Audio88 & Yassin über »Todesliste«: »Wir wurden juristisch umfangreich beraten« // Interview

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Sechs Jahre ist es her, dass Audio88 & Yassin Deutschrap »Normaler Samt« in den Mund gestopft haben. Zeit genug, um daran zu kauen und ihn schlussendlich runterzuschlucken. Mit »Todesliste« erscheint nun das nächste gemeinsame Album, das die Kritik und unbequeme Haltung der Texte auf noch härtere Art und Weise fortsetzen will. Die Erwartungen an die LP sind groß, immerhin wurde »Normaler Samt« zum Untergrund-Klassiker und von uns in die Liste der 20 besten Alben der vergangenen Dekade aufgenommen. Aber nicht nur der Status des Duos hat sich verändert. Das Release von »Todesliste« fällt in eine dystopisch anmutende Zeit, die nicht nur von einer globalen Pandemie bestimmt ist, sondern in der Rechtsextreme auf den Straßen, in Talkshows und im Bundestag anzufinden sind.

Audio88 & Yassin finden zu diesen Themen klare Worte auf dem Album und machen im Interview keine Ausnahme. Ein Gespräch über professionelles Rappen, Songwriting während der Pandemie, Grenzen des Sagbaren und düstere Aussichten für die Zukunft.

Ich würde den Talk zum neuen Album gerne damit beginnen, nochmal über „Normaler Samt« zu reden und was dieses Album für euch verändert hat. Danach kamen ja noch einige Sachen, wie »Halleluja«, Soloprojekte von euch beiden, die neu remasterten »Herrengedecke« und gefühlt ununterbrochene Touren. Ist das etwas, was sich aus »Normaler Samt« und dem danach gegründeten Label »Normale Musik« ergeben hat?
Yassin: Genau, das Label gab es dann zu »Halleluja«, wir haben eigentlich nur »Normaler Samt« auf einem fremden Label herausgebracht. Ansonsten haben wir alle Alben selbst releast. »Normaler Samt« war für uns wie ein Check, wo wir festgestellt haben, dass wir das die ganze Zeit schon richtig gemacht haben. Man müsste nur ein paar Excel-Tabellen mehr pflegen und dann könnte man es auch wieder selbst machen. Kein Disrespekt an Heart Working Class, aber für uns war das nochmal ein Professionalitäts-Check.
Audio88: Es war auch unsere erste Promophase. (lacht)
Yassin: Stimmt. Als es dann klar war, haben wir gesagt, dass wir es wieder selbst machen wollen. Ab dem Zeitpunkt haben wir Strukturen gehabt, auch wenn die sich natürlich dauerhaft verändern und wir unsere Arbeit mit jedem Release verbessern. Da war es das erste Mal so, dass wir wussten, was man tun muss, wenn man ein Album rausbringt. Also die Tour zu einem bestimmten Zeitpunkt planen, rechtzeitig mit der Promo starten, verschiedene Sachen bedenken eben. Weil es dann nicht mehr so ins Blaue hinein war, wurde es leichter, mehr zu veröffentlichen. Das hat bei uns schon viel verändert. Auch generell Touren. Davor haben wir keine Touren gespielt, sondern immer nur Einzelgigs. Dann gab es auf einmal Touren und das Live-Geschäft hat bei uns im Grunde genommen die Vollzeitbeschäftigung mit Musik überhaupt erst möglich gemacht.

Ich habe mir gestern nochmal eure Dokumentation zur Halleluja-Tour angeguckt und bin ein bisschen nostalgisch geworden, weil das alles gerade nicht stattfinden kann. Aber dort hat man ziemlich gut gesehen, dass bei euch gerade die Konzerte für die Verbindung mit den Fans sorgen.
Yassin: Das sehen wir auch als eine unserer Kernkompetenzen.
Audio88: Ja.
Yassin: Dass wir die Sachen aus dem Studio Live gut oder sogar noch besser umsetzen können, als andere Rapper das vielleicht schaffen.

