Zeit um Zähne zu zeigen. BLVTH ist zurück und niemand sollte den Fehler machen, Patrick Kowalewski auf die drei Nummer eins Alben von Casper, Marteria und Kummer zu reduzieren, an deren Produktion er beteiligt war. Nach seiner 2019 erschienenen Solo EP »I Don’t Know If I’m Happy«, folgt nun das Debütalbum »I Love That I Hate Myself«. Angenehme Reizüberflutung, Musik gewordener Hilfeschrei, feinfühliges Selbstporträt – das alles beschreibt ein Album, das kaum zu beschreiben ist. Auch Genre-Fragen verlieren sich auf den elf Tracks schnell zwischen rohen Synthies und verhallenden Vocals. Wir haben beim Künstler selbst nachgefragt, um Licht ins Dunkle zu bringen. Ein Gespräch mit BLVTH über nächtlichen Selbsthass, melodramatische Punkmusik und Zimtschnecken im Twitch-Stream.
BLVTH, dein Debutalbum erscheint nun. Was bedeutet das?
Ich wollte ein Gesamtkunstwerk schaffen. Etwas zusammenführen, das natürlich entstanden ist und nicht künstlich zusammengestellt wurde. Das Konzept für das Album kam mir während des Schreibprozesses in den Kopf. Dieser begann während des ersten Corona-Lockdowns. Ich hatte mir zeitgleich den Film Contagion angeschaut. Darin kämpft die Menschheit gegen einen tödlichen Virus. Danach war ich crazy drauf! Ich hatte Angst zu sterben und bin überhaupt nicht mehr rausgegangen. Wenn der Postbote klingelte, habe ich durch die Tür geschrien: Stellen Sie das Paket einfach vor die Tür! Danke!!
Ich war alleine mit meiner Freundin in unserer Wohnung, wir konnten und wollten nicht rausgehen. Den ganzen Tag habe ich einfach Musik gemacht. Eigentlich mache ich das immer, aber diesmal war es intensiver. Weil die Welt gefühlt unterging, hatte ich keinen Druck mehr wegen anstehender Projekte, die fertig werden mussten. Ich habe mir einfach gesagt: Ich collecte ein paar alte Demos und Songs und mache daraus vielleicht ein größeres Projekt.
Es ist ein größeres Projekt geworden. »I Love That I Hate Myself« heißt es. Das klingt nach viel Selbsthass.
Mein Leben bestimmt schon immer ein Wechselspiel aus Selbstliebe und Selbsthass. Es gibt Tage, da sitze ich im Studio und fühle komplett den Vibe meiner Songs. Alles erscheint mir dann möglich. In diesen Momenten bin ich in meinem eigenen kleinen Universum und stelle mir vor, dass meine Songs diese Welt verändern werden. Zugleich gibt es dann aber auch die andere Seite an mir, voll Selbstzweifel, Selbsthass und Unzufriedenheit.
Wie zeigt sich dieser Selbsthass bei dir?
Mein inneres Gleichgewicht kippt sehr schnell. Diese Eigenschaft begleitet mich bereits seit meiner Kindheit. Ich weiß gar nicht, ob man den Begriff der inneren Ruhe überhaupt mit mir als Person in Verbindung bringen kann. Ich bin ein getriebener Mensch. Selbst Schlafen fällt mir schwer. Ich wache oft auf, eine Stunde nachdem ich eingeschlafen bin. Wie ein Getriebener laufe ich dann Nachts um drei Uhr durch meine Wohnung und versuche einen klaren Gedanken zu fassen, mich irgendwie abzulenken und nicht weiter durch Selbsthass in ein Loch zu fallen. Manchmal mache ich dann noch nachts um vier Uhr kleine Song-Skizzen auf meinem Computer, verarbeite darin Dinge, die mich bewegen und lenke mich ab von meinem Selbsthass.
Nach außen wirkst du nicht wie ein unsicherer Mensch.
