Al-Gear [Interview]

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al-gear
 
Bis etwa 2010 hatte Düsseldorf im geographischen Gefüge der deutschen ­Raplandschaft eine Exotenrolle inne: Die Insel der Reichen und Schönen, in die man als waschechter Pott-Hustler wohl mal einfallen konnte, um Jura-Studentinnen ihre total intakte Unschuld zu rauben und Edelboutiquen von der Königsallee bis zum Medien­hafen unsicher zu machen. Zur veritablen Rap-Hochburg hat sich D-Town erst ­gemausert, seitdem Farid Bang und der zuletzt das JUICE-Cover zierende Boss im öffentlichen Image Gucci-Täschlein und Chihuahua durch Hantelscheibe und Pitbull ersetzt haben.
 
Aus diesem testosterongetränkten Nährboden sprießt seit einigen ­Jahren noch ein weiteres Lokalgewächs rasant in Richtung Skyline, und schickt sich Anfang Mai mit seinem zweiten Langspieler an, die von den Platten der Vorgenannten bereits in selige ­Extase gefickten Gehörgänge deutscher Musikl­iebhaber vollends zu massakrieren. Gemeint ist Abdelkader Zorgani aka Al-Gear, der vor anderthalb Jahren mit »Kein Feat. für Spastis« die eigene Exzellenz erstmalig auf Albenlänge abgefeiert, und außer­halb des Potts durch Zusammenarbeit mit Namen wie Saad, Haftbefehl oder Mosh36 von sich reden gemacht hat.
 
Wer sich das Werk des Herrn ­Zorgani zu ­Gemüte führt, der findet jedoch auch Nachdenkliches, Politisches, Trauriges. Gelegenheits­hörern wird der Babo aus Oberbilk aber wohl vor allem durch ­seine ­öffentlichkeitswirksam inszenierten ­Unverschämtheiten erinnerlich sein: Da war schon 2011 das vor Frechheit strotzende »Miststück«, in dem Al sich als der Freundin-fickende Gegenpart zu Bushdios & Flers acht Jahre zuvor releastem »Dreckstück« inszeniert, dabei aber ein weitaus glücklicheres Ende findet. Und im Dezember 2013 folgte mit »Da Vinci Code« eine so gnadenlose Demüti­gung des Düsseldorfer Rappers Firuz K, dass die oft inflationär gebrauchte ­Wendung ­»Karriere beendet« ausnahmsweise mal angemessen ­erscheint. In dem Video täuscht Al-Gear seinem nichtsahnenden Gegenspieler vor, Mitarbeiter eines Maskenherstellers zu sein und überredet ihn, eines der haus­eigenen Produkte zu tragen und ein Foto davon, nebst Promo-Code, mittels Facebook zu teilen. Genau das passiert dann auch – wohlweislich, nachdem Al die Maske mit seinem eigenen und dem Sperma diverser Kunden des Düsseldorfer Bahndamms bekannt gemacht hat. Und der Promo-Code? Ist ein Zahlenrätsel, das aufgelöst so viel wie »Al Gear hat mich gefickt« ergibt. Die ­Geschichte hatte ein Nachspiel, das den Titel von Als kommendem Album »WMA (Wieder mal angeklagt)« unerwartet treffend ­wirken lässt. In einer Shisha-Bar in Bahnhofsnähe spricht der Bad Boy mit dem gewinnenden Lächeln über vergangene Beefs, das kommende Album und den Preis des Erfolgs.
 
»Da Vinci Code« ist der ­geschmackloseste, dreisteste und ­ekelhafteste Diss, den ich je gesehen habe. Ich habe herzlich gelacht.
Ich auch, aber erst im Nachhinein. Das Vorspiel dazu zog sich ja richtig lange hin. Viele denken, ich sei mit dem Song zu weit gegangen, weil sie nicht wissen, wie viel ich vorher schlucken musste. Als ich noch mit dem BTM-Squad unterwegs war, arbeitete ich mit Firuz noch zusammen. Dann hat er erst das ­Mastering von meinem Album verkackt und mich ­anschließend finanziell abgezogen. Damit hätte ich mich sogar noch abfinden können, aber es folgten massive Beleidigungen, Disstracks und Videos, in denen er mich angeblich sucht. Eigentlich sollte mir so was egal sein – war es aber nicht. Inszenierten Beef finde ich albern, aber wenn ich mit jemandem wirklich Stress habe, nimmt mich das mit. Mir ging es lange Zeit richtig schlecht, ich habe mies geschlafen, sah wie ein Gespenst aus, hab abgenommen und konnte währenddessen auch keine Musik machen. Der Tropfen, der das Fass dann zum Überlaufen brachte, war ein Foto vom Haus meiner Mutter, das er mir geschickt hat. Für solche Aktionen wirst du hier eigentlich einen Kopf kürzer gemacht, aber ich wollte wegen dem Kerl nicht ins Gefängnis wandern. Also hab ich mir überlegt, wie ich’s ihm anders heimzahlen kann. Dabei kam der »Da Vinci Code« heraus.
 

 
Der ja bestens funktioniert hat.
Ja und nein. Das Video ist eingeschlagen, klar, aber der Kerl hat mich in der Folge noch ­krasser beleidigt und bedroht. Dann dachte ich mir, bevor der mir noch irgendwo auflauert, komme ich ihm zuvor – mit einem Kollegen und einem Baseballschläger. Das nächste Kapitel der ­Geschichte wird jetzt vor Gericht geschrieben.
 
