Marteria & Casper: It’s bigger than HipHop // Titelstory

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ZUM KÖNIG GEBOREN

Was Marteria und Casper auf »1982« in erster Linie zusammenführen, sind die Eindrücke ihrer Jugend in der Vorstadt. Die Straßen ihrer Heimatorte mögen anders heißen, die Gefühle und Erlebnisse sind ähnlich. Sowohl in Bielefeld-Schildesche als auch in Rostock-Groß Klein (das heißt wirklich so!) stehen immer noch keine hippen Burgerläden mit Süßkartoffelpommes im Angebot, sondern Imbissbuden, wo Buletten mit Senf serviert werden und die Sehnsucht gegen die Tristesse ankämpft. »Du kommst aus der großen Stadt, gehst ganz klein wieder raus«, drückt das beklemmende »Willkommen in der Vorstadt« jene Getriebenheit aus, die sowohl die Ost- als auch die Westjugend kennt. Cas und Mar haben die Verbindungen zu ihren Ursprüngen nie ganz verloren. Auch wenn sie ihre Wohnsitze seit Jahren woanders haben – der Spirit ihrer Homebase ist stets allgegenwärtig geblieben.

Casper: Ich hatte nie diesen Drang, nach Berlin zu gehen. Ich bin eher ein Kind für die größere Kleinstadt: Bielefeld, Mannheim – diese Städte sind für mich perfekt. Groß genug, um alles zu haben, was man in der Stadt kriegt, aber dorfig genug, um ein bisschen Kauzigkeit an den Tag legen zu können und jede Woche die gleichen Fressen im Club zu sehen. (lacht) In Bielefeld hatte ich auch immer ein Umfeld, das musikalisch und kulturell beyond Bielefeld war, und die es auch oft am Wochenende nach Berlin verschlagen hat, weil die es so gefeiert haben.
Marteria: Für mich war Berlin gar nicht mehr so groß, ich war ja vorher schon in New York, und meine Familie kommt zum Teil aus Berlin. Später habe ich ja die Techno-Szene voll mitgenommen: Berghain, Bar 25, Club der Visionäre. Aber am Ende habe ich auch gemerkt, dass mich dieser ganze Wahnsinn ein bisschen auffrisst. Jetzt bin ich halt etwas außerhalb an der Ostsee und liebe Berlin wieder mehr. Hier gibt es so viele Ebenen und so viele unterschiedliche Menschen. Ich mag auch diese Direktheit, wenn du beim Busfahrer einsteigst und direkt angemault wirst – das empfinde ich nicht als schlimm. Ich komme aber auch aus einer Gegend, wo man froh sein kann, wenn überhaupt ein Wort gesagt wird – das macht den Charme von MeckPomm aus.

Marteria besucht Rostock immer noch regelmäßig. Und so stand bei den Arbeiten am Album auch die Idee eines Posse-Tracks im Raum, der die einstigen Umfelder der beiden Protagonisten auf einem Song zusammenbringen sollte, was letztlich an organisatorischen Gründen (»Wo fängt man an? Wem sagst du das ab?«, Casper) scheitert. Doch die Intimität von »1982« wird eh erst durch die Distanz der Gegenwart ermöglicht. Track für Track überbieten sich Cas und Mar mit Insiderwitzen aus gecracktem Cool Edit Pro, Krümeltee oder Rumlungern bei Karstadt Sport. Doch frönt man hier nicht einer beschwipsten Vergangenheitsverklärung, die im Rückspiegel hinterherwinkt – der fade Beigeschmack einer Retroplatte hätte zu schnell als Rechtfertigung gegenüber einer Szene ausgelegt werden können, die den Vollblutrappern eigentlich nie Erwartungen aufzwingen konnte. »1982« ist 2018 in Spiegelschrift.

Casper: Es ist heute wahrscheinlich immer noch so, dass du in Bielefeld fragst: »Casper?« Und die einen antworten: »Das ist doch kein Rap!«, während die anderen sagen: »Der ist doch gar nicht richtig von hier.« Das schleppe ich schon ein bisschen mit mir rum und finde es schade. Marten hat da den etwas besseren Draht zur Heimat.
Marteria: Ich glaube, da spielt auch der »Mein Rostock«-Song eine Rolle. Sicher gibt es Leute, die heute Neid mit sich herumtragen, der eigentlich bloß Verbitterung ist. Es geht aber auch darum, Sachen zu verzeihen. Wenn es einer aus der Crew schafft und ich es nicht bin, wäre ich auch nicht happy damit. Aber manche hängen nach zwanzig, 25 Jahren immer noch am Traum der Rapkarriere. Da kannst du halt nichts machen. Casper und ich haben geackert – das ist der entscheidende Punkt. Du kannst uns nicht ans Bein pissen.
Casper: Bei mir ist es auch eher der Wunsch, gewisse Entwicklungen zu ändern, die gar nicht so sehr an bestimmten Zeiten oder Orten hängen. Plötzlich entsteht im engsten Freundeskreis so etwas wie Geldneid. Aber unser Job ist ja nicht nur, fünf Wochen Recording Sessions abzureißen, sondern auch das Drumherum. Wir haben keinen Feierabend, alles ist stets im Prozess.
Marteria: Das soll jetzt nicht undankbar klingen: Ich habe immer davon geträumt, am Schlesischen Tor in die U-Bahn zu steigen, wo mich jeder erkennt, weil ich ein cooler Rapper bin. Das war mein Traum! Aber manche Fans sind durch unsere Songs beim Aufeinandertreffen so emotional, dass sie direkt heulen. Das ist manchmal etwas zu viel. Aber wir sind Musiker: Das ist der Deal!

GANZ SCHÖN OKAY

Es entbehrt nicht einer gewissen Ironie, dass mit »1982« ausgerechnet jetzt zwei Rapper einer eigentlich vergangenen Ära zusammenkommen, die den deutschen HipHop vor zehn Jahren aus der Depression katapultierten. Nach all den Innovationsimpulsen, die ihre Klassikeralben »XOXO« und »Zum Glück in die Zukunft« vor rund einer Dekade auslösten, steht die deutsche HipHop-Szene 2018 wieder vor dem Problem der Gleich­förmigkeit. Längst sind Kleidungsstile, musikalische Einflüsse, ja sogar das einstige Wagnis, zu singen, dank Autotune eher sekundäre Bewertungskriterien geworden – ein Verdienst übrigens, der auch auf die erkämpfte Narrenfreiheit von Caspers und Marterias Alben zurückzuführen ist. Heute bevölkern Playlists und Charts Afrotrap-Hymnen, Autotune und – wieder einmal – Asphaltdrama. Ein Game, das Cas und Mar nicht mitspielen müssen – »Wir sind jetzt die geilen OGs«, witzelt Casper. Man merkt: Ihre Mission bleibt bei aller Liebe zur Kultur auch 2018 größer als HipHop.

Text: Fionn Birr
Foto: Philipp Gladsome, Chris Schwarz

Die Titelstory erschien erstmals in JUICE #188. Aktuelle und ältere Ausgaben könnt ihr versandkostenfrei im Shop bestellen.

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