»Der Film ist keine Mockumentary«: Sékou, Falk & Staiger über Blacktape // Interview

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Who the fuck is Tigon? Ein entfernter Verwandter von Gawky? Müssen wir uns jetzt alle schämen, weil wir unsere Geschichtshausaufgaben nicht gemacht haben? Fragen, die man sich nach der Veröffentlichung des Trailers zu »Blacktape« stellen durfte. Dieser Tage liefert der Dokumentarfilm die Antworten im Kino – oder vielleicht auch nicht?

In seinem Leinwanddebüt versucht Regisseur und Ex-Freundeskreis-Mitglied Sékou Neblett, die Entwicklung der HipHop-Kultur in Deutschland aufzuarbeiten. Seine Mission führt ihn quer durch die Republik, unterstützt wird er dabei von Marcus Staiger und Falk Schacht. Im Laufe der Recherchen stößt das Trio auf ein Mysterium namens Tigon, das die bisherige Kulturhistorie ins Wanken bringt. Aber wo hört die Realität auf und wo fängt Fiktion an? Wir baten Sékou, Falk und Staiger in Berlin zum Gespräch über Metaebenen, Generationenkonflikte und Torchs Privatsphäre.

Die Frage, die ich mir während des Films gestellt habe, war: Braucht deutscher HipHop eine Mockumentary?
(Falk bricht in Gelächter aus)
Sékou: Und die Antwort lautet: Nein.

Die Anschlussfrage, die sich mir stellt: Was will der Film dann bezwecken?
Sékou: Erst mal: Der Film ist keine Mockumentary.
Reza Bahar [Produzent des Films, Anm. d. Verf.]: Hast du den Film gesehen?

Ja.
Reza: Das ist der 15. Film, den ich mache. Er wird auch von den Filmförderanstalten, die die Dreharbeiten unterstützt haben, als Dokumentarfilm anerkannt. In einer Mockumentary hast du ein Drehbuch, die Darsteller arbeiten mit einem Skript usw. Das hat nichts mit unserem Film zu tun. Weder Staiger noch Falk spielen eine Rolle. Auch alle anderen Leute im Film, von der Dame vom Amerikanischen Konsulat bis zum Polizisten, sind echte Personen.

Bis zu einem bestimmten Punkt versucht der Film, die Geschichte von Rap mit deutschen Texten und HipHop in Deutschland als Kulturbewegung aufzuarbeiten. Dann biegt die Handlung allerdings ab und dreht sich um die Suche nach Tigon, einem deutschen Rapper und Writer, der mit einer deutschsprachigen Performance bei einer Jam in den Heidelberger Campbell Barracks für Chaos gesorgt haben soll.
Sékou: Dieses Spiel mit verschiedenen Realitätsebenen wurde mir im Laufe der Dreharbeiten immer wichtiger. Es gibt keine Szene, von der man behaupten könnte, sie wäre komplett inszeniert, gleichzeitig aber auch keine Szene, die keine Elemente einer Inszenierung aufweist. Ich habe das bewusst betrieben, weil ich davon überzeugt bin, dass es ein guter Spiegel für HipHop in Deutschland ist. Hierzulande ist HipHop nicht wie N.W.A in Amerika: Kids aus’m Ghetto, die nichts haben, von der Polizei schikaniert werden und darüber einen Song schreiben, der dann durch die Decke geht. Soziologisch gesehen ist im deutschen HipHop viel mehr passiert. Wenn es um die Art der Dokumentation geht, würde ich den Film eher als Cinéma vérité einstufen. Deswegen sind die Kameras, die Mikros und das Filmteam auch bewusst so oft im Bild.
Falk: Der Film ist ja kein Rapsong, der nach drei Minuten vorbei ist. Da werden unglaublich viele verschiedene Themen angesprochen. Beispielsweise, ob man Kulturimperialismus zulässt, wenn wir mit Jaybo [aka Monk, französischer, in Berlin lebender Künstler; Anm. d. Verf.] darüber sprechen, dass er Mickey-Mouse-Hände auf einen Panzer malt. Es ist ja klar, dass die deutsche Popkultur unglaublich von der amerikanischen beeinflusst ist. Gleichzeitig gibt es Tigon, der antikommerziell agiert und damit eine ganz andere Form von Rapper darstellt als die heute bekannten MCs. Diese Ebenen, die zum Denken anregen sollen, sind das Spannende an dem Film.
Staiger: Bezüglich Falks Aussage möchte ich anmerken, dass es Gegenden gibt, in denen die Amerikaner heute noch mit den Panzern kommen. (Gelächter) Und zweitens: Ja, ich glaube tatsächlich, dass deutscher HipHop einen unterhaltsamen Deutschrapfilm braucht.
Sékou: Ich glaube auch, dass der Film etwas legitimiert, was im HipHop nur schleppend vorangeht. Ich habe einen guten Freund, der Writer ist. Er hasst Stencil Art. Das ist für ihn kein Graffiti. Damit habe ich ein Problem, weil ich finde, dass es zusammengehört. Es ging mir auch darum, Grenzen zu sprengen und nicht nur einen Film zu machen, in dem HipHop selbst erzählt, wie geil er ist.

 
In Falks Kommentar für unseren Jahresrückblick 2014 ging es darum, dass er sich wünscht, seine Generation wäre aufgeschlossener gegenüber neueren Strömungen, die heute die Musik prägen. Will der Film einen Dialog zwischen den Generationen anstoßen?
Sékou: Einer der schönsten Momente während der Dreharbeiten diesbezüglich war das Interview mit den Stiebers. Die ruhen so in sich mit ihrem Werk, dass sie großzügig genug sind, all das anzunehmen und sich dafür zu interessieren, was nach ihnen kam.
Staiger: Anders als beispielsweise der King.

