(Def Jam / UMG)
PRO
Die These, dass schwarze Musik vom weißen Publikum dann mit Begeisterung bewundert wird, wenn sie dessen romantisierte Erwartungen erfüllt, ist viele Jahre alt. Und sie gilt auch heute noch. Dafür muss Kanye West kein chiffriertes Black-Empowerment-Album machen. Hat er mit »Yeezus« aber trotzdem. Vielleicht sogar, ohne es zu wollen. Aber eins nach dem anderen. »Yeezus« ist kein bewusster Versuch, die Welt vor den Kopf zu stoßen. Kanye macht Dinge, die sowohl seinen Hatern als auch seinen Fans schräg einfahren, nicht für die Inszenierung, sondern weil er sie für richtig hält. »Yeezus« ist kein Vorreiter-Album, an dessen Soundentwurf sich in ein paar Jahren eine ganze Szene orientiert, kein »Blueprint«, kein »ATLiens«, nicht mal ein »The College Dropout«. Kanye hat schon besser gerappt und der zweite Verse auf »New Slaves« ist nicht der beste aller Zeiten. Aber – und dieses »Aber« ist kein lapidar nach dem Leak dahingetwittertes, sondern ein In-allen-Lebenslagen-angespielt-deswegen-durchschnittlich-74-Wiedergaben-bei-iTunes-»Aber«: »Yeezus« hat große Songs mit Momenten, die niemand anders als Kanye machen könnte. Wenn auf »On Site« zwischen Bit-Krach und Fellatio-Lyrik auf einmal ein Kirchenkinderchor in süßester Verneigung zur Statement-Lobpreisung anstimmt: »He’ll give us what we need/It may not be what we want.« Man braucht die aneinandergereihten, von jeder Melodie befreiten Percussions von »Black Skinheads«, den Alarmanlagen-Patois-Wahnsinn von »I’m In It« und diese destruktive Wodkaflaschenboden-Lyrik des Klagelied-Dreamteams Vernon/Keef. »New Slaves« ist Ghetto-Kraftwerk, Hamptons-Krautrock und Gil Scott-Heron aus der Zukunft. »Blood On The Leave« ist in seiner Dreistigkeit kaum zu überbieten, aber wie Kanye hier Auto-Tune, Nina Simone und TNGHT-Trap zusammenknüllt! »Yeezus« beginnt mit cooler Kakophonie und endet in träumerischem Soul. Wo es wohl als nächstes hingeht? Ob es unsere Erwartungen erfüllt?
Text: Alex Engelen
CONTRA
Ich arbeite mittlerweile seit zwölf Jahren für die JUICE, und wenn ich mich recht entsinne, hab ich in der ganzen Zeit noch nie etwas über Kanye West geschrieben. Und das hat einen guten Grund: Ich mag den Typen eigentlich nicht. Das liegt ausdrücklich nicht an seiner Musik. Die finde ich in den allermeisten Fällen großartig, selbst wenn ich mit »808s & Heartbreak« zunächst Eingewöhnungsprobleme hatte und wie jeder andere halbwegs normal tickende Mensch nach einer halben Sekunde »Gold Digger« skippe, mich beschwere oder den Raum verlasse. Und es wäre auch ausgesprochen dämlich, seine musikalische und popkulturelle Bedeutung kleinzureden. Aber der von Kanye selbst permanent forcierte Personenkult um ihn, der nervt mich einfach nur: Ob er nun besoffen irgendwelche Preisverleihungen crasht, banalste Erkenntnisse über die Grausamkeiten der Weltwirtschaft zu einem Welthit verarbeitet und dann doch Signature-Sneakers von Kindern nähen lässt oder sich allen Ernstes zu einem Bürgerrechtler vom Kaliber eines Martin Luther King erklärt – das alles ist dermaßen selbstgerecht, viertelgebildet und überheblich, dass es einem beinah den Spaß an seiner Musik verderben könnte. Im Zuge von »Yeezus« treibt er seinen ADHS-Größenwahn nun komplett auf die Spitze: Schon recht, dieser eine Verse ist natürlich der beste aller Zeiten. Klar, ich fahr quer durch die Stadt, um mir ein Rap-Video auf einer blöden Hauswand anzuschauen. Und natürlich kaufe ich am Ende dann auch diesen unbedruckten Rohling ohne Cover – schließlich kann ich als Normalsterblicher ja froh sein, dass sich Halbgott West überhaupt noch dazu herablässt, seine paradiesische Musik mit uns Konsumentengewürm zu teilen. »Fick dich, Kanye«, grummelt der innere Realkeeper und begibt sich auf die E-Suche nach einer umsonsten Anhörmöglichkeit. Um schließlich festzustellen, dass »Yeezus« doch irdischen Ursprungs ist: Teils ein bisschen anstrengend und hingeschissen vielleicht, aber definitiv ein gutes Album voller guter Ideen und ein paar veritablen Hits – alles andere wäre angesichts des ganzen Theaters drumrum auch eine Frechheit gewesen.
Text: Marc Leopoldseder