»Jeder von uns geht in seinem Leben mindestens einmal durch Evigila« // Tua & Vasee im Interview

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Ein karg eingerichteter Raum. Es ist kalt, irgendwo tropft ein Wasserhahn unentwegt seine schweren Tropfen in ein Metallbassin, der Putz blättert von den grauen Wänden. Mitten im Raum sitzt ein Mensch, umhüllt von einer schweren schwarzen Robe, das Gesicht hinter einer merkwürdigen Maske versteckt. Immer wieder tauchten in der Wochen vor der Veröffentlichung von „Evigila“, dem gemeinsamen Album von Tua und Vasee, diese Videos im Internet auf. Sie machten verschiedenes: a) neugierig auf das langerwartete Album und b) insgeheim deutlich, dass der Hörer es hier per se schon nicht mehr mit dem dem stinknormalen Konstrukt des HipHop-Kollaboalbums zu tun hat. JUICE-Autor Jan Wehn hat Tua und Vasee in „Evigila“ besucht.

Nachdem bereits vor zwei Jahren eine Version des Songs „Soll das alles sein“ durchs Netz geisterte, ist das „Evigila“-Album erst im Sommer dieses Jahres entstanden. Während der Durchschnittsdeutsche schweißtreibende Temperaturen und die Fußballweltmeisterschaft als Anlass zum Meckern und Motzen nahm, werkelten Tua und Vasee in einem kleinen Kellerstudio an ihrem Album. „Draußen waren knapp 40 Grad, doch wir mussten die Heizung anmachen – das schlägt aufs Gemüt“, lacht Vasee. Überhaupt wird während des Interviews viel gelacht. Von einem stillen, beobachtenden Charakter wie Vasee hätte man das genau so wenig erwartet wie von Tua. Sein Solodebüt „Grau“ gilt für viele als beeindruckendes Zeugnis der melancholischen Zerrissenheit eines Mittzwanzigers zwischen Perspektivlosigkeit im urbanen Dschungel, einem latenten Gefühl der Verlassenheit und den Auswirkungen schlechter Modedrogen. „Aber das heißt definitiv nicht, dass wir im Alltag die ganze Zeit depressiv sind“, erklärt Tua. „Ich lache vermutlich viel mehr, als dass ich traurig bin. Aber uns liegt es halt mehr, nachdenkliche Musik zu machen. Das ist mir wichtiger als die Verarbeitung der Party vom letzten Abend. Dafür habe ich immer noch die Orsons.“

„Evigila“, zu deutsch „Wach auf!“, ist eine Stadt. Ein Schmelztiegel aller Ängste, Sorgen und Zweifel der Mutlosen, Verlorenen und Verlassenen. Ein Rahmen für die grau-in-grau gegossenen Momentaufnahmen, die Tua und Vasee in 14 Songs skizzieren. Den Dystopiegedanken einer am Werteverfall zugrunde gegangenen Gesellschaft wendet Tua jedoch gleich zu Beginn des Gespräches ab: „Als wir mit dem Album begonnen haben, hatten wir tatsächlich Bilder von einer Stadt wie Metropolis im Kopf. Aber das trifft es nicht richtig, da Evigila ja kein fiktiver Ort ist.“ Aus Fundstücken vom Schrottplatz bauten Vasee und Tua nämlich ein Miniaturmodell der Stadt, die sie als Dreh- und Angelpunkt ihrer Geschichten auserkoren haben. Das Modell soll als Schauplatz für diverse Musikvideos zum Album fungieren.

„Evigila ist für jeden etwas anderes. Und jeder von uns geht in seinem Leben mindestens einmal durch Evigila“, erklärt Tua. „Die Frage ist nur, ob Evigila wirklich ein Ort ist, den wir selbst erschaffen haben oder ob es ein Ort ist, der uns schon immer inspiriert hat, dem wir aber erst jetzt einen Namen gegeben haben“, ergänzt Vasee. „Wir haben diese Stadt gebaut, jetzt reißen wir sie wieder ein“, heißt es in „Diese Stadt“, dem zentralen Song des Albums, der alle Themen des Albums bereits kurz anreißt. Der Refrain des Songs wiederholt sich immer wieder – der Kampf gegen die dunklen Ecken der Seele als endlose Möbiusschleife? „Es gibt immer wieder Phasen im Leben, in denen man Angst hat“, erklärt Vasee. „Vor kurzem hat uns ein Fan davon erzählt, dass er Probleme hat, eine Frau zu finden. Das war also sein eigenes kleines Evigila. Vielleicht findet er bald eine Freundin und wird seine Angst abbauen, wenig später aber Angst haben, seine Freundin wieder zu verlieren. Und wenn er das überwunden hat, wird er irgendwann Kinder bekommen und Angst um seinen Nachwuchs haben. So baut sich Evigila immer wieder neu auf, um dann zusammen zu brechen.“

Eine der Botschaften des Albums lautet aber auch: Man kann an seinen Problemen und Ängsten nicht vorbei. Sie sind sogar vollkommen normal, findet Vasee. „Diese Probleme sind für uns so groß, dass sie eine ganze Stadt darstellen. Man weiß gar nicht genau, wie man da jemals wieder herauskommen soll. Das geht doch jedem so. Uns als Künstlern und dem Hörer auch. So werden wir praktisch eins. Wir wollen dem Hörer sagen, dass man ruhig Angst haben kann und dass man sich trauen darf, Gefühle zu zeigen. Trau dich, durch diese Gefühle durchzugehen. Und wenn du magst, werden wir dabei an deiner Seite sein.“ Denn Tua und Vasee sind während der Entstehungsphase des Albums auch selbst durch eine schwierige Phase in ihrem Leben gegangen.