Wie war das bei eurem kommenden Album »Todesliste«? Ich habe ja gerade schon aufgezählt, was in der Zwischenzeit alles von euch erschienen ist. Wann habt ihr angefangen am Album zu arbeiten?
Audio88: Nach »Halleluja« war auf jeden Fall klar, dass diese Zusammenarbeit nicht beendet ist und wir weiter zusammen Musik machen. Deswegen braucht es auch nicht unbedingt den Gedankengang »Das nächste Album heißt so und das kommt dann« und dann fängt man an Musik zu machen. Wir haben einfach stetig gemeinsam Musik gemacht, haben unser gemeinsames Label und das gemeinsame Studio gehabt.
Yassin: An dem Punkt wussten wir auf jeden Fall, dass wir weiterhin gemeinsam Musik machen.
Audio88: Chronologisch gesehen haben wir nach Yassins Soloalbum stärker daran gearbeitet, aber es gibt auch Songs, die wir geschrieben haben bevor Yassins Album erschienen ist. Das meiste ist in den letzten 18 Monaten entstanden, aber es gibt auch Dinger, die vor drei Jahren entstanden sind. Von daher waren das parallele Baustellen, an denen man unterschiedlich lang gearbeitet hat. Aber es war schon klar, dass es das nächste Projekt ist, wenn man das so sagen will.

»Es ist unsere Todesliste, aber auch das, was uns auf Todeslisten setzen kann. Oder wird.« – Yassin

Ihr habt auf Instagram geschrieben, dass ihr in Polen zum »Herrengedeck«-Vibe zurückgefunden habt. Wie kann man sich diesen Vibe vorstellen und welche Songs sind dort entstanden?
Audio88: Viel Schneppo auf jeden Fall. Richtig viel Schneppo.
Yassin: Alkohol….
Audio88: … ungesunde Ernährung
Yassin: Genau. Früher, als wir die Herrengedecke gemacht haben, waren wir beide berufstätig oder Studenten. Da hatte man Freizeit und die hat man mit Musik gefüllt. Jetzt ist es andersrum: Man muss sich Freizeit schaffen und alles andere ist voll mit Musik. In Polen hingen wir eine Woche lang rund um die Uhr aufeinander und hatten nicht jeden Tag fünf Stunden Bühnenabbau und Show, wie es auf Tour ist. In Polen hatten wir zusammen Freizeit und haben zum Beispiel dieses eine Ding von Action Bronson geguckt. Wie heißt das nochmal?
Audio88: Action Bronson and Friends Watch Ancient Aliens.
Yassin: Da haben wir uns solchen Müll reingefahren und auch irgendwelche Will Ferrell-Filme geguckt. Dinge, die wir früher echt viel gemacht haben. Wir haben uns auch einen kompletten Abend lang irgendwelche DLTLLY-Battles gegeben. Sachen, die früher bei uns die Vorbereitung waren, bevor wir einen Song gemacht haben. Nicht wegen Sparring oder so, aber viel Inspiration kam über den gemeinsamen Medien- und Alkoholkonsum. Das haben wir dort gemacht und daraus sind dann »Todi« und »Kein Regen« entstanden.