Das bekomme ich oft zu hören. Leute die mich kennenlernen, sind häufig von mir eingeschüchtert. Viele halten mich für sehr selbstbewusst oder sogar arrogant. Manche sagen mir, ich wirke desinteressiert. Die Realität sieht aber anders aus. Ich bin sehr viel mit mir selbst beschäftigt. Oft führe ich innere Kämpfe mit mir selbst. Deshalb sieht es so aus, als sei ich nicht anwesend oder höre nicht richtig zu. Leider kommen die Menschen um mich herum dadurch manchmal zu kurz. Das tut mir auch leid, aber ich mache das keinesfalls bewusst. Ich bin sehr geleitet von Emotionen und Gefühlen.
Es ist schwer für mich einfach so zu tun, als ob nichts wäre oder mich nichts belastet. Ich kann mich nicht verstellen, oder dir etwas vorspielen. Ich behandle jeden Menschen gleich. Und jeder lernt mich so kennen, wie ich bin. Es ist mir egal wie berühmt du bist. Ich rede mit Label-Chefs oder großen Rappern genauso wie mit meinen Freunden. Soll ich etwa Angst oder Verunsicherung spüren, nur weil jemand viel Geld hat oder berühmt ist? Soll ich glücklich wirken, wenn mich innerlich 10.000 Dinge beschäftigen? Wirst du bei mir nicht erleben. Never.
»Im Punk wurde schon immer über Gefühle gesprochen – Viel früher als sich HipHop das getraut hat«
Dein Soundbild prägt ein gewisser Hang zum Pathos. Wirst du deshalb trotz der vielen HipHop-Einflüsse in deiner Musik als Punk wahrgenommen?
Ich komme aus dem Punk. Misfits, Ramones oder Sex Pistols hab ich rauf und runter gehört in meiner Jugend. Die Energie bei Punk-Shows hat mich schon immer begeistert. HipHop-Konzerte, die ich von früher erinnere, waren anders und haben mir irgendwie nicht dieses Gefühl gegeben. Bei heutigem Rap hat sich das aber krass verändert. Heute ist die Energie die gleiche wie bei Punk oder Rock Shows. Es gibt Moshpits und Circles. Diese Energie feiere ich brutal. Völliges Ausrasten, Moshen und Gefühle rausschreien, das kannte ich früher nur von Punk-Shows. Dass sich das auch bei Rap-Konzerten etabliert hat, ist sehr nice zu sehen. Der Hang zum Pathos in meiner Musik kommt safe aus meinen Punk Influences.
Was hat dir Punk in deiner Jugend gegeben, was HipHop nicht konnte?
Im Punk wurde schon immer über Gefühle gesprochen. Viel früher als sich HipHop das getraut hat. Auch heute tut sich HipHop stellenweise noch schwer, aus seiner harten Attitude herauszukommen. Punk hat mir früh auf eine aggressive Art beigebracht, dass Gefühle zeigen okay ist. Früher als Rap.
Heute vermischen sich die Genres zunehmend. Weltweit bekannte Künstler wie Lil Peep und Juice Wrld werden heute als Emo-Trap oder Punk-Rap kategorisiert. Wie stehst du zu dieser Entwicklung?
Ich feier das! Derzeit höre ich z.B viel Jean Dawson. Das vermischt die beiden Genres sehr nice. Ich liebe es, wenn das passiert. Wenn Einflüsse aus verschiedenen Zeiten und Genres zusammenkommen. Musik entwickelt sich. Und das muss sie auch. Mir ist egal, was irgendwann einmal im HipHop real war. Mit dieser Realkeeper-Scheisse kann ich nix anfangen.
Dann bist du wahrscheinlich auch großer Fan von Futures HNDRXX Album gewesen?
Das fand ich überhart! Ist mein absolutes Lieblings-Tape von Future. Die Produktion und der Rap sind so unfassbar gut. Jedes Detail passt bei diesem Album. Das ist genau mein Vibe. Ich finde es krass inspirierend wenn so ein großer Musiker wie Future sowas rausbringt. Das spricht für ihn als Künstler und zeigt, dass er einfach mehr zu sagen hat.
