Jüngst wurde Haftbefehl vom Feuilleton als Antithese zur bieder gewordenen Dichterschaft in Deutschland gefeiert. Korrekterweise müsste man von einer ganzen literarischen Schule im Rhein-Main-Gebiet sprechen. Und ebendiese hat auch Schwesta Ewa summa cum laude abgeschlossen. Während Haft nun auf »Russisch Roulette« oft mit wenigen Worten und Brechstangen-Trap seine Attitüde spürbar macht, wählt Ewa in bester Alles-oder-Nix-Manier den Boombap-Weg und offenbart kleinste Details aus ihrem Arbeitsleben »am Rande der Gesellschaft, an dem man anders sein Geld macht«. Nicht selten sind Alben ansprechender, je kompakter sie sind. In diesem Fall reichen 20 Tracks gerade so aus, um den voyeuristischen Appetit zu stillen, den »Kurwa« anregt. Zwischen Rot- und Blaulicht erzählt Ewa von Beziehungsfallen mit Zuhältern, die Arbeits- und Privatleben nicht zu trennen wissen (»Nonne wird Nutte«), Kollegen, die Braunes vom Blech rauchen und beim gescheiterten Raubzug umgenietet werden (»Viktor«), oder von Richtern, die mit Polaroids ihrer letzten Bordellorgie bestochen werden. Man merkt schnell: Das Spiel, in dem die selbstermächtigte Kurwa gefangen ist, ist eines auf Leben und Tod. Ewa spielt es unfreiwillig. Doch sie hat nicht nur die Regeln gelernt, sondern auch die überlebensnotwendigen Cheats entlarvt. Da all das textlich dank präzisestem Storytelling so greifbar wird wie auf einem Biggie-Album, ist es nur konsequent, dass »Kurwa« auch musikalisch in den Neunzigern zuhause ist – irgendwo zwischen Bad-Boy-Sound jener Ära (inkl. Ad-Libs im Puffy-Style), dunklem Queensbridge-Bumm-Tschack und ein paar kitschigen Trackmasters-Momenten, die anno dazumal auch auf dem umstrittenen The-Firm-Album hätten landen können. Ewas gesund gewachsenes Ego hilft ihr derweil über den ein oder anderen holprigen Flow hinweg, der der Realness nur so in die Karten spielt. Prostitution hin oder her: Vom gecasteten Pop-Püppchen ist diese Dame weit entfernt. In diesem Sinne: »Highheels in den Mund, bitte, Deutschrap leck mal!«
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