Ist die Umgebung zum Schreiben für euch wichtig? Wenn ihr aufeinander hockt, ist logisch, dass ihr simultan schreiben könnt, aber wir macht ihr das sonst? Schreibt ihr alleine und zeigt es dann dem anderen?
Audio88: Ja. Was wir bei diesem Album generell gemacht haben, auch wegen Corona, aber auch davor, ist, dass jeder viel für sich gearbeitet und Ideen gesammelt hat. Zum Beispiel Strophen und Beats, die er dann dem jeweils anderen ab einem bestimmten Punkt mit der Frage gezeigt hat, wie er das findet. Bei den anderen Alben haben wir uns meistens einen Beat ausgesucht, uns getroffen und gleichzeitig geschrieben. Wer zuerst fertig war hat gewonnen. Das war dieses Mal ein bisschen anders.
Yassin: Wir haben Texte teilweise noch nicht fertig gehabt, sind aber schon in die Produktion reingegangen. Die Entstehungsprozess waren ein bisschen dynamischer. Ein Stück weit war es gewollt, teilweise kam das aus der Zeit, als ich am Album gearbeitet habe und wir beide Songskizzen roh aufgenommen haben, irgendwo zuhause oder im Studio. Dann haben wir es dem anderen geschickt und das schonmal mit in den Pool an Ideen genommen, damit der andere drübergucken kann. Dadurch sind Ideen besser gewachsen. Und sie sind vor allem nicht in dem Moment, wo man den Beat zum ersten Mal gehört und den Text geschrieben und aufgenommen hat, fertig gewesen. Das war früher oft so, dass wir den Song in einer Session gemacht haben und sich danach wenig verändert hat. Außer vielleicht die Aufnahmequalität. Insgesamt haben wir dieses Mal ein bisschen mehr Spiel an allen Enden gelassen.
Audio88: Du hattest noch wegen dem Raum gefragt, in dem man schreibt, weil wir ja auch nach Warschau sind. Da muss ich schon sagen, dass ich das bei dem Album mehr gemerkt habe. Ich glaube, ich hätte vorher gesagt, dass ich überall killer Parts schreiben kann. Bis wir dann relativ lange in einem Studio ohne Fenster waren. In dem gab es kein Tageslicht und keine frische Luft, sondern nur so Klimaanlagen-Luft. Es war ein Zeit lang auch nicht das beste Licht da drinnen. Da habe ich gemerkt, dass ich in unserem Studio nicht schreiben kann und bin dann nur noch zum Aufnehmen dorthin. Wir haben dieses Studio jetzt nicht mehr, aber dieser Raum hat sich sehr gegen meine Kreativität verwehrt. Da ist man dann zum Arbeiten und Recorden hingegangen, aber ich habe das tatsächlich wenig Gutes geschrieben.

Wie habt ihr eure Produktionen dieses Mal ausgewählt? Es gibt eine wilde Mischung an Produzenten, die teilweise ganz verschiedene Stile in ihrer Musik fahren. Hattet ihr die Beats da oder habt ihr explizit nach Produktionen für das Album gefragt?
Yassin: Wir hatte ein paar Beatpakete. Torky schickt uns regemäßig Beats, von denen er denkt, dass es passt. Teilweise beauftragen wir ihn auch, wenn wir schon eine Skizze haben und wollen, dass er dafür einen Beat hinkriegt. Bei »WUP« mit den Drunken Masters war ich in München und wir haben den Beat in einer Session gebaut. Da gab es den Song quasi auch schon. Es war wirklich sehr unterschiedlich. Bei vielen Sachen war es so, dass wir über Zoom, so wie wir jetzt hier sprechen, mit geteiltem Bildschirm an die Sachen herangegangen sind, ich Sachen rumgeschoben habe und wir versucht haben, die  Arrangements und die Dramaturgie der Produktionen festzulegen. Teilweise haben es dann die Produzenten ausproduziert, teilweise ich. Man kann sagen, dass keine zwei Songs auf die gleiche Art und Weise entstanden sind.

Hat das über Zoom gut funktioniert? Ich stelle mir das als krassen Gegenentwurf zu einer gemeinsamen Studioatmosphäre vor.
Audio88: Yassin hatte die Idee und wir wollten es ausprobieren. Es hat eigentlich erstaunlich gut geklappt. Ich kriege ja Yassins Rechner gespiegelt und er fügt das alles zusammen. Dann ist es vielleicht etwas anderes, wenn man mit eigenen Kopfhörern am Rechner sitzt, als wenn man weiß, dass die ganze jemand hinter einem sitzt und über die Schulter guckt, was man das schiebt. Auch wenn es eigentlich dasselbe ist, macht es das noch ein bisschen einfacher. Dadurch, dass ich so einen direkten Blick auf den Monitor hatte, hat es gut funktioniert. Es spräche auch für sonstige Arrangement-Sachen, da müsste man sich nicht unbedingt treffen.
Yassin: Es hat besser funktioniert als ich erwartet hätte. Aber wir haben jetzt auch wieder ein schöneres Studio und wenn die Corona-Scheiße vorbei ist, gewinnt das Studio trotzdem.
Audio88: Safe.
Yassin: Aber es ist auf jeden Fall eine coole Variante, um schnelle Ideen kurz umzusetzen, wenn man sich gerade nicht trifft.

