Amewu ist ein Phänomen in dieser Szene. Er hat sich seit den Nullerjahren den Ruf als einer der politisch ambitioniertesten Rapper erarbeitet, wird für seine Fähigkeiten als Live-MC geschätzt und hat gefeierte Alben wie »Leidkultur« veröffentlicht. Seit ungefähr zehn Jahren gab es kein weiteres Soloprojekt von Amewu, der sich auf Touren und gelegentliche Features konzentriert hat, während sich Deutschrap mittlerweile um Playlist-Platzierungen um Spotify dreht. Mitten in einer krisengeprägten Pandemie releast er jetzt sein neues Album »Haben oder Sein« und verknüpft dort politische Statements mit Kritik an der Musikindustrie und der Aufmerksamkeits-Ökonomie, sowie einer kritischen Überprüfung der eigenen Rolle im Kapitalismus. Es ist ein dichtes, komplexes, tiefgründiges Album, das viel zu bemängeln hat, aber die Hoffnung auf Veränderungen nicht aufgibt. Wir haben uns mit Amewu über sein »Comeback«, Unabhängigkeit im Musikbusiness, Spotify-Playlists, eigene Ideale und die Mission politischen Raps unterhalten.
Du bringst jetzt nach zehn Jahren ohne Release dein nächstes Album raus. Weshalb gab es diese lange Pause nach »Leidkultur«?
Amewu: Ich orientiere mich da einfach an Torch… (Beide lachen laut los) Ne, es hat total viele Gründe. Teilweise Labelgründe, teilweise habe ich mich um andere Sachen gekümmert und war auch noch nie der Musikbusiness-Fan, sondern eben ein Rap-Fan. Ich habe die ganze Zeit Live gespielt, war unterwegs und habe zwischendurch ja auch neue Songs geschrieben. Ein paar von den Songs auf dem Album werden die Leute schon von den Konzerten kennen. Ich hatte öfters die Situation, dass Leute gefragt haben: »Wo finde ich den Song, den du da und da gespielt hast?« Ich musste dann immer sagen, dass der noch keinen Namen hat und nirgends zu finden ist. Aber das ändert sich jetzt.
»Blut« ist einer dieser Songs der jetzt das Album abschließt und schon länger draußen war. In den Kommentaren auf YouTube bekommt man einen Eindruck davon, wie stark der Zusammenhalt deiner Fans immer noch ist und wie sehr sie sich über neue Musik von dir freuen, egal wie lange die Pause war. Woran liegt das, dass deine Fans dir so treu und eng verbunden bleiben, obwohl es ja ein Überangebot an Konkurrenz gibt?
Amewu: Ich habe mich das auch schon mehrmals gefragt. Ich habe auch bei anderen Leuten das Feedback bekommen, dass sie erstaunt darüber sind, wie viele Leute noch am Start sind und neue Musik haben wollen oder die alte noch hören. Ich glaube das Live-Ding ist eine Sache, die dazu beiträgt. Ich kann mir auch vorstellen, dass es die Art von Musik ist, die ich inhaltlich mache. Es gibt solche Alben, die ich früher selber gehört habe und dann ein wenig später nochmal richtig hingehört habe und mir nur dachte: »Was zum Teufel habe ich da die ganze Zeit gehört?« Ich glaube den Effekt gibt es bei mir auch, aber anders. Da kann man manche Sachen mit ein wenig mehr Lebenserfahrung anders betrachten oder mehr damit anfangen kann.
Ich bin aber auch immer wieder überrascht. Ich frage mich dann auch, ob es daran liegt, dass viel von der Musik eh kaum promotet wird und es dadurch ein in sich geschlossenes System ist. Ich glaube wenn viel Promotion betrieben wird, sehen dich viele Leute, die eigentlich nichts mit der Musik zu tun haben wollen. Da sind dann viel mehr Leute dabei, die das kacke finden. Aber es ist sehr faszinierend für mich und als ich 2012 »Leidkultur« rausgebracht habe, habe ich nicht gedacht, dass ich damit die nächsten 9-10 Jahre meinen Lebensunterhalt bestreiten kann und auch noch durch eine Pandemie komme. Das ist verrückt.
