Antilopen Gang: Zu viel Scheiß erlebt // Interview

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Den Status als »beste Band der Welt« beanspruchen andere. Die Antilopen Gang schmückt sich stattdessen viel lieber mit dem Skill, Wein in Wasser und Gold in Stein verwandeln zu können. Nach wie vor tänzeln ihre Texte zwischen grotesken Allmachtsfantasien, unverkrampftem Zynismus und rezeptiver Resignation. Die »Gazellenbande« hat sich für zwei Jahre zurückgezogen und an neuem Output geschraubt. Am Ende dieser Odyssee steht nun »Abbruch Abbruch«, ein Album, das gespickt ist mit einsichtigen und aufschlussreichen Flashbacks in die belebte Bandgeschichte.

Ein Dienstagabend im Spätsommer. Ein Kellerstudio irgendwo im tiefsten Westberlin. An der Wand lehnt ein Flipchart voller verschiedenfarbiger Klebezettel, auf jeden einzelnen wurde in großen Druckbuchstaben ein Songtitel gekrakelt. Danger Dan, Koljah und Panik Panzer haben lange an der Tracklist ihrer dritten gemeinsamen Platte getüftelt, jetzt ist sie fertig. Der oberste Zettel trägt die Aufschrift »2013«. Die vielleicht bedeutungsschwersten vier Minuten der Antilopen-History sollen tatsächlich den Anfang machen …

Der Song »2013« erzählt die Geschichte von NMZS’ tragischem Tod und wie ihr im Kollektiv mit der darauffolgenden Krise umgegangen seid. Ihr habt dieses Thema über die Jahre immer mal wieder angefasst, allerdings noch nie so umfassend und persönlich.
Koljah: Das Ganze ist inzwischen sechs Jahre her. Aus heutiger Sicht erscheint alles ein bisschen klarer. Es hat einfach Zeit gebraucht, bis wir dezidiert und ausführlich darüber sprechen konnten. Wir haben, wie wir in »2013« erzählen, auch direkt weitergemacht, und um uns herum ist unheimlich viel passiert, auch noch im selben Jahr. Wir haben einfach keine Pause gemacht, in der wir mal hätten innehalten können, auch, weil es unsere Strategie war, den Kopf nicht in den Sand zu stecken.
Panik Panzer: Als Jakobs Tod noch näher war, hatte ich außerdem immer das Gefühl, dass die Leute nur darauf warten, dass wir groß, breit und gefühlsbetont von diesem Drama erzählen. Da war sehr viel Sensationsgeilheit spürbar, eigentlich von allen Seiten. Dass wir den Leuten diesen Suicide-Porn nicht geboten haben, war auch eine Art Trotzreaktion.

Seid ihr in der Zwischenzeit schon mal am Versuch gescheitert, einen Song wie »2013« zu schreiben?
Koljah: In Gang-Formation haben wir das erst mal gar nicht probiert. Aber ich habe unmittelbar nach Jakobs Suizid sehr viel geschrieben. Es gab viele angefangene Songs, die meine Gefühle dazu irgendwie aufgegriffen haben, aber keiner hat sich gut angefühlt. »Über den Schutzpatron des Husaren«, ein Solo-Song von mir, war für mich dann der erste Versuch, der funktioniert hat.

Foto: Katja Runge

Ihr habt immer wieder Scratches von alten NMZS-Parts und kleine Referenzen in eure Tracks eingestreut, auch schon auf »Aversion«.
Danger Dan: »Uns’re Fahne ist verbrannt und ein toter Mann ist unser Führer« zum Beispiel, es gibt Querverweise in unheimlich vielen Liedern.
Koljah: Auch in »Verliebt« war ein Eins-zu-Eins-Zitat von Jakob enthalten, auch wenn die meisten Leute das gar nicht gepeilt haben: »What the Fuck, ich kenn nur Graffiti, Rap und Comics«.

