»Wenn ich gehasst werde, warum sollte ich dann dazugehören wollen?« // Chefket im Interview

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Foto: Roman Goebel

Chefkets letztes Album war ein Top-Ten-Erfolg, der ihn erstmals als gereiften Musiker zeigte. Während bei anderen Künstlern die Tinte auf dem Major-Papier Erfolgsdruck auslöst, setzte sie bei Chefket neue Kapazitäten frei, die ihm auf seinem neuen Album erlauben, sich endlich einem Thema zu widmen: der Liebe.

Nach dem Hören deines neuen Albums hatte ich das Gefühl, der Titel »glücklichster Rapper der Welt« passt jetzt noch besser zu dir. Man kann eine neue Gelassenheit, eine neue Freiheit raushören.
Schön, dass du das sagst, denn für viele klingt der Soul ja immer so ein bisschen traurig. Aber wie man ja weiß, ist Glück ohne Unglück nicht möglich. Ich hab zwar immer gesagt, ich bin der glücklichste Rapper der Welt, weil alles gut läuft. Das heißt trotzdem nicht, dass man immer zufrieden ist und im Schneidersitz grinsend vor sich hin meditiert.

Deswegen auch der Zusatz »Nach dem Ende des Kampfes« im Albumtitel. Was war das für ein Kampf?
Der Kampf, Musik machen zu wollen, ohne daran denken zu müssen, wie man jetzt die Miete zahlt. Oder wirklich zu sagen, was man sagen will. Ich habe gemerkt, wie ich immer wieder in eine Ecke gestellt wurde: Türke oder Deutscher? Und eigentlich ist man schon viel weiter, muss sich aber immer noch erklären. Dieser Kampf um Anerkennung und Bestätigung war dann irgendwann zu Ende, und ich hab mich gefragt: Worum gehts eigentlich? Um die Liebe, die universelle Liebe. Es muss nicht unbedingt nur die Liebe zu einer Person sein, aber hier hat es schon viel mit zwischenmenschlichen Sachen zu tun.

Du hast die drei Jahre seit deinem letzten Album als »Traumsequenz« bezeichnet.
Es ist, als würdest du einen Traum erzählen wollen, an den du dich aber gar nicht mehr richtig erinnerst. Du bist in deiner Bubble, schreibst und machst und weißt irgendwann gar nicht mehr, wie was entstanden ist. Ich war letztens bei einem Kumpel zu Besuch und er hat Tracks von mir laufen lassen. Das waren komplett andere Versionen, die ich ihm irgendwann mal geschickt hatte. Ich konnte mich daran gar nicht mehr erinnern! Und auf einmal sind drei Jahre vorbei. Ich bin in diesem Prozess selbst sehr drin und merke das dann gar nicht.

Im letzten JUICE-Interview meintest du, dass du immer so schreibst, dass du alles direkt einrappen kannst. Dem neuen Album merkt man allerdings die freieren Strukturen an, es wirkt nicht mehr so technikfixiert. Wie liefen die Schreibprozesse dieses Mal ab?
Es war komplett anders. Natürlich gibt es immer noch diese Version: Farhot schickt mir einen Beat und ich schreibe darauf oder loope genau die Stelle, auf die ich rappen will. Aber es gab dann auch Momente, wo ich den Metronom auf 100 BPM angemacht und erstmal Chöre aufgenommen habe – damit ich in eine Stimmung komme, in der ich schreiben kann. Ich habe meinen Pianisten Johannes Artsberger gefragt, ob er gewisse Sachen einspielt. Dann wurde auf die Melodien gebeatboxt und später, gemeinsam mit Ben Burgwinkel, meinem Studionachbarn und Tour-DJ, die Beats programmiert. Bei dem Song »Für immer« habe ich mich wirklich zurückhalten müssen. Ich wollte das nicht schreiben. Es musste sich natürlich anfühlen, vom Inhalt her aber auch von der Phonetik. Ich schreibe jetzt schon seit zwanzig Jahren Texte – irgendwann siehst du halt, dass es in anderen Genres nicht um zehnsilbige Reime geht. Wie kann ich schreiben, ohne dass ich reime, sondern es fühle? Wie fühle ich es, ohne dass ich dauernd auf die Kacke hauen muss? Auch ein Schlagzeuger muss nicht immer draufbrettern, sondern wie Questlove auch mal laid-back spielen. Es ging darum, diesen Schritt zu machen und zu gucken, wo meine Stärken sind – und neue Stärken zu entdecken. Teilweise kreieren diese künstlichen Metaphern auch eine gewisse Distanz. Man versteckt sich da vor irgendetwas. Ich wollte es so pur wie möglich ausdrücken.

