie freitags wieder da, wir konnten sie abends digitalisieren, über das Wochenende schneiden und dann Mitte der Woche raushauen. Durch den Feiertag hat sich das aber verschoben und wir hingen bis 3 Uhr nachts hier rum. Am nächsten Tag das gleiche Spiel und heute habe ich mich erstmal krankgemeldet.

Macht so ein Prozess mehr Stress als er sollte?
Man sucht sich das ja aus und hat mega Bock, das Video selbst zu machen. Es hat sich am Ende alles gelohnt, alleine für meinen Cousin im Jesus Christus-Outfit, wir haben Tränen gelacht. Aber mit Job, Family und allem drumherum kommt man doch an seine Grenzen, wenn man alle Hochzeiten mit gleichem Effort bedienen will. Noch eine Woche länger und ich wäre auf jeden Fall ein Kandidat für einen Burn-Out gewesen.

Ab wann hast du angefangen, die Musik für das Album zu machen?
Die ersten Sachen habe ich noch in Köln gemacht, das ist bestimmt fünf Jahre her. Ich habe immer zwischendurch den 4-Tracker angeschmissen und eine riesige Tape-Datenbank angelegt. Hier stehen bestimmt ein-bis eineinhalb Meter Tapes nebeneinander. Da sind entweder Beats oder Songs drauf, aber irgendwann beschriftet man Sachen nur noch fahrlässig. Manche Songs waren schon fertig, aber ich habe nicht die Muße gehabt, alles nochmal durchzuhören, die Aufnahmen zu ordnen und zu einem Album zusammenzustellen. Jeder, der selber Tracks oder Beats macht, kann bestätigen, dass man sich ein System ausdenkt, wie man Sachen ordnet oder speichert. Aber das geht genau eine Woche gut. Bei meinen Beats bin ich mittlerweile bei Ordner »Ich geb’s auf 16«. Im physischen Sinne, wenn man alles auf Kassetten hat, dachte ich, dass man wirklich nur die Sachen hat, die man zu Ende machen will. Aber Pustekuchen, es war eine Katastrophe, das alles wiederzufinden. Und wenn man dann die Kassette einlegt und ausversehen auf »Record« drückt, ist der Take im Arsch. Den kann man dann neu machen. Es gab bestimmt 20, 30 Momente, in denen ich gedacht habe »Scheiß drauf, ich kick den ganzen Scheiß aus dem Fenster.« Deswegen hat das alles so lange gedauert.

Im wahrsten Sinne ein Vierspuradventure, wie es auch in der Ankündigung steht. Was hat dich an dieser Produktionsart gereizt?
Meine ersten musikalischen Sozialisierungsansätze kamen über Kassetten. Man war auf dem Rewe-Parkplatz mit den Jungs skaten, vielleicht so mit 12,13, das waren die Tony-Hawk-1-Zeiten. In Koblenz gab es ein paar DJ’s, die Mixtapes rausgeknüppelt haben, die haben wir uns überspielt und auf dem Walkman angehört. Das war beim Skaten das gängige Medium, weil ein Discman gesprungen ist. Zeitnah kamen dann die ersten MP3-Player, diese 64 MB-Dinger, die es beim Lidl gab. Aber es hat sich noch lange weitergezogen, dass ich mir Sachen auf Tape besorgt habe.

Was zum Beispiel?
Da waren als Teenager vor allem die lyrisch-brutalen Sachen spannend. Die ersten »Die Sekte«-Sachen, das erste Royal-TS-Tape, Westberlin Maskulin oder Frauenarzt. Aber ich hatte auch »Blauer Samt« von Torch auf Tape. Retrospektiv hat mich gereizt, wie rotzig das alles klingt. Mir ist aufgefallen, dass ich immer noch Interesse daran habe. Auch daran, meine eigenen Beats nochmal auf Tape durchzuschleifen. Dann wollte ich es einfach probieren, wie es ist, auf einem 4-Tracker Mukke zu machen. Das ist eigentlich nicht so schwer, Tape-Sound ist eigentlich immer cool.