Ist der Plan für das nächste Album auch, dass es für die nächsten 10 Jahre Bestand hat und nichts weiter kommt?
Amewu: Ich hoffe, dass es für die nächsten 10 Jahre und darüber hinaus Bestand hat. Aber der Plan ist nicht, nochmal 10 Jahre mit dem nächsten Projekt zu warten. Der Plan ist erstmal zu gucken, wie es läuft und sich Strukturen aufzubauen, mit denen man weiterarbeiten kann. Ich bringe das Album ohne Label raus und bin quasi der Auftraggeber für alle möglichen Leute, die daran mitarbeiten. Es sind zwar nicht so viele, aber man hat jetzt kein Konstrukt von einem Label, das die Organisation übernimmt. Ich mache mir halt einen Plan, schaue, wo ich Hilfe brauche, und bezahle die Leute, die es machen.
Ist es dir sehr wichtig, dass das Release außerhalb von irgendwelchen etablierten Strukturen veröffentlicht wird und nur in eigener Hand liegt? Physische Exemplare verkaufst du nur über deinen eigenen Shop.
Amewu: Teilweise. Mit dem Shop will ich einfach auch ausprobieren, wie gut es funktioniert. Ich habe schon Erfahrungen damit gemacht, wie es ist, wenn man über mehrere Anbieter rausgeht. Ich habe tatsächlich nicht die Erfahrung gemacht, einen komplett normalen physischen Vertrieb zu haben. Als ich über Edit Entertainment releast habe, wurden alle Sachen vom Label verschickt, zum Beispiel an die Händler, wo man gekauft hat. Aber ich kenne von früheren Releases auf dem Label noch diese Retour-CDs, die nicht verkauft wurden und dann halb kaputt von Saturn zugesendet werden. Die kannst du dann nicht mehr verkaufen, musst die Retour aber trotzdem bezahlen. Das fließt da ein bisschen mit ein. Aber auch, dass ich ein Problem damit habe, die Rechte an meinem Album zu verkaufen. Das ist mein Album, warum sollte dir das zehn Jahre lang gehören. Ich weiß auch nicht, ob das jetzt der genau richtige Weg ist, aber zurzeit finde ich es ganz angenehm. Bis jetzt läuft der Shop auch ganz gut.
Ich beobachte das aktuell eh bei einigen Leuten, die wieder dahin zurückkommen, einen eigenen Shop zu betreiben. Das liegt einerseits am Streaming und den miesen Auszahlungen, während man mit einem Shop mehr finanzielle Sicherheiten für den eigenen Lebensunterhalt gewinnen kann. Andererseits auch an der Kontrolle, die die Leute über die eigenen Alben behalten. Interessiert es dich überhaupt, wie deine Musik auf Streamingdiensten wie Spotify ankommt?
Amewu: Ab und zu gucke ich mir das natürlich an. Was ich ganz interessant fand zu sehen, ist dass die meiste meiner Musik von den Leuten selbst ausgewählt wird und über eigene Playlists gehört wird. Was an kuratierten Playlists reinkommt, bewegt sich ungefähr im einstelligen Prozentbereich, teilweise steht das bei Null. Man lernt interessante Sachen darüber, auch über das ganze Verteilungssystem. Und wenn ich dann mal in einer Playlist lande, höre ich mir auch an, was da sonst für Sachen stattfinden. Das ist schon sehr interessant. Es wurde ja auch schon viel über Spotifys Verteilungssystem gesagt, ich finde das auch eine Katastrophe, aber sie haben halt ein Monopol. Deswegen freue ich mich, dass Leute immer noch Platten und sogar CDs kaufen.
Leute, die heute noch CDs kaufen, sind wirklich die Hardcore-Fans.