Ihr habt euer Album »Todesliste« genannt und euch damit etwas angeeignet, worüber in den letzte Jahren vor allem im Kontext von Rechtsextremen diskutiert und teilweise verharmlost wurde. Warum?
Yassin: Wir wussten irgendwann, vielleicht vor einem Jahr, ziemlich genau wie das Album klingen wird. Rein akustisch. Inhaltlich war auch schon klar, was die Stoßrichtung sein wird und wir wussten, dass es auf jeden Fall unsere härtestes Album ist. Wir haben schon Namen gesucht, aber nicht ewig lang. Bei »Todesliste« hatten wir beide das Gefühl, das ist das, was unser Album am Ende ist. Es ist unsere Todesliste, aber auch das, was uns auf Todeslisten setzen kann. Oder wird. Das war für uns der treffendste Name, um die Härte dieses Albums widerzuspiegeln.
Audio88: Zu dem Zeitpunkt hatten wir schon ungefähr die Hälfte der Texte und sowohl Yassin als auch ich hatten zu dem Zeitpunkt schon einmal »Todesliste« gesagt. Wir haben das Wort beide erwähnt, ohne dass wir uns abgesprochen haben. Dann hat es sich ganz logisch angefühlt. Wir hatten eine Liste mit Ideen und haben ein bisschen gebrainstormt. Bei dem war es dann so: »Ja stimmt. Das ist die richtige Antwort.« Fügung!
Yassin: Und weil du ja meintest, dass es so eine Aneignung geworden ist, finde ich, dass durch Valentin Hansen viel auf visueller Ebene passiert ist, der das Ganze optisch mit Leben gefüllt hat und der ganzen Sache ihre Metaebene verpasst hat. Dass ein Song wie »Garten« ein LSD-Video bekommt und unser Artwork trotzdem aussieht wie eine selbstgeschriebene Todesliste. All das, wie es sich visuell zusammenfügt, das kam durch Valentin und damit hat es für uns doppelt Sinn ergeben.

Valentin Hansen hat dann alles gemacht oder?
Yassin: Alles, bis zum animierten Hintergrund, den man auf Spotify sieht, ist von Valentin.
Audio88: Jedes Single-Cover, einfach alles. Auch der Merch zum Album.

Wie habt ihr ihn kennengelernt?
Yassin: Ich habe ihn kennengelernt, als wir das Album-Artwork zu meinem Soloalbum zusammen mit Chehad Abdallah gemacht haben. Da hat Valentin mit Chehad im Team gearbeitet, die Chemie war schon sehr gut und ich war großer Fan seiner Arbeitsweise. Wir hatten zu dritt ein Wochenende im Spreewald, wo wir Ideenfindung gemacht haben. Auf dem Weg dorthin bin ich mit ihm im Auto gefahren und er hat mir erzählt, wie er zu Musik, Video und Grafik gekommen ist. Das ist alles auf einer DIY-Ebene, er hat sich alle selbst beigebracht und selbst ausprobiert. Immer mit der Idee im Kopf und sich dann die Mittel, die man dafür braucht, angeeignet. Also selten Probleme mit Geld oder Hilfe von Außen gelöst oder gemeint, dass man die Idee nicht umsetzen kann, sondern immer die passenden Mittel gesucht. Das fand ich bei meinem Artwork schon richtig geil. Einfach zu sehen, dass jemand nach der Idee arbeitet und nicht nach dem Budget. In der Zwischenzeit haben wir bei mehreren Projekten mit ihm gearbeitet, Merch zusammen gemacht, auch ein Releasecover. Alles war zum einen immer sehr unkompliziert, was als Künstler sehr bequem ist, aber vor allem war es immer eine geile Idee, die dann visuell State of the Art umgesetzt wurde. Da waren wir beide sofort Fan.
Audio88: Ja voll.
Yassin: Seitdem wollen wir, dass niemand anderes mehr Photoshop für uns aufmacht.
Audio88: Er ist auf jeden Fall viel talentierter als wir. Schon ein Wunderkind auf ganz vielen Ebenen.

