
Für jeden Menschen kommt früher oder später der Moment, in dem man sich trennen muss. Von schlechten Gewohnheiten, falschen Freunden oder einer ungesunden Liebe.
Meist passiert so was nicht von heute auf morgen, es ist ein schleichender Prozess. Jeden Tag fallen einem weitere Dinge auf, die einen stören. Vom Rauchen werden die Finger gelb. Die angeblichen Freunde sind nur da, wenn der Rubel rollt. Die große Liebe ist in Wirklichkeit ein Pornokanal. Und irgendwann erkennt man: Das tut mir nicht mehr gut. Deshalb folgt nun ein offener Brief an meine große Liebe, in der Hoffnung, dass sie bereit ist, sich zu ändern. Denn auch in meinem Fall haben die störenden Ereignisse in den letzten Monaten überhand genommen: Ich fühlte mich unwohl. Das ganze Drumherum wurde mir immer suspekter. Beinah sämtliche Beteiligten in dieser polygamen Beziehungskiste waren und sind entweder unglaublich belastend, komplett nervig oder ebenfalls frustriert. Ihr ahnt es bereits, denn ihr seid schlau. Die große Liebe, von der ich spreche, ist die Deutschrapszene.
Das Problem an meinen bisherigen ungezählten Versuchen, unsere Beziehung durch Statements oder Artikel zu ändern: Meine große Liebe ist offenbar blind und taub. Ob die immer wieder gestarteten Appelle, Vergewaltigungsfantasien in Raptexten vielleicht einfach mal bleiben zu lassen, die tausendste ekelhafte Insider-Story über Rapper XY, die man gesteckt bekommt, wahnwitzige Verschwörungstheorien von Leon Lovelock oder, wie jüngst im Fall des Kollegah-Signings Jigzaw, die komplette Entgleisung eines Rappers, der sich regelmäßig mit von mir verehrten Szenegrößen auf Instagram zeigt – es fällt mir von Tag zu Tag schwerer, die Menschen im Rap-Kosmos zu lieben, zu respektieren, ernst zu nehmen. Aber all das ist nun mal die Basis für jede Beziehung. Und wir reden hier nicht über die gemeinsamen Musikvorlieben, denn die gibt es nach wie vor.
Meine große Liebe ist offenbar blind und taub
Doch auch abseits von (für viele Fans wahrscheinlich unglaublich nervigen) Sexismus-Debatten ist die deutsche Rapszene kaum noch zu ertragen. Man muss den HYPE Awards eigentlich dankbar sein, dass sie uns noch mal so konzentriert vorgeführt haben, was alles schief läuft in dieser angeblichen Gemeinschaft. Selbstverständlich war diese gruselige Show eine komplett misslungene Veranstaltung, die in sämtlichen Bereichen ungefähr jeden Fehler gemacht hat, den man machen kann. Peinlichkeitslevel unendlich. Aber zur Wahrheit gehört eben auch, dass sich ein Großteil der Rapper ganz einfach zu fein ist, eine an sich gute Idee wie diese zu unterstützen. Von wegen Community. Von wegen Zusammenhalt. All das, was stets eingefordert wird, wenn irgendein peinlicher »WELT«-Redakteur mal wieder HipHop an den Pranger stellt, löst sich in Luft auf, wenn es darum geht, den Worten Taten folgen zu lassen. Das Umfeld soll die Künstler verteidigen, das ist die in Stein gemeißelte Aufgabe. Zurückgeben wollen diese Künstler meist wenig. Oft strengt es sie schon an, sich vor oder hinter der Kamera nicht wie riesige Arschlöcher aufzuführen.
Seit Jahren verteidige ich in solchen Fällen die Musik, die ich liebe und die mich sozialisiert hat. Und das werde ich auch weiter tun. Nach wie vor werde ich Anfragen von TV-Sendern ablehnen, wenn mal wieder wer gebraucht wird, der in den sogenannten Mainstream-Medien über den Antisemitismus auf »JBG3« plaudert. Und das, obwohl ich ein Kollegah-Hater mit jüdischem Hintergrund erster Klasse bin und der Nachweis von Kolles Antisemitismus wirklich keinerlei ausgefeilter Beweisführung bedarf. Warum ich mich trotzdem weigere? Einfach, weil diese Leute meist weder Ahnung von der Materie haben, noch etwas dazulernen wollen. Sie wollen oft nur ihre Klischees und Feindbilder bestätigt sehen. Das Feindbild des dummen Rappers.
Die aktuelle Deutschrapszene muss sterben – damit wir leben können
Es ist aber nun mal auch Teil der Wahrheit, dass wir alle (JournalistInnen, Fans, PR-Fuzzis, ManagerInnen, Entourage usw. usf.) dadurch diese zu großen Teilen nur noch abstoßende Szene stützen. Und eben auch die Massen an dummen und ekelhaften Menschen, die sich dort tummeln. Weil wir das Geld brauchen, weil wir die Problematik nicht erkennen können/wollen oder weil wir es einfach megacool finden, endlich mal mit Rappern abzuhängen. Für viele der BerichterstatterInnen erfüllt sich ein Lebenstraum, wenn sie endlich in irgendeinem Backstage mit den MCs abhängen, die sie vor drei Jahren noch auf YouTube bewundert haben. Ich für meinen Teil kann sagen: Ich hab darauf einfach keinen Bock mehr. Nicht, solange die Szene nicht bereit ist, über sich selber nachzudenken. Und deshalb ist dieser offene Brief ein Versuch, mich davon zu lösen. Ihr könnt dieses aus Einschüchterungen, Shitstorms und »Honig ums Maul schmieren« bestehende Spiel gerne weiter spielen. Bis dahin heißt es für mich: HipHop is great. Aber die aktuelle Deutschrapszene muss sterben – damit wir leben können.
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