Amewu: Ich erwarte das ja auch gar nicht. Ich hoffe nur, dass ich nicht auf dem ganzen Kram sitzen bleibe und dann kauft jemand so ein Komplett-Bundle mit Shirt, Hoodie, CD und Platte. Das finde ich krass. Hätte ich gewusst, dass … (überlegt kurz) Ich will nicht sagen, das Release ist easy. Aber ich bin schon überrascht vom ganzen positiven Feedback. Da hätte ich mir eigentlich gar nicht so lange Zeit lassen müssen. (Gelächter) Da waren auch immer viele Zweifel dabei. Es ist nicht unbedingt die Musik, wenn man mit Industrie-Leuten zu tun hat, wo die Leute einem sagen: »Ja, das wird super funktionieren.« Ich mache es auch nicht von so etwas abhängig, was ich release. Aber es ist ein innerer Struggle gegen eine Struktur, die dir meistens das Feedback gibt, dass es schon etwas schwierig ist, was man da macht.
»Manchmal bekomme ich mit, dass Leute sich darüber aufregen, dass nur noch beschissener Rap rauskommt. Dann unterhält man sich und bekommt mit, dass die Leute nur das konsumieren, was ein Unternehmen ihnen vorschlägt. Da braucht man sich eigentlich nicht zu wundern.«
Amewu über Musikempfehlungen bei Spotify
Wenn du meinst, dass du manchmal in die Playlists reinhörst, wo du stattfindest: Gefällt dir, was du dort für Rap hörst?
Amewu: Ich checke die Sachen schon aus, aber kann da kein pauschales Urteil fällen, nach dem Motto: Alles, was heute rauskommt, ist kacke – oder eben geil. Im Deutschrap waren für mich schon immer mehr Sachen dabei, die ich nicht gefeiert habe, als Sachen, die ich gefeiert habe. Das hat sich nicht so krass verändert, der Sound aber schon. Manche Sachen würden für mich eher unter Pop fallen, teilweise sogar auch Schlager. Das ist alles schön und gut, sollen die Leute halt machen. Aber ich finde es schade, dass sehr viel Raum für Sachen weggenommen wird, mit denen ich Rap eigentlich assoziiere. Mir ist das egal, ob die Leute Erfolg haben. Aber wenn man überall das Label »Rap« draufklatscht und alle Playlists danach befüllt, wie viel Geld man damit umsetzen kann, wird es halt ein bisschen traurig. Ich finde es verrückt, wenn man sich dann anguckt, dass die Major Labels Anteile an Spotify haben und keiner genau weiß, welche Deals die im Hintergrund haben. Theoretisch können die sich gegenseitig Geld zuschieben. Du kriegst als Major Playlist-Plätze und kannst die mit deinen Artists füllen. Und mit dem Geld, das Spotify macht, kannst du auch Gewinn erzielen, weil du ja Anteile am Unternehmen hast. Ich hoffe, ich bringe da nichts durcheinander, aber ich habe mich schon gefragt, was da eigentlich für ein Scheme abläuft.
Voll. Da die Majors gerade auch beim Start Spotifys viel Einfluss hatten und darüber entscheiden konnten, ob Spotify überhaupt einen großen Katalog anbieten kann, ohne den das Modell nicht funktioniert hätte, haben diese großen Labels schon seit dem Start ein gewisse Machtposition im System Spotify inne. Das führt sich bei den Playlists fort.
