Haiyti: »Ich mute dem Hörer viel zu« // Titelstory

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Wie ein Wirbelwind in italienischer Designerware zog sie über die Szene hinweg und erschütterte die letzten Gewissheiten, die Rapdeutschland noch zusammenhielten. Mit artsy-verwackelten Handyvideos, hingerotzten Hits und DIY-Diva-Attitüde polarisierte Haiyti wie kein deutscher Musiker mehr seit Haftbefehl. Die Hamburgerin ist Pop und Horrorcore, Kunststudentin und Kiezlegende – und eine der besten Rapper des Landes. Ihr großartiges Debütalbum »Montenegro Zero« könnte die verschlafene gesamtdeutsche Musiklandschaft aufrütteln.

In ihrer eigenen Wahrnehmung war Haiyti immer ein Star, hatte »100.000 Fans«, die sie noch nicht kennen. Bereits im Oktober 2014, als ein Money-Boy-Cosign und das »Szeneviertel«-Video die hanseatische Furie in die Timelines spülte, rappte Ronja – inspiriert von den Horrorcore-Künstlern des Osnabrücker Untergrundvertriebs Distributionz, ihren US-Helden Gucci Mane und der Three 6 Mafia – schon einige Jahre unter den Alter Egos Miami, Ovadoze und Robbery eher unkonventionell über Amphetamin, Hehlerware und Technoläden. Als sich Hamburg endgültig zur Straßenraphauptstadt entwickelt, inszeniert die Rotlichtromantikerin auf ihren Mixtapes »Havarie« und »Drop in Musik« (mit 2Malle) das Nachtleben auf St. Pauli als Schlaraffenland – und sich selbst als Räubertochter, die sich nimmt, was sie will.

Ihre Performance war zumindest aufrüttelnd. Das Mixtape »City Tarif«, das mit dem Berliner Produzentenpionier Asadjohn entsteht und im Februar 2016 erscheint, macht einen riesigen Schritt von ihren Trash-Trap-Projekten hin zu seriösen Clubhits und Pep-Poesie. Spätestens jetzt war klar, wie ernst Haiyti das meint. Wie real die Geschichten und wie authentisch ihre Künstlerpersona wirklich sind. Im Sommer dann der nächste große Wurf: Das Berliner Produzententeam KitschKrieg liefert ihr einen minimalistischen Future-Pop-Entwurf, über den Haiyti so tief wie nie blicken lässt. Sechs Hymnen wie auf einen Pulsschlag geschrieben: »Direkt unters Herz!«

Runter von der Strasse

Dass Haiyti nebenbei die Kunsthochschule besucht, macht sie für das Feuilleton verdächtig. Die Zeit schrieb in einem Porträt von der »Dezibelle« als Pop-Revoluzzerin und einem »Leben zwischen Vernissage und red cups.« Der Rolling Stone sah in ihr wohlreflektierten Dada-Pop. »Sie fragen sich: Woher das Kies?« Die Antwort darauf versuchten plötzlich Kulturredaktionen landesweit zu geben. Wirklich schlauer war danach keiner. Weder ließ sich Haiyti vor den Female-Rap-Wagen spannen, noch sah sie zwischen Straße und Akademie einen Widerspruch.

Die »Jango EP« mit Die Achse (Farhot und Bazzazian) war dann wirklich Ronja unchainend: im Kickdown auf Nase übern Kiez. Das Werk eines raren Talents, das das Spiel mit Punchlines und Melodien beherrscht – und nicht zu bändigen ist. Das zeigt sich auch wenige Monate nach ihrem Leaders-Of-The-Newschool-Cover der JUICE. Ende März lädt sie in weniger als zwei Wochen die Mixtapes »White Girl mit Luger« und »Follow mich nicht« hoch, die ihr zwar einen vollen Festivalkalender garantieren, aber in der Schnelllebigkeit des Browserfensters verpuffen. Nach ihrer ersten und ausverkauften »Aus dem Club nicht raus«-Tour mit Trettmann und Joey Bargeld, ihrem Bruder im Geiste, spielt sie im Sommer 2017 bei Rock am Ring, als das Festival wegen Terrorverdachts fast abgebrochen wird. Turbulente Monate, in denen in einer exzessiven, dreiwöchigen Studio­session – wieder mit KitschKrieg – in Berlin ihr Debütalbum erwächst. Und der Grund dafür, dass Haiyti die erste ihres Deutschraps-Zukunft-Jahrgangs von 2016 ist, die ein eigenes JUICE-Cover ziert.