Nochmal zurück zur Todesliste. Was so eine Liste auszeichnet, sind logischerweise die Namen, die draufstehen. Es werden auch Personen, beziehungsweise Gruppen genannt, die draufstehen könnten. Bei euch könnte das im Endeffekt die ganze Menschheit sein, aber es gibt auch ein paar konkrete Sachen, zum Beispiel Alice Weidel und ein gewisser Dieter. Ihr erwähnt aber auch, dass ihr eine Abmahnung von einer nicht genannten Person bekommen habt, die euch fast das Genick gebrochen hat. Stimmt das oder ist das Effekthascherei, um das Namedropping besser zu inszenieren?
Audio88: Wir wurden juristisch umfangreich beraten, was dieses Thema angeht. Der Name ist bewusst zensiert. Welcher Dieter auch immer da genannt wird, das wurde bewusst zensiert. Dasselbe gilt für die Abmahnung. Ich glaube man weiß, wenn wir Namen nennen wollen oder können, dann machen wir das auch. Wir haben in der Vergangenheit oft genug unter Beweis gestellt, dass wir da wirklich einen Fick geben. Da konnten wir leider keinen Fick geben. Wir würden gerne, aber wenn wir uns das auf dem Album verkneifen, dann werden wir das auch im JUICE Interview tun. Dafür musst du bitte Verständnis haben.

Selbstverständlich. Aber habt bitte auch Verständnis dafür, dass ich nachfrage, weil es ein interessanter Aspekt ist.
Audio88: Ja, war ein netter Versuch.
(alle lachen)

»Keiner kann uns dieses Mal ficken.« – Audio88

Neben all den politischen Themen gibt es auch eine sehr persönliche Ebene. Die gab es auch schon auf deinem Soloalbum, Yassin. Ihr habt den Track »Freund«, wo ihr mit ehemaligen Freunden beziehungsweise Bekannten abrechnet. Was hat euch dazu veranlasst, den zu schreiben? Ihr habt beide Parts auf dem Song, habt ihr also ähnliche Erfahrungen mit verschiedenen Leuten gemacht?
Yassin: Audio hatte die Idee. Wir hatten ein paar Vorfälle im engeren Bekannten- bis Freundeskreis, die uns zu dem Zeitpunkt beschäftigt haben und über die man oft geredet hat. Dann kam die Idee, dass man einen Song daraus machen könnte und Audio hatte seine beiden Parts innerhalb einer Stunde geschrieben, also richtig schnell. Die Personen, von denen ich spreche, sind keine gemeinsamen Freunde oder Bekannte und sind auch nochmal andere Erfahrungen. Das eine aus der Kindheit und Jugend, das andere war tatsächlich auch eine Weile her. Der Impuls war vielleicht ein wenig altersbedingt, weil man ein Bewusstsein dafür entwickelt, dass man sich selber über die Menschen definiert, mit denen man Zeit verbringt. Ob man will oder nicht. Umgekehrt ist das genauso. Man kann sagen, dass es eine Grenze gibt und dass man nicht zulässt, dass jemand anderes über die Grenze geht. Und wenn doch, dann will ich diese Person nicht mehr in meinem Umfeld haben. Es wurde manchmal als ein politisches Statement gelesen, aber ich finde nicht, dass es das ist. Es ist etwas fast intimes, wie man seinen Freundes- und Bekanntenkreis gestaltet. Klar, wenn es irgendjemand ist, den du drei Mal im Jahr siehst und über Ecken kennst, dann ist es einfach, keinen Kontakt zu haben. Aber eine Freundschaft zu kündigen oder auch einen Bekannten nicht in den Freundeskreis zu lassen, auch wenn man den Freundeskreis teilt, das sind schwerwiegende Entscheidung und nicht einfach. Darum geht es in dem Song. Diese Entscheidung zu fällen ist schon ein Prozess, der einem etwas abverlangt.
Audio88: Wir wollen Leuten auf jeden Fall Mut machen, schlechte Freundschaften einfach zu kündigen.
Yassin: Ja, toxische Freundschaften.