Amewu: Ich finde es auch krass, dass man teilweise viel neue Musik über die Vorschläge der Algorithmen kennenlernt. Gleichzeitig geht es voll verloren, dass man an einem Musikgenre interessiert ist und sich selbst Sachen raussucht. Manchmal bekomme ich mit, dass Leute sich darüber aufregen, dass nur noch beschissener Rap rauskommt. Dann unterhält man sich und bekommt mit, dass die Leute nur das konsumieren, was ein Unternehmen ihnen vorschlägt. Da braucht man sich eigentlich nicht zu wundern. Vielleicht braucht man da einfach ein bisschen mehr Effort… Ich will jetzt nicht so hängengeblieben klingen, obwohl ich auch ein bisschen hängengeblieben bin. (lacht) Aber wir sind früher einfach in die Läden gegangen und haben versucht, Sachen zu finden. Das war interessant. Bei Bandcamp mache ich das auch noch ein bisschen und digge dort. Aber ich erinnere mich sehr gut an die Läden in der Schulzeit, wo man rein ist und Rap-CDs oder Platten gehört hat. Man war froh, wenn man etwas nices gefunden hat. Natürlich musste man als Artist auch dort erstmal reinkommen. Aber wenn ich später in Plattenläden war, wo klar war, dass die hauptsächlich HipHop, Soul und Funk haben, hat man dort schon viel gefunden. Das standen Sachen auf Kommission und die Hürde, dort reinzukommen, war nicht so groß. Ich glaube, wenn man am Diggen ist, findet man auch heute noch viel guten Rap und Künstler:innen, die man unterstützen kann, dadurch dass man sie hört, ihre Sachen kauft und so eine coole Musikkultur am Leben hält.
Ja, das sehe ich ähnlich. Wie in einem Laden, kann man sich heute auch noch durchs Internet Diggen und so viel entdecken. Für viele ist es aber einfach bequemer, die Autoplay-Funktion anzustellen und sich zurückzulehnen, anstatt aktiv zu werden.
Amewu: Ich habe mich lange gar nicht damit beschäftigt, weil ich so viel Live gespielt habe und es da eh egal ist. Da merkt man aber auch, wie trügerisch viele Sachen sind. Als es losging mit Streaming und Social Media viel wichtiger wurde, hat mich das manchmal eingeschüchtert – auch andere Menschen, die ich kenne – , wenn man sich mit Leuten verglichen hat. Dann habe ich aber mal angefangen zu schauen, in welchen Läden diese Leute spielen, wenn die auf Tour gehen. Und dann sehe ich, dass die teilweise in etwas größeren Venues spielen, teilweise aber auch in kleineren Läden oder gar nicht. Da merkt man, dass es teilweise sehr unterschiedliche Welten sind und es nicht immer so ist, dass jemand der im Internet krasse Zahlen hat, dann auch eine gut besuchte Tour hat. Für mich macht Touren am meisten Spaß macht und finanziell kommt etwas dabei rein – das ist eher mein Ding und das beruhigt mich dann ein bisschen. Aber es ist schon verrückt: Von einer Subkultur zu einfach komplettem Pop. Zeiten ändern sich.
Auf »Plastikstrand« rappst du auch darüber, dass sich Menschen zunehmend über Zahlen definieren, und ich finde das ist in der Musik nirgends so präsent wie auf Spotify, wo die erste Information, die du auf einem Artist-Profil siehst, die Anzahl monatlicher Hörer*innen ist.
Amewu: Klar. Und das geht natürlich auch über das Musik-Ding hinaus in Richtung Social Media, wo mittlerweile jeder seine eigene kleine Company ist. Es geht richtig vielen Leuten darum, wie viele folgen, wie viele liken und interagieren. Das kannst du damit kombinieren, was du im Job machst und da geht es viel weiter als nur Musiker zu sein. Das betrifft Journalismus, irgendwelche Sachen zusammenbauen, eigentlich fast jedes mögliche Feld. Aufmerksamkeits-Ökonomie.
Ja total. Das betrifft uns als JUICE im Journalismus natürlich auch, weil es ein Struggle ist, sich in einer Social Media-Umwelt zu behaupten und dort irgendwie »relevant« zu sein, obwohl man eigentlich mehr Wert auf Inhalt als auf Zahlen legt. Aber das betrifft wirklich sehr viele unterschiedliche Felder.
