YouTube vs. GEMA und was der Deutschrap-Hype damit zu tun hat // Kommentar

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Gema weida! Sieben Jahre zeigte Youtube in Deutschland so gut wie keine US-HipHop-Videos. Ein Segen für Deutschrap.

Als 2009 plötzlich ein Frown-Emoji auf rotem Hintergrund darauf hinweist, dass der gewünschte Musikinhalt auf Youtube nicht mehr verfügbar sei, liegt Deutschrap brach. Der große Post-Aggro-Kater entfaltet seine Wirkung gerade mit voller Wucht: Labels schließen reihenweise, die Verkaufszahlen sind desaströs. Doch das kleine, von der GEMA provozierte Ärgernis mit den gesperrten Clips aus Übersee entpuppt sich nach und nach als glückliche Fügung für Deutschrap.

Gerne erzählt man heute schulterklopfend die romantisierte Version vom phönixgleichen Wiederaufstieg des Genres: Der große Crash an der Gangstarap-Börse schafft zum Ende der Nullerjahre Platz für einen neuen Mittelstands-Raop um Künstler wie Cro, Casper und Marteria, die das Schmuddel­image abschütteln und sogar Airplay in Tante Gabis Küchenradio klarmachen. Dass die großen Plattenfirmen dabei sukzessive wieder deutsche Rapper als Zugpferde vor den Karren spannen, hat aber einen weniger glamourösen Grund: Dort, wo die Zielgruppe nun primär Musikvideos konsumiert, gibt’s plötzlich kaum Alternativen zum einheimischen Rap. Zeitgleich verschiebt sich die Online-Berichterstattung über Deutschrap von News-Portalen, Blogs und Online-Foren hin zu Youtube. Kanäle wie 16bars und hiphop.de antizipieren diesen Trend und werden letztlich Vorreiter der Entwicklung. Auch Print­medien wie Backspin und JUICE findet man bald beim Video-Streaming-Spitzenreiter. So weit, so bekannt.

Was dabei zu Beginn nicht auffällt, später aber weitreichende Folgen hat: Den anfangs noch kleineren Medien fehlen die nötigen Connections – während JUICE-Korrespondenten aus New York, Paris und Los Angeles berichten, filmen die Youtube-Portale eben nur jene Künstler, die sie in heimischen Gefilden vor die Linse bekommen. Schnell entstehen so stundenlange Video­interviews mit deutschen Straßenrappern, die sich mit Ach und Krach ein doppelseitiges JUICE-Interview erkämpfen. Das provoziert eine Verschiebung der Interessen beim Konsumenten, vorwiegend der nachwachsenden Hörergeneration. Während es in einschlägigen deutschen Medien zunehmend schwerer wird, ab 2009 überhaupt mitzubekommen, was gerade in Übersee angesagt ist, dauert die Einbettung neuer Videos deutscher Holz-, Blech- und Goldkettenrapper nur wenige Klicks. Sieben lange Jahre wird die Strahlkraft der amerikanischen Konkurrenz vom lange stagnierenden Rechtsstreit mit der GEMA ausgehebelt. Das lässt bei den hiesigen Ablegern der Majors zunehmend den Elan schwinden, mit US-Themen zu arbeiten. Unweigerlich beeinflusst das auch die Bericht­erstattung der deutschen Rap-Medien, die weiter gewissenhaft über US-HipHop schreiben. Zum Vergleich: In den Spielzeiten ’08 und ’09 zieren elf US-MCs das JUICE-Cover, von 2010 bis 2012 sind es insgesamt nur noch vier. Während der letzten vier Jahre realisieren wir genau drei Titelgeschichten, die ohne Deutschrapper auskommen.

Diese sieben fetten Jahre für Deutschrap kamen Anfang November 2016 zu einem jähen Ende: Völlig unerwartet wurde eine außergerichtliche Einigung zwischen Video­plattform und Verwertungsgesellschaft bekanntgegeben. Trotz gelockerter Bewegtbild­fußfessel agiert US-HipHop noch nicht wieder auf Augenhöhe. Zu groß ist aktuell der Vorsprung einheimischer Künstler in den Sozialen Medien. Auch in Sachen Soundbild, Vielfalt und Professionalität hat die deutsche Szene gegenüber dem großen Bruder ­einiges an Boden gut gemacht. Eine plötzliche Änderung des Konsumverhaltens bleibt somit unwahrscheinlich. Aber immerhin: Falls die viel beschworene Blase doch noch irgendwann platzen sollte, kommen wir jetzt auch ohne Proxy an unseren Rap-Fix aus Übersee. ◘

Illustration: Liam Tanzen

Dieser Text erschien als Teil unseres großen Jahresrückblicks in JUICE #178 (hier versandkostenfrei bestellen).

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