»Sie ist der wichtigste Mensch in meinem Leben.«
Zurück zu deiner Musik. Du bist alleine auf deinem Album. Es gibt kein einziges Feature. Lediglich im Outro hört man eine polnische Sprachnachricht. Wer ist das?
Das die Stimme meiner Mutter. Sie ist der wichtigste Mensch in meinem Leben. Meine Familie ist über Polen und Albanien verstreut. Hier in Deutschland habe ich niemanden außer sie. Alles, was für mich Familie bedeutet, vereint meine Mutter in sich. Wir haben eine sehr gute Beziehung und eigentlich jeden Tag Kontakt zueinander. Mich beschäftigt es aber in letzter Zeit zunehmend, was mit der eigenen Familie passiert, wenn man älter wird. Die letzten zwei Jahre sind familiär bei mir viele schlimme Dinge geschehen. Manches davon hat mich sehr fertig gemacht. Als ich im Studio saß und an dem Outro zum Album gearbeitet habe, bekam ich diese Sprachnachricht. Meine Mutter sagt mir darin, dass ich alles bin, was sie hier in Deutschland hat. Ich saß vor meinem Handy und habe mit den Tränen gekämpft. Es hat mir in diesem Moment so viel Hoffnung gegeben. Auch das steckt in dieser Platte.
Es ist ein Album für mich und über mich. Es ist sehr persönlich und voller gelebter Emotionen. Ich wollte keine anderen Features darauf haben. Klar, vielleicht wäre ich mit einem großen Namen in irgendeiner Spotify Playlist gelandet oder es wäre bessere Promo gewesen… aber i don’t care. Nichts auf Zwang!
Wenn deine Familie heute noch über das Land verteilt ist, wie ist deine Beziehung zu Polen?
Ich habe große Teile meiner Kindheit in Polen verbracht. Auch später in Deutschland bin ich auf eine polnische Schule gegangen. Mein Leben lang bin ich zwischen Deutschland und Polen gependelt. Bis meine Großeltern starben. Sie sind lange Zeit der Mittelpunkt meiner polnischen Familie gewesen. Heute bin ich seltener dort.
»Ich bin in zwei Ländern aufgewachsen und in keinem fühle ich mich heute zuhause – weder in Deutschland, noch in Polen.«
Was lösen die aktuellen Proteste in Polen bei dir für Gefühle aus?
Es tut so krass weh, das zu sehen! In Polen leben Familie und Freunde von mir. Meine Cousins erzählen mir am Telefon was dort abgeht. Wie schlimm das alles ist. Es ist wie ein wahrgewordener Albtraum. Ich schäme mich so krass dafür. Eine Zeit lang habe ich wirklich darüber nachgedacht, in Polen zu leben, aber das kommt für mich momentan einfach nicht in Frage.
Obwohl ich sehr gut Polnisch sprechen kann, habe ich in Polen nie wirklich Anschluss gefunden. Die Menschen hören an meinem Akzent, dass ich aus Deutschland komme. In Deutschland ist es die Mentalität vieler Menschen, die es mir schwer macht, mich hier zugehörig zu fühlen. Ich bin in zwei Ländern aufgewachsen und in keinem fühle ich mich heute zuhause – weder in Deutschland, noch in Polen. Genauso geht es meiner Mutter. Mein leiblicher Vater kommt noch dazu aus Albanien. Das macht es noch schwieriger für mich, ein Land als mein Heimatland zu begreifen. Auch in Albanien habe ich Familie. Doch ich war bis heute noch nie dort.
Mit »Kaputt« released du nun deinen ersten Song mit deutschen Vocals, warum ausgerechnet jetzt?
