BERWYN: Allen Widrigkeiten zum Trotz // Feature

-

Wer einen Blick nach England wirft und dort vielversprechende Artists sucht, die noch am Anfang ihrer Karriere stehen, wird auf Rapper und Sänger BERWYN stoßen. Der Londoner mit Wurzeln in Trinidad & Tobago beeindruckt die örtliche Szene mit liebevoll arrangiertem Trap, der meist von einem Piano begleitet wird und persönliche Geschichten erzählt, die von Struggles, Träumen, Rassismus und mittlerweile auch Erfolgen handeln. Wir haben uns mit dem kreativen Allround-Talent unterhalten, um mehr über seine Geschichte und die davon inspirierte Kunst zu erfahren.

Foto: Frank Fieber

Wie seit mehr als einem Jahr üblich, sind wir mit BERWYN per Zoom verabredet, um über seine Musik zu sprechen. Dort erzählt er direkt zu Beginn des Gesprächs, dass er in der letzten Wochen den ersten BERWYN-Hit geschrieben habe, auch wenn ihm diese Kategorisierung selbst nicht wirklich gefällt. »Mir fehlt dafür das richtige Wort in der englischen Sprache. Aber stell es dir so vor, dass ich in einer zufälligen Menge von Menschen stehe, die mich nicht kennen, und Musik spiele. Alle sind am Tanzen, auf dem höchsten Level, das sie gehen können. Und dann muss ich einen Song spielen, der diese Energie nicht reduziert, sondern nochmal anhebt. So ein Song ist das.« Nun ist es nicht so, dass BERWYNs Songs bisher nur von wenigen Leuten gehört werden und deshalb nicht als Hits durchgehen. Seit dem Release seines Debütalbums »Demotape / Vega« im letzten Jahr ist die Aufmerksamkeit für seine Musik stetig gestiegen, die Single »Vinyl« aus seinem aktuellen Album »Tape 2 / Fomalhaut« wurde bereits mehr als eine Million Mal gestreamt. Trotzdem zeichnen sich seine Songs oft nicht durch Leichtigkeit und Positivität aus, mit der man Menschen leichter erreichen kann. »Vinyl« ist eine melancholische Verarbeitung von eigenen Fehlern und wichtigen Dingen, die man im Leben verpasst hat und nicht mehr nachholen kann. Nicht wirklich das, was gemeinhin als ein Hit bezeichnet wird, aber eine ehrliche und intime Reise durch BERWYNs Gedanken an schwierige Umstände.

»Alles im Leben ist hart, wirklich alles. Selbst die Küche sauber zu halten ist hart. Aber wenn ich am Piano sitze oder die Violine in der Hand habe, ist es so einfach. Ich genieße diese Einfachheit.«