Amewu: Ich hätte manchmal gerne so etwas wie einen Uni-Job. Du machst einfach deine Arbeit und es ist scheißegal, ob dich jemand im Netz findet oder nicht. Du machst einfach dein Ding. Aber das macht vielleicht auch nicht so viel Spaß wie Rappen. (lacht)
Wir haben schon ein bisschen über den veränderten Sound von Rap gesprochen. Wie bist du selbst beim neuen Album rangegangen? War es dir wichtig, eine gewisse Modernität reinzubringen?
Amewu: Ich bin ja eh immer ein bisschen untypisch, auch wenn man sich die alten Sachen anhört. Ich habe nie das BoomBap-Album gemacht. Es waren immer unterschiedliche Produzenten am Start und so ist es jetzt auch. Ich sehe das gar nicht so eng in Bezug auf irgendwelche Soundbilder oder Klangästhetiken. Ich nehme halt die Beats, die mir gefallen. Auf dem Album sind auch Sachen drauf, die hätten vom Sound her vor zehn Jahren rauskommen können. Aber das war auch nicht der Anspruch. Manchmal finde ich es faszinierend, woran Leute einen Sound festmachen. Mir ist das beim BSMG-Release damals aufgefallen. Das war inhaltlich sehr viel, was da drinsteckte in den Lyrics. Da war aber auch Autotune drauf, es waren Trap-Beats dabei und da setzt es bei manchen Leuten komplett aus. Die sind dann so: »Ja, dieses sinnlose Gelaber … blablabla.« Du merkst, dass die gar nicht mehr richtig zuhören. Die hören Autotune und denken deshalb, dass die Musik komplett inhaltsleer ist. Bei anderen kannst du einen trappigeren Beat nehmen und anders drauf rappen, inhaltlich ist es anspruchsvoller und dann nehmen die gar nicht mehr wahr, dass es vom Sound her trappy oder modern ist. Für mich ist das wie Verpackungen oder Werbung: »Hey, wir haben den neuen Sound, den machen jetzt alle. Das ist die neue Verpackung, den Sound musst du jetzt kaufen, denn das machen alle so.« Für mich war es aber so und wird es auch immer bleiben: »Ah, der Beat ist nice? OK, da geh ich rauf!« Fertig.
Das ist sehr HipHop.
Amewu: Voll. Ich bin auch froh, dass sich diese Reaktionen in Grenzen halten. Gerade bei den ersten beiden Songs kam eben nicht das Feedback, dass ich mich jetzt ja an einen neuen Sound angepasst hätte. Anscheinend war es also ganz gut. Wenn man früher schon gerappt hat, wird man ganz schnell in diese BoomBap-Ecke gesteckt, wo ich mich manchmal frage, was die Leute eigentlich unter BoomBap verstehen. Mir fallen schon Leute ein, die wirklich BoomBap gemacht haben, aber ich würde nicht sagen, dass das meine Alben kennzeichnet.
»Ab und zu habe ich auch Bock irgendwelchen Schwachsinn zu schreiben und finde das auch legitim – es muss nicht alles immer ernst sein. Gleichzeitig merke ich, dass mir in der Rapszene ein bisschen das Gleichgewicht fehlt, was ernsthafte Inhalte angeht. Deshalb übernehme ich halt den Job.«
Du meintest gerade in Bezug auf das BSMG-Album, dass dort inhaltlich sehr viel drinsteckt. Ich finde das gilt für »Haben oder Sein« auch in ganz starkem Ausmaß. Ich habe in der letzten Zeit selten Alben gehört, die so viele Themen verknüpfen, von diversen politischen Themen bis zur Selbstreflektion der eigenen Rolle. Hat sich in der Zeit seit »Leidkultur« einfach so viel aufgestaut oder war der Prozess des Schreibens dann doch ein eher schneller?