»Ich muss mein Repertoire an politischen Themen nicht anreichern, damit Leute mich immer noch als authentisch betrachten«

Du singst auf dem Album erstaunlich viel. Könntest du dir vorstellen, ein komplettes R’n’B- oder Soul-Album aufzunehmen?
Klar. Ich kann mir alles vorstellen, ganz ehrlich. Es gibt irgendwie gar keine Grenzen mehr. Ob ich da jetzt so »Live MCs«-mäßig doubletime über den Beat flexe, mit einem Chor »Immer« singe oder bei »So gut« so eine Dubstep-Garage-Nummer bringe – ich hab mir alles so schön hingelegt, dass ich jetzt alles machen kann, was ich will. Alle stehen hinter mir und glauben dran, weil sie es auch fühlen. Mit allen, die ich respektiere, habe ich schon Musik gemacht: Samy, Max Herre, alle. Ich bin total happy, dass das inzwischen so ist, wie es ist.

Die LP ist recht unpolitisch, eher eine Feel-Good-Platte. Muss man als Künstler seine Reichweite nutzen, gerade in Zeiten eines erstarkenden Rechtspopulismus?
Ich finde, dass man das machen kann. Ich habe auf meinen letzten Alben viel darüber geredet, und diese Songs haben es auch auf die Livebühne geschafft. Deswegen muss ich mein Repertoire an politischen Themen nicht anreichern, damit Leute mich immer noch als authentisch betrachten. Nimm mal den Song »Fremd« – der ist sehr politisch. Aber warum sollen die anderen Sachen nicht auch politisch sein? Es geht nicht darum, sich die ganze Zeit zu erklären oder auf Missstände hinzuweisen. Es geht darum, stattdessen auf die Liebe hinzuweisen, die man miteinander haben kann. Wenn ich bei »Da wo du stehst« sage »Egal, welche Religion und Hautfarbe/Du siehst mit dem Herz ohne Ausnahme«, und das jemand hört oder mitsingt, dann kommt er oder sie möglicherweise auf den Gedanken: Hey, vielleicht sollte ich drüber nachdenken, ob ich jemanden wegen seiner Hautfarbe, seiner Sexualität oder was auch immer verurteile. Die politische Komponente fließt schon immer mit ein, ist aber eher subtil. Ich wollte mich mit dem Album nicht wiederholen – weder thematisch, noch arrangementmäßig.

Der Song »Aufstehen« thematisiert den Kampf um das täglich Brot, den Struggle des Alltags. Inwiefern hast du das damals bei deinen Eltern miterlebt, die als Einwanderer nach Deutschland kamen?
Natürlich hatten meine Eltern Struggle. Allerdings haben sie uns das nie so gezeigt. Wir konnten immer in den Urlaub fahren und hatten eine coole Kindheit. In dem Fall geht es gar nicht um meine Eltern. Es geht eher um Leute um mich herum: Der eine arbeitet für die Pharmaindustrie, hat einen Firmenwagen und trägt einen Anzug. Alle denken, er hat es geschafft, aber eigentlich ist er voll unglücklich. Die zweite Strophe, in der es um eine Frau geht, ist länger – einfach, weil eine Frau es viel schwerer hat. Ich kenne Frauen in meinem Umfeld, deren Arbeitsvertrag wegen Schwangerschaft befristet wird. Wenn sie dann auch noch künstlerisch irgendwas machen wollen, ist es richtig hart. »Ackern für die Kinder oder ackern für sich selbst« bedeutet: Wenn du einen Job hast und arbeitest, damit es deinen Kindern gut geht, ist das vollkommen legitim. Aber wenn das nicht der Fall ist, dann finde verdammt noch mal, was du liebst. Wenn du nur deine Eltern glücklich machen willst, und die sind dann irgendwann mal weg, dann hast du einen Job am Hals, den du hasst. Deswegen: Wir müssen jeden Tag aufstehen mit dem Ziel, dass zu machen, was wir lieben. Das habe ich für mich entdeckt. Dieser Luxus, aufzustehen, wann man will, ins Bett zu gehen, wann man will, hat mir auf jeden Fall nochmal die Augen geöffnet.