BERWYN über das Spielen von Instrumenten

Die musikalische Erfolgsgeschichte von Berwyn Du Bois ist eng mit seiner persönlichen Biographie verknüpft. BERWYN wird in Trinidad geboren, wo er erste musikalische Inspirationen durch seinen Vater erfährt, der DJ ist. »Ich saß oft auf seinem Schoß auf unserer Veranda und wir haben Radio gehört. Da kam nur das gute Zeug aus Motown und Soul. Das war definitiv eine große musikalische Inspiration, auch wenn ich im jugendlichen Alter erstmal weniger damit zu tun haben wollte.« BERWYN zieht im Alter von neun Jahren mit seiner Mutter in den Osten Londons und entwickelt seine Fähigkeiten autodidaktisch weiter. Er lernt Klavier, Violine, Schlagzeug und Gitarre ohne jemals Unterricht genommen zu haben. Für ihn eine Art Selbstverständlichkeit, wenn man nur genügend Interesse für die Sache mitbringt. »Wenn du dich für etwas interessierst, kannst du es auch machen. In meiner Realität gab es so etwas wie Klavierstunden zum Lernen nicht, das war unmöglich zu erreichen. Es gab aber ein Piano. Also habe ich einfach selber damit angefangen und es ausprobiert. Wenn du Musik wirklich liebst, wirst du zu deinem Lieblingssong spielen, selbst wenn das scheiße klingt. Du wirst weiter und weiter spielen bis es irgendwann ganz gut klingt.« Unterstützung bekommt er von einer Lehrerin an seiner Schule, die sein Talent erkennt und anfängt, ihn mit in einen Folk Club zu nehmen. »Das war eine Ansammlung von alten, weißen Menschen. Und wenn ich alte Menschen sage, dann meine ich damit, dass dort niemand unter sechzig war. Du kannst dir vorstellen, wie das für mich gewirkt hat. Aber sie haben mir Liebe gezeigt. Dort gab es zum Beispiel eine Geige, ein Akkordeon, eine Mundharmonika und so weiter. Dort konnte ich diese Sachen ausprobieren und immer weiter dazulernen.« Ein Video zeigt BERWYN in diesem Club, wie er einen Ed Sheeran Song mit Akustikgitarre covert. Das Interesse für Rap existiert allerdings schon vor seiner Zeit im Folk Club, auch wenn damit keine großen Ambitionen mit Blick auf eine Karriere verknüpft sind. »Auch wenn es wie ein typisches Klischee klingt, aber die Schwarzen Kids haben eben schon immer gerappt, oder nicht? Mir ist klar, dass das wie ein Vorurteil klingt, aber als Schwarze Kids war das Teil unserer Kultur. Wir wollten nicht mal die krassesten Rapper sein, es hat sich einfach richtig angefühlt, wenn wir gerappt haben. Ähnlich wie wenn man Fußball einfach zum Spaß im Park spielt. So haben wir eben die ganze Zeit Bars gespuckt.«

BERWYN erzählt, dass sich sein Musikgeschmack nach seiner Schulzeit stark erweitert habe – »von Mumford & Sons zu 50 Cent«. Sein Interesse an eigener Musik, die nicht nur Rap, sondern auch Gesang und die passenden Produktionen umschließt, wächst weiter. Die nötigen Tools für die Umsetzung sind ein PC und das Internet. »Glücklicherweise lebe ich im Zeitalter der Information und hatte Zugang zu Informationen, die zehn Jahre zuvor niemand in meiner Situation gehabt hätte. Deshalb habe ich mir diese Dinge selbst beigebracht. Immerhin hatte ich das Internet. Seitdem es das gibt, sollte sich doch eigentlich jede*r Dinge selbst beibringen können«, sagt er und lacht als ob es das einfachste auf der Welt wäre. »Alles im Leben ist hart, wirklich alles. Selbst die Küche sauber zu halten ist hart. Aber wenn ich am Piano sitze oder die Violine in der Hand habe, ist es so einfach. Ich genieße diese Einfachheit.«