Du wirkst gar nicht wie der gewalt­bereite Typ.
Bin ich auch nicht! Ich fühlte mich nur auf so krasse Weise herausgefordert und bedroht, dass ich mich wehren musste. Außerdem sind diese Leute ja wie Hyänen – wenn du alles mit dir machen lässt, machen sie auch alles mit dir. Ich will auch gar nicht diese Gangster-Nummer fahren, aber ich habe das Gefühl, ich ziehe Ärger magisch an. Kürzlich war ich für fünf Tage in Frankfurt und hatte an dreien davon mit der Polizei zu tun.
 
A.C.A.B.?
Ach, das auch wieder nicht – eigentlich sollen die ja dein Freund und Helfer sein. Aber mal ehrlich: Freut sich irgendwer, wenn er einen Streifenwagen sieht? Ich zumindest nicht, obwohl ich inzwischen eigentlich recht legal lebe. Gegen die Herren in blau wird auf dem kommenden Album also auch ein bisschen geschossen. Die ersten paar Tracks gehen alle ineinander über und erzählen ­zusammenhängend Geschichten aus meinem Leben, und auch von dem Ärger, den ich mit der Polizei so habe.
 

 
Und der Rest?
Ist eine bunte Mischung. Die Leute ­nehmen mich vielleicht als augenzwinkernden ­Gangster wahr, aber ich hatte ja schon auf dem ersten ­Album durchaus ernste Nummern. ­»Integration« zum Beispiel wurde teilweise in Schulen im Unterricht besprochen. Ein Song vom neuen ­Album erzählt von einem ­algerischen ­Bekannten, der hier in Düsseldorf ein Ding gedreht und 100.000 Euro erbeutet hat. Davon hat er seiner Familie in Algerien ein Auto gekauft. Ein paar Tage später haben die mit dem Wagen einen Unfall gebaut, bei dem sie alle gestorben sind; er selbst sitzt inzwischen im Gefängnis. Das ist ein absoluter ­Albtraum, den ich lieber nicht miterlebt hätte. Aber ich glaube, dass ich die Geschichte ­musikalisch gut erzähle.
 
Du hattest früher ziemlich viel mit Farid Bang zu tun. Wie ist euer Verhältnis denn heute?
Ungetrübt. Ich kenne Farid schon ewig, von ­Kindes­beinen an. Damals ist er noch schwarz mit der Bahn gefahren (lacht). Wir haben auch gemeinsam Songs ­aufgenommen, ich war ja damals auch sein Backup. Z­wischendurch haben wir uns dann etwas in die Haare bekommen, weil er das ganze ­Musik-Ding ernster genommen hat und professioneller angegangen ist als ich.
 
Wie siehst du das heute?
In gewisser Weise hat Farid schon recht. Wenn du richtig erfolgreich sein willst, musst du Rap als Fulltime-Job begreifen. Ich bin an dieses Album auch professioneller rangegangen als an das letzte. Ich habe mir diesmal mehr Zeit ­genommen und mit zwei hervorragenden Produzenten (Sceptikk und Gordon X; Anm. d. Verf.) zusammengearbeitet. Dann kommt noch hinzu, dass ich keinen Manager habe. Das Album erscheint über mein eigenes Label MILF Hunter Records und den Vertrieb übernimmt Soul Food. Ich habe also viel zu tun.
 

 
Erfolg hat seinen Preis.
Nicht nur einen. Es kann verdammt ­anstrengend sein, wenn du bekannt bist. Ich habe das über die letzten Jahre an mir selbst deutlich miterlebt. Mein derzeitiger Hype ist eigentlich völlig unberechtigt so groß. Seien wir doch mal ehrlich: ich hab mit Rap angefangen, um Frauen klarzumachen. Inzwischen habe ich mehr Facebook-Fans als Max Herre, obwohl der viel mehr verkauft hat und länger dabei ist. Ich weiß gar nicht, wieso mein Stern so steil ­gestiegen ist, aber ich kann hier nicht mehr durch die Straßen gehen, ohne erkannt zu werden. Natürlich ist das cool, aber wenn ich gerade aus der Spielhalle komme, Geld verloren habe, und ich dann trotzdem mit Fans auf der Straße nett für Fotos posieren muss, dann belastet das auch mal. Würde ich heute noch mal ganz neu als Rapper anfangen, würde ich auf jeden Fall eine Maske tragen.
 
Dann würde es wahrscheinlich mit den Frauen nicht so gut klappen.
Kann schon sein, wobei mir viele von denen auch gestohlen bleiben können. Ich kann mich noch gut an die Zeit erinnern, als mich keiner gekannt hat und ich Mädels acht Monate lang auf MSN begeiern musste, bis sie mir auch nur ihre Nummer gaben. Heute muss ich danach nicht mal mehr fragen. Nur interessiere ich mich nicht für Mädels, ­sondern für richtige Frauen.
 
Deshalb auch MILF Hunter?
Genau. Intelligente Frauen Mitte 30 – das ist das, was ich will. Kürzlich war ich an der Uni in Frankfurt. Unheimlich schönes Gebäude, unheimlich schöne Frauen. Da kannst du eine zum Heiraten finden. Manchmal denke ich eh, ich hätte besser Jura studieren sollen als Rapper zu werden.
 

 
Ist auch nicht so toll, glaub’s mir.
Aber es ist die größere intellektuelle Leistung. Schau dir doch mal an, wer mit Rap alles Erfolg hat: Manche von denen können keinen fehlerfreien Satz artikulieren! Aber, wenn du Kanake bist und in gebrochenem Deutsch von deinem Hustle erzählst, fahren die Kids da tatsächlich drauf ab. Deshalb rappen ja auch viele erfolgreiche Leute immer noch vom Ticken, obwohl das mit ihrem Leben längst nichts mehr zu tun hat. Für deren Hörer sind die eine Art Super­heldenersatz – wie früher Captain Planet.
 
Text: Constantin Baron van Lijnden
Foto: Shine Buteo
 

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