In »Fremd« singst du, bezogen auf Deutschland, »Ich bleibe hier für immer fremd«. Wodurch äußert sich diese Ablehnung, die du hier immer noch erlebst?
Das Thema ist viel größer als ich. Da geht es nicht nur um mich. Es könnte auch ein Flüchtling sein, aus dessen Perspektive erzählt wird, es könnte ein Kurde sein, der in der Türkei lebt, es könnte aber auch ein Ami sein, der hier in Berlin lebt und immer gefragt wird, wann er zurück nach Amerika geht. Durch die Musik ist es bei mir natürlich auch so ein bisschen anders, weil Leute mich kennen, man ist sich durch die Musik und die Texte so ein wenig vertraut. Aber dann bist du mal irgendwo in der Pampa und wirst plötzlich anders behandelt. Und dann fällt’s dir wieder auf: Ah, shit, stimmt, ganz vergessen (zeigt auf seine Haare). Ich komme aber damit klar. Bei dem Song war mir auch wichtig, dass das nicht aus der Opferposition heraus erzählt wird. Es soll mit einer Attitüde sein: Wenn ich gehasst werde, warum soll ich dann dazugehören wollen? Ich habe meine Freunde und meine Familie, von denen die Liebe kommt. Darauf konzentriere ich mich. Ich bin nicht auf diese Welt gekommen, um über Rassismus zu reden oder mich damit zu befassen. Es ist eine Bremse für mich, mich ständig damit auseinanderzusetzen. Wenn deren Ziel ist, mich aufzuhalten, dann darf ich es denen nicht erlauben. Dann konzentriere ich mich eher auf die Liebe und zeige, wie es geht. Anders seh ich für mich keinen Weg, damit umzugehen.

Kritik – egal, was sie betrifft – wird auf dem Album sehr subtil geäußert. Dem Song »Strobo« kann man dein Unbehagen gegenüber dem State-Of-The-Art-Rap entnehmen. Was stört dich an gewissen neuen Trends, Entwicklungen innerhalb der Szene und den Protagonisten dieser neuen Welle?
Ich habe ein Problem damit, wenn Menschen, die sich mit sich selbst nicht richtig befasst haben, Musik machen, damit sehr viel Geld verdienen, aber selbst wissen, dass sie nicht so gut sind. Bei einem B-Boy siehst du, ob er den Headspin hinkriegt oder nicht. Bei Graffitti siehst du, ob der seinen eigenen Style hat oder ob er ihn von jemandem gebitet hat. Beim Rap sagst du einfach »Ich bin der Beste«, und dann glauben es 800.000 Kinder. Ich bin nicht in der Lage, einfach auszublenden, was ich weiß. Ich bin nicht nur mit Rap sozialisiert worden, ich bewege mich in verschiedenen Genres und kenne mich da aus. Man kann schon von gewisser Qualität sprechen, wenn es um Texte geht. Bei vielen vermisse ich das. Wenn es wenigstens die Trennung zur Kunstfigur geben würde, wäre es ja cool. Aber viele sind überhaupt nicht bemüht, zu sagen, dass sie sich nicht die ganze Zeit Heroin in die Pupille spritzen (lacht). Da fehlt irgendwie Demut. Und ein gewisser Respekt der Kunstform gegenüber, mit der man aufgewachsen ist. Es geht halt viel um Geld. Das ist ja auch okay, ich gönn jedem. Aber dann tu nicht so, als wärst du der krasseste Rapper.

»Es ist nicht so schwer, Leute zum Springen zu bringen. Aber bring mal jemanden zum Weinen«

Haben sich Qualitätskriterien denn in den letzten Jahren nicht einfach verschoben? Ist ausgefeilte Technik immer noch ein zentrales Kriterium?
Entweder wir reden über Popmusik oder halt über HipHop. Indem man sich so kleidet, eigentlich aber Popmusik macht, findet man im HipHop statt. Inwiefern ist das noch legitim? Du kannst das verherrlichen, gar keine Kritik daran üben und dein Geld verdienen wie jeder andere auch, denn gestrugglet hat man lange genug. Oder du baust einen kleinen Turn rein, wo du immer noch was zu sagen hast und nicht nur eine Litfaßsäule für Markenklamotten bist. Es gibt mehr zu tun und zu sagen. Die Frage ist: Was für ein Künstler willst du sein? Willst du der sein, wo 200.000 Leute auf- und abspringen und alles rastet aus, die Kameras verfolgen das und sagen »Wow, er ist der Krasseste«. Oder willst du dazu beitragen, dass jemand berührt wird? Dass Leute im Publikum weinen. Wenn alle kollektiv ausrasten, fußt das eher auf so einem Gemeinschaftsgefühl, wie im Fußballstadion mit Hooligans zum Beispiel. Aber ich glaube, dann geht der Individualismus ein bisschen flöten. Der Moment, wo du für dich persönlich was mitnimmst und nicht irgendwie nur zu dieser Masse gehörst. Es ist nicht so schwer, Leute zum Springen zu bringen. Aber bring mal jemanden zum Weinen. Das ist was anderes. (kurze Pause) Wobei man ja nicht alle zum Weinen bringen will, aber du weißt was ich meine (lacht). Respekt an alle.

Text: Juri Andresen
Foto: Roman Goebel

Dieses Interview erschien in JUICE #188. Aktuelle und ältere Ausgaben könnt ihr versandkostenfrei im Online-Shop bestellen.

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