Thematisch beschäftigt sich BERWYN häufig mit Situationen, die es ihm schwer gemacht haben, sein Leben frei zu gestalten. Sein Aufenthaltsstatus im UK war lange Zeit ungeklärt, weshalb er trotz guter Noten in der Schule nicht studieren durfte. Dass seine Mutter im Gefängnis landet, verstärkt die persönlichen Struggles noch, irgendwann steht er ohne Wohnung da und schläft in einem Auto. »Du fängst an ernsthaft zu reden, wenn dein Leben ernst wird«, meint Berwyn ganz sachlich zu seinen Texten, die nicht nur eine persönliche Geschichte erzählen, sondern rassistische Strukturen in der Gesellschaft anprangern. »Legally I was a no-one / To everyone I was just foreign / I didn’t exist in the eyes of the law / I had to hide it, fight it alone/ You don’t wanna give someone a tool / That they can use when they want you gone«, rappt BERWYN auf dem zweiten Song von »Tape 2  / Fomalhaut«, dessen Titel »I’d rather die than be deported« den großen Schmerz seiner Situation verdeutlicht. Sich zu motivieren, gegen die Ungerechtigkeiten des Systems und rassistischen Beleidigungen gegen ihn persönlich zu kämpfen und dabei den Traum einer Karriere als Musiker zu verfolgen, sei nicht leicht gewesen, erklärt der Londoner. Spiritualität und der Glaube an sich selbst hätten in dieser Situation am meisten geholfen. Trotzdem sitzt uns im Interview ein Menschen gegenüber, der zufrieden wirkt, offensichtlich Spaß an der eigenen Kreativität hat und viel lacht. »Ich bin nicht wütend, zumindest nicht mehr«, sagt er angesprochen auf die Ungerechtigkeiten, die er erlebt hat. »Es gab am Anfang Wut, aber das hat sich verändert. Stell dir vor, jemand piekst dich zehn Jahre lang mit einem Stock. Irgendwann wirst du aufhören, dich darüber aufzuregen, es interessiert dich einfach nicht mehr. Es gab den Punkt, an dem es für mich einfacher war, mich auf eigene Erfolge zu konzentrieren und ein Lächeln aufzusetzen.«

»Ich bleibe an diesen Themen auch dran, weil sie jetzt meinen Lebensunterhalt verdienen. Das ist der Kontrast zu der Zeit, als diese Dinge dafür gesorgt haben, dass ich keinen Lebensunterhalt hatte.«

BERWYN über seine Auseinandersetzung mit Rassismus

Das bedeutet allerdings nicht, dass politische Themen keine Rolle mehr in BERWYNs Texten spielen, sie entstehen schlicht unter anderen Umständen. »Ich bleibe an diesen Themen auch dran, weil sie jetzt meinen Lebensunterhalt verdienen. Das ist der Kontrast zu der Zeit, als diese Dinge dafür gesorgt haben, dass ich keinen Lebensunterhalt hatte.« Die Auseinandersetzung mit Situationen, in denen er rassistisch beleidigt wurde und in denen er offenlegt, wie struktureller Rassismus Einfluss auf sein Leben genommen hat, fällt ihm gleichzeitig leicht und schwer, wie er mit einem Vergleich erklärt: »Das ist genauso leicht, wie sich selbst zu verbrennen. Es ist leicht, das Feuerzeug aufzuheben, an deine Hand zu halten und es anzuzünden. Aber es tut weh, sich zu verbrennen. Songs darüber zu schreiben ist das leichteste, was ich machen konnte. Aber das heißt nicht, dass es wirklich leicht ist. Weißt du, was ich meine? Die Handlung an sich ist, wie beim Feuerzeug, einfach, aber es fühlt sich nicht leicht an.« Ein Beispiel ist der Beitrag für die BBC-Late Night Show »Later… With Jools Holland«, wo BERWYN seine Single »Glory« in der Küche seiner Mutter spielte, während sie neben ihn und seinem Piano stand. Für die Performance hat BERWYN eine zusätzliche dritte Strophe in der Nacht vor der Aufzeichnung geschrieben, die sich mit der Black Lives Matter-Bewegung auseinandersetzt und seine persönlichen Erfahrungen mit Rassismus in den Mittelpunkt stellt. »Mit diesem dritten Verse habe ich meinen Kopf geöffnet und gezeigt, wie es dort aussieht. Das war der Teil, den ich dazu beitragen konnte.« Mit 25 Jahren fühle er sich noch nicht bereit, eine weltpolitische Sicht auf Themen globaler Ungerechtigkeit darzulegen, erklärt BERWYN die persönliche Perspektive. Viel wichtiger als das ist aber, dass seine Stimme jetzt überhaupt Gehör bekommt und alleine dadurch einen Teil zum Kampf gegen Ungerechtigkeit beiträgt.

