(Döll)
Nach neun Tracks läuft »Nie oder jetzt« schon fast aufs Outro zu und plötzlich fällt mit »Waldemar« der Groschen: Dieses ganze Album hätte der Deutschrap-OST zu Guy Ritchies »Bube, Dame, König, Gras« werden können. Der romantisch verklärte Aufstieg und Fall eines mehr oder weniger Normalos, der das schnelle Glück sucht und mal eben sein Leben am Spieltisch verzockt; erzählt in der dritten Person. Doch »Waldemar« bleibt nur ein kurzer Einblick in Dölls Talent als distanzierter Geschichtenerzähler. Er kann das. Aber Fabian Döll ist eben auch die ehrlichste Haut im Deutschrapzirkus. Und deswegen geht es auf »Nie oder jetzt« vor allem um Fabian Döll. Nicht um den Döll, der er vor ein paar Jahren schon einmal hätte sein können, als er sich mit der »Weit entfernt«-EP als Spielmacher im WSP-Camp bewies und jedes Majorlabel den hungrigen Hessen mit Kusshand zum hübschen Herzensbrecher stilisiert hätte. Mit anderen Worten: Die Karrieretüren standen Döll schon mal weit offen. Das Leben aber stand ihm im Weg. Dass der Hang zur Dramatik am Familienbaum gewachsen ist, zeigte er im letzten Jahr an der Seite von Bruder Mädness mit dem sträflich unterschätzten Eigentlich-Klassiker »Ich und mein Bruder«. Damals ging es um zwei Lebenstiefs und die schier endlosen Kämpfe, die beide mit sich selbst führten. Und nein, »Nie oder jetzt« ist nicht der bejahende Leben-am-Schopf-packen-Moment geworden, zumindest nicht in seinen prägenden Momenten. Von der fehlenden Vaterfigur, über die Spielsucht bis zur Ex – seit Curse wollte kein Rapper so dringend, dass sich die Ex das Album anhört – bringt »Nie oder jetzt« so ziemlich alles mit, worauf eine saftige Depression ihren Nährboden findet. Und das deprimierendste: Döll zelebriert die Tiefen nicht, wie es etwaige Straßenkollegen tun. An Depressionen gibt es schlichtweg nichts zu beschönigen. Die Stärke aber, die Döll aus dem Frust zieht, steckt in seinem bloßen Vortrag. Schon Dölls Delivery ist die vertonte Wut: Bei jedem »kr« und »ch« sieht man die Halsschlagader des Südhessen förmlich pochen. Und selbst das letzte Wort jeder eigentlich zu langen Zeile drängt sich noch mit solcher Dringlichkeit in die Strophe, dass man konstant kurz vorm Stolpern steht; ganz so wie der Protagonist dieses Albums selbst. »Nie oder jetzt« wäre natürlich keine geglückte Therapiesitzung ohne einen Therapeuten, der abwechselnd von Torky Tork, Gibmafuffi, Nobody’s Face, Enaka, Dexter, Bluestaeb oder Morlockk gemimt wird. Das Kunststück, das Döll mit seinem Solodebüt auf Albumlänge vollzieht, liegt auch darin, dass all die verschiedenen Produktionen im Zuge seines so ehrlichen und energetischen Vortrags wie ganz nebenbei zu einem stimmigen Ganzen zusammenlaufen. Ob Torky Samples mit Schmirgelpapier behandelt oder Enaka Synthies im Hall ertränkt: Hier steht niemand irgendjemandem im Weg – außer der Protagonist sich selbst. Aber es ist wie mit jeder erfolgreichen Therapiestunde: kann wirklich wehtun, tut aber am Ende vor allem gut! Deutschrap hat dieses Album bitter nötig. Und zwar genau jetzt.
Man hat das Gefühl, vor allem er brauchte dieses Album. Schon immer. Aber am meisten jetzt. Ein Meilenstein, schon kurz nach dem Release. Ein Schluck Liquor auf den Boden für dieses längst überfällige, selbst errichtete Denkmal!