Awful Things: Der Tod in Zeiten von Social Media // Kommentar

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Kann ein Jahr für ein Musikgenre überhaupt ein gutes sein, wenn es einige talentierte und prägende Figuren verliert? Wohl kaum. Zumal die Todesfälle von Lil Peep, XXXTentacion und Mac Miller Diskussionen nach sich zogen, deren Moderation diverse Medien vor Probleme stellte.

Nachdem Lil Peep im November 2017 verstarb, ließen die Meldungen der Tode von XXXTentacion im Juni und von Mac Miller im September die HipHop-Welt erneut stillstehen. Ersterer veröffentlichte mit »?« kurz vor seinem Ableben sein bis dato kraftvollstes Werk, während Letzterer nur einen Monat vor seinem Tod mit der »Swimming«-LP die besten Kritiken seiner zwar schon langen, aber eben immer noch jungen Karriere einheimste. Da die drei jungen Männer wohl noch so viel gute, spannende Musik veröffentlicht hätten, quält die »What if«-Frage maximal.

Die Tode waren, neben all der Trauer, aber auch Anstoß für wichtige Diskussionen – und leider auch für ausufernde Shitstorms und virtuelle Hetzjagden. So geschehen im Falle von Mariah Bons. Geleakte Chat-Protokolle legen nahe, dass die 20-Jährige an Lil Peeps Todestag in dessen Tourbus war und ihm angeblich schlechte, überdosierte Xanax-Pillen verkaufte, die ihm das Leben kosteten. Eine Petition, die die Inhaftierung der jungen Frau forderte, erhielt über 30.000 virtuelle Unterschriften. Bons ist seitdem untergetaucht. Der blanke Hass, der ihr – obwohl der Fall bis heute nicht polizeilich geklärt ist – in den Sozialen Medien entgegenschlug, war beispiellos.

»Die Behauptungen tausender Fans, dass sie Lil Peep tötete, wurden von so gut wie allen Medien im Raum stehengelassen.«

Nachdem TMZ von Mac Millers Tod und vorschnell von einer Überdosis als Todesursache berichtete, geriet auch dessen Ex-Freundin und Pop-Superstar Ariana Grande ins Social-Media-Kreuzfeuer. Dass sie sich im Mai von Mac Miller trennte, war für abertausende Fans ein großer Mitgrund für dessen neuerlichen Drogenkonsum – und in der Folge den Tod des 26-Jährigen. Immerhin: In diesem Fall schritten weltweit angesiedelte (Hip)Pop-Medien ein und kategorisierten die Vorwürfe als das, was sie waren: falsch, geschmacklos und nicht auf Fakten basierend. Im ungeklärten Fall von Mariah Bons geschah das nicht. Die Behauptungen tausender Fans, dass sie Lil Peep tötete, wurden von so gut wie allen Medien im Raum stehengelassen. Schlimmer noch: Die Chatverläufe und Fotos wurden von wenigen Blog-esquen Publikationen aufgegriffen und geteilt.

Ein deutlich besseres Fingerspitzengefühl bewiesen große amerikanische und auch deutsche Medien beim Tod von XXXTentacion, der in Florida kaltblütig erschossen wurde. In diversen Nachrufen und Kommentaren wurde die Kontroverse, die sich um den Rapper und Missbrauchstäter längst entwickelt hatte, aufgegriffen und vornehmlich sachlich und leidenschaftlich diskutiert. Auf etwaige Verhaltenskodexe, ob es nun gesellschaftlich in Ordnung sei, um den 20-Jährigen zu trauern, wurde bewusst verzichtet. »Wer in XXXTentacion nur einen durchgeknallten Triebtäter sieht, verkennt die eine Hälfte der Wahrheit. Und wer ihn für einen nicht weiter verwerflichen Soundcloud-Rapper hält, sollte dringend an seinem moralischen Kompass schrauben«, schrieb der Musikexpress treffend.

Keine zwei Meinungen ließen weltweite Medien hingegen bezüglich des Umgangs mit harten Drogen gelten. Lil Peep dokumentierte seinen Konsum offensiv und ungefiltert. Noch am Tag seines Todes postete er ein Bild auf Instagram, das ihn beim Einnehmen einer nicht identifizierbaren Pille zeigt. Auch Mac Miller sprach immer wieder öffentlich, auch in seiner Musik, über seine Drogenprobleme und seinen jahrelangen Hang zum Codein. Mittlerweile ist bekannt, dass der Pittsburgh-Native an einer Überdosis aus einem Gemisch von Fentanyl, Alkohol und Kokain starb, bei der in erster Linie die Mischung, nicht die Menge tödlich war.

Nach beiden Todesfällen wurde über das öffentliche Zurschaustellen des Konsums diskutiert – vor allem im Falle von Lil Peep, der aufgrund seiner Offenheit bezüglich mentaler Probleme und Depressionen zum Anker vieler ebenfalls leidender Jugendlicher wurde, und seine Vorbildfunktion daher missbraucht und bereits genannte Substanzen glorifiziert hätte. Im Zentrum der Kritik stand dabei auch der amerikanische Staat selbst, der mit der Auflockerung des Zugangs zu verschreibungspflichtigen, hochdosierten Painkillern grundsteinlegend für eine Entwicklung agierte, die sich Mitte 2018 im US-Rap offensichtlich niederschlug: Betäubungs- und Schmerzmittel wie Fentanyl oder Alprazolam sind in der Mitte der amerikanischen Gesellschaft angekommen, insbesondere bei den Jugendlichen. Wie wichtig es ist, früh gegen Suchterkrankungen anzukämpfen und sie nicht einfach als Teil eines Images zu akzeptieren, fasste USA Today treffend zusammen: »Sucht als ein Tabu zu behandeln und nicht als Problem, das wie jede andere schwere Krankheit behandelt werden kann, erschwert es den Menschen nur, die Schritte zu gehen, die es zur Genesung benötigt.«

Diese wichtigen Ansätze sind leider die einzigen positiven Begleiterscheinungen der drei sinnlosen Tode.

Text: Louis Richter

Dieser Kommentar erschien erstmals im Jahresrückblick unserer aktuellen Ausgabe (hier versandkostenfrei bestellen).

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