Dass der letzte Part erst in der Nacht vor dem Auftritt entstand, ist bei BERWYNs intuitiver Art und Weise zu arbeiten kein Zufall. Einen wirklichen Prozess für das Komponieren und Schreiben gibt es bei ihm nicht, er selbst beschreibt dies als Situationen »in die man ausversehen hineinstolpert.« BERWYN setzt sich an ein Instrument, spielt Töne an, probiert Melodien aus und spricht Gedanken aus, die ihm durch den Kopf gehen. »Das passiert einmal und du bist total erstaunt darüber, dass du die Fähigkeit hast, so etwas zu tun. Und dann passiert das zehn Mal, zwanzig Mal und so weiter. Aber ich sage dir, das passiert zufällig.« Die unstrukturierte Art zu arbeiten geht dem Londoner allerdings leicht von der Hand, weshalb er aktuell »auf ungefähr 300 Songs« sitzt, deren Qualität er mittlerweile realistisch einschätzen kann. »Bis ungefähr 100 Songs hatte ich noch den Drang, Leuten die Musik zu zeigen, um ihre Meinung dazu zu bekommen. Bei ungefähr 120 habe ich mich dann gefragt, warum ich überhaupt in einen Prozess gehe, bei dem die Leute mir Schreiben, dass es ein guter Song ist. Natürlich ist er das, deshalb habe ich ihn ja geschickt«, sagt er und lacht. »Dieser Austausch ist also Nonsens. Und sobald du das erstmal realisiert hast, gehst du anders damit um. Ich weiß mittlerweile, was ich an meinen Songs habe und brauche sie deswegen nicht mehr an Leute zu verschicken. Ich brauche diese Art von Anerkennung nicht mehr.«

Vor allem nicht, da ihm seit 2020 Anerkennung aus allen möglichen Ecken des UK entgegen kommt. Egal ob durch die Zusammenarbeit mit Rappern wie Headie One und Fred Again.. auf ihrem Projekt »GANG«, eine kommende Kollabo mit seinem Freund Pa Salieu oder durch den dritten Platz auf der Shortlist der BBC Sound of 2021-Liste – die Wertschätzung für BERWYNs Musik ist groß, auch wenn sie spät kommt. Der Großteil an Songs seines ersten Albums stammt noch aus 2018, bevor er bekannt war. Der Wandel zu einer besseren Situation zeigt sich in den Details seines zweiten Albums, das noch immer von Melancholie und Tiefsinnigkeit lebt, aber mehr Platz für positive Momente lässt. Im Video zu seiner Single »100.000.000« zeigt sich BERWYN in einem Auto, in dem er früher geschlafen hat, weil er keine Unterkunft hatte. Die Erinnerung an schwierige Umstände bleibt mahnend bestehen, wird aber mit einem fröhlichen BERWYN ergänzt, der in diesem Auto Karten spielt, Joints raucht und andere Facetten seines Lebens zeigt. Probleme gebe es noch immer, erzählt er, auch verursacht von der Pandemie und der damit einhergehenden Einsamkeit. »Trotzdem bin ich glücklich, ich bin crazy happy. Meine Kindheitsträume liegen zum Greifen nahe vor mir ausgebreitet. Ich mache Radiointerviews aus meinem Wohnzimmer heraus, lebe den Traum und kann den nächsten Schritt kaum erwarten.« Spätestens nach der Pandemie wird dieser nächste Schritt in Auftritten bestehen, bei denen BERWYN sein Talent vor einem Publikum zeigen kann, das in den nächsten Jahren weiter wachsen wird. Die Musik klingt dann vermutlich immer noch schwermütig, aber die Perspektive hat sich verschoben. »Nowadays we only write victory songs«, rappt BERWYN auf seinem zweiten Album und stellt klar, wohin die Reise in Zukunft geht.

Text: David Regner
Foto: Frank Fieber

1 Kommentar

Kommentieren Sie den Artikel

Bitte geben Sie Ihren Kommentar ein!
Bitte geben Sie hier Ihren Namen ein