»Graduation« ist der Prototyp eines Übergangsalbums: Der Wechsel vom Soulsample-, Bongos- und Claps-Kanye von »Late Registration« zum Synthesizer-Soundwelt-Kanye lässt sich in den sehr unterschiedlichen Sound-Ästhetiken in Songs wie »Glory« – im Gegensatz zu so was wie »Drunk and Hot Girls« – deutlich heraushören. Der gute alte Kanye-Vibe ist auf »Graduation« einerseits völlig präsent und bei Songs wie »Homecoming« absolut auf den Punkt gebracht. Andererseits sampelt Kanye Daft Punk, holt sich DJ Toomp als Co-Produzenten ins Studio, und wenn man etwas sensibel zwischen den Zeilen oder Tönen zuhört, könnte man meinen, dass sich in kurzen Momenten bereits die »808s & Heartbreak«-Phase ankündigt. Und kaum drängt sich der Verdacht auf, dass Herr West dort gerade ganz neue Filme schiebt, wird man mit einem straighten Kanye-Brett wieder zurück auf den Boden der Golden-Era-Tatsachen geholt. Was »Graduation« dabei so riesig macht, ist nicht der Umstand, dass die Platte krasse Hits hat, sondern einen musikalischen Wandel zelebriert: Die Tracklist ist knackig und vergleichsweise kurz. Kanye verzichtet auf Gimmicks, die Hooks sind eingängig, die Experimente funktionieren. Und auch wenn man damals (und auch heute noch) nicht wusste, was man von ihnen halten soll, verderben sie keinesfalls den Gesamtspaß am Album. Zugegeben: Analytisch betrachtet habe ich keine Ahnung, wie genau Kanye das auf »Graduation« schafft. Anhand der einzelnen Zutaten dürfte dieser Spagat eigentlich nicht funktionieren – tut er aber. Man kann sicherlich darüber streiten, aber ich würde so weit gehen zu sagen, dass »Graduation« das künstlerisch wichtigste Album auf Kanyes bisherigem Weg ist.
P.S.: Der Albumopener »Good Morning« war übrigens gefühlte sechs Monate der Weckerklingelton meines Vertrauens. Ich kann jedem nur empfehlen, mal mit dieser Snare aufzuwachen – dann hat der Tag Struktur.
Text: Curse
Die Yeezyografie – Kanyes Diskografie rezensiert von deutschen Künstlern: