Zugezogen Maskulin Vs. The Beats

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Sido
Wiese vor dem Reichstag
Testo: Richtig, richtig schlimm. Da blutet mein Fan-Herz.

Unpassenderweise erschien der Song noch auf dem Gipfel der Flüchtlingsdebatte, im Rahmen der ARD-Heimatwoche.
Grim104: Ich dachte erst, er spielt auf diese Aktion vom Zentrum für Politische Schönheit an, die auch auf der Reichstagswiese stattfand, und hielt das für Sidos Flüchtlingssong. Das war dann aber schon sehr sonderbar. Erinnert mich an »Dis wo ich herkomm.«
Testo: Ich hab erst gestern noch »Maske« gehört, das altert ja nicht. Das könnte heute einfach so rauskommen und wäre nach wie vor ein krasses Album. Die Richtung, in die sich Sido entwickelt hat, kann ich halt nicht nachvollziehen. Aus seiner Sicht mag das Sinn ergeben. Auf »Ich« sagte er ja schon, dass er sein erstes Album kacke findet. Das versteh ich nicht, das ist doch ein krasser Deutschrap-Meilenstein.
Grim104: Den ersten Radioschritt fand ich auch gar nicht schlimm. Ich mochte »Hey Du« total, das befriedigte meine bereits erwähnt Liebe zu Historien-Rap und Geschichten aus der Vergangenheit. Das war ein richtig starker Song mit dem »Linie 1«-Sample. Ich fand »Carmen« und »Augen auf« halt wack.
Testo: Oder der Schweinchen-Song »Sie bleibt«, das war richtig Kurt-Krömer-Style. Gerade bei Sido ging es immer darum, auf alles zu scheißen und sich nichts sagen zu lassen: Ich nehm Drogen und fick wild rum. Dass jetzt alles so brav und gesellschaftskonform geworden ist – da ist eine richtige Künstlerseele gestorben.
Grim104: Ich befürchte nur, das macht ihm halt Spaß. Das ist jetzt genau sein Swag. Er interessiert sich ja mittlerweile auch für alterna­tive Wissenschaften, wie die Präastronautik. (Gelächter)

 
Ghanaian Stallion feat. Audio88 & Yassin, Dexter
Gib ihn einfach (Dies Das 2)
Testo: Mich hat’s gefreut, dass neben uns auch Leute wie Audio88 & Yassin und die Antilopen dieses Jahr mehr Aufmerksamkeit bekamen. »Normaler Samt« hat mir sehr viel Spaß gemacht.
Grim104: Zu ihrem ersten Album »2 Herrengedeck, bitte« habe ich damals noch als ­­­rap.de­-Praktikant die Fanboy-Review geschrieben.

Fühlt ihr euch in dieser Linksrap-Ecke mit den genannten Künstlern eigentlich verstanden oder nervt dieser vereinnahmende Reflex von Medien, sobald man sich in Texten politisch äußert?
Testo: Wir haben ja das Glück, in der Rapszene als Teil dieser akzeptiert zu sein. Bei den Antilopen wird immer so getan, als fände das ganz woanders statt. Von außen ist diese Schublade »Zeckenrap« natürlich doof. Das hat gleich was Hingespucktes, Abwertendes, womit man sich nicht beschäftigen muss.

Aber die Inhalte haben euch schon die Tür ins Feuilleton geöffnet.
Grim104: Mag sein, weil es halt politisch ist. Wenn man sich mit der momentanen Weltlage befasst, und immer noch Easy-Listening-Mucke macht, wirkt es doch schon befremdlich. Aber natürlich muss sich deswegen nicht gleich jeder politisch äußern.
Testo: Dass es überhaupt etwas besonderes ist, dass Rapper sich mit ihrer Außenwelt befassen und gesellschaftliche Themen verarbeiten, ist doch schon absurd.

Was drücken Straßenrap-Alben denn ­anderes als politische Tatsachen aus?
Grim104: Viele Gangstarap-Alben sind politische Alben, weil sie bestimmten Lebensumständen und -realitäten entspringen. Was nicht heißt, dass jedes Majoe-Album ein politisches Werk ist. Als ich anfing, Rap zu hören, war das gar kein Thema und das politische Element immer Teil der Kultur. Mir war Style und Freshness wichtig, aber es ging auch darum, sich mit Strukturen und Realitäten zu beschäftigen.

 
Fatoni & Dexter
32 Grad
Grim104: Das ist das perfekte Beispiel, wie es gehen kann: Sich klug zu einem Thema zu äußern, ohne gefällig zu wirken. Das finde ich sehr gut.
Testo: Fatoni ist auch so jemand, der sich den Hype hart erarbeitet hat und schon letztes Jahr permanent auf Tour war.
Grim104: Kunst kann ja nicht immer durchgenickt werden. Immer nur Klischee-Dritte-Welt-Leid zu zeigen, löst bloß diesen Mitleidsmechanismus aus. Wenn man das aufbricht, wie hier mit diesem Miami-Vice-Sound, und das vor Ort als Tourist filmt, wird es als Kunst erst interessant. Es gibt dieses Foto an einem italienischen Strand, an dem sich Menschen sonnen, und dann schleppen sich Flüchtlinge an die Küste. Das ist die akustische Version davon. Das ist ja kein Hohn. Kunst muss wehtun und aufrütteln.
Testo: Ich kann mir auch nichts Langweiligeres vorstellen, als sich PC-mäßig in ein ganz enges Korsett zu zwängen und nur noch angepasste Scheiße zu machen.

Mal ganz hart ausgedrückt: Hat sich so mancher Rapper einen Gefallen damit getan, nicht in die Flüchtlingsdebatte einzusteigen?
Testo: Überhaupt nicht. Wenn sich rechte Tendenzen offenbaren, muss man Position beziehen. Gerade im Deutschrap, der doch multikulti ist. Dass sich dazu so wenig Leute geäußert haben, hat mich schon überrascht. Da hätte ich mir mehr Meinung gewünscht.
Grim104: Oder zumindest eine gewisse Grundhaltung. Vielleicht haben viele auch Angst vor diesem Til-Schweiger-Syndrom und dass es zu einer Art musikalischem Pendant zum Klatschen-am-Münchner-Hauptbahnhof kommt. Oder dass ein Feel-Good-Refugee-Welcome-Song dabei entsteht. Was ich in letzter Zeit auch immer wieder höre, sind so random Lines: »Das ist dumm wie Pegida.«
Testo: Farid hatte eine super Line: »Ey yo Patrick, du siehst mich mit Kollegah auf VIVA, und ich dich auf ARD mit HoGeSa-Mitgliedern.« Mal abgesehen davon, dass Fler für mich kein Nazi ist, finde ich Haltung so verarbeitet echt super.

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