Ein sägendes Gitarrenloop setzt ein und eine aufgekratzte Stimme faucht ins Mikrofon: »Rollin’ up OG, when I’m smoking my jay/New car, too fast, so I’m winning the race/Blast off, fast car, cool breeze in your face/Don’t hate on me, bitch. Stay in your place.« So unmissverständlich und hart klang Rap lange nicht mehr.
Im Video zu »Smack A Bitch« ist eine schlanke Frau mit kurzen, schwarzen Haaren zu sehen. Sie trägt mindestens 15 Zentimeter hohe Plateauschuhe und einen langen Mantel, darunter eine Art Latexkleid. Während sie mit einer Mischung aus Aggression und Hysterie ihre Worte in die Kamera rappt, verdreht sie immer wieder die Augen und lächelt mokant. Wir erleben Rico Nasty in full effect: eine Nonkonformistin, bei der das Tänzeln aus der Reihe mehr einer kreativen Selbstentfaltung denn einem Anti-Approach entspringt. But wait, there’s more.
Rico Nasty wird als Einzelkind eines Afroamerikaners und einer Puerto-Ricanerin in New York geboren, verbringt die meiste Zeit ihrer Jugend jedoch vornehmlich in Maryland. Ersten musikalischen Input bekommt sie von ihrem Vater, der als Rapper unter dem Künstlernamen Beware unter anderem mit Jadakiss tourt und Rico als kleines Mädchen ins Studio mitnimmt. Noch in der Highschool nimmt sie ihr erstes Mixtape »Summer’s Eve« auf, muss dem Mic jedoch zwischenzeitlich den Rücken kehren, weil sie zuerst schwanger wird, ihr damaliger Freund und Vater ihres Sohnes dann auch noch an einer Überdosis Lean stirbt, wie sie selbst sagt. Trotz der persönlichen Rückschläge gelingt ihr mit dem Song »iCarly« im Spätsommer 2016 das finale Sprungbrett auf die mittelgroße Bühne. Die urkomische Liaison aus einem Kinderlied-Loop und erschütternden Distortion-Bässen ist Ricos erster Hit. Lil Yachty remixt, Majorlabels werden auf die extrovertierte Rapperin aufmerksam.
Erst kürzlich nannte Pitchfork ihr aktuelles Tape »Nasty« »one of the hardest rap records of the year«. Und ja: Ihre Performance besticht vor allem dadurch, dass sie laut ist. Weil ein einziger Charakter ihrem Entfaltungsdrang jedoch nicht genug Platz bietet, switcht die 21-Jährige ihre Alter Egos: Als Taco Bella besingt sie verspielte Glockenbeats und kreiert ihren »Sugar Trap«, der an die schrägen Soundspielereien von Lil Yachty, Madeintyo oder DRAM erinnert, als Trap Lavigne lässt sie ihre Punk-Affinität zur Entfaltung kommen. In Rico Nasty kulminieren beide Seiten und Maria-Cecilia Simone Kelly wird zu einer knallbunten Goth-Diva.
Mit 21 Jahren ziert Rico Magazin-Cover und hat ihre erste eigene US-Tour hinter sich gebracht. Ihre Musik erinnert als Trap/Rock-Melange teilweise an Crossover-Zeiten um die Jahrtausendwende und verfolgt zudem einen feministischen Ansatz. Wenn sie im Intro die Worte »And I’m screaming ‚Fuck Trump!‘ – Black girls, stand up!« ins Mikro schreit, hat sie schon mehr Empowerment-Karma auf dem Konto als der Großteil ihrer männlichen Mumble-Kollegen. Sie wehrt sich gegen konventionelle Geschlechterrollen und wird deshalb auch in der queeren Community gefeiert. »I’m a tomboy. I feel like my music was never made for one gender«, sagt sie dazu. Vielleicht ist Rico Nasty auch deshalb so wichtig für Rap. Sie würde dazu vermutlich aber nur sagen: »Dafuq?!«
Dieses Feature erschien in JUICE #188. Alte und aktuelle Ausgaben können versandkostenfrei im Shop bestellt werden.
Text: Juri Andresen
Foto: Mario Kristian