Wenn ich das jetzt wieder abdrucke.
(Gelächter)
Falk: Es handelt sich ja um ein genre- und generationenübergreifendes Problem. Deine Eltern sind wahrscheinlich auch auf den Platten aus ihrer Jugend hängengeblieben. Als sie dann nach einem Kindergartenplatz Ausschau für dich halten mussten, ein Haus gebaut und gearbeitet haben, hatten sie keine Zeit mehr, sich mit Popkultur auseinanderzusetzen. Auf dem diesjährigen splash! ist es mir ziemlich oft passiert, dass Leute zu mir gesagt haben, das wäre wohl ihr letztes Mal. Ich kann natürlich nachvollziehen, dass man nicht mehr alles feiert, was bei 17-Jährigen gerade angesagt ist.
Staiger: Es macht auch keinen Spaß, auf Festivals gesiezt zu werden und Frauen anzuschauen, die meine Tochter sein könnten.
Falk: Kommen wir mal zum Thema zurück: Es ist einfach Realität, dass HipHop in Deutschland und auch seine Protagonisten ein gewisses Alter erreicht haben. Wenn ich so einen Kommentar schreibe, möchte ich natürlich eine generationenübergreifende Diskussion und einen Austausch anregen. Meine Generation soll sich öffnen – ob die Kids mitmachen, ist eine andere Baustelle.
Sékou: Wir reden ja über diesen Dialog aus unserer Sicht. Es gibt aber auch die andere Richtung: Kids, die jetzt HipHop konsumieren, aber die Geschichte nicht kennen. Und für die bietet der Film eine tolle Möglichkeit, etwas zu entdecken. Beim Screening auf dem splash! kam zum Beispiel die Frage auf, ob die Stiebers fiktiv oder echt seien.

Staiger, du wirst im Film als derjenige dargestellt, der diese Berliner Antihaltung überregional populär gemacht und den Weg für Straßenrap geebnet hat.
Staiger: Da gab’s vor mir in Berlin schon ganz andere Leute. Es gibt ja auch diesen Ausschnitt im Film, wo Fünf Sterne Deluxe von einer Jam in Hannover erzählen, die von Berlinern gecrasht wurde. Ich habe ja nur ein Label gemacht.
Falk: Das ist doch die Sache im Film, die spannend ist: Staiger wird in Tigon von einer Person getriggert, die eine revolutionäre Form von HipHop ausgelebt hat. Und das versuchen wir rauszufinden. Staiger stellt also diese Opposition dar. Er ist aus seiner Stadt weggezogen. Er hätte aber ja auch in Stuttgart bleiben und etwas mit den Fanta 4 machen können.
Staiger: Mich stört, dass die erste Generation die Chance gehabt hätte, eine ganz eigene Szene aufzubauen, mit dem Mzee-Magazin usw. Als das 1997 kippte, rannten alle zu den Majors. Das war für mich enttäuschend und der Ansporn dafür, Royal Bunker zu gründen. Abgesehen davon, dass es damals in Berlin keine Infrastruktur in Sachen Musikbusiness gab.

Letztes Jahr tauchte auf Youtube für kurze Zeit ein Clip von Torch und Staiger auf, der bei einem Festival in der Schweiz entstanden war. Man sah, wie Staiger in der Menge steht und versucht, den vorbeieilenden Torch zum Anhalten zu bewegen. Torch verschwindet dann genervt im Backstage-Bereich und Staiger ist aufgebracht, weil ihm der Eintritt zu selbigem verwehrt wird. Jetzt ist die Audiospur der Szene zwar im Film zu hören, das dazugehörige Bildmaterial wurde jedoch zensiert. Was ist da passiert?
Sékou: Man muss sagen, dass das eine heikle Sache ist. Torch möchte darauf nicht angesprochen werden und auch keine Stellungnahme dazu abgeben. Ich fühle mich schlecht, weil es ein Fehler des Teams war, dass der Clip geleakt wurde. Der Deal mit Torch war eigentlich, dass der Ausschnitt im Film zu sehen sein wird. Doch dann wurde vorab auf eine Art und Weise in seine Privatsphäre eingegriffen, für die ich mich nur schwer entschuldigen kann.

Aufgrund der vielen Metaebenen war ich zumindest ein wenig verwirrt, ob es sich dabei nicht um eine Hypermetaebene handelt.
Sékou: Es ist zu einer geworden. Aber gedacht war das so nicht.
Falk: Es erweckt im Film den Eindruck, als wolle sich Torch nicht dazu äußern. Aber das war nicht unsere Absicht. Tatsächlich sind sehr viele Dinge im Laufe des Drehs passiert, die dann Teil des Films wurden und auch dazu beigetragen haben, Realität und Fiktion zu vermischen. Oft hab ich mich selbst gewundert, weil ich nicht mehr auseinanderhalten konnte, was real und was irreal war.

Falk, im Film wird auch ein Projekt namens »Kings Of German HipHop« erwähnt. Was hat es damit auf sich?
Falk: Daran arbeite ich mit Sékou. Und wenn Reza das Budget klärt, ist das das nächste Projekt, das wir mit dem ZDF und Das kleine Fernsehspiel drehen. Momentan befindet es sich noch in der Entwicklungsphase, aber vielleicht wird es ja der zweite Teil von »Blacktape«. ◘

Den Film kann man bei den Kollegen vom ZDF kostenlos streamen.

Dieses Interview erschien in JUICE #171 (hier versandkostenfrei nachbestellen).Cover_171_ohneBR.indd

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