»Montenegro Zero« ist das eindringlichste und erste Straßenraop-Album überhaupt – und emanzipiert Haiyti endgültig vom halbironischen Gäng-Gebrüll des Zeitgeists. KitschKrieg legt einen New-Wave-Trap-Teppich aus, auf dem Haiyti einmal um die Welt fliegt und schaurig-schöne Ohrwürmer über schnelllebige Liebe in Zeiten der Follower singt. Es gibt Mafiosomärchen, massive Dancehall-Tunes und Exzess all areas. Der Jet-Set-Lifestyle endet mit der traurigsten Bad-Gal-Ballade, die Deutschrap je zu hören bekam: dem Yacht-Rap-Epos »American Dream«. Doch gelingt ihr mit »Montenegro Zero« der Spagat von den Mixtapes in den Mainstream? Funktioniert die Riesenmaschine Universal für die impulsive Naturgewalt? Oder kann sich Haiyti am Ende nur selbst im Weg stehen?

Ein verregneter Novembermittag im Hamburger Hauptbahnhofsviertel. Ronja läuft über den verruchten Steindamm, erzählt von den neuen Crack-Ecken der Stadt und wie sie nach ihrem Auftritt auf dem 20. Geburtstag der JUICE zur After Hour in ihrer Berliner Stammkneipe am Kottbusser Tor alleine ­versackte. Real rap stories. Wir steuern ein unscheinbares Billigmotel an und nehmen in der leeren Lobby Platz. Ronja bestellt Cappuccino ohne Koffein. Im Konferenzraum tagt irgendeine Versicherungsfirma. Der Ort: so skurril und unnahbar wie die Protagonistin selbst.

Du bist in Langenhorn groß geworden – dem ­»echten Hamburg«, wie du sagst. Wie kann man sich den Stadtteil vorstellen?
Es ist halt nicht das Touri-Hamburg. Langenhorn ist ein Arbeiterviertel kurz vor Norderstedt, wo ­Hamburg schon wieder aufhört. Dort groß zu werden ist wie in der Vorstadt aufzuwachsen. Auf meiner Schule gab es einen Ausländeranteil von achtzig Prozent. Für mich war das normal. (überlegt lange) Um das Viertel runterzubrechen: Es gibt dort Weight Watchers und den HSV. (grinst) Der Stadtteil hat sich aber in den letzten Jahren verändert, ist jetzt nicht mehr so abgefuckt. Früher war unser Hotspot der Hummelsbüttler Marktplatz beim Einkaufszentrum – ein kleiner Flur mit fünf Geschäften. Das war richtig Ghetto.

In was für einem Milieu bist du dort aufgewachsen?
Wir hatten nicht viel, und mein Freundeskreis war gesplittet. In Langenhorn stehen auf der einen Seite Containerdörfer, und ein paar hundert Meter weiter beginnt eine Wohngegend aus dicken Villen mit Fußbodenheizungen und alten Eichen. Ich hatte überall Freunde. Das ist schon speziell in Hamburg: Diese beiden Extreme reich und arm so nah nebeneinander zu haben. In Berlin will ja jeder arm sein. (grinst) In Hamburg gibt es natürlich auch Armut, aber hier leugnet man nicht, dass man Geld hat. Ich würde das auch nicht. Die Leute halten mich oft für verwöhnt, dabei bin ich es gar nicht gewohnt, etwas zu besitzen. Ich hab zwei Jahre auf St. Pauli in einer winzigen Wohnung ohne Heizung gelebt. Jetzt wohne ich in einer Bude ohne Mietvertrag. Ich bin eigentlich richtig am Ende. Und die Leute denken, ich sei eingebildet. (lacht)

Du bist in verschiedenen Welten groß geworden?
Ja, ich war nie zu Hause in meiner Jugend. Ich bin immer mit dem BMX rumgefahren und hab verschiedene Leute besucht. Ich hatte überall meine Welten, war aber trotzdem eine Einzelgängerin – das ist heute noch so. Die Gegend war alles für mich. Ich hing bei Toys »R« Us, im Roller bei den Massagestühlen oder fuhr durchs Moorgebiet. Und dann hatte ich noch Freunde in Volksdorf, die in Villen lebten.

»Mit den 187ern bin ich groß geworden«

Ist dir damals schon dein Ruf vorausgeeilt?
Ich war ein bunter Hund. Es gibt ja so Leute, die stadtbekannt sind. Das war ich wohl auch. Jetzt sowieso.