In »2013« beschreibt ihr euch in der Retrospektive als sehr angreifbar, entkräftet und am Boden.
Danger Dan: Trotzdem waren wir nicht die ganze Zeit scheiße drauf. Höchstens scheiße drauf im etwas anderen Sinne: Wir haben unseren Veranstaltern das Leben zur Hölle gemacht und sehr viel getrunken.
Koljah: Wir waren gar nicht zu bändigen, immer besoffen und komplett in der existenziellen Krise. Gleichzeitig wurden wir viel öfter gebucht als je zuvor und waren pausenlos unterwegs.
Panik Panzer: Das war der völlige Wahnsinnsmodus. Und gerade, weil kurz zuvor das Schlimmste der Welt passiert war, hat sich da irgendwie eine Art Aufbruchstimmung breitgemacht.
Danger Dan: Jakobs Tod hat dafür gesorgt, dass wir absolut keinen Fick mehr gegeben haben. Aus diesem Bewusstsein heraus, dass so schnell alles so anders sein kann, hat Panik zum Beispiel seinen Job gekündigt und ist zu Koljah auf die Couch gezogen. Jeder von uns hat Dinge gemacht, die er vorher nicht gemacht hätte. Es klingt total abstrus, aber 2013 war nicht nur ein Scheißjahr.
Koljah: Wir sind in dieser Zeit zu Berufsmusikern geworden, zu einer Band, die regelmäßig Alben veröffentlicht. Ich hatte gerade mein Studium beendet, war auf Hartz IV, habe mich auf irgendwelche dummen Jobs beworben und alles war total unklar. 2012 hätte ja keiner von uns damit gerechnet, dass man sein Geld noch mal ernsthaft mit Rap verdienen könnte.

»Ich denke oft darüber nach, wie er unsere Sachen finden würde«

Panik Panzer über NMZS

Denkt ihr oft darüber nach, wie Jakob die Antilopen Gang im Hier und Heute finden würde?
Danger Dan: Ich denke eher in den geilen Momenten an ihn. Du hast die Columbiahalle ausverkauft, sitzt danach mit fünfzehn Freunden im Nightliner und rauchst ne Zigarette, während die Sonne aufgeht. Und dann guckt dir auf einmal Jakob über die Schulter, und der erste Gedanke ist einfach nur: Du Arschloch, das hast du alles verpasst.
Koljah: Oft träume ich, dass er noch lebt und ich ihm unsere Platten vorspiele. Ab und zu frage ich mich auch, wie er seine Strophe innerhalb der neuen Songs gestaltet hätte, und manchmal fällt mir auf, dass ich Zeilen aufschreibe, die total Jakob-beeinflusst sind.
Panik Panzer: Ich denke oft darüber nach, wie er unsere Sachen finden würde. Aber nie aus einer rechtfertigenden Position oder in der Hoffnung, dass ihm alles gefallen würde, was ich mache.
Koljah: Alle, auch wir selbst, neigen dazu, seine Lines oder Tracks zu überhöhen. Ein gutes Beispiel dafür ist »Das ist meins«. Das ist alles in allem ein ziemlich epischer Song, aber da gibt es diese Stelle, wo er rappt: »Ihr sagt, ich hab keine Ziele, ich sag, ihr habt keine Liebe«. Zu Lebzeiten habe ich mich immer über die Line lustig gemacht, weil ich fand, dass das nur ein alberner Kalenderspruch ist, und auch er selbst hat Gags darüber gemacht. Heute ist die Line für manche Leute total bedeutsam, irgendwer hat sich das sogar tätowieren lassen.

Egal, wie unangenehm, hart, ernst oder komplex der jeweilige Gegenstand auch sein mag: Die Antilopen schaffen es, ihn wunderbar unpathetisch zu behandeln, ohne dabei den Eindruck zu vermitteln, dass sie ihn auf die leichte Schulter nehmen würden. Einige Songs auf »Abbruch Abbruch« spannen einen inhaltlichen Bogen zu Koljahs im Frühjahr 2019 veröffentlichter Solo-EP »Aber der Abgrund«. Darauf hatte er sich intensiv mit den eigenen Dämonen und seinem jahrelangen Hang zu ausufernden Alkoholexzessen beschäftigt.