Man merkt schnell: Die Beiden meinen es ernst. Selten hat es im deutschen Rap ein so durchdachtes Konzeptalbum gegeben, das neben der textlichen Tiefe auch durch seine enorme Musikalität überzeugt. Die Tua-typischen Ausbrüche wie D&B-Breaks und Dubstep-Basslines finden sich zwar auch weiterhin im Sound, dennoch überrascht es für einen Moment, wenn der stets selbstkritische und dem Konsens abgeneigte Tua behauptet, er fände die Bezeichnung „Pop“ für das Album recht treffend. Das beste Beispiel dafür ist der leichtfüßige Singlekandidat „Aufgeben“, ein trojanisches Pferd mit Akustikgitarre, das den Hörer in die Albumthematik zieht. Abseits davon wird jedoch auf textlicher Ebene konsequent mit komplexer Metaphorik gearbeitet. So schwebt etwa ein „Roter Luftballon“ durch das triste Bild der Stadt aus Angst. „Den Ballon kann man aus zwei Blickwinkeln sehen“, erklärt Vasee. „Zum einen steht er für persönliche Beziehungen, aus denen die Luft raus ist, zum anderen aber auch als Symbol des Lebens, aus dem stetig etwas Energie entweicht.“ Tua ergänzt: „Auf dem Album geht es um Kreisläufe. Genau wie Evigila immer wieder zerstört und aufgebaut wird, kann man den Ballon aufpumpen und wieder die Luft herauslassen. Eine kafkaeske Situation.“ Überhaupt sei das Werk des tschechischen Schriftstellers Franz Kafka inspirierend für das Album gewesen. Das Thema der Angst durchzieht auch viele von Kafkas in morbid-bedrückendem Ton verfassten Erzählungen. Der mitunter kryptische Charakter der Lyrics gipfelt in den beeindruckenden „Szenen der Wüste“: „Wir haben uns als Songschreiber wie die Wüste gefühlt: Leer und ausgebrannt. Aber die Strophen sind eben sehr szenisch geschrieben, so dass sich der Inhalt und die Bedeutung erst nach mehrmaligem Hören erschließen.“

Neben zwischenmenschlichen Beobachtungen schlägt das Album auch immer wieder sozialkritische Töne an. „Mich nervt dieses grenzenlose Expansionsvertrauen unserer Gesellschaft“, schimpft Tua. „Das meine ich nicht nur politisch, sondern auch bezogen auf den privaten Bereich. Man will ständig wachsen – höher, schneller, weiter. Und deshalb nehmen sich viele nicht mal die Zeit, durch Evigila zu gehen.“ Der unfreiwillige Drang, nicht mehr innezuhalten, sondern sich einer ständigen Charakter- und Wesensoptimierung zu unterziehen, gipfelt in dem eindrucksvollen „Wer ich sein will“. Für Tua geht es dabei auch um das Bild des Sonderlings, der von der gleichgeschalteten Gesellschaft verstoßen wird: „Das beste Beispiel dafür sind doch wir selbst – wir verdienen als Musiker unser Brot. Manche schauen bewundernd zu uns auf, andere geringschätzig auf uns herab.“

„Evigila“ ist am Ende auch die Geschichte von zwei Künstlern. Künstlern, denen HipHop als Genre zu eng ist. Während der Sänger Vasee schon immer ein Grenzgänger war, fällt Tua, der einst als Doubletime-Wunderkind seinen Weg in die Rap-Szene fand, hier durch Ausbrüche aus dem strengen Formkorsett auf. „In erster Linie bin ich Musiker. Ich schäme mich sogar oft dafür zu sagen, dass ich HipHop mache.“ Da wären wir wieder beim zentralen „Evigila“-Thema, der Angst: Auf ein plumpes Stereotyp reduziert und falsch verstanden zu werden. Mit „Evigila“ könnte den beiden jedoch endgültig die Emanzipierung vom Stigma Deutschrap glücken. Im Umkehrschluss laufen sie dabei auch Gefahr, für den klassischen HipHop-Hörer zu weit draußen zu sein. „Mitunter machen wir das sehr bewusst“, betont Vasee, und Tua fügt hinzu: „Dieses HipHop-Baukasten-Prinzip mit dem Song für die Frauen, dem Song für den Club und dem Song für die Straße ist einfach vorbei. Emotionale Ehrlichkeit war uns hingegen extrem wichtig. Wir gehen jetzt gestärkt in unsere eigene Richtung. Und darauf sind wir sehr stolz.“

Text: Jan Wehn

Foto: Vasilios Parashidis

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