Halb Mensch, halb Twitter: Patrick Lublow bringt es beim zwitschernden Kurznachrichtendienst auf sage und schreibe 28.300 Tweets – Tendenz selbstverständlich steigend. Als regelmäßiger JUICE-Rezensent und -Autor hat der Hamburger das Rapjahr natürlich auf fernab von Tweefs, Memes und Hashtag-Overkill akribisch mitverfolgt. Für unsere Autorencharts lässt er seine Highlights der vergangenen vier Jahreszeiten noch mal hochleben – allerdings ohne wertenden Countdown von zehn bis eins.
Ich habe bereits einiges an Häme über mich ergehen lassen müssen, als ich schon Mitte des Jahres großspurig verkündete: »Meine Top Ten 2015 wird aller Voraussicht nach ausschließlich aus Deutschrap bestehen.« Nachfragen, ob ich 15 Jahre alt sei oder welches Deluxe-Edition-Goodie mir denn am besten gefallen habe, waren noch die nettesten Reaktionen. Ja, A$AP Rockys »AT.LONG.LAST.A$AP« konnte man gut durchhören und auch Action Bronson hat mit »Mr. Wonderful« ein solides Album abgeliefert. Beide konnten aber nicht mit ihren vorherigen Alben bzw. Mixtapes mithalten und haben kaum länger als zwei Wochen in meiner Rotation überlebt. Und ja, Mac Miller hat mit »GO:OD AM« ein schönes Stück Musik veröffentlicht und auch Travi$ Scotts »Rodeo« hat meine Erwartung erfüllt – meine Erwartung war aber euch ehrlich gesagt, dass es nicht so geil wird wie die Mixtapes. Ansonsten: »To Pimp A Butterfly« war für mich, aller euphorischen Kritiken zum Trotz, einfach nur eine große Schale Müsli, »What A Time To Be Alive« wirklich nicht meine Tasse Tee und »Compton«, um mal bei den Frühstücksvergleichen zu bleiben, ein fades Aufbackbrötchen, das schon vor mehreren Jahren hätte aus dem Ofen geholt werden müssen. Nun steht also das Ende des Jahres vor der Tür und fernab aller Video-Statements, Fitnessstudio-Selfies und unnötiger Deluxe-Box-Zugaben waren die in meinen Augen zehn stärksten Platten dieses Jahres allesamt auf Deutsch – oder Wiener Schmäh. Hassnachrichten und selbstverfasste Lobhudeleien auf das Kendrick-Album könnt ihr übrigens gerne an alle@internet.de senden.
Fatoni & Dexter – Yo, Picasso (Album)
Treffen sich ein Schauspieler und ein Kinderarzt ein paar Mal nach der Arbeit und hauen mir nichts, dir nichts eines der stärksten Rapalben dieses Jahres raus. Fatoni schafft es, wahrscheinlich auch dank seiner Schauspielausbildung, unglaublich intelligente Texte unterhaltend vorzutragen und bekommt von Dexter derartig stimmige Beats unter den Arsch gezimmert, dass das Hören von »Yo, Picasso« eine reine Freude ist. Auch wenn es an Blasphemie grenzt, bisweilen erinnern mich die Stimmung der Platte und das Zusammenspiel der beiden Protagonisten sogar an »Gefährliches Halbwissen«.
Waving The Guns – Totschlagargumente (Album)
Auf den ersten Blick stehen Waving The Guns für alles, was ich an Rap doof und ermüdend finde: Battlerap auf Boombap-Beats, möglichst viele Vocal-Cuts, immer ein paar Silben zu viel pro Zeile und der inflationäre Gebrauch des Wortes »wack«. Auf den zweiten Blick offenbaren sich die vier Jungs aus Rostock jedoch als intelligente und humorvolle Entertainer mit klarer politischer Haltung. Hier geht es nicht um tiefenanalytische Gesellschaftskritik, hier geht es darum, Nazis aufs Maul zu geben und homophoben Arschlöchern das Blasen zu lehren. »Jeder hat so sein Thema – und das ist meines/Dann noch wie cool Big Ls Album und wie wack deins ist.« Für ein wirklich überzeugendes Album reicht das in diesem Fall locker aus.
Waren auch meine Topalben, außer Waving The Guns (kannte ich davor nicht) und Crack Ignaz (davor habe ich mich bisher auch immer gedrückt, werde ich mir jetzt aber anhören). Anstelle dieser wären bei mir Chefkets Nachtmensch und Maulis Spielverderber gewesen.