Ein Kernthema auf »Abbruch Abbruch« ist die kritische Reflexion eures eigenen Drogen- und Alkoholkonsums in der Vergangenheit. War das ein Faktor, der das Bandgefüge zwischenzeitlich ernsthaft gefährdet hat?
Panik Panzer: Es gab Phasen, in denen es ziemlich wild zur Sache ging. Als Koljah beschlossen hat, mit dem Trinken aufzuhören, war ich sehr froh drüber, weil ich zunehmend das Gefühl hatte, dass uns das, was da regelmäßig im Backstage passiert, ernsthaft schaden könnte. Es gab eine Zeit, in der wir durch die Exzesse viel Sympathie eingebüßt haben, bei anderen Künstlern, Fans und Veranstaltern.
Koljah: Ich bin ehrlich gesagt froh, dass wir nicht mehr Anfang zwanzig waren, als wir »Aversion« rausgebracht haben. Ich glaube, dass das alles nochmal ganz anders hätte aussehen können, wenn wir zu dieser Zeit ein paar Jahre jünger gewesen wären. Das Alter hat uns ein bisschen vor unserer eigenen Zerstörung bewahrt.
Danger Dan: Und ich bin in dieser Hinsicht froh, dass wir bis vor kurzem noch in drei unterschiedlichen Städten gewohnt und unsere Absturzphasen dadurch immer unabhängig voneinander ausgelebt haben. Wir haben ja kein einziges Mal zusammen Drogen genommen.
Koljah: Wenn du Alkohol außen vor lässt. 

Apropos Drogen: Das »Lied gegen Kiffer« wirkt wie das Gegenstück zu eurem Track »Pack die Jolle aus« von 2011.
Koljah: Letztgenannter Song ist zu einer Zeit entstanden, als Jakob und ich täglich gekifft haben. Kiffen war – und das meine ich nicht ironisch – eine wichtige Basis unserer Freundschaft. Aber selbst mit »Pack die Jolle aus« haben wir es nicht so richtig hinbekommen, einen ernstzunehmenden Kiffer-Song à la »Grüne Brille« zu machen (lacht). Auch da schwang ja schon die negative Seite des Konsums mit. Insofern ist das »Lied gegen Kiffer« jetzt die logische Konsequenz aus diesem Song.

»Das Album ist am Ende wie Brecht’sches Theater«

Danger Dan

Ungefähr an dieser Stelle in der Tracklist-Dramaturgie beschleicht mich kurz das Gefühl, dass das Projekt sehr Mixtape-artige Züge hat.
Koljah: Wir haben diesmal versucht, uns möglichst wenige Gedanken über einen roten Faden zu machen. Wir sind nach »Anarchie und Alltag« relativ zügig ins Studio zurückgekehrt, hatten viele Ideen und wollten uns auf keinen Fall einschränken.
Panik Panzer: Die ersten Textfetzen haben Koljah und ich in Düsseldorf zusammengeschrieben, das waren eher bedrückende Sachen. Da dachten wir kurz, dass das nächste Release nach der Platte mit dem unsäglichen »Pizza«-Song so richtig finster werden würde. Ab Sommer 2018 kamen dann aber eher lustige Nummern dazu. Da ist uns klar geworden, dass »Abbruch Abbruch« einfach kein klassisches Konzeptalbum wird, das von irgendeiner bestimmten Stimmung getragen wird.
Danger Dan: Das Album ist am Ende wie Brecht’sches Theater. Du gehst quasi durch eine Katharsis und erlebst alle Emotionen.

Grade war schon kurz von »Pizza« die Rede. In »Wünsch dir nix« heißt es, dass der Song »kein Hit wäre«, wenn die Fans »nicht so dumm« wären. Bereut ihr den Move aus heutiger Sicht?
Danger Dan: In der Rangliste der peinlichsten Antilopen-Songs aller Zeiten belegt »Pizza« gar nicht unbedingt den ersten Platz. »Unterseeboot« oder »Lob der Lüge« waren, finde ich, viel schlimmer (lacht). Aber das Lied ist schon sehr dumm und hat uns mit vielen Dingen konfrontiert, die vorher einfach nicht da waren. 
Koljah: Es gibt eben wirklich die klassischen Pizza-Fans. Die haben auch aufblasbare Pizzen dabei.
Danger Dan: Und wir mussten 2017 in jedem Interview Pizza essen. Das wurde sehr schnell sehr belanglos.
Koljah: Andererseits haben wir ja auch sehr bewusst auf Massenkompatibilität geschielt, als wir den Song gemacht haben.
Panik Panzer: Und uns war klar, dass der Song Jackpot war und ein Radiohit. Wir haben uns bewusst für diesen Sound entschieden und haben das Lied später bewusst als Video ausgekoppelt. Den Pizza-Test mit 16BARS und das Pizza-T-Shirt haben wir auch nicht gegen unseren Willen gemacht, das waren Geister, die wir riefen.