Du hast auf deinem Soloalbum den Track »Junks«, wo es auch um Freundschaften geht, wenn auch auf einer anderen Ebene, zum Beispiel, wenn man ihnen die erste Line legt. Ist das etwas, worüber du dann nachgedacht hast? Also ob man selber Eigenarten hat, die man seinen Freund*innen nicht zumuten möchte.
Yassin: Auf jeden Fall. Das ging mir bei dem Song tatsächlich auch so. Ich habe auch Fehler in meiner Vergangenheit gemacht und mache immer noch Fehler, für die ich mich bei meinen Freund*innen entschuldigen muss. Passiert mir häufiger als ich will. Das ist im Zusammenhang mit diesem Song natürlich die Frage »Was ist, wenn andere diesen Cut machen?« Das bringt einen auf jeden Fall dazu, zu reflektieren. Ich sage nicht, dass man von heute auf morgen seine Persönlichkeit verändern kann, aber man kann ein Gespür dafür entwickeln, was man tut, was anderen zur Last wird oder verletzen könnte. Seine Freunde will man natürlich am wenigsten verletzen. Ich glaube, das ist der entscheidende Unterschied für mich, weil du das Bespiel gerade angesprochen hast. Wenn sich jemand bei mir entschuldigt oder ich mich bei jemandem entschuldige und Besserung gelobe und man das spüren kann, dann ist das ein komplett andere Grundlage, als wenn jemand seine Fehler wissend wiederholt und in Kauf nimmt, dass es für andere scheiße wird.

Ich möchte mit euch nochmal über den Track »Regen« reden, der ja anscheinend früh fertig war und schon auf eurer kleinen Clubtour gespielt wurde, die leider abgebrochen werden musste. Wie seid ihr auf das Ende gekommen?
(Beide lachen)
Und woher habt ihr die Singschnipsel? Ich hätte beim englischen Part an »Make It Rain« von Fat Joe und Lil Wayne gedacht, aber im Original schreit niemand so rum. Und das Max Herre-Ding mit Text aus »A-N-N-A« hört sich auch nach einer anderen Stimme oder wenigstens verfremdet an.
Yassin: Wir haben nichts gesamplet. Wir haben alles neu produziert. Es wurden keine Master-Rechte verletzt. Und die Texte sind auch nur Zitate.
Audio88: Wir wurden bei diesem Album viel juristisch beraten.
(Alle lachen)
Audio88: Keiner kann uns dieses Mal ficken.
Yassin: Es war ganz funny, wir hatten diesen Song in Warschau gemacht, da war es wirklich nur ein Loop von Suff Daddy, vier Takte, eigentlich nur Bass und Drums. In Warschau hatte ich schon eine Synthesizer-Line eingespielt, die wir beiden kacke fanden, aber es war schon klar, dass im Refrain noch etwas passiert. Auf der Platzangst-Tour haben wir diesen Song gespielt und ich dachte »Fuck, ich wollte den ja noch ein bisschen besser machen.« Dann habe ich am ersten oder zweiten Tourdate im Bus noch etwas druntergebastelt. Das meiste davon ist geblieben, weil es auch live geil klang. Dann war es so, dass Cuts am Ende noch geil wären. Daraus hat sich dann diese Meme-Parade entwickelt. Wir fanden beide, dass so ein Beat-Break dem Song noch gut tun würde. Dann ging es relativ flott, wir haben uns an einem Nachmittag über Zoom drangehockt. Wir haben den Beat ein bisschen ausproduziert und dann einen Special Guest für die englische Performance dazugeholt. Jeder, der sich das Album kauft, kann dann nachschlagen, wer das ist.

Du möchtest hier also nicht leaken, wer das war?
Yassin: Wir machen nicht umsonst immer so aufwendige Credits auf unseren physischen Produkten. Die sollen auch noch ein bisschen Überraschung mit sich bringen. Wir haben drei Gastauftritte auf dem Album, die nicht auf der Tracklist stehen. Für die kann man sich die Credits durchlesen.

