Yung Lean – Stranger // Review

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(Year0001 / Rough Trade)

Wertung: Viereinhalb Kronen

Wie soll ein Rapper eigentlich weitermachen, wenn er mit 21 Jahren bereits eine gesamte Karriere durchgespielt hat? Den Hype, die Beschuldigungen, den Untergang des Genres einzuläuten, den Drogenabsturz, die Klinik, den Verlust eines Mentors (in spe) und die späte Anerkennung als nachhaltiger Influencer – all das lief bei Yung Lean in gerade mal vier Jahren ab. Im Regelfall brauchen derartige Zyklen mindestens doppelt so lange, die betreffenden Personen sind an deren Ende dann meist in den frühen Dreißigern, haben irgendwo unterwegs Kinder gezeugt, über die sie Tracks machen können, und inszenieren sich generell als arri­vierte Elder Statesmen. Da dem Stockholmer MC derartige Optionen aus offensichtlichen Gründen versperrt bleiben, muss er alternative Strategien entwickeln: Sich noch tiefer in seinen DIY-Post-Internet-Sound eingraben etwa, um dort eine Schönheit zu finden, die bisherige Releases lediglich vage erahnen ließen. Wo früher Sounds (absichtlich) deplatziert in der Luft hingen und ausnahmslos billig klangen, da hat es Lean auf »Stranger« mit Hilfe seiner Produzenten Yung Gud, Yung Sherman und White Armour zu einem gewissen Standard gebracht, der den weirden Charakter der Musik nicht verrät, ihm aber weitere Dimensionen hinzufügt. Einen watteweichen Pop-Hit wie »Red Bottom Sky«, auf dem Lean die Grenzen zwischen lallendem Rap und akzentuiertem Gesang endgültig verschwimmen lässt, hatte er so bislang nicht im Gepäck, ebenso wie die bizarre Klavierballade »Agony«, an deren Ende tatsächlich ein Kinderchor in den depressiven Refrain einstimmt: »Isolation caved in/I adore you, the sound of your skin.« Dazwischen gibt es auch Momente, die nach wie vor am guten alten Südstaatenrap orientiert sind (»Skimask«, »Salute/Pacman«), in seiner Gesamtheit atmet das Material jedoch jenen sensibel-innovativen Geist, der etwa auch Frank Oceans »Blonde« im vergangenen Jahr auszeichnete. Nur weil Lean an der Platte mitwirkte, soll »Stranger« nicht als ideenlose Kopie verstanden werden, im Gegenteil: Diese professionell-dilettantische Mischung ist zugleich zeitgemäß und einzigartig.

Text: Sebastian Berlich

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