Bist du denn mit der Hamburger HipHop-Schule Ende der Neunzigerjahre aufgewachsen?
Ja. Ich hatte schon einen Freund, der immer eine Digger-Dance-Mütze getragen hat. Der hat Mr. Schnabel und Tropf und so gehört. Ich hatte halt eine Clique aus Eimsbütteler Jungs sowie Leuten aus Langenhorn – und war natürlich auch mal auf einem Beginner-Konzert, als ich 13 war. Aber das war nie wirklich mein Ding. Dann gab es die Freestyle-Battles im Haus 73, da war ich nur, um zu gucken, was da so los ist. Da hab ich mich noch nicht getraut zu rappen, denn wenn Mädchen das machen, gucken alle – und wenn du verkackst, ist es so richtig peinlich.

Seit Rattos Locos, der 187 Strassenbande und ­Kalim ist Hamburg quasi zur Hochburg für Straßenrap geworden. Wie hast du das miterlebt?
Mit den 187ern bin ich groß geworden. Ich habe gar nicht wirklich mitbekommen, dass die auf einmal so durch die Decke gingen. Gzuz hat mir irgendwann Musik von sich gezeigt, da hab ich auch schon gerappt, hab denen aber nichts davon erzählt. Es hingen damals alle im Park hinter der Flora ab. Frost war früher mein bester Freund. Dann haben wir uns irgendwann zerstritten. So richtig aktiv war ich ja nicht als Sprüherin, also kein Train-Business – höchstens Hauptstraßen-Business! (grinst) In Hamburg kennt man sich. Die Stadt ist aber gerade groß genug, dass man nichts miteinander zu tun haben muss.

Anstelle von Hamburger Künstlern waren für dich die frühen deutschen Horrorcore-Rapper GPC und 4.9.0 Friedhof Chiller wichtige Einflüsse. Wann bist du mit dieser Art von Rap in Berührung gekommen?
Das kam zu der Zeit, als ich durch meinen Kumpel Glock von KGZ meine ersten Raps aufgenommen hab. Eigentlich habe ich ja mit Horrorcore angefangen. Damals war ich auf dem Three-6-Mafia-Film. Wir haben Tracks gemacht, die »Blutige Discokugel« hießen. (grinst) Clock kannte die Mainratten aus Frankfurt – dort sind wir dann zum Aufnehmen gewesen. Der Kontakt steht bis heute noch.

Du hast dich 2012 bei Distributionz, wo die genannten Rapper gesignt waren, mit deinem Demo beworben, wurdest aber abgelehnt.
Ja, mit dem Album »Havarie«. Das haben die mit der Begründung abgesagt, dass es ja schon Schwesta Ewa gäbe. Den Ablehnungsbrief hab ich immer noch. (grinst) Später haben die sich nochmal gemeldet und wollten mich doch rausbringen. Aber das wollten im Nachhinein ja viele. Bei Live From Earth war das genauso: Die haben meine Musik aus ihrem Shop genommen – und sich dann mit der Ansage gemeldet: »Auf dich kommt jetzt ne Menge zu!« Das habe ich mir gemerkt, da ist mir das Business auch egal. Wenn mich Leute einmal abgefuckt haben, nicht an mich geglaubt haben, und dann wieder ankommen – das können die doch nicht bringen. Ich weiß echt immer noch nicht, ob das, was ich mache, funktioniert. Ich kann mich überhaupt nicht verkaufen.

Das macht deine Künstlerperson doch aus, dass du dir darüber keine Gedanken machst.
Es könnte groß werden. Aber keine Ahnung: Vielleicht trete ich doch wieder ins Fettnäpfchen. Ich muss auch gestehen: Ich sage viele Sachen ab. Nicht, weil ich darauf keinen Bock habe, sondern weil es für mich das Schlimmste wäre, bekannt zu werden und kein Geld dabei zu verdienen. (grinst)

Aber einen Vorschuss hast du doch schon bekommen, oder? Dein Debütalbum »Montenegro Zero« erscheint immerhin über einen Major.
Ich bin dort zwar gesignt, habe aber nur einen Bandübernahmevertrag für ein Album unterschrieben. Ich probier das mal aus. Für mich macht das auch keinen großen Unterschied: Ich mach meine Videos noch immer selbst.

Aber die Strukturen sind doch ganz andere: Du gehst in den Vorverkauf, machst eine Promophase und eine Box.
Klar, warum soll ich das nicht machen? Die Leute wollen schließlich ein Produkt kaufen. Ich will mich da nicht querstellen, das bringt doch Spaß. Mal gucken, wo ich im Mainstream stehe. Und wenn ich da nicht ganz oben aufploppe, ist das auch nicht schlimm.
Seite 2: »Dass ich ein polarisierender Mensch bin, höre ich schon, seit ich ein Kind bin«

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