Battle Of The Ear: Migos – Culture II // Review

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(Quality Control Music / Motown / Capitol)

PRO

Wertung: Viereinhalb Kronen

Wer »Culture II« dafür kritisiert, mit seiner 24-Songs-umfassenden und circa 105 Minuten langen Tracklist zu ausufernd zu sein, hat das zweite Album der Migos, aber auch generell den vorherrschenden Pop-Zeitgeist nicht verstanden. Mit ihrem majestätischen Momentum aus dem letzten Jahr – das Generationsalbum »Culture« – bekamen Quavo, Offset und Takeoff endlich jene gesamtkulturelle Legitimierung verliehen, die Ewiggestrige ihnen mit dem »Mumble Rap«-Etikett immer absprechen wollten. Ein Jahr später heißt es nur noch: »Th is real rap, no mumble«. Ja, wem müssen sie eigentlich noch was beweisen, wenn sich selbst Kanye für »BBo (Bad Bitches Only)« und Pharrell bei »Stir Fry« (dessen Beat 2008 mal für T.I. gedacht war) freiwillig als Co-Piloten hinter den Musikmaschinen verkrümeln? »Culture II« schreibt die Erfolgsstory des wichtigsten Rap-Trios seit Run DMC aber nicht einfach nur fort, es diff erenziert die Rollen der Bandmitglieder aus: Quavo widmet sich öfter der Co-Produktion, Takeoff brilliert in unterstützender Sidekick-Funktion und Offset mutiert immer mehr zu jenem Chef-Rapper, der er eigentlich auf »Y.R.N.« schon war. Aber: »Culture II« ist bei aller revolutionären Überlänge eigentlich ein konservatives Album, hat man hier doch eine Street- und eine Charts-Hälfte produziert, wie es Ende der Neunziger während der sogenannten »Jiggy«-Ära gängige Praxis war. Eine für die Streaming-Kasse optimierte Tracklist aus der für Migos urtypischen, repetitiven Synthie-Stupidität zu Beginn und einer versöhnlichen, teils überraschenden R’n’B-Eingängigkeit im zweiten Akt. Doch eigentlich hebeln Migos die ohnehin künstlichen Kategorisierungen wie »Album« oder »Mixtape«, »Mainstream« oder »Underground«, »Real« oder »Fake« Track für Track aus – quirliger Trap-Pop wie »MotorSport« findet genauso Platz wie die Stripclub-Ode »Beast« oder das Abendgala-Anthem »Made Men«. Losgelöst von allen Formaten sind diese autogetunen Hedonimushymnen nämlich nur als Serviervorschlag zu verstehen, aus dem jeder ein eigenes Migos-Album basteln darf. Jay-Z hat in seiner Quasi-Biografie »Decoded« einmal behauptet, man müsse erst erlernen, Rap auf die Weise zu hören, wie er gemeint ist. Mit »Culture II« bringen uns Migos bei, Releases aus dem neuen Jahrtausend so zu hören, wie sie gemeint sind – nämlich so, wie wir sie hören möchten.

Text: Fionn Birr

CONTRA

Wertung: Drei Kronen

Industrieregel Nummer 4079: Plattenfirmen wollen Geld verdienen. Das mag Fluch und Segen zugleich sein – im Mainstream-HipHop, wo Kapitalismus eine Glaubensrichtung ist, führt es zu wiederkehrenden Mechanismen. Einer davon ist die Fortsetzung nach dem Prinzip »If it ain’t broke, don’t fix it«. Wem also ein karriere- oder vielleicht sogar kulturdefinierender Moment gelingt, der melkt die Kuh gerne mit einem zweiten Teil. »Blueprint II«, »MMLP II«, »Tical 2000«, »The War Report II« – die Liste durchwachsener Sequels wäre lang genug, um die Zeichenzahl dieser Review zu sprengen. Trotz des Geldsegens, den »Culture II« der Dreierbande aus dem Bando unweigerlich eingebracht hat, ereilt dieser Fluch nun also auch die Migos. Dabei hatte der erste Teil von »Culture« so vieles richtig gemacht, was Takeoff, Offset und Quavo zu Mixtape-Zeiten schwer fiel: Man bündelte Anfang 2017 das »Bad & Boujee«-Momentum zu einem kompakten Opus Magnum, mit dessen Dramaturgie, sorgsam ausgewählten Featuregästen und musikalischer Bandbreite die Nord-ATLiens der vergangenen Spielzeit früh ihren Stempel aufdrückten. Dagegen wirkt die kurz vor dem ersten Jahrestag dieses modernen Klassikers veröffentlichte Fortsetzung oftmals wie ein hastig vom Studioboden zusammengekehrter Nachfolger, der Fragen aufwirft. Die offensichtlichste: Wieso um alles in der Welt würde man in der Playlist-Ära, einem Zeitalter definiert durch die stetig sinkende User-Aufmerksamkeitsspanne, ein Album mit 24 Songs releasen? Egal, wie wohlwollend man der Musik des Trios gestimmt ist, die mehr als hundertminütige Lauflänge provoziert zwangsläufig Ermüdungserscheinungen. Damit wir uns nicht falsch verstehen: »Culture II« hat seine Momente – wenn Quavo auf »Too Much Jewelry« mit einem Vocoder-Part das Trap House mit French House mischt. Oder wenn Pharrell für »Stir Fry« eine zehn Jahre alte Beatskizze rauskramt und sie zum Hit flippt. Wenn Nicki und Cardi sich auf »MotorSport« Kopf an Kopf messen. Oder Post Malone für »Notice Me« eiskalt eine Hook hinrotzt, wie es aktuell nur dieser trottelige Hillbilly kann. Wer sich die Mühe macht, eine abgespeckte Playlist zu basteln, hat ein Filet-Album, das sich über weite Strecken mit seinem Vorgänger messen kann. Aufgrund der Menge an Filler-Material will das Gefühl jedoch nicht weichen, Migos täten es auf »II« eher für den rollenden Rubel als um der Kultur willen.

Text: Jakob Paur

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