In »Der Ruf ist ruiniert« rappt ihr darüber, dass eure Fans »SPD- und Grüne-Wähler« sind und ihr Rap »für die Straße, die zum Eingang der Eliteuni führt« macht. Ist das kritische Selbstreflexion oder die ironische Vorwegnahme von Kritik, die man vor eurer Tür abladen könnte?
Koljah: Beides (lacht).
Danger Dan: Naja. Das ist eine Beobachtung von mir. Und das sind Dinge, die mich tatsächlich stören.
Panik Panzer: Mich stört die Zusammensetzung unseres Publikums nicht. Das ist alles noch durchmischter als bei vielen Bands, mit denen wir in einen Topf geworfen werden. Aber das ist doch angenehm! Es gab Zeiten, da standen nur Leute aus unserer eigenen kleinen Blase vor der Bühne, und wir wollten ganz explizit weg davon.
Koljah: Die Konzerte damals waren auch deutlich beschissener als die heutigen. Außerdem ist es ein bisschen absurd, sich ständig über sein Publikum zu ärgern.

Könnt ihr euch noch an die erste JUICE-Ausgabe erinnern, die ihr in den Händen gehalten habt?
Koljah: Klar, das war die allererste, die überhaupt erschienen ist. Das war 1997, Busta Rhymes war auf dem Cover. Ich war damals elf und wollte sie unbedingt haben. Ich hab dann mehrmals vergeblich in einem Lotto-Tabak-Zeitschriften-Laden nach dem Heft gefragt. Als es dann irgendwann da war, habe ich es verschlungen und durch die erste Ausgabe zum Beispiel erstmals von den Stieber Twins gehört.
Panik Panzer: Ich habe meine erste JUICE 1999 im Bahnhofskiosk in Aachen gekauft. »Bambule« war gerade rausgekommen und hatte mich komplett mit dem Virus infiziert. Damals hat man jede Information, die man irgendwie bekommen konnte, krass aufgesaugt. Bis Mitte der 2000er habe ich mir wirklich jede Ausgabe gekauft.

Foto: Katja Runge

Die JUICE hatte für euch also einen hohen Stellenwert.
Panik Panzer: Auf jeden Fall. Und die Bedeutung des Magazins innerhalb der gesamten Szene kann man ja allein daran messen, wie oft es in Songs erwähnt wurde.
Koljah: Die JUICE war einfach ein Leitmedium.
Panik Panzer: Als kleiner Zwerg habe ich immer davon geträumt, eines Tages dort drinzustehen. Als wir dann das erste Mal in der Demo-Ecke rezensiert wurden, war das echt ein großes Ding für uns.
Koljah: Wir haben da immer alle unsere Sachen hingeschickt. 2007 haben wir unseren ersten kleinen Artikel bekommen, da ging es um »Mut zur Blamage«. Und mit »Caught In The Crack« haben wir es kurze Zeit später geschafft, »Demo des Monats« zu werden. Als wir anschließend ein JUICE-Exclusive machen durften, dachten wir ernsthaft, dass wir alles erreicht haben (lacht).

Später warst du dann sogar als Autor aktiv, oder?
Koljah: Ja, vor allem 2011 und 2012. Ich habe viel über West-Coast-Kram geschrieben, das wurde dann immer in der Kategorie »Kings of Hip Hop« veröffentlicht. 2012 war ich sogar mal »Mitarbeiter des Monats«. Der letzte Artikel, den ich für die JUICE geschrieben habe, war dann der Nachruf auf NMZS, und im selben Jahr ging es mit der Band durch die Decke. Dass wir jetzt in der letzten Printausgabe stattfinden können, ist irgendwie schön. Damit schließt sich ein Kreis.
Danger Dan: Dass das Heft eingestellt wird, stimmt mich melancholischer als ich gedacht hätte. Auf einmal habe ich nicht mal mehr Lust, über die JUICE herzuziehen, und das habe ich – zwischendurch ja sogar auf der JUICE-CD – immer sehr gerne gemacht (lacht).

Text: Alex Barbian
Fotos: Katja Runge

Dieses Feature erschien zuerst in JUICE 195. Aktuelle und ältere Ausgaben könnt ihr versandkostenfrei im Onlineshop bestellen.

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