Aus dem Archiv: Kanye West – Graduation // Review

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(Roc-A-Fella/ Def Jam / Universal)

Wertung: Fünf Kronen

Musik jetzt also. So in echt, mit lnstrumenten und Larry Gold und mitgedachter Zwölffach-Platin-Plakette. Und wenn es auf ,»I Wonder«, dem offensichtlichsten Bono-Moment des Albums, heißt, ,»l been waiting for this my whole life«, dann glaubt man ihm das aufs Wort: Kanye West hat sich immer schon zu Größerem berufen gefühlt, als deinem Lieblings-Conscious-Rapper zu seinen dreieinhalb Minuten Radioruhm zu verhelfen. Und deswegen nimmt er seine Rolle als Branchengenius mit Heilandsgestus umso ernster, nun da ihm die gesamte lndustrie an den Lippen hängt und man ihm jeden noch so grotesken Ausbruch seines überbordenden Egos durchwinkt, ohne auch nur eine Sekunde daran zu zweifeln, dass hier jemand die Erlösung aus einem ARS-1O zu schütteln vermag. Der neoklassizistische Samplesound jedenfalls, den Kanye der Welt auf Beanie Sigels ,»The Reason« und vor allem Jay-Zs »Blueprint« vorstellte und den er spÄter mit Songs wie »Never Let Me Down« oder »Heard Em Say« auch auf seinen eigenen Alben grenzperfekt durchexerzierte, ist mittlerweile komplett einem fast barocken Pop-VerstÄndnis gewichen. Wenn es ausnahmsweise mal halbwegs gerader Rapscheiß sein soll, wie etwa auf der furiosen Lil Wayne—Kollabo »Barry Bonds« oder dem zumindest Überraschenden President Carter-Traktat »Big Brother«, dann lasst Kanye direkt minderambitionierte Kollegen wie Nottz oder DJ Toomp an die Maschinen. Ansonsten packt er munter Schicht auf Schicht, samplet Elton John (»Good Morning [Intro]«) und erdenkt Arrangements, die weit mehr mit seinen Stadion-Allmachtsfantasien zu tun haben als mit dem tradierten Strophe-Hook-Strophe-Hook-Strophe-Schema eines handelsüblichen Rapstücks. Das eingangs bereits erwähnte »I Wonder« ist so ein Fall: Die erste Strophe besteht lediglich aus vier ewig Iang gezogenen Zeilen, bevor Kanye das Tempo in der Mitte des Songs aus dramaturgischen Überlegungen anzieht und mit blumigen Vokabeln die eigene Herrlichkeit preist. Auf »Drunk And Hot Girls« samplet er dagegen die deutschen Krautrocker von Can, schraubt schamlos an knackigen Gören herum und lasst Mos Def als Blues-Barden in einem Inferno der Verzerrungen untergehen, das er sich nach eigener Aussage bei Portishead abgeschaut hat. »Everything I Am« ist eine großartige Synthese aus »The People« und »The Game« und steht inhaltlich in der Tradition der großen West‘schen Rechtfertigungsarien. »Flashing Lights« mit Dwele versöhnt Eurodance-Synthies mit NeoSoul-Sensibilitäten, während Yeezy das Wesen des Celebrity-Daseins runterbricht. Und »Can’t Tell Me Nothing« ist nach wie vor der beste Rapsong des Jahres. Klar, in jenen Momenten, in denen einem Kanyes Attitüde so ganz geballt ins Gesicht springt, hat das alles schon etwas Ekliges. Aber trotzdem: Kanye ist und bleibt der inspirierteste Hund im Spiel. Und in »Graduation« hat er seine College-Trilogie zum einzig sinnvollen Abschluss geführt.

Text: Davide Bortot

Diese Review erschien erstmals in Ausgabe #101 im Oktober 2007. JUICE #101 jetzt versandkostenfrei bestellen:

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