Wie sieht der Prozess dann aus?
Du gehst mit der 303 vorne rein und samplest dir vorher von Platte ein paar Loops zusammen. Dann machst du Beat-Tapes und wenn du damit fertig bist, digitalisierst du die und kloppst es raus. Irgendwann habe ich noch drübergerappt und ein bisschen an der Geschwindigkeit gespielt. Diesen Vierspurrekorder habe ich völlig zufällig in einem Secondhand-Laden entdeckt. Ich habe viel zu viel dafür gezahlt, das war ein super billiges Ding und der Typ wollte 120 Euro dafür haben. Ich war in dem Moment allerdings so heiß darauf, dass ich ihn blind gekauft habe. Auch wenn er ein wenig kaputt war, habe ich damit die ersten Beats gemacht, zum Beispiel den für »Gaspistole«. Auf dem Album sind auch einige Tracks, die sehr langsam geworden sind, unter 70 BPM. Ich habe mir gedacht, dass ich jetzt, wo ich den analogen Rekorder schon habe, die Beats auch schneller und langsamer laufen lassen kann. Teilweise habe ich den Beat ultralangsam abgespielt, sehr langsam darauf gerappt und es dann wieder schneller gemacht, um einen Quasimodo-Effekt zu erzielen. Hat sich natürlich mega beschissen angehört und gar nicht so, wie ich es mir vorgestellt habe. Ich habe mich dann wieder dem Originaltempo angenähert, bis ich fand, dass es genau richtig klang. Dann habe ich noch eine Doppelspur darübergelegt, mit der man auch wieder rumprobieren kann. Zum Beispiel viel schneller laufen lassen, sodass man, wenn man es wieder auf normales Tempo bringt, in den Doppels eine runtergepitchte Stimme hat. Insgesamt ist man aber limitiert, weil das das Effektmassaker ist, mit dem man arbeiten kann. Dadurch, dass du die ganze Zeit am Spielen bist, entwickeln die Tracks aber eine Eigendynamik. Am Ende kommt ein Selbstläufer heraus, den du so gar nicht geplant hast. Das gab bei mir jedes Mal einen viel krasseren »Boah Nice!«-Effekt, als wenn ich das mit dem Computer gemacht hab.

Das Erstellen eines fertigen Tracks wird dadurch aber anspruchsvoll, oder?
Man muss dann alles mit einem Mal einspielen. Das komplette Arrangement muss schon auf der Kassette sein. Einen digitalen Schnitt hört man sofort, weil dieses Grundrauschen unterbrochen wird. Man muss also seine Performance draufhaben. Erst den Beat einspielen, genau so wie man ihn haben will, live, während das Tape läuft. Und der Rap dann im Onetake darüber, mit Hook und zweiter Strophe. Wenn du das verkackst, kannst du wieder bei Null anfangen. Das hat mich schwer gereizt. Man räumt sich selbst viel mehr Fehler ein und ist nicht ganz so perfektionistisch, außer vielleicht beim Klang. Man hat am Ende ein viel intimeres Verhältnis zum Song.

»Ich hatte noch nie so viel Spaß daran, eine Platte zu machen, wie hier«

Im Gegensatz zum Basteln am Computer, ist die Umsetzung dann ja sehr analog und physisch gebunden.
Man ist die ganze Zeit in Action und am Umstöpseln. Man ist immer in Bewegung und das ist auch diese Liebe zum Handwerk, die ich in der Musik entdeckt habe. Bei den meisten Tracks, die ich gemacht habe, hatte ich den Computer nicht mal an. Das habe ich dann gemacht, wenn ich einen Track fertig hatte. Den habe ich dann aufgenommen, die Lautstärke der Spuren angepasst und konnte es jemandem zum Vorhören schicken. Man möchte ja auch möglichst schnell Feedback bekommen. Man entwickelt einen Automatismus, wie man an einen Track herangeht. Den hat man irgendwann raus und ist dann im Modus. Ich hatte noch nie so viel Spaß daran, eine Platte zu machen wie hier.

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