Amewu: Das ist schon ein langer Prozess, ein paar Sachen sind ja schon vorher erschienen. »Amewuga« ist ein Song, den ich im Prozess eher spät geschrieben habe, auch »Kenne meine Fehler« ist so ein Song. Ich schreibe ja meistens die ganze Zeit so ernst. Ab und zu habe ich auch Bock irgendwelchen Schwachsinn zu schreiben und finde das auch legitim – es muss nicht alles immer ernst sein. Gleichzeitig merke ich, dass mir in der Rapszene ein bisschen das Gleichgewicht fehlt, was ernsthafte Inhalte angeht. Deshalb übernehme ich halt den Job. Wäre es umgekehrt und viele Songs wären eh schon vollgepackt mit politischen Inhalten, dann würde ich vielleicht irgendwelchen Schwachsinn für die Balance rappen. Ich denke viel über Sachen nach und beschäftige mich mit unterschiedlichen Themen. So hat Rap bei mir vielleicht nicht angefangen, weil das waren irgendwelche komischen Freestyles, aber es ist der Grund, warum ich drangeblieben bin. Weil ich bestimmte Dinge verarbeiten und thematisieren konnte.
Ich habe auch überlegt, dass dein Rap zwar immer schon politisch war, aber ich mir, gerade wegen der anhalten Pandemie, kaum eine Zeit vorstellen kann, in der das Bewusstsein, in einer politischen Krise zu stecken, größer ist als jetzt. Globale Krisen betreffen ja nicht nur die Pandemie, sondern auch so riesige Themen wie den Klimawandel, für die aktuell ein gewisses Bewusstsein da ist. Auf deinem Album spielen Themen wie Flucht, Rassismus, die vorhin besprochene Aufmerksamkeits-Ökonomie und das generelle Existieren im Kapitalismus eine Rolle. Wie bringt man alle diese Ansätze zusammen?
Amewu: Ja, gute Frage. Diese Sachen beschäftigen mich einfach krass, deshalb müssen sie raus. Ich habe schon vor dem Album, als noch nicht klar war wann es rauskommt, gedacht, dass ich jetzt einfach nochmal »Leidkultur« hätte droppen können. Es würde auch gut in die Zeit passen. Das ist etwas, mit dem ich schon lange gestrugglet habe. Schon in meiner Schulzeit fand ich krass, dass es so viele Informationen über so viele Dinge gibt, die passieren und total viele Leute um mich herum das gar nicht auf dem Schirm haben oder es sie nicht interessiert und sie nicht checken, was das in der Zukunft alles für Konsequenzen haben könnte. Rap war eine gute Möglichkeit, das einerseits zu verarbeiten und andererseits zugänglich zu machen und zu verbreiten. Es ist nochmal was anderes, sich einen Vortrag anzuhören oder eben einen Song, in dem gerappt wird. Dort muss man auch nicht immer genau hinhören, was gesagt wird, aber wenn man es dann tut, bekommt man Denkanstöße oder fühlt sich vielleicht auch einfach verstanden, weil man sich auch mit diesen ganzen Dingen beschäftigt und sich fragt, warum es immer so weiter geht und niemand etwas tut. Dann versuche ich ein Ende beim Album zu finden – das ist der Grund warum »Blut« am Ende kommt – das nicht komplett Dystopie ist. Das hatte ich bei »Leidkultur« auch schon so gemacht. Wenn man das Album durchhört, sollte man mit einem relativ entspannten Gefühl rausgehen können.
Verstehe. Ich glaube es gibt trotzdem viele andere Alben, die einen deutlich entspannter zurücklassen als »Haben oder Sein«.
Amewu lacht
Wenn man dieses Album hört, wühlt einen das schon auf.
Amewu: Ok, dem kann ich natürlich nicht widersprechen.