Das hat sich im Studio einfach richtig angefühlt. Als ich den Beat gehört habe, hatte ich plötzlich eine deutschsprachige Hook im Kopf. Die habe ich direkt ausprobiert. Ich hatte schon lange die Idee, Songs auf deutsch und polnisch zu schreiben. Mit einem polnischen Song hat es aber bislang noch nicht geklappt. Wenn ich auf polnisch schreibe, wird es sehr wild. Das macht für mich einfach wirklich gar keinen Sinn! Meine Freundin lacht mich immer dafür aus, weil ich fast jedes Wort Googeln muss. Hauptsache ich war meine ganze Jugend über auf einer polnischen Schule! (lacht)
Der Track »Cinnamon« kommt hingegen komplett ohne Vocals aus. Spielt der Titel auf deine Zimtschnecken-Liebe an?
Auf jeden Fall! (lacht) Auf meinem Debütalbum brauchte ich unbedingt einen Song, der meine Liebe zu Cinnamon Rollz festhält.
Erzähl uns bitte von dieser Liebe!
Das war eine Begleiterscheinung der Quarantäne. Ich hatte damals den ganzen Tag Musik gemacht und meine Ohren haben gedröhnt. Auf YouTube habe ich ein paar Stunden Kochshows geschaut. Irgendwann bin ich bei Zimtschnecken-Videos gelandet. Da dachte ich mir: Damn, das probierst du jetzt mal aus! Ich hab direkt angefangen zu backen. Diese Zimtschnecken sahen einfach so schön aus, dass ich die unbedingt auf Instagram posten musste. Meine Instagram-Community ist daraufhin plötzlich komplett durchgedreht. Die standen alle in ihren Küchen, haben Zimtschnecken gebacken und mir Videos davon geschickt. Ich habe das überhaupt nicht verstanden. Schließlich ist das ja nicht meine Erfindung gewesen. Doch auf Instagram ist das komplett durch die Decke gegangen. Inzwischen kommen Leute zu mir, die sagen: Hey, ich habe dich über dein Zimtschneckenrezept auf Instagram gefunden und irgendwann gemerkt, dass du auch Musik machst – die ist auch gar nicht schlecht! Kannst du dir das vorstellen? (lacht)
Du bist auch bekennender Twitch-Streamer. Ist ein Stream mit Zimtschnecken-Content geplant?
Da bin ich dran! Ich wünsche mir schon lange eine eigene Kochshow. Letzte Woche gab es einen Stream mit Ahzumjot. Da haben wir zusammen Zimtschnecken gebacken.
Ist Alan auch Zimtschnecken-Fan?
Ja übertrieben. Dem habe ich schon zu seinem Geburtstag welche gebacken. Das war schon wild. Der und seine Gäste sind komplett auf meine Zimtschnecken ausgerastet.
Er hat vor ein paar Wochen ein Statement-Video zur Lage der Kulturlandschaft während der Corona-Krise veröffentlicht. Wie nimmst du die Stimmung seitdem wahr?
Das Video war auf jeden Fall super wichtig. Es ist eine verdammt schwierige Situation in der sich die Kulturszene befindet. Am härtesten ist es für mich, zu sehen, dass die ganzen Menschen hinter den Kulissen vergessen werden. Sei es Licht, Ton, Bühne etc.
Als Künstler hast du oftmals den Luxus, dich entscheiden zu können, was du machst. Bei mir war es so, dass ich anstatt Live-Shows zu spieen, dieses Jahr angefangen habe, Filmmusik zu produzieren. Ich habe Glück, dass ich die Möglichkeit habe das zu machen. Als Rapper hast du auch oft noch Handlungsspielräume, um auf andere Weise dein Geld zu verdienen. Ein Lichttechniker hat meistens keine Wahl, etwas anderes zu machen. Ich habe viele Freunde in dieser Branche. Die erzählen mir, dass sie einfach vergessen wurden und noch immer werden. Und was ist eigentlich mit nächstem Jahr?
Interview: Lukas Hildebrand
Beitragsbild: Roberto Brundo