»4:44« Track-by-Track: JAY-Z auf Herz und Nieren geprüft // Feature

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JAY-Z hat über Nacht sein 13. Album »4:44« veröffentlicht. Eine Analyse.

Alles begann am Pfingstmontag – wobei, die Gerüchteküche brodelte bereits zuvor – doch am 5. Juni gab es dann konkrete Anzeichen: »4:44« strahlte es von diversen Online-Werbebannern. Auch auf JUICE.de lief die Werbung – die einzige Information, die uns als Redaktion dazu seitens unseres Verlags vorlag: die Banner sind von Tidal gebucht. Eine weitere Spur gab es nicht – nicht mal eine Verlinkung befand sich auf den Werbemitteln. Doch einige waren sich bereits sicher: JAY-Z steckt hinter der Sache und neue Musik vom berühmtesten Sohn der berüchtigten Marcy Housing Projects in Brooklyn war auf dem Weg zu uns.

Tatsächlich findet sich die Zahl vier immer wieder im Werdegang von Shawn Corey Knowles-Carter. Bereits auf seinem Debütalbum »Reasonable Doubt« veröffentlichte er den Track »22 Two’s« – zweiundzwangzig Zweien ergeben, genau, 44. 2006 droppte er nach seinem Rücktritt vom Rücktritt den Sequel-Song »44 Four’s«. Und auch in seinem Privatleben findet sich immer wieder die Zahl 4: Sein Geburtstag fällt auf den 4. Dezember, der seiner Frau Beyoncé auf den 4. September – die Hochzeit des reichsten Pärchens der Musikgeschichte fand natürlich am 4. April 2008 statt. Selbst die erstgeborene Tochter des Ehepaars, Blue Ivy Carter, trägt die im Englischen phonetische Schreibweise der römischen Ziffer IV als zweiten Vornamen.

Aber zurück zu »4:44«: Das Herzstück des Albums ist der 4 Minuten und 44 Sekunden lange Titeltrack, den Jay nach eigener Aussage zu schreiben begann, nachdem er eines morgens um 4:44 Uhr aufwachte. Gleichzeitig muss der Song als Antwort auf Beyoncés »Lemonade« verstanden werden. Beyoncé hatte auf ihrem vielgepriesenen 2016er-Album Anspielungen gemacht, Jay hätte sie mit einer Frau namens Becky betrogen. »What good is a ménage à trois when you have a soulmate?«, stellt sich Jay nun auf »4:44« die rhetorische Frage. Er selbst hält den Song für einen der besten, den er jemals geschrieben hat. Aber auch die anderen neun Tracks haben es in sich. Wir haben uns für euch durch die 36 Minuten Spielzeit gewühlt, um die wichtigsten Shoutouts, Samples und Seitenhiebe zu Tage zu fördern.

1. »Kill Jay Z«
Sample: The Alan Parsons Project, »Don’t Let it Show« (1977)
»Kill Jay-Z, they’ll never love you /You’ll never be enough/Let’s just keep it real, Jay Z/Fuck Jay Z«: Der Titel des Openers ist natürlich nicht wörtlich zu nehmen, wie Jigga im Interview mit iHeart Radio bekräftigte. Viel mehr ginge es hier um das Zurücknehmen des eigenen Egos, um sich objektiv mit der Wahrhaftigkeit der Realität auseinanderzusetzen. Ein Realkeeper-Statement, die Hüllen werden fallen gelassen und Jigga ist bereit, sein Inneres nach außen zu kehren. Ein Plädoyer gegen die Ellenbogen-Haltung, die ihm sein Umfeld aus Jugendtagen eingepflanzt hat (»I know people backstab you/I feel bad too/ But this ‚fuck everybody‘ attitude ain’t natural«) und ein Geständnis der eigenen, menschlichen Verletzlichkeit. Hier wird der Ton für das restliche Album vorgegeben.

2. »The Story of O.J.«
Samples: Nina Simone, »Four Women« (1966), Kool & the Gang, »Kool’s Back Again« (1969)
»Bankraub ist eine Initiative von Dilettanten, wahre Profis gründen eine Bank«, soll Bertolt Brecht einmal gesagt haben. Genau diese Haltung nimmt auch JAY-Z auf »The Story Of O.J.« ein. Mit Lines wie »Please don’t die over the neighborhood that your mama renting/Take your drug money and buy the neighborhood – that’s how you rinse it“«, versucht Shawn Carter der afroamerikanischen Community hier einen Erweckungsmoment einzupflanzen – Hilfe zur Selbsthilfe, wenn man so will. Anstatt sich mit Peanuts zufrieden zu geben, ginge es darum, aus vorhandenen Mitteln »something bigger« zu erschaffen. Wie auf »Kill Jay Z« schwingt hier im Subtext mit, dass sich die schwarze Bevölkerung der USA nicht um ihre Egos, sondern um die Gemeinschaft kümmern sollte. Garniert wird der Song von einem animierten Kurzfilm, den Jay gemeinsam mit Regisseur Mark Romanek umgesetzt hat.

3. »Smile« (featuring Gloria Carter)
Sample: Stevie Wonder »Love’s in Need of Love Today« (1976)
Der obligatorische Kopf-hoch-Track. Allerdings mit einigen Detailinformationen, denn JAY-Z sagt hier zum Beispiel erstmals öffentlich aus, dass seine Mutter lesbisch ist – und dass es ihn nicht interessiert, ob eine Mutter eine Frau oder einen Mann liebt, solange sie glücklich ist [Gloria Carter ist seit einigen Jahren mit Dania Diaz liiert, die als Mitarbeiterin von Roc Nation Teile der Öffentlichkeitsarbeit von Roc Nation Sports unterhält]. Auch das Stevie-Wonder-Sample »Love’s in Need of Love Today« greift diese Thematik auf. Wieder geht es um Einverständnis und Demut – und wieder erfolgt auch die unmittelbare Auseinandersetzung mit der Realität durch einen Epilog seiner Mutter, die im Song-Outro in Gedichtform über das Wesen ihres Coming-Outs spricht. Selten war ein Rap-Song so real.

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