Für mich lag der Mehrwert auf jeden Fall auch darin, sich verstanden gefühlt zu haben, weil du über Themen rappst, die mich auch beschäftigen. So wie du gerade schon meintest, dass das deine Musik Anschluss bieten kann. Ein zentrale Line war für mich auf »Fliegen«, wo du fragst, wie simpel man sein muss, um nicht an der Welt kaputt zu gehen. Ist das Textschreiben und Rappen ein Umgang für dich, um zu verhindern, am bestehenden System kaputt zu gehen? Hast du überhaupt einen finalen Umgang damit gefunden?
Amewu: Das ist hundertprozentig das, was Rap zu einem großen Teil für mich ist und warum ich dort gelandet bin und weitermache. Die meiste Zeit habe ich in Rap gesteckt, während ich in der Schule war, weil ich dort viele Probleme hatte. Dazu war es so ein bisschen Flucht vor Rassismus, weil ich habe mich dort eine Zeit lang einfach safe gefühlt. Es macht wirklich etwas mit mir, wenn ich Dinge aufschreibe und im nächsten Schritt sogar aufnehme oder vor Leuten performe. Das hilft mir auf jeden Fall extrem dabei. Manchmal höre ich mir Sachen an, die ich vor Jahren geschrieben habe und verstehe erst dann so richtig, wie ich mich selbst verstehen kann. Es gibt Aussagen, die ich aufgeschrieben habe und bei denen ich mir natürlich irgendetwas gedacht habe. Dann hört man die nochmal an und denkt sich »Krass, eigentlich habe ich hier ja das und das gesagt. So habe ich das bisher noch gar nicht betrachtet.«
Krasser Prozess, wenn du aus eigenen Lyrics noch etwas neues gewinnen kannst.
Amewu: Mit »Universelle« hatte ich das tatsächlich relativ oft. Der ist ja schon relativ alt und war auch schon ein paar Jahre alt, als er auf dem Album erschienen ist. Den hatte ich glaube ich auf MySpace gestellt. Da ist es mir passiert, dass ich manche Zeilen gehört habe und mir aufgefallen ist, dass man die auch so oder so verstehen kann und es total Sinn macht, wenn man sich anschaut, wie mein Leben verlaufen ist. Das ist schon interessant.
Mich hat noch deine Kritik auf »Kenne Deine Fehler« interessiert, wo du einerseits Selbstkritik äußerst und auf der anderen Seite auch Leute bemängelst, die eine Art von politischen Statements von sich geben, die aber nur oberflächlich bleiben und keine größerer Auseinandersetzung anstoßen. Inwiefern guckst du da auf andere Leute in der Szene und wie ordnest du selbst deine Rolle als politischer Rapper ein? Wie viele Aktivismus und politische Teilhabe kann Rap vermitteln und wo muss man zu anderen Mitteln außerhalb von Musik greifen?
Amewu: Fernab von den Tracks muss jeder für sich entscheiden, was er für Kapazitäten und Ressourcen hat. Ich glaube, dass es schwierig ist, ständig über alles informiert zu sein. Ich glaube, es macht Sinn sich bestimmte Themen zu suchen, von denen man Ahnung hat, und sich darauf zu konzentrieren. Wenn man es natürlich drauf hat, 20 Themen gleichzeitig zu bearbeiten und immer auf dem neuesten Stand zu sein, dann ist das cool. Aber die Kombination von Aufmerksamkeits-Ökonomie und der Tatsache, dass kontroverse politische Aussagen viel Aufmerksamkeit erzeugen können, führt manchmal dazu, dass Leute Dinge aus den falschen Intentionen tun. Ich glaube, da muss man sich regelmäßig selbst checken. Ich checke mich auch regelmäßig selbst, wenn ich Posts zu bestimmten Themen mache. Das hört ja auch nicht bei Posts auf, als ich jung war, gab es keine Posts. Wenn du politisch aktiv warst, hatte das damit zu tun, dass du dich mit Leuten getroffen hast, auf Demos warst oder dich in der Uni organisiert hast. All diese Sachen sind auch wichtig. Ich habe manchmal das Gefühl, wenn ich mich Face-to-Face mit Leuten unterhalte und sehe, wo sie wirklich am Start sind, kann ich besser einschätzen, wie die politisch ticken und wie viel Ahnung sie von Sachen haben, als wenn das nur online passiert, wo man schnell mal Copy-Paste etwas von anderen übernimmt und ins Netz schickt. Gleichzeitig, wie du schon sagst, steckt in dem Song eine Selbstkritik. Eigentlich kassiert dort jeder. Selbst das kritisieren davon, davon was ich kritisiere, kritisiere ich auf dem Song. (lacht)
Ja, es hat so viele Ebenen. Vor allem sagst du so viele schlaue Sachen auf dem Album und lässt trotzdem nicht locker, dich selbst immer wieder in die Mangel zu nehmen und Selbstkritik zu üben. Parallel dazu feiern sich andere Rapper für das bare minimum ab. Natürlich macht es Sinn, nicht davon auszugehen, dass man selbst schon am perfekten Punkt angekommen ist. Aber du könntest dir eigentlich eher selbst auf die Schulter klopfen, weil du so Themen so gekonnt lyrisch verarbeitest. Du bist halt ein Hoffnungsschimmer in dieser Hinsicht.