Ihr erwähnt auf dem Album, dass es im Endeffekt um die selben Themen geht, wie vor fünf Jahren. Ich habe das Gefühl, dass diese bekannten Themen aus eurer Diskographie, gerade was Nazis und Rechte in Deutschland angeht, mit der Zeit noch schlimmer geworden sind. Sowohl auf »Cottbus« als auch auf »Lauf« thematisiert ihr, dass es euch dort auch um die schweigende Masse geht, die im Endeffekt zu einer Art Mittäterschaft wird. Ist das eine der Sachen, gerade mit Blick auf die AfD und bürgerliche Anhänger, die aus eurer Sicht nochmal extremer geworden sind?
Audio88: Das finde ich schon. Das sind Entwicklungen, die mich persönlich nicht überraschen, aber trotzdem lässt es mich nicht kalt, wenn sich Tausende in Chemnitz treffen und dort stramme Nazis, die den Hitlergruß machen, und alle anderen, die gegen irgendwas demonstrieren, sei es »Überfremdung« oder Corona-Maßnahmen, daneben stehen und das für alle klar geht. Reichskriegsflaggen gehen für alle klar. Hitlergruß geht für alle klar. Hetzjagden gehen klar. Es wird zwar so getan, als gäbe es eine Cancel Culture und als dürfte man gar nichts mehr sagen. Aber ich habe das Gefühl, das komplette Gegenteil ist der Fall. Es ist alles komplett aus dem Ruder gelaufen, man darf wirklich alles sagen und wer am lautesten schreit gewinnt am Ende.
Yassin: Diese Narrativ, dass alles verboten wäre, ist gewollt und initiiert. So wie es jetzt medial genutzt wird, hat es damals auch Trumps Wahlkampf-Team. Die hatten genau diese Strategie: Man sagt etwas, dann gibt es Gegenwind. Dann sagt man, dass man es nicht mehr sagen darf. Und damit etabliert man das. Damit erweitert man Stück für Stück die Grenze des Sagbaren und damit auch des Machbaren. Das ist leider extrem effizient.
Audio88: Das funktioniert sehr gut.
Yassin: Wenn sich ein AfD-Politiker, dessen Name völlig irrelevant ist, in irgendeinem irrelevanten Format einen gewollten Schnitzer erlaubt, der am nächsten Tag auf dem BILD-Titel steht – das wird dann diskutiert. Danach wird gesagt »Man darf das nicht mehr sagen« und auf einmal gibt es bei „Hart aber Fair«, »Anne Will« und »Maybrit Illner« die gleiche Diskussion, ob man das denn eigentlich sagen darf. Dabei wird es die ganze Zeit wiederholt. Das ist schon sehr effizient leider.

»Es wird zwar so getan, als gäbe es eine Cancel Culture und als dürfte man gar nichts mehr sagen. Aber ich habe das Gefühl, das komplette Gegenteil ist der Fall« – Audio88

Auf eurem letzten Track, beziehungsweise deinem Yassin, geht es auf mehreren künstlerischen Ebenen um die Zukunft. Denkt ihr, dass ein Ende in Sicht ist? Habt ihr Hoffnung darauf, dass die Zustände, die ihr gerade beschrieben habt, sich verbessern?
Yassin: Es wird irgendwann solche Ausmaße annehmen, dass alles wie eine große Lawine wird. Das merkt man jetzt schon. Diese Pandemie tritt ein und es ist keine Gesundheitskrise mehr, sondern eine soziale Krise, ökonomische Krise, rassistische Krise. Es läuft alles darauf hinaus, dass es eigentlich um Ungerechtigkeit, Ungleichheit und kapitalistische Interessen geht. Das gleiche wird bei der nächsten Pandemie passieren, die definitiv kommen wird. Das gleiche wird bei der Klimakrise passieren, die jetzt schon im Gange ist und die sich extrem verschärfen wird. Das gleiche wird passieren, wenn 50-60% der Bevölkerung ihre Jobs durch Digitalisierung und Automatisierung verlieren. All das sind die gleichen Muster, aber es wird alles zu einem großen sozialen Problem werden, in dem Rassismus eine große Rolle spielt, in dem globale Ungerechtigkeit eine Rolle spielt und natürlich allen voran kapitalistische Interessen. So gesehen ist die Besserung, die in Sicht ist, vielleicht, dass es so weit führen könnte, dass sich viele Probleme dadurch von selbst lösen, dass die Menschen nicht mehr existieren, die diese Probleme verursachen. Das ist das Ende, was in Sicht ist. Das Licht am Endes des Tunnel ist, dass wir es vielleicht gar nicht mehr so lange machen, wie wir vielleicht denken. Oder zumindest der Großteil von uns nicht mehr so lange machen wird, wie wir denken. Das was übrig bleibt, die Tiere und die Natur, die haben dann vielleicht die Möglichkeit, sich von uns zu erholen und sind besser dran.
Audio88: Word!

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