Amewu: Das hat damit zu tun, dass ich speziell auf dem Song nicht will, dass jemand das nimmt, um die ganze Zeit andere Leute zu kritisieren. Dieser Song soll immer ein zweischneidiges Schwert bleiben. Wenn du den nimmst, um irgendwo draufzuhauen, soll das gleichzeitig auch bei dir selbst landen.
Zum Abschluss würde ich gerne wissen, ob du trotz der ganzen Missstände, die du thematisierst, Hoffnung für die Zukunft hast? Oder bist du eher ein eher ein realistisch-pessimistischer Mensch, der lieber schaut, was alles schief läuft?
Amewu: Schwierig zu beantworten. Ich versuche einen pragmatischen Ansatz zu verfolgen. Ich habe nicht den Anspruch, die Welt krass zu verändern. Ich bin mir meiner Winzigkeit bewusst, wenn man das große Ganze sieht. Ich bin mir meinem Wirkungskreis bewusst. Es ist ein Zwischenspiel von den eigenen Ansprüchen und Idealen, die ich gerne behalten möchte. Aber ich mache mir nicht vor, dass sich die Welt grundlegend ändert, nur weil ich diese Ideale habe. Gleichzeitig führt es auch nicht dazu, dass ich gar nichts mehr mache oder nur noch schlecht drauf bin. Ich schulde niemanden etwas, mich hat keiner gefragt, ob ich geboren werden will, ich bin hier halt irgendwann an den Start gekommen und bin der Meinung, dass es mir zusteht, ein gutes Leben haben zu wollen und Freude zu empfinden. Gleichzeitig – und das sage ich seit Jahren in fast jedem Interview – geht es mir viel darum, bestimmte Ideen in die Welt zu setzen. Ein Idee, die solidarischer funktioniert, als das, wie wir gerade zusammenleben. Ich hoffe einfach, dass Leute das aufgreifen, ähnliche Ideen verbreiten und sich über die Jahre und Generationen Dinge daraus entwickeln, die in eine andere Richtung gehen, als ich Richtung Abgrund.
Gute Antwort, wieder sehr differenziert. Du denkst sehr viele Dinge mit.
Amewu: Manchmal ist es auch anstrengend alles immer mitzudenken. (lacht) Aber ich mache es jetzt schon so lange, ich kriege das auch nicht mehr weg. Ich kann mir vorstellen, dass es irgendwann etwas weniger wird und ich einfach entspannter werde. Andererseits: Wenn man eine gewisse Zeit investiert hat, um über Dinge nachzudenken, dann kommt man da nicht mehr so leicht raus. Dann muss man anfangen, sich selbst zu verarschen und das fällt mir schwer. Obwohl ich es auch manchmal mache. (lacht)
Interview: David Regner
Foto: V.Raeter